Adverbien im Indogermanischen

Entwicklung und Typologie der Adverbien in den indogermanischen Sprachen


Magisterarbeit, 2008

112 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung
1.1. Allgemeines zur Wortart Adverb
1.2. Zur Bestimmung der Wortart
1.3. Das Adverb in den Sprachen der Welt
1.4. Zur Entstehung von Adverbien
1.4.1. Adverbien aus Substantiven und Adjektiven
1.4.2. Adverbien aus Verben
1.5. Zur Entstehung von Adpositionen aus Adverbien

2. Die Situation im Urindogermanischen
2.1. Allgemeines zum Kasussystem
2.2. Die adverbialen Funktionen der Kasus im Urindogermanischen
2.2.1. Die adverbialen Funktionen des Akkusativs
2.2.2. Die Funktionen des Ablativs
2.2.3. Die Funktionen des Instrumentals
2.2.4. Die Funktionen des Lokativs
2.3. Weitere Funktionen
2.3.1. Der Akkusativ der Beziehung
2.3.2. Der Genitiv in seiner Funktion als Partitiv
2.3.3. Der Dativ in adverbialer Verwendung
2.4. Adverbien im Urindogermanischen
2.4.1. Adverbien aus erstarrten Kasusformen
2.4.2. Adverbbildung durch Suffigierung
2.4.3. Adverbien aus dem Akkusativ Singular Neutrum des Adjektivs

3. Zum Kasussystem und den Adverbien in ausgewählten idg. Tochtersprachen
3.1. Griechisch
3.1.1. Allgemeines zum Kasussystem
3.1.2. Die adverbialen Funktionen der Kasus im Griechischen
3.1.2.1. Die adverbialen Funktionen des Akkusativs
3.1.2.2. Die adverbialen Funktionen des Genitivs
3.1.2.3. Die adverbialen Funktionen des Dativs
3.1.3. Weitere Funktionen
3.1.3.1. Relevante Funktionen des Akkusativs
3.1.3.2. Der Genitiv in seiner Funktion als Partitiv
3.1.4. Das Adverb im Griechischen
3.1.4.1. Adverbien aus erstarrten Kasusformen
3.1.4.2. Ererbte Adverbien
3.1.4.3. Adverbbildung durch Suffigierung
3.1.4.4. Adverbien aus und in Komposita
3.1.4.5. Adverbien aus dem Akkusativ Singular Neutrum des Adjektivs
3.2. Altindisch
3.2.1. Allgemeines zum Kasussystem
3.2.2. Die adverbialen Funktionen der Kasus
3.2.2.1. Die adverbiale Funktion des Nominativs
3.2.2.2. Die adverbialen Funktionen des Akkusativs
3.2.2.3. Die Funktionen des Ablativs
3.2.2.4. Die Funktionen des Instrumentals
3.2.2.5. Die Funktionen des Lokativs
3.2.3. Weitere Funktionen
3.2.3.1. Der doppelte Akkusativ
3.2.3.2. Der Genitiv in seiner Funktion als Partitiv
3.2.4. Das Adverb im Altindischen
3.2.4.1. Adverbien aus erstarrten Kasusformen
3.2.4.2. Ererbte Adverbien
3.2.4.3. Adverbbildung durch Suffigierung
3.2.4.4. Ableitung von Adverbien mittels Akzentverschiebung
3.2.4.5. Adverbien aus und in Komposita
3.2.4.6. Adverbien aus dem Akkusativ Singular Neutrum des Adjektivs
3.3. Lateinisch
3.3.1. Allgemeines zum Kasussystem
3.3.2. Die adverbialen Funktionen der Kasus im Lateinischen
3.3.2.1. Die adverbialen Funktionen des Akkusativs
3.3.2.2. Die Funktionen des Ablativs
3.3.3. Weitere Funktionen
3.3.3.1. Relevante Funktionen des Akkusativs
3.3.3.2. Der Genitiv in seiner Funktion als Partitiv
3.3.3.3. Eine relevante Funktion des Dativs
3.3.4. Das Adverb im Lateinischen
3.3.4.1. Adverbien aus erstarrten Kasusformen
3.3.4.2. Ererbte Adverbien
3.3.4.3. Adverbbildung durch Suffigierung
3.3.4.4. Adverbien aus und in Komposita
3.3.4.5. Adverbien aus dem Akkusativ Singular Neutrum des Adjektivs
3.4. Hethitisch
3.4.1. Allgemeines zum Kasussystem
3.4.2. Die adverbialen Funktionen der Kasus im Hethitischen
3.4.2.1. Die adverbialen Funktionen des Akkusativs
3.4.2.2. Die Funktionen des Ablativs
3.4.2.3. Die Funktionen des Instrumentals
3.4.2.4. Die adverbialen Funktionen des Dativ-Lokativs
3.4.2.5. Die Funktion des endungslosen Lokativs im Althethitischen
3.4.2.6. Die Funktion des Direktivs
3.4.3. Weitere Funktionen
3.4.4. Das Adverb im Hethitischen
3.4.4.1. Adverbien aus erstarrten Kasusformen
3.4.4.2. Ererbte Adverbien
3.4.4.3. Adverbbildung durch Suffigierung
3.4.4.4. Adverbien in Komposita
3.4.4.5. Adverbien aus dem Akkusativ Singular Neutrum des Adjektivs
3.5. Zusammenfassung und Auswertung

4. Schlussbetrachtung

Appendix A - Tabellarium

Appendix B – Quellen

1. Einleitung

1.1. Allgemeines zur Wortart Adverb

Der Begriff Adverb geht auf lat. adverbium „Beiwort, das zum Verb gehörige“ zurück, das seinerseits eine Lehnübersetzung des griechischen Begriffs E pirrhma „das Dazugesagte, das dem Verb Hinzugefügte“ darstellt.

Die Wortart Adverb dient dazu, Verben, Adjektive, Adverbiale oder Sätze semantisch zu modifizieren. Synchron werden Adverbien üblicherweise zusammen mit Präpositionen / Postpositionen und Konjunktionen zu den Partikeln gezählt, da sie wie diese nicht flektiert werden. Nur wenige Adverbien sind komparierbar. Wo dies möglich ist, werden häufig suppletive Formen gebraucht, wie beim deutschen Adverb bald mit dem Komparativ eher und dem Superlativ am ehesten.

Die Wortart selbst kann in sich weiter untergliedert werden. Je nach angelegtem Kriterium ergeben sich dabei Subtypen.

Eine Gliederung nach syntaktischen Kriterien liefert eine erste Unterteilung in freie Adverbien und Pronominaladverbien, die stellvertretend für Adpositionalobjekte oder Adverbiale stehen können.

Morphologisch unterscheidet man zwischen reinen (d.h. undurchsichtigen) Adverbien, Adverbien aus Komposita und solchen, die durch Derivation gebildet werden. In Sprachen, in denen es möglich ist, durch Ableitung oder Komposition Adverbien dem Lexikon hinzuzufügen, wird die Wortart als offen bezeichnet.

Semantisch kann man einteilen in Lokal-, Temporal-, Modal-, Kausal- und Grad- bzw. Maßadverbien.

Nicht alle Adverbien zeigen den gleichen Gebrauchsumfang. Neben solchen, die nur adverbial verwendet werden können, gibt es eine Gruppe von Adverbien, die darüber hinaus noch attributiv oder prädikativ gebraucht werden können. Einen besonderen Typ stellen die sogenannten Satzadverbien dar, die der semantischen Modifikation eines ganzen Satzes dienen.

