Die Problematik der Einführung von Mindestlöhnen in Deutschland


Examensarbeit, 2007

76 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1 Problemstellung
1.1 Begriffserklärung
1.2 Die Debatte um den Mindestlohn – Positionen und Konflikte
1.2.1 Position der SPD
1.2.2 Position der CDU/CSU
1.2.3 Position der Gewerkschaften
1.2.4 Position der BDA

2 Theoretische Grundlagen
2.1 Makroökonomische Ansätze
2.1.1 Das neoklassische Modell
2.1.1.a Abgrenzung zur Klassik
2.1.1.b Das Say’sche Theorem
2.1.2 Der neoklassische Arbeitsmarkt
2.1.2.a Der Preismechanismus am Beispiel des Arbeitsmarktes
2.1.2.b Der Lohnmechanismus und die Tendenz zur Vollbeschäftigung
2.1.2.c Der Zinsmechanismus im Rahmen der Quantitätstheorie des Geldes
2.1.3 Erklärung von Arbeitslosigkeit
2.1.4 Die Beschäftigungstheorie nach Keynes
2.1.5 Zentrale Hypothesen der keynesianischen Theorie
2.1.5.a Konsumfunktion
2.1.5.b Investitionshypothese
2.1.5.c Liquiditätspräferenztheorie
2.1.6 Der keynesianische Arbeitsmarkt
2.1.6.a Erklärung von Arbeitslosigkeit
2.1.6.b Gleichgewicht bei Unterbeschäftigung
2.2 Wesentliche Unterschiede beider Ansätze bei der Annahme eines gesetzlichen Mindestlohns
2.2.1 Kritik an den Theorien vor dem Hintergrund der ökonomischen Wirklichkeit
2.2.1.a Kritik an der neoklassischen Theorie
2.2.1.b Kritik am keynesianischen Ansatz
2.3 Empirische Erkenntnisse
2.3.1 Beschäftigungsverlust bei einem gesetzlichen Mindestlohn
2.3.2 Schwarzarbeit und gesetzlicher Mindestlohn
2.4 Zwischenfazit

3 Die Situation in der Bundesrepublik
3.1 Entstehung und Ausweitung des Niedriglohnsektors
3.1.1 Effekte der sozialen Unterstützung im Niedriglohnbereich
3.1.2 Beschäftigungsniveau bei Niedriglöhnen
3.1.3 Geringqualifizierte als Sonderfall
3.2 Tarifautonomie und Mindestlohn
3.2.1 Koalitions- und Tarifvertragsfreiheit
3.2.2 Einschränkung der Gestaltungsfreiheit des Entgelts
3.2.3 Verantwortlichkeit des Staates auf rechtlicher Grundlage
3.3 Weitere rechtliche Grundlagen des Mindestlohns
3.3.1 Das Verbot sittenwidriger Löhne
3.3.1.a Verbot sittenwidriger Löhne nach § 138 BGB
3.3.1.b Kontrolle von Lohnabreden nach § 315 BGB
3.3.2 Beurteilung in der Rechtssprechung
3.3.3 Der Mindestlohn als Inhalt internationaler Arbeitsrechtsnormen
3.3.3.a Entgeltstandards im Rahmen von UNO-Konventionen
3.3.3.b Entgeltstandards der ESC
3.4 Zwischenresümee
3.5 Der Mindestlohn im Baugewerbe
3.5.1 Die Allgemeinverbildlicherklärung eines Tarifvertrages
3.5.2 Das Entsendegesetzes und die AVE in der Baubranche
3.5.3 Der Mindestlohn als Bestandteil des Entsendegesetzes
3.6 Auswirkungen des tariflichen Mindestlohnes in der Baubranche
3.6.1 Entwicklung hinsichtlich der Beschäftigung
3.6.2 Entwicklung hinsichtlich der Umsätze
3.6.3 Verstöße gegen das Arbeitnehmerentsendegesetz
3.7 Zwischenfazit

4 Ein internationaler Vergleich - der nationalen Mindestlohn in Großbritannien
4.1 Die Situation vor der Einführung des Nationalen Mindestlohns
4.1.1 Förderung von Tarifverhandlungen nicht mehr Ziel der Politik
4.1.2 Unterstützung für einen gesetzlichen Mindestlohn durch die Gewerkschaften
4.2 Der Labour- Wahlsieg und der NMW
4.2.1 LPC - Die Low Pay Commission
4.2.1.a Zusammensetzung der LPC
4.2.1.b Aufgabenbereich und Arbeitsmethoden der LPC
4.2.2 Geltungsbereich des NMW
4.2.3 Die Umsetzung des NMW in Großbritannien
4.3 Auswirkungen des NMW in Großbritannien
4.3.1 Auswirkungen des NMW auf die Löhne
4.3.2 Auswirkungen auf öffentliche Finanzen und Kaufkraft
4.3.3 Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt
4.4 Grenzen der Vergleichsmöglichkeit für Deutschland

