Während der 12-jährigen Regierungszeit der Nationalsozialisten wurden über 260.000 Menschen mit Behinderung systematisch ermordet. Es ist gut dokumentiert, dass diese von langer Hand geplanten Morde zwar vertuscht wurden, dies aber keineswegs verhinderte, dass große Teile der Bevölkerung darüber Bescheid wussten. Um zu verstehen, wieso die NS-Euthanasie dennoch durchgesetzt werden konnte, soll in dieser Hausarbeit erläutert werden, wie Menschen mit Behinderung im Dritten Reich wahrgenommen wurden.
Der fehlende Protest gegen die Euthanasie hängt mit der totalitären Struktur des Naziregimes zusammen, aber die Euthanasie wäre nicht möglich gewesen ohne einen grundlegenden Rückhalt in der Bevölkerung, der sich auch in der Mitwirkung auf partikularer Ebene sowie in der ausschließlich freiwilligen Mitarbeit von Ärzten ausdrückte. Die Wahrnehmung von Menschen mit Behinderung kann nicht ohne den zeitlichen Kontext und die generelle Ideologie des Nationalsozialismus verstanden werden. Daher wird zunächst ein kurzer Abriss der Situation von Menschen mit Behinderung und des Diskurses über sie in der Weimarer Republik gemacht. Zweifellos stellt die NS-Zeit jedoch einen deutlichen Bruch dar.
Daher soll daraufhin beschrieben werden, wie der "Volkskörpers", ein zentraler Begriff in der Ideologie des Nationalsozialismus, als Idee imaginativ hergestellt wurde. Anschließend wird die Rolle der einzelnen Körper im "Volkskörper" nachvollzogen. Dabei zeigt sich eine Vorstellung, die Menschen mit Behinderung von vornherein ausschließt. Schließlich wird anhand von zwei Filmen exemplarisch das in der NS-Propaganda dargestellte Bild des "Erbkranken" als "leidende Existenz" oder "leere Hülse" nachvollzogen. Diese Bilder von einem Leben mit Behinderung werden dann mit der doppelten Argumentationsfigur der Euthanasiepropaganda – Mitleidstötung und Kosten-Nutzen-Abwägung – in Verbindung gebracht.
Ein weiteres Mittel der Propaganda, nämlich die Identifikation von Menschen mit Behinderung mit Tieren, wird daran anknüpfend erläutert. Abschließend soll noch einmal auf den "Volkskörper" rekurriert werden, um die These aufzustellen, dass die "Volkskörper"-Ideologie von Anfang an mit der "Reinigung" von Schwachen verbunden war. Daraus folgt, dass, wer sich als Teil des "Volkskörpers" verstand, mit hoher Wahrscheinlichkeit das von der Euthanasiepropaganda illustrierte Bild von Menschen mit Behinderung annahm.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Rassenhygienischer Diskurs und gesellschaftliche Situation von Menschen mit Behinderung in der Weimarer Republik
- Begriff und imaginative Herstellung des Volkskörpers
- Die Funktion des Einzelnen und der Idealkörper
- Das Bild des ,Erbkranken in der nationalsozialistischen Propaganda:,leidende Existenz',\n,leere Hülse' und‚Tier‘.
- Euthanasie ist die Herstellung des, Volkskörpers'
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Hausarbeit analysiert die Wahrnehmung von Menschen mit Behinderung im Dritten Reich im Kontext der NS-Euthanasie. Sie untersucht die Entstehung der Euthanasie-Ideologie und deren Auswirkungen auf die gesellschaftliche Sichtweise von Menschen mit Behinderung, indem sie die Rolle des ‚Volkskörpers‘, der Ideologie der Rassenhygiene und der NS-Propaganda beleuchtet.
- Der Einfluss des rassenhygienischen Diskurses auf die gesellschaftliche Situation von Menschen mit Behinderung in der Weimarer Republik
- Die Konstruktion des ‚Volkskörpers‘ als homogenes, rassehygienisch reines Kollektiv im Nationalsozialismus
- Die Darstellung von Menschen mit Behinderung in der nationalsozialistischen Propaganda und ihre Verbindung zur Euthanasie-Ideologie
- Die Rolle der Euthanasie als Mittel zur Herstellung des ‚Volkskörpers‘ und zur Beseitigung von ‚lebensunwertem Leben‘
- Die Bedeutung von Exklusionsmechanismen und die Herstellung der Unsichtbarkeit von Menschen mit Behinderung
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung beleuchtet die historische und gesellschaftliche Bedeutung der NS-Euthanasie und die Bedeutung der Wahrnehmung von Menschen mit Behinderung im Kontext des Dritten Reiches. Sie führt den Leser in das Thema ein und stellt die Forschungsfragen dar.
Das erste Kapitel behandelt den rassenhygienischen Diskurs in der Weimarer Republik und seine Auswirkungen auf die gesellschaftliche Situation von Menschen mit Behinderung. Es wird deutlich, wie die Rassenhygiene zur Dehumanisierung und Ausgrenzung von Menschen mit Behinderung beitrug.
Im zweiten Kapitel wird der Begriff des ‚Volkskörpers‘ als zentrales Element der nationalsozialistischen Ideologie erläutert. Dieser Begriff impliziert eine homogene und ‚reine‘ Volksgemeinschaft, die Menschen mit Behinderung von vornherein ausschließt.
Das dritte Kapitel untersucht die Propaganda des Nationalsozialismus und ihre Darstellung von Menschen mit Behinderung als ‚leidende Existenzen‘, ‚leere Hülsen‘ oder ‚Tiere‘. Dieses Bild war maßgeblich für die Legitimierung der Euthanasie-Ideologie.
Das vierte Kapitel beleuchtet die Euthanasie als ein Mittel zur Herstellung des ‚Volkskörpers‘ und zur Beseitigung von ‚lebensunwertem Leben‘. Es analysiert die Argumente der Euthanasie-Propaganda und die Rolle von Mitleidstötung und Kosten-Nutzen-Abwägung.
Schlüsselwörter
Die zentralen Themen dieser Arbeit sind die NS-Euthanasie, die Wahrnehmung von Menschen mit Behinderung, der ‚Volkskörper‘, die Rassenhygiene, die nationalsozialistische Propaganda und die Exklusionsmechanismen. Weitere wichtige Begriffe sind Degeneration, ‚lebensunwertes Leben‘, ‚Erbkrank‘, ‚leere Hülse‘, Mitleidstötung und Kosten-Nutzen-Abwägung. Die Untersuchung beleuchtet die ideologische Grundlage und die gesellschaftlichen Auswirkungen der Euthanasie im Nationalsozialismus.
- Arbeit zitieren
- Marvin Steiner (Autor:in), 2022, Die gesellschaftliche Wahrnehmung von Menschen mit Behinderung im Nationalsozialismus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1257640