1.2. Zur Bestimmung der Wortart

Die Frage danach, welche Kriterien erfüllt sein müssen, um ein bestimmtes Wort den Adverbien zuzurechnen, ist bis heute umstritten. Schmöe et al. (2002: Vorwort) schreiben dazu:

„Die Wortart Adverb ist die sperrigste und am wenigsten erforschte Wortklasse nicht nur des Deutschen. In den Grammatiken und Wortbildungslehren wird sie häufig stiefmütterlich behandelt, meist nach Kriterien, die untereinander schlecht kompatibel sind.“

Verfolgt man die Geschichte der Grammatikforschung zurück bis Dionysios Thrax (1.Jh.v.Chr.)[1], so findet sich bei ihm zum Adverb sinngemäß in etwa Folgendes:

„Das Adverb ist ein flexionsloser Satzteil, der von einem Verbum ausgesagt oder ihm hinzugefügt wird [...]“

Auf vieles, was heute zu den Adverbien gerechnet wird, darunter z.B. die Satzadverbien, trifft eine solch eingeschränkte Definition aber nicht zu. Schmöe (2005: S.12/13) klassifiziert das Adverb deshalb auch als unflektierbare Wortart (im Unterschied zu den Adjektiven), die Satzgliedcharakter hat (im Unterschied zu den anderen Partikeln) und im Satz nicht als Subjekt fungieren kann. Dabei handelt es sich um eine Mischklassifikation nach zwei syntaktischen und einem morphologischen Kriterium, die den Charakteristika der Adverbien, wie sie sich in den idg. Sprachen finden, Rechnung trägt. Darauf, dass eine solche Klassifikation aber keinen Anspruch auf universale Gültigkeit erheben kann, gehe ich unter Punkt 1.3. ein.

In neuzeitlichen Grammatiktheorien ist eine derartige Mischklassifikation, wie sie schon klassische Grammatiker vorgenommen haben, häufig bemängelt worden. Vor allem die strukturalistischen Schulen des 20.Jahrhunderts wandten sich gegen diese traditionelle Einteilung der Wortarten nach Kriterien unterschiedlicher Sprachebenen. Knobloch & Schaeder (2000: S.675) nennen dabei als wichtigste Kritikpunkte, die dagegen ins Feld geführt wurden:

- Es sei keine oder lediglich eine unzureichende Begründung der Klassifikationszielsetzung erkennbar.
- Die angestrebten Klassen blieben hinsichtlich ihres theoretischen Status unklar; d.h. es sei bei der Wortart nicht klar ersichtlich, ob es sich um eine grammatische oder lexikalische Kategorie handele.
- Das lexikologische bzw. grammatische Modell innerhalb dessen die Wortart etabliert werde, sei nur ungenügend präzisiert.
- Es herrsche eine definitorische Unklarheit über die formale und inhaltliche Beschaffenheit der sprachlichen Einheiten, die klassifiziert werden.
- Das sich ergebende System sei inkonsistent aufgrund der Heterogenität der Kriterien, die zur Klassifizierung herangezogen wurden.
- Die Bestimmtheit der Klassen sei mangelhaft, ebenso wie die Abgrenzung der Klassen gegeneinander.
- Einige lexikalische Klassen ließen sich auf diese Weise schlecht zuordnen, so dass es notwendig sei, Restklassen zu schaffen.
- Es fehle die Übertragbarkeit der Klassifikation in einer Sprache auf andere Sprachen.

In der Folge gab es viele unterschiedliche Ansätze, eine kriterienreine Wortartenklassifikation vorzunehmen, darunter morphologisch, syntaktisch und semantisch begründete. Jede dieser Einteilungen brachte jedoch eigene Probleme mit sich. So ist es z.B. bei einer Klassifikation nach rein morphologischen Gesichtspunkten nicht möglich, die unflektierbaren Wörter weiter zu spezifizieren bzw. dem Anspruch auf Übertragbarkeit gerecht zu werden, da es bekanntlich Sprachen gibt, die in morphologischer Hinsicht keine Unterscheidung der Wortarten zulassen.

Daneben wurden Wortartenklassifikationen vorgeschlagen, die sich zur Unterscheidung zwar ebenfalls auf Bewertungsaspekte verschiedener Sprachebenen stützen, diesen aber einen spezifischen Rang zuordnen. Im Weiteren gab es dann noch Modelle, die mittels logischer Prinzipien versuchten, die Wortarten zu bestimmen, und viele mehr.

Keines der Systeme konnte es aber leisten, Kriterien zu bestimmen, die auf alle Adverbien zutreffen, und dabei den oben genannten Ansprüchen zu genügen. Es bleibt also fraglich, ob eines dieser Modelle mit Recht einer einfachen Mischklassifikation, wie sie schon die klassischen Grammatiker vorgenommen haben, vorgezogen werden sollte. Vor diesem Hintergrund ziehen Knobloch & Schaeder (2000: S.690) das Fazit:

„Jenseits aller pragmatischen und theoretischen Relevanzen, die das Wortartenproblem von Fall zu Fall neu bestimmen, ist die Frage interessant, ob das enorme Beharrungsvermögen der uralt tradierten, synkretistischen Wortartbegriffe und –merkmale vielleicht doch keinen Makel der Theorie indiziert, sondern den Umstand, dass synkretische Klassen kognitiv äußerst effizient zu handhaben sind.“

Was die folgende Untersuchung anbelangt, so werde ich mich auf die oben erläuterte Mischklassifikation nach Schmöe stützen, da sie mir hinsichtlich der Fragestellung die leistungsfähigste scheint, und dabei in Kauf nehmen, dass eine derart bestimmte Wortart kein Muster eines universalen Typus Adverb sein muss.

1.3. Das Adverb in den Sprachen der Welt

Man findet bis heute kaum Angaben über die Vertretung der Wortart Adverb in den Sprachen der Welt. Dass Adverbien nicht zur obligatorischen Grundausstattung einer Sprache gehören müssen, wurde allerdings von unterschiedlicher Seite immer wieder angemerkt. So schreibt bereits Sapir (1921: S.126):

„No language wholly fails to distinguish noun and verb, though in particular cases the nature of the distinction may be an elusive one. It is different with the other parts of speech. Not one of them is imperatively required for the life of language.”

Adverbien, wie u.a. auch Adjektive und die große Gruppe der Partikeln, sind also als spezialisierte sprachliche Ausdrucksmittel zu verstehen, die nicht notwendigerweise Bestandteil eines Sprachsystems sein müssen. Eine Voraussetzung dafür, dass sich Adverbien, im Sinne der oben genannten Definition, in einer Sprache herausbilden können, scheint zu sein, dass die fragliche Sprache auch das Adjektiv zu ihrem Wortarteninventar zählt. Nur in solchen Sprachen kommen Adverbien überhaupt vor.

Zum Problem der Klassifikation, lässt sich an dieser Stelle noch hinzufügen, dass u.a. das morphologische Kriterium der Unveränderlichkeit universal nicht adäquat ist, um problemlos auf Adverbien angewendet werden zu können. Cuzzolin et al. (2006 : S.2) führen als Beispiel an : „In Maori „adverbs“ show agreement with the verb [...] for diathesis (active or passive).“

Neben solchen Sprachen, in denen das Adverb mit seinem Modifikatum kongruiert, stellt sich das Problem noch deutlicher in isolierenden Sprachen, da hier jede Möglichkeit der morphologischen Klassifizierung ausgeschlossen ist. Die verbleibende Option, allein nach syntaktischen Kriterien eine Wortart Adverb in diesen Sprachen gegenüber anderen Wortarten, wie Substantiven und Verben in adverbialem Gebrauch, abzugrenzen, birgt die Schwierigkeit, den vermeintlichen Adverbien hierzu ein spezifisches Distributionsmuster nachweisen zu müssen. Manche der fraglichen Wörter bieten dafür aber zu wenig syntaktische Anhaltspunkte.