Schlussbetrachtung
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Literaturverzeichnis
Quellen aus dem Internet

Einleitung

Am 04.11.2007 berichtet der Spiegel, nach Ansicht der SPD müsse zwischen dem Arbeitgeberverband Postdienste und der Gewerkschaft ver.di ausgehandelt werden, ob der für die Parteien geltende Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt werden soll. Das würde bedeuten, dass die gesamte Branche zu den im Vertrag festgeschriebenen Mindestarbeitsbedingungen arbeiten müsste. In diesem Falle ist ein Mindestlohn zwischen 8 und 9,80 Euro vorgesehen.[1] Der Mindestlohn ist derzeit wieder in hohem Maße in der wirtschaftspolitischen Debatte vertreten. Die Relevanz der Thematik liegt auf der Hand: Es gibt in der Bundesrepublik einen Niedriglohnsektor, in dem nach Berechnungen des Institut Arbeit und Technik (IAT) Gelsenkirchen rund 20 Prozent aller abhängig Beschäftigten, oder sechs Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, beschäftigt sind. Da dieser Anteil in den vergangenen Jahren zugenommen hat, liegt Deutschland in Hinblick auf die Niedriglöhner mittlerweile über dem EU–Durchschnitt.[2] In diesem Zusammenhang wird stets auf die Geringqualifizierten hingewiesen, welche oft in diesen Bereichen beschäftigt werden, und um deren Chancen auf dem Arbeitsmark die Gegner eines gesetzlichen Mindestlohnes fürchten. Hinzu kommt, dass bei einer aktuellen Arbeitslosenquote von 8,4%[3] zwar eine Besserung gegenüber den Vorjahren vorliegt, es aber dennoch viele Erwerbslose Bundesbürger gibt.

Tabelle 1: Der Arbeitsmarkt in Deutschland

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

[4]

Während auf Seiten der SPD oder der Gewerkschaften die Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn immer lauter wird, wehren sich große Teile der CDU/CSU Arbeitgeberverbände vehement dagegen, da sie, um nur zwei Argumente zu nennen, neben Arbeitsplätzen auch den Verlust der im Grundgesetz verankerten Tarifautonomie befürchten. Relevant ist die Frage nach einem gesetzlichen Mindestlohn auch vor dem Hintergrund der Globalisierung, welche seit Jahren die außenwirtschaftliche Diskussion bestimmt.[5] Dieses Phänomen wird nach Berechnungen der OECD auch zukünftig vor allem einen Druck auf die Löhne der gering qualifizierten Beschäftigten ausüben und ein gesetzlicher Mindestlohn könnte einer steigenden Einkommensarmut entgegenwirken.[6]

Nachdem die verschiedenen Positionen und die damit verbundenen Interessenkonflikte die Problematik eines gesetzlichen Mindestlohns verdeutlicht haben, soll diese auf theoretischer Basis dargestellt werden. Dazu werden die neoklassische und die keynesianische Beschäftigungstheorie in ihren Grundzügen dargestellt und wesentliche Unterschiede, vor allem in Hinblick auf Lohn und Beschäftigung, herausgearbeitet. Da Theorie und ökonomische Wirklichkeit jedoch nicht immer übereinstimmen, müssen auch empirische Befunde zu der Thematik mit einbezogen werden. Der dritte Abschnitt befasst sich mit der Situation in Deutschland. Es werden die Entwicklung und die Auswirkungen des Niedriglohnsektors dargestellt. Ferner wird ein von Mindestlohn-Gegnern häufig verwandtes Argument skizziert. Ist ein gesetzlicher Mindestlohn mit dem Grundprinzip der Tarifautonomie zu vereinbaren? Da man sich im Rahmen der Debatte um den gesetzlichen Mindestlohn auf bestimmte rechtliche Grundlagen beruft, gilt es auch diese zu untersuchen. Dazu gehören z. B. die Frage, wann ein Lohn als sittenwidrig anzusehen ist (§ 138 BGB), oder wann der Anspruch einer Kontrolle der Lohnabreden (§ 315 BGB) geltend gemacht werden kann. In der Bundesrepublik gibt es bereits für einige Branchen einen tariflichen Mindestlohn. Hierzu gehört die Baubranche, in der es bereits seit einigen Jahren diese Vereinbarung gibt. Unter welchen Umständen es dazu gekommen ist und wie sich die wirtschaftliche Lage in dieser Branche entwickelt hat, soll diesen Abschnitt abschließen. Im vierten Teil der Arbeit wird die Situation in Großbritannien dargestellt, um einen internationalen Vergleich zu haben. Dort gibt es bereits seit 1999 einen gesetzlichen Mindestlohn, den National Minimum Wage, und seine Einführung scheint von Erfolgen auf sämtlichen Ebenen geprägt zu sein. Es stellt sich dabei die Frage, in welchem Maße man den Erfolg des National Minimum Wage in Großbritannien auf die Bundesrepublik projizieren kann, und wo dieser Vergleichsmöglichkeit Grenzen gesetzt sind. Ziel dieser Arbeit ist es nicht, eine Entscheidung darüber zu treffen, ob ein gesetzlicher Mindestlohn in Deutschland eingeführt werden sollte oder nicht; vielmehr sollen eventuelle negative und positive Folgen dargestellt werden, welche ursächlich für die andauernde Debatte sind. Es sollen die Beweggründe der Befürworter eines gesetzlichen Mindestlohns in Deutschland herausgearbeitet und veranschaulicht werden, sowie die derer Gegner. Ziel der Arbeit ist es, einen detaillierten Überblick über die verschiedenen Faktoren und deren Zusammenhänge zu erlangen, die der Grund für die derzeitige Debatte sind. Es soll verständlich gemacht werden, welche Problematik mit der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns verbunden wäre.

1 Problemstellung

1.1 Begriffserklärung

Unter dem Begriff des Mindestlohns versteht man die durch Gesetzgebung oder tarifvertraglich festgelegte Untergrenze der betrieblichen Lohnvereinbarung. Die Idee für einen Mindestlohn ist meist auf sozialpolitische Motive zurückzuführen. Anders als in den meisten Mitgliedstaaten der EU, wie z.B. Großbritannien, gibt es in Deutschland keine übergreifenden gesetzlichen Mindestlohnregelungen; die zwischen den Tarifpartnern ausgehandelten Tariflöhne entsprechen gemäß dem Tarifvertragsgesetz dem Mindestlohn.[7]

1.2 Die Debatte um den Mindestlohn – Positionen und Konflikte

„Seit fast einem Jahr verhandelt die Große Koalition die Frage nach einem Mindestlohn und verzettelt sich täglich mehr in den eigenen Vorschlägen. Mal zieht die Union das fast schon historische Gesetz gegen sittenwidrige Löhne aus der Schublade. Dann fordert SPD-Arbeitsminister Franz Müntefering das Arbeitnehmer-Entsendegesetz auf mindestens zehn Branchen auszuweiten.“[8] Würde aber bei einem gesetzlichen Mindestlohn Geringqualifizierten und Langzeitarbeitslosen nicht damit jede Chance auf dem Arbeitsmarkt genommen werden? Laut eines Berichtes des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (DIW) müsste man „eigentlich Löhne von unter 7,50 Euro fördern. Viele einfache Dienstleistungen würden sicher verstärkt nachgefragt, wenn sie billiger wären. Das würde neue Jobs für Geringqualifizierte schaffen. Der Bedarf an Niedriglohnjobs ist hierzulande erheblich größer als anderswo“[9] Dennoch gibt es eine gesellschaftliche Übereinkunft darüber, dass jeder Mensch auch von seiner Arbeit leben könne sollte.[10] In Deutschland werden Entgelte und Arbeitszeiten von den Tarifvertragsparteien ausgehandelt; das Recht der Tarifautonomie lässt sich nach Auffassung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) mit einem staatlichen Eingriff in Form des gesetzlichen Mindestlohns nicht vereinbaren.[11] Dies ist bloß ein Ausschnitt der Debatte um die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns in Deutschland. Im nun folgenden Abschnitt sollen die Standpunkte verschiedener Parteien und Verbände dargestellt werden. Zum einen wird die Haltung der beiden großen Parteien zum gesetzlichen Mindestlohn skizziert, zum anderen werden die Auffassungen der Gewerkschaften und der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände erläutert. Die im Zuge der gesamten Debatte genannten Argumente für, oder gegen einen gesetzlichen Mindestlohn - inklusive möglicher Effekte - werden dann im folgenden Teil der Arbeit erörtert.

1.2.1 Position der SPD

Wenn innerhalb der Koalition auch Kompromissbereitschaft für eine Regelung bezüglich des Mindestlohns herrscht, da die SPD […]aber auch im Falle anderer Lösungen Zustimmungsbereitschaft [signalisiert]“[12] und „die Kanzlerin nach eigenen Worten noch „Spielräume“ für einen Kompromiss sieht“[13], so sind die Sozialdemokraten grundsätzlich für die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns. Durch eine solche Regelung könnte dem Missstand der Ausbeutung im Niedriglohnsektor Einhalt geboten werden, und für die Beschäftigten wäre ein Leben in Würde garantiert.[14] Grundsätzlich sind die Tarifvertragsparteien aufgefordert, branchenbezogene tarifliche Mindestlöhne zu vereinbaren, aber in Bereichen in denen dieses ausbleibt, soll eine gesetzliche Mindestlohnregelung erfolgen.[15]

Die SPD, welche im andauernden Streit mit der CDU/CSU, dem Ziel eine Durchsetzung des Mindestlohns zu erreichen, wohl zunehmend skeptischer gegenüberstand, forderte jüngst eine Ausweitung des Entsendegesetzes, wie es bereits in der Bau- und Gebäudereinigungsbranche gilt. Das Gesetz sollte auf einige weitere Bereiche ausgedehnt werden, in denen die Tarifvertragsparteien selbst einen Mindestlohn vereinbaren, der dann für die jeweiligen Branchen gesetzlich verankert würde.[16]

1.2.2 Position der CDU/CSU

Generell spricht sich die CDU/CSU gegen einen gesetzlichen Mindestlohn aus.