Des Weiteren ist es auch nicht sicher, ob die einleitend genannten Funktionen des Adverbs universale Gültigkeit beanspruchen können. Sasse (1993: S.663) stellt dazu fest:

„It has proven very difficult to define the functional basis of adverbs even for those languages in which they are extremely prominent (Indoeuropean for instance).”

Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass das Adverb als eigenständige Wortart nicht in allen Sprachen der Welt vorkommt, auch wenn diese einen syntaktischen Slot besitzen, der für adverbiale Bestimmungen reserviert ist. Außerdem scheint es auch in den Sprachen, für die man annimmt, dass sie Adverbien haben, schwierig zu sein, diese nach allgemein gültigen Kriterien zu klassifizieren.

1.4. Zur Entstehung von Adverbien

Heine & Kuteva (2007: S.59) gehen wie Sapir von der Grundannahme aus, dass lediglich Substantive und Verben notwendig seien, um das Funktionieren einer Sprache zu gewährleisten. Sie schreiben dazu:

„Nouns and verbs are the only items that are crosslinguistically fairly stable and clearly behave like open-class categories, even if there are languages that are claimed to lack verbs, or a categorial distinction between nouns and verbs [...]”

Wenn aber die Wortart Adverb nicht zwingend zur Grundausstattung einer Sprache gehören muss, schließt sich die Frage an, woraus sich die Adverbien in den Sprachen, die sie zu ihren sprachlichen Ausdrucksmitteln zählen, entwickelt haben und woraus sie sich grundsätzlich entwickeln können.

Die verschiedenen Ebenen der sprachlichen Ausdruckmittel eines universalen Wortschatzes lassen sich in einem hierarchischen System darstellen, wie es sich bei Heine & Kuteva (2007: S.111) findet:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

I,II etc. = layers; AGR = agreement marker; ADP = adposition; ASP= (verbal) aspekt; CAS = case marker; CPL = complementizer; DEF= marker of definiteness (“definite article”); DEM = demonstrative; NEG = negation marker; PAS = passive; PRN = pronoun; REL = relative clause marker; SBR = subordinating marker of adverbial clauses; TNS = tense marker.

Den Ebenen I und II - entsprechend dieser Grafik - gehören danach die ursprünglichsten Wortarten Substantiv und Verb an. Es folgen auf Ebene III die Wortarten Adjektiv und Adverb, die bereits nicht mehr in allen Sprachen vorkommen. Den folgenden Ebenen gehören dann die restlichen Wortarten und Markierungen an. Die Pfeile stehen dabei für die primären Entwicklungswege.

1.4.1. Adverbien aus Substantiven und Adjektiven

Eine der wichtigsten Quellen für Adverbien stellen Substantive dar. Diese können sich in adverbialer Verwendung zu Adverbien entwickeln, wodurch sich in den meisten Fällen der Gebrauchsumfang ausdehnt (eine Ausnahme bilden z.B. die Satzadverbien). Mit dieser Entwicklung ist im Allgemeinen eine Desemantisierung verbunden, d.h., dass das Adverb einen Teil der Bedeutung des zugrundeliegenden Substantivs einbüßt, der im neuen Verwendungskontext inkompatibel geworden ist. Dabei kann es nach einer gewissen Zeit zu einer semantischen Loslösung des Adverbs kommen, so dass die Verbindung zur ehemaligen Bedeutung des Substantivs nicht mehr ersichtlich ist oder erweitert scheint. Darüber hinaus kommt es im Zuge eines solchen Prozesses zu einer Dekategorisierung, was bedeutet, dass einige oder alle kategorialen Eigenschaften des Substantivs verloren gehen, wodurch das entstehende Adverb zu einem gewissen Grad unveränderlich wird.

Adpositionen, die selbst häufig durch Grammatikalisierung aus Adverbien hervorgehen, können in Adositionalphrasen zusammen mit dem regierten Substantiv zu Adverbien verschmelzen. Aus einer solchen Entwicklung könnte bspw. das Adverb lat. ergo „demzufolge, so“ entstanden sein. Die ursprüngliche Phrase sei hier - Janson (1979: S.99) zufolge - wahrscheinlich *e rego bzw. *e rogo „aus der Richtung“ gewesen.

Einen diachronen Prozess dieser Art, bei dem aus Substantiven Adverbien werden, nennt man auch Isolierung oder Erstarrung.

Neben Substantiven können auch Adjektive die Grundlage einer solchen Entwicklung darstellen. Diese durchlaufen eine ähnliche Veränderung, d.h., sie verlieren einen Teil ihres ursprünglichen Bedeutungsspektrums und werden dekategorisiert, wodurch sie bspw. in den indogermanischen Sprachen hinsichtlich Numerus sowie Kasus nicht mehr flektiert und in ihrem Genus nicht mehr regiert werden können.

Rund um die Kasusformen, die einen solchen Prozess durchlaufen, lassen sich aus den oben genannten Punkten besondere Charakteristika[2] ableiten, die einzeln oder gemischt vorkommen können und Indikatoren für ihre Erstarrung darstellen:

a) Das ursprüngliche Nominalparadigma ist an der Stelle der ausgeschiedenen Form defektiv bzw. um eine anders gestaltete Form ergänzt.
b) Beim entstandenen Adverb findet sich ein Ausgang bewahrt, der keinem Flexionsformans des Kasussystems zugeordnet werden kann, da der Kasus durch Synkretismus als formal eigenständige Kategorie aus dem Sprachsystem ausgeschieden ist.
c) Die Form stellt den letzten Rest eines ansonsten aus dem Lexikon verschwundenen Nomens dar.
d) Die Bedeutung der fraglichen Form zeigt eine klare Abweichung von der Bedeutung des Kasus in adverbialer Verwendung, aus dem sie hervorgegangen ist.
e) Die Form kann im Plural auftauchen, wo dieser vom Kontext her nicht gerechtfertigt scheint.[3]
f) Die Form zeigt keine Anpassung an das Genus eines von ihr modifizierten Substantivs.
g) Im Falle eines paradigmatischen Ausgleichs im Ursprungsparadigma des Nomens bleibt die Form von der Veränderung unberührt.
h) Der Ausgang der Form bildet das Muster, nach dem andere Adverbien abgeleitet werden.
i) Die Form wird durch bestehende Adverbmarkierungen als Adverb verdeutlicht.
j) Bei Sprachen, in denen das Adverb bestimmte suprasegmentale Eigenschaften aufweist, wie einen besonderen Wortakzent, passt sich die Form dahingehend an.
k) Syntaktisch kommt die Form an Stellen vor, die der Kasus in adverbialer Verwendung nicht besetzen konnte.

1.4.2. Adverbien aus Verben

Neben Substantiven und Adjektiven können auch Verben die Grundlage für die Ent- stehung von Adverbien bilden. Dieser Geneseweg findet sich vornehmlich in Sprachen, die Konstruktionen gereihter Verben zulassen, wobei eines der Verben adverbiale Funktion übernimmt und auf diese Weise zum Adverb erstarren kann. Auch wenn sich in den alten indogermanischen Sprachen eine solche Entwicklung seltener findet, gibt es doch Beispiele wie das Kompositum lat. scīlicet „natürlich, selbstverständlich“, das aus der Folge lat. scīre „wissen“ und licet „es ist erlaubt, es ist möglich“ (Heine & Kuteva 2007: S.74) entstanden ist. Bevor das Syntagma zusammengewachsen ist, muss es dabei so gewesen sein, dass licet das vorangehende Verb modifiziert hat. Ein weiteres Beispiel, ebenfalls aus dem Lateinischen, ist vidēlicet „offenbar, selbstverständlich, natürlich“, wo licet in der gleichen Funktion gebraucht worden ist.

1.5. Zur Entstehung von Adpositionen aus Adverbien

Da im Folgenden häufiger davon die Rede sein wird, dass sich Adverbien zu Adpositionen entwickeln können, möchte ich auch diesen Geneseweg kurz skizzieren.

Adpositionen zeichnen sich gegenüber Adverbien dadurch aus, dass sie in einem Rektionsverhältnis zum assoziierten Substantiv stehen, d.h., sie fordern einen bestimmten Kasus von ihrem Bezugswort. Wie Adverbien dienen sie dazu, die Beziehung zwischen einzelnen Satzbestandteilen hinsichtlich bestimmter semantischer Verhältnisse wie Lokalität, Temporalität, Kausalität oder Modalität zu bezeichnen. Ihre primäre Quelle sind ursprüngliche Ortsadverbien. Darüber hinaus können sie auch aus Substantiven, Verben und Adjektiven entstehen.

Die Adverbien werden bei der Grammatikalisierung zur Adposition dahingehend dekategorisiert, dass sie ihre syntaktische Freiheit einbüßen. Sie werden dadurch auf eine Position neben dem Substantiv bzw. der Nominalphrase festgelegt. Um diese Entwicklung zu ermöglichen, benötigt das Adverb üblicherweise eine Kasusmarkierung beim regierten Kasus bzw. eine bereits mit dem Substantiv assoziierte Adposition, welche die entstandene Verbindung kennzeichnen.

Entwicklungsprozesse dieser Art werden im Allgemeinen als unumkehrbar angesehen. So findet sich eine typische unidirektionale Entwicklungskette, der sich eine Grammatikalisierung von Adverb zu Adposition anschließen lässt, dargestellt in Hopper & Traugott (2006: S.7):

„content item > grammatical word > clitic > inflectional affix”

Das Adverb als lexikalischer Modifikator entspräche in dieser Darstellung dem Begriff „content item“, die Adposition als Markierung einer grammatischen Relation dem Begriff „grammatical word“.

2. Die Situation im Urindogermanischen

In der Entwicklung vom Urindogermanischen zu den indogermanischen Tochtersprachen sind in der Regel die sogenannten adverbialen Kasus zum Teil oder vollständig abgebaut worden. Sprachen, die in ihren frühesten Belegen noch das vollständige System der uridg. Kasuskategorien bewahrt haben, wie z.B. das Altindische, stellen Ausnahmen dar. Im Zuge dieser Veränderung des morphologischen Systems kam es in vielen Fällen zur Verdeutlichung bzw. zum Ersatz derjenigen Kasus, welche die jeweiligen adverbialen Funktionen erfüllten. Dabei kamen unterschiedliche Mittel zum Einsatz.

Um diese Entwicklung besser illustrieren zu können, bietet es sich an, das Urindogermanische vorweg zu behandeln, auch wenn die eigentliche Rekonstruktion des im Folgenden dargestellten Systems erst durch den Vergleich der Tochtersprachen geleistet werden konnte.

2.1. Allgemeines zum Kasussystem

Nach dem gängigen Modell rekonstruiert man für das Urindogermanische ein System mit acht Kasus.[4]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1: Die Endungen der athematischen Stämme der Nicht-Neutra ohne Berücksichtigung des Duals nach Meier-Brügger (2002: S.197/198).

2.2. Die adverbialen Funktionen der Kasus im Urindogermanischen

Viele der Adverbien, die wir in den idg. Tochtersprachen vorfinden, gehen auf ehemalige Kasusformen zurück, die adverbiale Funktionen erfüllten. Im Urindogermanischen zählt man allein drei Kasus, deren Funktionen adverbial gewesen sind: Ablativ, Instrumental und Lokativ. Daneben gab es aber auch einen Kasus, den Akkusativ, der zwar primär zum Ausdruck einer grammatischen Relation diente, in Nebenfunktionen aber auch adverbial gebraucht werden konnte[5].

Naturgemäß sind die adverbialen Funktionen, die man den uridg. Kasus zuschreiben kann, weniger differenziert als in den Tochtersprachen, da sich einige Funktionen erst einzelsprachlich herausgebildet haben. Darüber hinaus kann man nur solche Funktionen als grundsprachlich ansetzen, die in mehreren Sprachen übereinstimmen und für die gilt, dass sie sich nicht aus einer nachgrundsprachlichen Entwicklung heraus erklären lassen.

In der folgenden Aufstellung der Kasusfunktionen im Urindogermanischen verzichte ich auf Sprachbeispiele, welche die jeweilige Funktion illustrieren. Diese folgen dann in der Darstellung zur Situation in den idg. Tochtersprachen. Funktionen, die sich nicht als adverbial klassifizieren lassen, aus denen aber im Laufe der sprachlichen Entwicklung Adverbien hervorgegangen sind, führe ich im Anschluss an die adverbialen Funktionen gesondert auf.

2.2.1. Die adverbialen Funktionen des Akkusativs

Übereinstimmend finden wir in vielen idg. Tochtersprachen den Akkusativ bei Angaben zu Richtung und Ziel einer Verbalhandlung. Bei Zielangaben ist dabei irrelevant, ob das Ziel erreicht wird.

Eine weitere Funktion des Akkusativs, die sich für die Grundsprache ansetzen lässt, ist sein Gebrauch zur Bezeichnung von räumlichen Bereichen, innerhalb derer sich die Verbalhandlung vollzieht. Dieser sogenannte Akkusativ der Ausdehnung im Raum wird in vielen Einzelsprachen auch bei Angaben zu Zeiträumen verwendet, so dass man mit einiger Sicherheit von einer Übertragung der räumlichen Verhältnisse auf die zeitlichen ausgehen kann. Im Urindogermanischen selbst haben vermutlich bereits beide Ausprägungen vorgelegen, da man z.B. im Griechischen, Altindischen, Lateinischen und Hethitischen den Akkusativ sowohl in räumlicher als auch zeitlicher Bedeutung nachweisen kann.

Beim sogenannten Akkusativ des Inhalts tritt ein Substantiv im Akkusativ neben ein Verb ähnlicher Semantik. Sind Substantiv und Verb etymologisch verwandt, spricht man von einer figura etymologica. Der Akkusativ der Ausdehnung in Raum und Zeit geht nach Leumann et al. (1965: S.40) und Schwyzer (1950: S.69) auf diesen Akkusativ des Inhalts zurück. Meier-Brügger (2002: S.270) hingegen schreibt:

„Die Grundbedeutung des Akkusativs ist wahrscheinlich diejenige der Ausrichtung, der ursprünglich eine räumliche Vorstellung zugrundeliegt, von hier aus ergeben sich die Verwendungen des Akkusativs bei der Bezeichnung von Ausdehnung, Beziehung, Objekt und Inhalt.“

Welcher Erklärung man zuneigt, ist im Rahmen dieser Arbeit nicht weiter von Belang, da ungeachtet der genauen Herkunft dieser Funktion eine Reihe von Adverbien in den idg. Tochtersprachen in direkter Weise aus ihr hervorgehen.

2.2.2. Die Funktionen des Ablativs

Der Ablativ lässt sich für das Urindogermanische mit vier wesentlichen Funktionen ansetzen: der Ablativ zur Bezeichnung des Ausgangsortes der Verbalhandlung, der Ablativ der Trennung, der Ablativ der Abstammung und der Ablativ des Vergleichs.

Aus der ersten Funktion lassen sich die anderen drei ableiten, so dass sie als ursprüngliche Spezialisierungen der zugrunde liegenden Bedeutung verstanden werden können. Sowohl beim Ablativ der Abstammung als auch beim Ablativ der Trennung ist das Konzept des „räumlichen Ausgehens von“ als Grundlage noch leicht nachzuvollziehen. Der Ablativ des Vergleichs, bei dem der verglichene Gegenstand von der Vergleichsgrundlage her bewertet wird, leitet sich vermutlich von der übertragenen Vorstellung dieses räumlichen Verhältnisses ab.