Im Regierungsprogramm für den Zeitraum 2005 bis 2009 wird der Standpunkt der Union deutlich. Für den gering verdienenden Arbeitnehmer soll es zukünftig zum niedrigen Arbeitslohn einen staatlichen Zuschuss geben. So bezieht er sein Einkommen in Form eines Kombi-Lohns. „Das Arbeitsentgelt kann bis zu 10 Prozent unter Tarif liegen. Damit werden mehr Arbeitsplätze für einfachere Tätigkeiten entstehen. Für die Arbeitnehmer sichern wir durch eine ausgewogene Kombination aus Arbeitslohn und ergänzender Sozialleistung ein angemessenes Auskommen.“[17] Für die CDU/CSU birgt ein gesetzlicher Mindestlohn vor allem die Gefahr des Verlustes von Arbeitsplätzen in sich. Der sächsische Ministerpräsident Georg Milbradt betont, dass gerade in strukturschwachen Räumen, wie beispielsweise Regionen in den neuen Bundesländern, bei Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes weitere „zigtausend Jobs verloren gehen.“[18] Bei einem solchen staatlichen Eingriff könnte der Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt gefährdet werden, und zwar dort, wo die Arbeit ins Ausland verlagert werden könnte, gibt beispielsweise der saarländische Peter Müller Ministerpräsident zu bedenken.[19] Ferner sehen die Gegner einer gesetzlichen Mindestlohnregelung die Gefahr von zunehmender Schwarzarbeit. „Über Mindestlohn werde kein Arbeitsplatz geschaffen. Im Gegenteil, es werden Jobs verloren gehen und in die Schwarzarbeit befördert werden.“[20]

Jedoch ist die Haltung innerhalb der CDU nicht eindeutig. Der arbeitsmarktpolitische Sprecher der CDU Ralf Brauksiepe stimmt mittlerweile der Forderung Arbeitsminister Münteferings zu, die teilweise verübten Lohnsittenwidrigkeit müsse abgeschafft werden. In einigen Branchen sind die Tariflöhne sogar so gering, dass die Beschäftigten kaum davon leben können. Daher sollte die Mindesthöhe des Lohnes in Form einer Lohnuntergrenze gesetzlich festgelegt werden.[21] Außerdem stellt er fest, dass jemand der voll erwerbstätig ist, nicht die finanzielle Unterstützung des Staates benötigen sollte und „niemand mit einer Vollzeitstelle weniger als zumindest das Arbeitslosengeld II plus Mietzuschuss verdienen dürfe.“[22] Das CSU geführte Wirtschaftsministerium hingegen ist gegen eine festgelegte Lohnuntergrenze. Anstelle dieser, sollten niedrige Löhne durch staatliche Zuschüsse, häufig als Kombi-Lohn-Modell bezeichnet, aufgestockt werden. Für diese Zuschüsse soll es dann eine gesetzliche Mindestlohnregelung geben, welche von Seite der Arbeitgeber gezahlt würde.[23]

Die Tatsache, dass es im Großteil der EU Mitgliedstaaten bereits einen gesetzlichen Mindestlohn gibt und dieser, wie beispielsweise in Großbritannien, Erfolge mit sich gebracht hat, „heiße (laut Kanzlerin) noch lange nicht, dass es ein geeignetes Instrument auch für Deutschland sei.“[24]

1.2.3 Position der Gewerkschaften

Mit der Äußerung des DGB-Vorsitzenden Michael Sommer, dass niemand weniger als 7,50 Euro brutto pro Stunde verdienen sollte[25], ist die grundsätzliche Position der Gewerkschaften bezüglich einer Mindestvergütung verdeutlicht. Ein Mindestlohn ist für den DGB absolut notwendig, wenn es auch innerhalb der Einzelgewerkschaften unterschiedliche Ansichten hinsichtlich der Ausgestaltung gibt. Von der Einführung von Mindestlöhnen wird vor allem erwartet, dass der zunehmende Trend zu Lohndumping und der Erhöhung des Anteils der Niedrig- bzw. Armutslöhner unterbrochen wird.[26] Allerdings soll dieses in erster Linie durch Tarifverträge sichergestellt werden und lediglich in den Bereichen, in denen es solche nicht gibt, soll eine gesetzliche Regelung zum Tragen kommen. Von den insgesamt acht Mitgliedsgewerkschaften des DGB, hat sich lediglich eine grundsätzlich gegen einen gesetzlichen Mindestlohn ausgesprochen[27]: die IG Metall, in der verhältnismäßig hohe Löhne gezahlt werden, befürchtet, ein gesetzlicher Mindestlohn würde einen Druck auf die Tariflöhne ausüben.[28] Von Beginn an gab es innergewerkschaftliche Diskussionen zum Thema. Auf der einen Seite standen die Befürworter, auf der anderen Seite gab es total Ablehnung gegen einen flächendeckenden staatlichen Eingriff. Die gegnerische Haltung resultiert aus der Befürchtung, ein gesetzlicher Mindestlohn würde die Tarifautonomie, welche nach dem Grundgesetz Art 9 Abs.3 „ein verfassungsmäßig garantiertes Recht der Tarifpartner, Tarifverträge ohne Einflussnahme von dritter Seite abzuschließen.“[29] aushebeln. „Ein einheitlicher gesetzlicher Mindestlohn wäre faktisch eine Einschränkung der Tarifautonomie.“[30] Daher forderten Vertreter dieser Ansicht, die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen als Alternative stärker zu nutzen.[31] In diesem Falle wäre es dem Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit möglich, „einen Tarifvertrag […] auf Antrag einer Tarifvertragspartei für allgemeinverbindlich zu erklären.“[32] (vgl. 3.5.1) Eine weitere Befürchtung der gewerkschaftlichen Mindestlohngegner, ist die mögliche Konsequenz in Form eines nach unten ausgerichteten Lohndrucks, der sich auch auf tarifliche Entgelt- und Arbeitsbedingungen aller Beschäftigten der Branchen auswirken könnte.[33]

Die mit der EU-Erweiterung verbundene Zunahme an Lohndumping, die Tatsache dass seit Einführung der Hartz-IV-Gesetze Arbeitslose oft gezwungen sind, geringer bezahlte Jobs anzunehmen und zudem die Unternehmen immer mehr Druck auf die Löhne ausüben, führen dazu, dass sich die Arbeitsbedingungen zunehmend verschlechtern. Die Löhne werden gesenkt und es kommt häufiger zu Betriebsverlagerungen. Laut einer Studie des WSI im März 2006, betrug die Zahl der Beschäftigten, mit einem Einkommen unterhalb von 50 Prozent des durchschnittlichen Einkommens - oft auch als Armutslohn bezeichnet - bei 2,5 Millionen.[34]

Unter den derzeitig gegebenen Umständen herrscht aber nun auch in Bezug auf das Thema „Verlust der Tarifautonomie“ innerhalb des DGB Konsens, wie in einer aktuellen Rede des DGB-Vorsitzenden Michael Sommer 2007 im Bundeskongress deutlich wird: „…der Vollständigkeit halber füge ich an: Tarifautonomie und gesetzlicher Mindestlohn schließen einander nicht aus. (Beifall) Tarifliche Gestaltung, allgemeinverbindliche Tarifverträge und ein gesetzlicher Mindestlohn gehören für uns zusammen.“[35]

1.2.4 Position der BDA

Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände ist gegen die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns. Ihrer Ansicht nach müsse die Vereinbarung von Mindestarbeitsbedingungen den Tarifvertragsparteien überlasen werden. Dies begründen sie mit der im Grundgesetz Art. 9 Abs. 3 verankerten Tarifautonomie, welche den besagten Tarifvertragsparteien das Recht auf Ausgestaltung der Tarifverträge ohne Einfluss des Staates zuschreibt.[36]

Nach Meinung der BDA stellen gesetzliche Mindestlöhne eine Gefährdung für den Arbeitsmarkt dar. Nicht nur würden dadurch Arbeitsplätze vernichtet werden, sie würden ins Ausland verdrängt werden und eine Zunahme von Schwarzarbeit wäre unausweichlich.[37] Nach einer Berechnung des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln bestünde bei einem gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 7,50 Euro pro Stunde die Gefahr, dass ca. 1,6 Millionen Jobs in den Schwarzmarkt abwandern könnten. Bei einem Haarschnitt beispielsweise, welcher wegen der Lohnerhöhung nicht mehr zum ursprünglichen Preis zu haben ist, ließe sich möglicherweise so mancher das Haar schwarz schneiden, statt in einen Friseursalon zu gehen.[38]

Darüber hinaus bringt die BDA das Argument an, dass das Arbeitslosengeld II bereits praktisch eine Art gesetzlichen Mindestlohn für nicht tarifgebundene Arbeitnehmer beinhalten würde.[39] Insbesondere für Geringqualifizierte bestünde bei einem gesetzlichen Mindestlohn die Gefahr einer Verschlechterung hinsichtlich der Beschäftigungslage: ein gering qualifizierter Arbeitsloser hätte eventuell noch schlechtere Chancen, wieder ins Berufsleben einzukehren; oder sein derzeitiger Arbeitgeber kann ihm für seine Tätigkeit nicht den gesetzlichen Mindestlohn zahlen und muss ihn deshalb entlassen. Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt teilt in einer Pressemeldung 2006 mit, dass bei einem „höheren pauschalen Mindestlohn oberhalb des Arbeitslosengeld-II-Niveaus, sich vor allem für die größte Problemgruppe am Arbeitsmarkt – die Geringqualifizierten – die Beschäftigungschancen weiter verschlechtern werden.“[40]