2.2.3. Die Funktionen des Instrumentals

Allgemein hat der Instrumental im Urindogermanischen dazu gedient, dasjenige zu bezeichnen, was die Handlung begleitet.

Aus dieser Bedeutung lassen sich sechs Funktionen ableiten, die für die Grundsprache rekonstruiert werden können:

Erstens, der Instrumental des Mittels, der bei Gegenständen gebraucht werden kann und dasjenige bezeichnet, was zur Ausübung der Handlung benutzt wird.

Zweitens, der Instrumental zur Bezeichnung gemeinschaftlichen Handelns (auch Soziativ genannt) bei Personen, der Meier-Brügger (2002: S.272) zufolge, erst für das Späturindogermanische rekonstruiert werden könne und vermutlich aus der ursprünglicheren Verwendung bei Gegenständen abgeleitet worden sei.

Drittens, der Instrumental der Raumerstreckung zur Bezeichnung des Raumes, über den hinweg sich die Verbalhandlung vollzieht.

Viertens, der Instrumental der Art und Weise und der Begleitumstände. Zwischen diesen Ausprägungen sind die Grenzen fließend, so dass ich diese Funktion einfach unter dem Sammelbegriff Instrumental der Art und Weise zusammenfassen möchte, da die Bedeutung „Begleitumstand“ in den meisten Fällen problemlos der Bedeutungsdomäne „Art und Weise“ zugerechnet werden kann.

Fünftens, der Instrumental der Beschaffenheit, mit dem Eigenschaften bezeichnet wurden.

Sechstens, eine Ausprägung des Instrumentals, die dazu diente, den Grund einer Handlung zu bezeichnen.

Neben diesen Funktionen gibt es in manchen Einzelsprachen einen Instrumental des Vergleichs, mit dem das unterscheidende Merkmal bezeichnet wird, für den aber fraglich ist, ob er sich bereits für das Urindogermanische ansetzen lässt. Das gleiche gilt für den sogenannten Instrumental der Zeiterstreckung, der, ähnlich der Funktion des Akkusativs zur Bezeichnung von Zeiträumen, einer Übertragung räumlicher Verhältnisse auf zeitliche entsprungen sein könnte. Diese Ausprägung des Instrumentals führt Meier-Brügger (2002) nicht für das Urindogermanische an, auch wenn diese Funktion z.B. im Altindischen geläufig ist.

2.2.4. Die Funktionen des Lokativs

Neben der bekannten Funktion zur Bezeichnung des Ortes konnte der Lokativ auch zeitliche Bedeutung haben. Die jeweilige Ausprägung hing hier von der Semantik des Nomens ab, das im Lokativ gebraucht wurde. Wie schon beim Akkusativ und Instrumental kann hier ebenfalls davon ausgegangen werden, dass der Kasus erst sekundär auch zur Bezeichnung zeitlicher Verhältnisse Verwendung fand. Meier‑Brügger (2002: S.276) schreibt dazu:

„Wenn das Bezugsnomen aber etwa eine Zeiteinheit bezeichnet, so zeigt sich an der Verwendung des Lokativs lediglich die dem Begriff eines Zeitverhältnisses ursprünglich zugrundeliegende räumliche Auffassung, ohne daß sie noch vorherrschend sein muß.“

Der Lokativ kann auch das erreichte Ziel einer Verbalhandlung bezeichnen, wodurch er dem Akkusativ des Zieles bedeutungsmäßig nahe steht, bei dem allerdings nicht von Belang ist, ob das Ziel tatsächlich erreicht wird.

Der sogenannte Lokativ der Umstände ist eine weitere Ausprägung, die dem Lokativ des Ortes entspringt. Der Umstand bzw. die Lage wird dabei örtlich aufgefasst, als etwas, in dem man sich in abstrakt-räumlicher Weise befindet.

2.3. Weitere Funktionen

Es gibt, wie eingangs erläutert, neben den Funktionen, die eindeutig adverbial sind, auch solche, aus denen im Laufe der Sprachentwicklung Adverbien durch Erstarrung entstanden sind, deren Funktionsdomäne aber nicht eindeutig zu bestimmen ist. Die Grenzen sind hier fließend.

2.3.1. Der Akkusativ der Beziehung

Durch den Akkusativ der Beziehung wird eine Verbalhandlung zu einem Bezugsgegenstand in Verhältnis gesetzt. Es muss offen bleiben, ob diese Funktion im Urindogermanischen in ähnlicher Ausprägung angesetzt werden kann, wie man sie später z.B. im Griechischen vorfindet. Dass Latein zeigt einen solchen Akkusativ nur in sehr eingeschränktem Gebrauch.

2.3.2. Der Genitiv in seiner Funktion als Partitiv

Der Partitiv konnte u.a. für adverbiale Kasus eintreten, wenn ausgedrückt werden sollte, dass es sich nur um einen Teilbereich des Bezeichneten handeln sollte. Sowohl zeitliche als auch räumliche Begriffe konnten dadurch eingegrenzt werden. So finden sich dann auch in den idg. Tochtersprachen zahlreiche Adverbien, die einem derart gebrauchten Genitiv entsprungen sind. Da diese Funktion des Genitivs übereinstimmend in zahl- reichen indogermanischen Sprachen bewahrt geblieben ist, kann sie mit einiger Sicherheit auf das Urindogermanische projiziert werden.

2.3.3. Der Dativ in adverbialer Verwendung

Obwohl aus dem Dativ nur in sehr begrenztem Umfang Adverbien hervorgegangen sind, gibt es Fälle, die keinen Zweifel daran lassen, dass er vereinzelt in adverbialer Weise gebraucht worden sein muss. Da die Bedeutungen dieser Adverbien z.T. eine ursprüngliche Richtungsfunktion implizieren, muss man entweder von einem sogenannten dativus commodi bzw. incommodi als Grundlage ausgehen, der in unpersönlicher Verwendung direktive Bedeutung bekommen konnte, oder den Dativ als Kasus des indirekten Objekts als Ursprung annehmen. Im letztgenannten Fall wäre dann in manchen Kontexten eine Reinterpretation des Dativs als Kasus zur Bezeichnung des räumlichen Empfängers die mögliche Ursache solcher Verwendungen. Denkbar ist auch eine Bedeutungs-Kontamination durch den Lokativ. Die wenigen Belege, die sich für einen derartigen Dativ anführen lassen, legen den Verdacht nahe, dass es sich dabei um voneinander unabhängige sprachspezifische Ausnahmeerscheinungen handelt. Für das Urindogermanische kann man eine adverbiale Funktion des Dativs nicht rekonstruieren.

Wo sich beim Dativ später adverbiale Funktionen herausgebildet haben, ist dies erst im Laufe der Entwicklung der jeweiligen Tochtersprache geschehen und strikt von den oben genannten Sonderfällen zu trennen.

2.4. Adverbien im Urindogermanischen

Dass es im Urindogermanischen selbst bereits eine Wortart Adverb gegeben haben muss, kann man aus dem Befund in den idg. Tochtersprachen ableiten. Kuryłowicz (1964: S.171, zit. Cuzzolin et al. 2006: S.1) schreibt dazu:

„The fact that in the I.E. languages many an indeclinable may function both as preverb and as preposition has been a sufficient reason for attributing to them an adverbial origin. Such an assumption fully accounts for their subsequent functional bifurcation.”

Da es also in den idg. Tochtersprachen Indeklinabilia[6] gibt, die sowohl in grammatikalisierter Form als Adpositionen fungieren, als auch andererseits in Form von Präverbien[7] bzw. Präfixen in unterschiedlichem Maße mit dem Verb assoziiert sind, muss man davon ausgehen, dass ihnen zu irgendeinem Zeitpunkt Adverbien zugrunde lagen. Diese konnten als einzige Wortart in ihrer Eigenschaft als syntaktisch ungebundene Modifikatoren die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die oben angedeutete Entwicklung als Ergebnis den Befund der Einzelsprachen liefert. Ob nun nicht bereits in der rekonstruierten idg. Grundsprache eine solche Spezialisierung vorgelegen hat, kann nur beantwortet werden, wenn man die einzelnen, aus ihr hervorgegangenen Sprachen, einem Vergleich hinsichtlich der fraglichen Wörter unterzieht. Sollte dabei im Einzelfall ausschließlich adpositionaler und/oder präverbialer Gebrauch nachgewiesen werden können, muss man für das Urindogermanische schon eine ebensolche Spezialisierung rekonstruieren. Wenn aber eine Sprache zu finden ist, die das fragliche Wort als Adverb bewahrt hat, muss man im Umkehrschluss für das Urindogermanische ein Adverb rekonstruieren, da eine Entwicklung (einfache) Adposition -> Adverb bzw. Präverb/Präfix -> Adverb nicht wahrscheinlich ist (Vgl. dazu 1.5.).

Üblicherweise herrscht in der Indogermanistik heute die Auffassung vor, dass das Urindogermanische Adpositionen nicht zu seinem Wortarteninventar zählte. Tichy (2000: S.39) schreibt dazu: „Das Urindg. besaß keine Präpositionen, also auch keine Präpositionalphrase.“

Ebenso verhält es sich mit den sogenannten Präverbien. Es gibt kein Beispiel eines Wortes, dass in allen Tochtersprachen, in denen es bewahrt geblieben ist, übereinstimmend ausschließlich einen derartigen Gebrauch aufweist. Beekes (1995: S.218) fasst deshalb zusammen:

„The prepositions and preverbs of the later language were adverbs in PIE; PIE had no prepositions or preverbs.”

Welche der einleitend beschriebenen Typen von Adverbien lassen sich dann für das Urindogermanische rekonstruieren? Cuzzolin et al. (2006: S.6) schreiben dazu:

„Consequently, the problem is to ascertain whether, besides the set of deictics of the hic and nunc type which are clearly ascribable to PIE, there are any other adverbs that can be reasonably ascribed to Proto-Indo-European and what they are.“

Obwohl das Uridg. ein hoch differenziertes Kasussystem besaß, mittels dessen eine Reihe von adverbialen Funktionen erfüllt werden konnten, gab es daneben bereits einen Grundbestand an Adverbien, deren Hauptfunktion darin bestanden hat, eine Kasusform bzw. ein Verb semantisch zu verdeutlichen. So verwundert es auch nicht, dass die meisten rekonstruierbaren Adverbien dem räumlichen oder zeitlichen Bedeutungsfeld angehören, entsprechend dem Gros der adverbialen Kasusfunktionen. Dazu zählen auch die sogenannten Situierungsadverbien, die Pro-Form-Charakter haben und als Deiktika gebraucht werden konnten. Beispiele lokaler und temporaler Adverbien sind uridg. *ni „hinunter“, *pos „nach“, *(h1)en „in“ und *nūn „jetzt, nun“.

Neben den angeführten gab es auch sogenannte Grad- bzw. Maßadverbien, wie bspw. uridg. *megh2 „sehr“.

Wenn man von Adjektiven absieht, die in einer bestimmten Form als Adverbien gebraucht werden konnten, kann man für das Urindogermanische – im Gegensatz z.B. zum Griechischen und Lateinischen - keine regelhaften Muster zur Ableitung von Adverbien aus Adjektiven rekonstruieren. So schreibt Beekes (1995: S.218):

„It was not possible in PIE to make adverbs from adjectives in a fixed manner, as in Greek with the adverbs in –ōs, those in Latin in –ō or –iter, or those in French in –ment. Instead, certain case-forms, of the substantive or adjective functioned as adverbs, or a form with a suffix did so.”

Selbiges gilt auch für Adverbien aus Substantiven. Obwohl es zwar eine Anzahl an Suffixen gibt, die sich aus grundsprachlichen Adverbien herausanalysieren lassen, scheint keines davon in größerem Umfang produktiv gewesen zu sein.

2.4.1. Adverbien aus erstarrten Kasusformen

Es gibt kaum Adverbien aus erstarrten Kasusformen, die sich bereits für die Grundsprache rekonstruieren lassen. Eines der wenigen Beispiele ist uridg. *dhghiés „gestern“, das sich in vielen idg. Tochtersprachen als Adverb wiederfindet, so u.a. in ai. hyás, lat. herī, air. in-dé und got. gistra-.

2.4.2. Adverbbildung durch Suffigierung

Beekes (1995: S.220) gibt für das Urindogermanische eine Reihe von Suffixen an, die der Derivation von Adverbien aus Substantiven und Adjektiven gedient haben. Welche Bedeutung und Herkunft diese Suffixe im Einzelnen hatten, ist dabei aber nicht mehr nachzuvollziehen.

- Das Suffix uridg. *-dhi findet sich z.B. in skt. ádhi „auf“, gr. póqi „wo?“ und oÍkoqi „zuhause“.
- Das Suffix uridg. *-dhe zeigt sich z.B.in gr. Énerqe „unter“ und skt. ihá „hier“
- Das Suffix uridg. *-ti liegt z.B. vor in gr. próti „gegen, nach“ und lat. aut „oder“ (Konjunktion aus ehemaligem Adverb).
- Das Suffix uridg. *-tos lässt sich z.B. in den Adverbien skt. itás „von hier“ und gr. Entój „(von) drinnen“ finden.
- Das Suffix uridg. *-r zeigt sich z.B. in lit. kũr „wo?“ und got. Þar „dort“.

2.4.3. Adverbien aus dem Akkusativ Singular Neutrum des Adjektivs

Ein Indiz dafür, dass es bereits im Urindogermanischen möglich gewesen sein muss, den Akk. Sg. Neutr. des Adjektivs als Adverb zu verwenden, ist das oben bereits angeführte Beispiel uridg. *megh2 „sehr“, das sich z.B. in heth. mēk, ved. máhi und gr. méga bewahrt hat. Ein solcher Prozess, bei dem es ohne explizite morphologische Markierung zur Überführung in eine andere Wortart kommt, wird auch als Konversion (Nullableitung) bezeichnet.

3. Zum Kasussystem und den Adverbien in ausgewählten idg. Tochtersprachen

Wie sich nun - gemäß der zentralen Fragestellung dieser Arbeit - das Zusammenspiel von Kasussystem und der Wortart Adverb in den idg. Sprachen im Einzelnen darstellt, lässt sich am besten beurteilen, wenn man diese Sprachen bezüglich ihrer jeweiligen Mittel zur Erfüllung adverbialer Funktionen untersucht.

Da sich eine Aufarbeitung des gesamten zur Verfügung stehenden Materials in den idg. Einzelsprachen zu umfangreich gestalten würde, folgt eine repräsentative Auswahl, wobei den klassischen Sprachen Griechisch, Altindisch und Latein hierbei der Vorzug gegeben wird. Darüber hinaus werde ich auch das Hethitische in die Betrachtung mit einbeziehen, da der anatolische Zweig, dem das Hethitische als seine am besten erforschte Sprache angehört, in vielerlei Hinsicht eine Sonderstellung einnimmt und sich deshalb zur Ergänzung der Datensammlung besonders eignet.

Neben den Adverbien und den relevanten Funktionen der Kasus werde ich dort, wo es zweckdienlich ist, auf die Adpositionen eingehen, da diese zum einen in vielen Fällen ursprüngliche Adverbien fortsetzen und zum anderen in phrasalen Konstruktionen sowohl mit Adverbien als auch mit Kasus in adverbialer Verwendung funktionell konkurrieren können.