Das Mindestlohnmodell der SPD hält die BDA sogar für das schädlichste: Nicht nur, dass gesetzlich verbindliche Mindestlöhne für nicht tarifgebundene Arbeitnehmer gegen die Tarifautonomie verstoße; es würde außerdem ein großes Ausmaß an Kontrolle und Bürokratie nach sich ziehen.[41] Die Tatsache, dass in anderen Mitgliedstaaten der EU, z. B. Großbritannien, die Einführung eines Mindestlohnes positive Entwicklungen aufweist, ist für die Arbeitgeber grundsätzlich kein Maßstab.„Die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Ländern mit einem gesetzlichen Mindestlohn sind nicht mit denen in Deutschland vergleichbar“[42] Begründet wird dies mit Unterschieden im System des Arbeitsrechts und in Bezug auf die Arbeitskosten.[43]

2 Theoretische Grundlagen

2.1 Makroökonomische Ansätze

In der Ökonomie gibt es verschiedene Ansätze und Theorien, die sich mit Einkommen und Beschäftigung in einer Volkswirtschaft sowie deren Wirkungszusammenhängen befassen. Zu diesen makroökonomischen Theorien – der Marxismus bleibt hier unberücksichtigt - gehören, die Klassik–Neoklassik, der Keynesianismus, der Monetarismus, der Postkeynesianismus, die neue keynesianische Makroökonomik und die neue klassische Makroökonomik.[44] Da diese Theorien im Rahmen dieser Arbeit aber lediglich als theoretische Grundlage für die Darstellung der Problematik der Einführung eines Mindestlohns in Deutschland dienen, werden nicht alle Ansätze detailliert erläutert. Zwei entscheidende Sichtweisen, die Neoklassik und der Ansatz nach Keynes, sollen im Folgenden dargestellt werden, um eine problemorientierte Herangehensweise an das Thema zu ermöglichen.

2.1.1 Das neoklassische Modell

2.1.1.a Abgrenzung zur Klassik

Die Neoklassik, welcher die klassische Nationalökonomie zugrunde liegt, gibt es in verschiedenen Ausprägungen. Zunächst soll jedoch die erwähnte klassische Nationalökonomie, kurz dargestellt werden: Als Klassik werden die Theorien bezeichnet, die historisch betrachtet im Zeitraum zwischen dem endenden achtzehnten und dem ersten drittel des neunzehnten Jahrhunderts vertreten wurden[45]. Grundlegend beruht die Klassik auf dem wirtschaftlichen Individualprinzip, welches besagt, dass jedes Subjekt in der Wirtschaft stets sein Eigeninteresse verfolgt. Der Lohn als Preis für die Arbeit bildet sich, wie sämtliche Marktpreise andere Preise auch, nach dem Konkurrenzprinzip.[46] Durch das Verfolgen des Eigeninteresses der einzelnen Wirtschaftssubjekte und das Prinzip der Konkurrenz wird der Wohlstand des Volkes insgesamt positiv beeinflusst.[47] Die Neoklassik unterscheidet sich insofern von der Klassik, dass Wert und Preis eines Produktes über die Arbeitsmenge definiert werden, während im Falle des neoklassischen Ansatzes der Wert eines Produktes vom persönlichen Nutzen des Produktes im Gebrauch für das jeweilige Individuum abhängig ist.[48]

2.1.1.b Das Say’sche Theorem

Das Say’sche Theorem bildet eine Grundlage der klassischen makroökonomischen Ansätze. Es besagt, dass sich jedes Angebot selbst seine Nachfrage schafft. Dieser Ansatz beruht auf der Annahme, dass niemand Güter anbieten würde, wenn er nicht auch nachfragen möchte.[49] Nach der klassischen Theorie hat das Geld ausschließlich eine Funktion als Tauschmittel. Es hat in seiner Form als solches keinen Einfluss auf das tatsächliche Wirtschaftsgeschehen. Dass Geld auch eine Funktion als Wertaufbewahrungsmittel haben kann, so wie es im Keynesianismus beschrieben wird, ist in der Klassik nicht berücksichtigt. „Nach klassischer Lehrmeinung ist es nicht rational, Geld als Vermögensaktivum zu halten, da das liquide Halten von Geld mit den Opportunitätskosten eines entgangenen Zinseinkommens belastet ist.“[50]

2.1.2 Der neoklassische Arbeitsmarkt

Die Neoklassik gibt es in verschiedenen Ausprägungen, und deren wesentliche Merkmale sollen hier aufgezeigt werden: Im Kern der Neoklassik befindet sich die mikroökonomische Analyse, die den Zusammenhang zwischen Angebot an und Nachfrage nach Gütern und den drei Produktionsfaktoren Boden, Arbeit, Kapital[51] zu erklären versucht. „Bei völlig freier Preis-, Lohn- und Zinsbildung tendieren […] die einzelnen Güter- Geld- und Arbeitsmärkte zum Gleichgewicht.“[52] Sollten Abweichungen vom Gleichgewicht auftreten, so kommt es bei flexiblen Preisen und Löhnen automatisch zu einem Ausgleich, da sich Anbieter und Nachfrager in diesen Fällen z. B. mit ihren Lohnforderungen unter- bzw. überbieten werden.[53] Wie bereits erwähnt, gibt es nicht eine einzige neoklassische Theorie, sondern viele Theorien die grundsätzlich der Neoklassik zuzuordnen sind. Dennoch gibt es inhaltlich drei gemeinsame grundlegende Charakteristika:

- es gibt einen flexiblen Preis- Lohn- und Zinsmechanismus,
- das Say’sche Theorem ist gültig,
- es zählt die Quantitätstheorie des Geldes.[54]

Nach dem neoklassischen Ansatz wird zwischen Arbeitsmärkten und anderen Märkten, wie z.B. dem Gütermarkt nicht unterschieden. Dies impliziert, dass nicht Arbeitskräfte als solche, sondern die von ihnen, speziell charakterisierten Arbeitsleistungen gegen den Reallohn getauscht werden.[55] Der Reallohn beschreibt die Gütermenge, welche für einen bestimmten Nominallohn gekauft werden kann[56] und wird in folgender Abbildung des neoklassischen Arbeitsmarktes auch als Gleichgewichtsreallohn verstanden:

Abbildung 1: Neoklassischer Arbeitsmarkt

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

lr: Reallohn

B: Beschäftigung

A: Angebot an Arbeitskräften

N: Nachfrage nach Arbeitskräften[57]

2.1.2.a Der Preismechanismus am Beispiel des Arbeitsmarktes

Der Preismechanismus übt in der neoklassischen Sichtweise seine Funktion sowohl auf dem Gütermarkt, als auch auf dem Arbeits- und Kapitalmarkt aus. Die Funktionsweise soll anhand des Arbeitsmarkts veranschaulicht werden: Steigt der Reallohn, welcher sich als Quotient aus Nominallohn und Güterpreis errechnen lässt, nimmt das Arbeitskräfteangebot auf dem Arbeitsmarkt zu. Dieses Phänomen beruht auf der Annahme, dass bei einem höheren Lohn die Arbeitskräfte auf mehr Freizeit verzichten und mehr Arbeit anbieten.[58] Auf der anderen Seite fragen die Unternehmen jedoch nach mehr Arbeit wenn der Reallohn sinkt, da es für sie dann rentabler ist, Arbeitskräfte einzustellen. Auf diese Weise ergibt sich der Gleichgewichtslohn lr0 mit der Beschäftigungsmenge B0. Alle, die zum Reallohn lr0 bereit sind zu arbeiten, erhalten einen Arbeitsplatz. Diejenigen, welche sich rechts des Gleichgewichts B0 befinden, sind deshalb arbeitslos, weil sie ihre Arbeit nur zu einem höheren Lohn als dem Gleichgewichtsreallohn lr0 anbieten. Daher spricht man in der Neoklassik auch nur von freiwilliger Arbeitslosigkeit.[59]

2.1.2.b Der Lohnmechanismus und die Tendenz zur Vollbeschäftigung

Es herrscht in der neoklassischen Theorie die Tendenz zur Vollbeschäftigung, und all jene, die zum jeweiligen Reallohn bereit sind zu arbeiten, erhalten auch einen Arbeitsplatz. Als freiwillig arbeitslos werden die bezeichnet, die Arbeit zu einem Lohn anbieten, welcher höher ist als der Gleichgewichtslohn (vgl. 2.1.2.a).[60] Die Tendenz zur Vollbeschäftigung ist auf den Lohnmechanismus zurückzuführen. Folgendes Beispiel soll dies erklären: Ausgehend davon, dass aufgrund starker Zuwanderungszahlen in die Bundesrepublik sich das Angebot an Arbeitskraft erhöht, verschiebt sich die Arbeitsangebotskurve A nach A’. Sind nun die Löhne flexibel, wird aufgrund des Konkurrenzprinzips der (Real-) Lohn sinken, bis ein neuer Gleichgewichtslohn erreicht ist. Es werden nun mehr Arbeitskräfte zu einem geringeren Reallohn beschäftigt und infolgedessen wird wieder eine Vollbeschäftigung erreicht. Diese Tendenz zum Gleichgewicht lässt sich bei flexiblen Löhnen, Preisen und Zinsen auf alle Arbeits-, Güter- und Kapitalmärkte einzel- und gesamtwirtschaftlich übertragen.[61]