Da sich das Griechische durch eine besonders günstige Beleglage auszeichnet, die Einblicke in die einzelnen Umgestaltungsprozesse ermöglichen und dabei außerdem besonders progressiv ist, was den Grad des Kasusabbaus anbelangt, werde ich diese Sprache als erstes und am ausführlichsten behandeln. Die anderen Sprachen werde ich dann lediglich hinsichtlich besonderer Erscheinungen eingehender besprechen.

Als Datengrundlage für die Adverbien aus erstarrten Kasusformen verwende ich – wo nicht anders angegeben - den „Grundriss der vergleichenden Grammatik der indogermanischen Sprachen“ (Band II, Teil III, S.677-720) von Brugmann (1911). Bei der Auswertung der Daten richte ich mich nach Brugmanns Einteilung der Kasusbedeutungen, die den zu Adverbien erstarrten Formen zugrunde lagen. Um die Funktionen, die im Vorfeld für die Einzelsprachen bestimmt wurden, damit in Übereinstimmung zu bringen, weise ich in einer Tabelle, die sich in der Zusammenfassung findet, darauf hin, wie sich diese zu den allgemeiner gehaltenen Bedeutungen nach Brugmann verhalten.

Im Falle des Hethitischen, für das naturgemäß bei Brugmann keine Daten vorliegen, werde ich versuchen, die Funktionen der Kategorisierung Brugmanns anzuschließen, um die Befunde in Beziehung setzen zu können.

Der Vorteil von Brugmanns Einteilung ist, dass in Fällen, wo keine genaue Funktionsbestimmung vorgenommen werden kann, zumindest die Grobzuordnung zu einem bestimmten Bedeutungsfeld ermöglicht wird.

3.1. Griechisch

Das Griechische, in vielerlei Hinsicht konservativ, zeigt im Bereich der Morphologie und Syntax einige Neuerungen gegenüber dem rekonstruierten Urindogermanischen. Die Wortart Adverb ist hier deutlich umfangreicher in ihrem Gesamtbestand und zudem semantisch differenzierter. Dass sich dabei aber neben erstarrten Formen auch zahlreiche neue Mittel zur Adverbbildung finden, zeigt die zunehmende Bedeutung der Adverbien in der griechischen Syntax. Darüber hinaus finden wir in historischer Zeit ein morphologisch bereits erheblich reduziertes Kasussystem. Ob und inwiefern dieses mit der Entwicklung der Adverbien zusammenhängen könnte, soll im Folgenden erörtert werden. Da uns das Griechische über mehrere Sprachstufen durch unterschiedliche Belege Einblicke in diese Entwicklungen ermöglicht, werde ich, wo dies sinnvoll erscheint, neben dem klassischen Altgriechisch (also dem ionisch-attischen Dialekt der klassischen Periode) auch mykenische und homerische Formen zur Illustration heranziehen.

3.1.1. Allgemeines zum Kasussystem

Die ursprünglichen Funktionen der Kasus, wie sie für das Urindogermanische angenommen werden, haben in der Entwicklung hin zum Griechischen und im weiteren Verlauf der Sprachgeschichte dieses Zweiges zahlreiche Veränderungen bezüglich der sprachlichen Mittel erfahren, durch die sie erfüllt werden konnten. Hauptsächlich dafür verantwortlich ist der sogenannte Kasussynkretismus. Dabei kommt es zum formalen Zusammenfall ursprünglich eigenständiger Kasus. Dass sich im Griechischen aber nicht einfach eine Akkumulation der Funktionen bei den verbliebenen Kasus ereignet hat, was lediglich einer formalen Vereinfachung gegenüber dem Urindogermanischen entsprechen würde, wird sich zeigen, wenn wir später die einzelnen Funktionen dahingehend untersuchen, ob sie weiterhin durch den einfachen Kasus erfüllt werden konnten.

In anderen Fällen, wie bspw. beim Akkusativ des klassischen Griechisch, kam es ebenfalls zum Verlust eines Teiles der Funktionen, die er ohne weitere Verdeutlichung erfüllen konnte. Dieser Kasus hat keine Funktionen der adverbialen Kasus durch Synkretismus übernommen, trotzdem hat sich seine Funktion verändert.

Schwyzer schreibt dazu (1950: S.58):

„Außer dem Vokativ und dem Nominativ hat auch der griechische Akkusativ einheitliches Gepräge, als Kasus des direkten Objektes. Die Vereinheitlichung ist hier auf Kosten der Richtungsbedeutung erwachsen: im Gegensatz zu lat. Romam, domum kennt das Griechische den Akkusativ der Richtung fast nur noch mit Postpositionen oder Präpositionen, die dabei wichtiger sind als die Kasusform [...]“

Bestimmte ursprüngliche Funktionen wurden in klassischer Zeit also bereits durch andere sprachliche Mittel, in diesem Falle durch adpositionale Konstruktionen, erfüllt und reduzierten somit die Anwendungs- und Ausdrucksmöglichkeiten des Kasus, was im direkten Gegensatz steht zur Funktionserweiterung der Kasus durch Synkretismus. Wir finden solche Ersatzmuster auch bei denjenigen Kasus, welche die Funktionen der ehemaligen adverbialen Kasus übernommen haben. Es handelt sich demzufolge insgesamt um eine Verschiebung weg vom hoch differenzierten Kasussystem hin zu analytischen Konstruktionen, bei der das lediglich formal vereinfachte Kasussystem eine Zwischenstufe darstellt. Das sich ergebende reduzierte Kasussystem ist seinerseits wahrscheinlich mit für diese Verschiebung verantwortlich, da der erhöhte Funktionsumfang der Kasus eine klare Funktionsinterpretation in der Syntax erschweren musste, so dass ehemals einfache Verdeutlichungen zu obligatorischen Ergänzungen wurden. Diese Erklärung trifft aber nicht auf den Akkusativ zu, der ja vom Kasussynkretismus nicht betroffen war. Ein Unterschied zu den Kasus, die formal zusammengefallen waren, ist aber, dass der Akkusativ von je her sowohl grammatische als auch adverbiale Funktionen erfüllen konnte. Verdeutlichungen, die beim Akkusativ in adverbialer Funktion schon früh üblich waren, konnten sich nach dem Vorbild der kompensatorisch ausgelagerten Funktionen anderer Kasus ebenfalls verfestigen.

Wie es zum oben angesprochenen Kasussynkretismus im Griechischen gekommen war, ist nicht leicht zu beantworten. Lautliche Veränderungen können dabei nicht allein ausschlaggebend gewesen sein. Schwyzer (1950: S.56) schreibt dazu:

„Am wenigsten war gerade im Griechischen lautlicher Zusammenfall von Endungen maßgeblich. Viel wichtiger war, dass nicht von jedem Nomen alle Kasus, die überhaupt möglich waren, im lebendigen Gebrauche standen; so waren einzelne Kasus schon früh auf ziemlich enge Anwendungsbereiche beschränkt [...]“

Wenn lautliche Gründe als Erklärung wegfallen, muss in der Konsequenz ein Zusammenhang mit der Sprachverwendung bestehen, wie Schwyzer dies auch andeutet. Worin allerdings diese neue Verwendung begründet liegt, lässt sich heute kaum mehr nachvollziehen. Die Auswirkungen aber sind deshalb relevant, weil sich daran das Zusammenspiel der Wortart Adverb mit dem Kasussystem besonders deutlich zeigen lässt.

In einigen Fällen lässt sich der graduelle Zusammenfall noch klar verfolgen, wie beim Dativ-Lokativ auf –§i und dem Instrumental auf -§, die „[...] erst im vollen Lichte der Geschichte formell zusammen[-fallen], als die syntaktische Fusion schon längst vollzogen war.“(Schwyzer ibid.: S.138).

Verantwortlich für die Verschmelzung von Instrumental und Dativ-Lokativ war also ein neues Verständnis der Funktionen, die dem jeweiligen Kasus zugeschrieben wurden. Gerade bei Angaben zu Zeit und Raum waren die Unterschiede von je her sehr gering, so dass es auch dort wahrscheinlich zum Präzedenzfall der Funktionsübertragung gekommen sein wird, der letztendlich zum Verlust des Kasus Instrumental geführt hat. Über den allgemeinen Verlauf eines solchen Zusammenfalls schreibt Meier‑Brügger (2002: S.194), dass man formale Veränderungen dieser Art vor dem Hintergrund inhaltlicher Verschiebungen verstehen könne, die es ermöglichten, dass ursprünglich klar geschiedene paradigmatische Kategorien zu einer einzigen vereinigt würden. Ein solcher Kasussynkretismus führe dann in der Regel zu einem Überangebot von Flexionsformen, da zur Zeit der Differenzierung für jede Kategorie eine eigene Form im Gebrauch gewesen sei. In einer ersten Phase seien dann die fraglichen Formen zu Allomorphen geworden, von denen sich in der Regel eines durchsetze und das andere außer Gebrauch komme.

Im Falle der griechischen Belege ist es möglich, die Phase der anfänglichen Allomorphie zu verfolgen. So finden sich bereits zu einer Zeit, als der Instrumental noch im Gebrauch war, erste Verwendungen des Dativs mit instrumentaler Bedeutung. Als Beispiel einer solchen funktionalen Überschneidung nennt Schwyzer (1950: S.163) gr. mhnì d’Ár’ oÚlö pánta perÉsamen eUréa pónton, das ihm zufolge sowohl „mit einem ganzen Monat, durch einen ganzen Monat hin“ als auch „in einem ganzen Monat“ heissen konnte. Einerseits konnte die Form also als Dativ mit instrumentaler Bedeutung, andererseits aber auch als Dativ mit temporal-lokativischer Bedeutung verstanden werden.

An diesem Beispiel wird deutlich, dass es keine lautlichen Veränderungen gewesen sein können, die den Kasussynkretismus verursacht haben. Dass diese aber eine Rolle spielen können, zeigt sich am Beispiel des Zusammenfalls von Genitiv und Ablativ. Schon im Urindogermanischen waren diese beiden Kasus bei den athematischen Stämmen im Singular endungsgleich, so dass in manchen Zusammenhängen formal kein Unterschied bestand. Da diese Formengleichheit aber bis in das rekonstruierte Urindogermanische zurückreicht, kann sie selbst in diesem Fall nicht allein ausschlaggebend gewesen sein. Das Zusammenspiel lautlich/morphologischer und syntaktischer Ursachen beim Kasussynkretismus lässt sich an diesem Beispiel dennoch gut nachzeichnen. So fiel bei den athematischen Stämmen im Griechischen aufgrund der ererbten formalen Übereinstimmung der Endungen der Gen. Sg. zuerst mit dem Abl. Sg. zusammen. Der Gen. Pl. wurde erst in der Folge dieser Entwicklung, analog zum Verhältnis im Singular mit zusätzlicher Ablativbedeutung gebraucht. Bei den o‑Stämmen, die den Genitiv und Ablativ formal noch getrennt bewahrt haben (Endung gr. -oio im Gen. Sg. < *uridg. -osyo und –w im Abl. Sg. < uridg. *-ōt), erhielt die Gen. Sg.-Endung, bedingt durch den Einfluss der Endung –ôn im Gen. Pl. - sowohl der athematischen als auch der thematischen Stämme -, ebenfalls ablativische Bedeutung. Die alte Abl. Sg.-Endung gr. –w wurde damit ein redundantes Markierungsmittel und verschwand bald darauf als Kasusendung.

Ein solches Phänomen der Funktionsübertragung, wie es beim Genitiv und Ablativ im Griechischen vorkam, wird auch als syntaktische Analogie bezeichnet.

[...]


[1] So entnommen aus Knobloch & Schaeder (2000: S.675).

[2] Die Charakteristika sind z.T. in Anlehnung an Brugmann (1911: S.672-677) erstellt worden.

[3] Brugmann (ibid.: S.673) merkt dazu an: „Weniger passend wäre es, auch umgekehrt auf die Verwendung von Singularformen, wo von Mehrerem die Rede ist, zu verweisen [...] Denn so, nämlich „distributiv“, werden überall auch nicht erstarrte Singularformen verwendet [...]“.

[4] Der Anschaulichkeit halber berücksichtige ich in der Darstellung nur die Endungen der athematischen Stämme der Nicht-Neutra ohne die Formen für den Dual, da dieser als eigene Kategorie der Dimension Numerus in meisten Einzelsprachen verlorengegangen ist und in formaler Hinsicht nur in verschwindend geringer Zahl zur Bildung von Adverbien durch Erstarrung beigetragen hat. Um die kategoriale Differenzierung des Kasussystems in den idg. Tochtersprachen zu illustrieren, beschränke ich mich auf die Endungen der Konsonantstämme als Fortsetzer der uridg. athematischen Stämme.

[5] Dass die Hauptfunktion des Akkusativs im rekonstruierten Urindogermanischen primär grammatischer Natur war, geht aus der Bedeutung des Akkusativs in den idg. Tochtersprachen hervor. Dort gingen die adverbialen Funktionen des Akkusativs zum Teil verloren und die grammatische Bedeutung erscheint als die zentrale. Die ursprüngliche Funktion aber, die der Kasus zur Zeit seiner Entstehung erfüllt haben mag, kann durchaus adverbial gewesen sein. Meier-Brügger (2002: S.271) schreibt dazu: „Bislang nicht entschieden ist die Streitfrage, ob die lokale oder die grammatische Bedeutung des Akkusativs die ursprüngliche ist.“

[6] Auf Konjunktionen, unterschiedliche Partikel, darunter Negationspartikel sowie Interjektionen, die zwar häufig zu den Adverbien gerechnet werden und sich ebenfalls für das Uridg. rekonstruieren lassen, wird aufgrund der Spezialisierung ihrer Funktion im Folgenden nicht weiter eingegangen.

[7] Unter Präverbien verstehe ich in dieser Arbeit nicht Adverbien in ihrer Funktion als Verbmodifikatoren, sondern Adfixe bzw. lexikalische Zusätze am Verb, die in manchen Sprachen, wie z.B. dem Deutschen noch als vom Verb syntaktisch getrennt erscheinen und mit Adpositionen homonym sein können, nichtsdestotrotz aber funktionell auf die semant. Verbmodifikation festgelegt sind. Selbst wenn die mögliche formale Übereinstimmung von Adposition und Präverb eine Funktionsteilung desselben, zugrunde liegenden Wortes wahrscheinlich macht, ist doch die Funktion und Distribution derart eingeschränkt, dass nicht mehr von einem Adverb gemäß der einleitenden Definition die Rede sein kann.

Ende der Leseprobe aus 112 Seiten

Details

Titel
Adverbien im Indogermanischen
Untertitel
Entwicklung und Typologie der Adverbien in den indogermanischen Sprachen
Hochschule
Universität Hamburg
Note
1,3
Autor
Jahr
2008
Seiten
112
Katalognummer
V125766
ISBN (eBook)
9783640311712
ISBN (Buch)
9783640310500
Dateigröße
849 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Indogermanisch, Syntax, Morphologie, Grammatikalisierung, Indogermanistik, Typologie, Adverb, Kasus
Arbeit zitieren
Christian Voggenreiter (Autor:in), 2008, Adverbien im Indogermanischen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/125766

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