2.1.2.c Der Zinsmechanismus im Rahmen der Quantitätstheorie des Geldes

Die Neoklassik unterscheidet zwischen dem güterwirtschaftlichen und dem monetären Sektor und trennt diese somit voneinander. Im Vordergrund der Betrachtungsweise steht der reale Sektor, in welchem zwischen Produktion und Einkommen entschieden wird. Das Geld, das als reines Tausch- bzw. Zahlungsmittel angesehen wird, hat keinerlei Einfluss auf den realwirtschaftlichen Bereich. Die Geldmenge bestimmt lediglich die Höhe des Preisniveaus; die Höhe der Produktion oder der Beschäftigung bleiben hiervon unberührt.[62] Der Zusammenhang zwischen Geldmenge und Preisniveau ist in der Quantitätstheorie des Geldes erklärt. Aus dieser geht grundsätzlich hervor, dass bei einer Erhöhung der Geldmenge auch das Preisniveau ansteigt und bei einer Reduktion der Geldmenge sinkt dementsprechend das Preisniveau.[63]

Der Zinsmechanismus dient der Aufrechterhaltung, oder ggf. der Wiederherstellung des Gleichgewichts auf den einzelnen Märkten und des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts. Neben der Anreizfunktion zum Sparen von Vermögen, ist der Zinsmechanismus für Investitionen in Sachkapital der entscheidende Faktor. Wenn auf dem Kapitalmark Gleichgewicht herrscht, sind Angebot an und Nachfrage nach Kapital gleich. Ändert sich dieser Ausgleichszustand, z. B. durch Verändertes Verhalten der Wirtschaftssubjekte, dann werden weniger Konsumgüter nachgefragt und mehr Sparkapital angeboten. Der Zinsmechanismus bewirkt nun einen Rückgang der Zinsen und eine damit verbundene höhere Nachfrage nach Investitionsgütern. So wird der der Nachfragemangel an Konsumgütern ausgeglichen. Das Angebot hat sich also seine eigene Nachfrage geschaffen und es herrscht wieder ein Gleichgewicht auf den Märkten.[64] Der Zusammenhang zwischen den Märkten könnte an dieser Stelle in Hinblick auf veränderte Nachfragestruktur und das daraus resultierende Angebotsverhalten, sowie die Veränderung der relativen Preise, noch weiter ausgeführt und ausdifferenziert werden; im Rahmen dieser Ausarbeitung soll dies jedoch unberücksichtigt bleiben.

2.1.3 Erklärung von Arbeitslosigkeit

Wie bereits erwähnt, gibt es in der Neoklassik bei flexiblen Löhnen keine unfreiwillige Arbeitslosigkeit. Arbeitslosigkeit entsteht dann, wenn der die Funktionsweise des Lohnmechanismus durch äußere Einflüsse beeinträchtigt wird. Abbildung 2 zeigt, dass im Ausgangsgleichgewicht mit einem Lohn lr0 Vollbeschäftigung mit der Beschäftigungshöhe B0 herrscht. Findet ein Lohnanstieg des lr0 auf lr1 z. B. durch Tarifpolitik statt, so ergibt sich bei einem unveränderten Angebot an Arbeitskräften und einer unveränderten Arbeitskräftenachfrage eine Arbeitslosigkeit von FG. Zusammengefasst bedeutet das, dass Angebot und Nachfrage dann voneinander abweichen, wenn der Reallohn zu hoch oder zu niedrig ist. Das Phänomen der freiwilligen Arbeitslosigkeit erklärt die Neoklassik mit der Annahme, „ es [verzichteten] die Erwerbswilligen von sich aus darauf, einen Teil der angebotenen Arbeitsplätze anzunehmen – sie [wären] freiwillig arbeitslos […].“[65]

Abbildung 2: „Traditionelle“ neoklassische Arbeitslosigkeit

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

lr: Reallohn

Al: Arbeitslosigkeit

B: Beschäftigung[66]

2.1.4 Die Beschäftigungstheorie nach Keynes

Mit der 1939 von Keynes entwickelten „General Theory of Employment, Interest and Money“[67] versucht der britische Nationalökonom, Vertretern makroökonomischer Theorien der Klassik eine Begründung dafür zu liefern, dass andauernde Krisen der Arbeitslosigkeit nur mit Hilfe der entsprechenden Wirtschaftspolitik zu bewältigen seien.[68] Keynes’ Theorie entstand vor dem Hintergrund der damaligen wirtschaftlichen Entwicklung.

Es herrschte eine anhaltende hohe Arbeitslosigkeit in dem damals führenden Industrienationen. In Deutschland ist (vgl. Tabelle 2), das Volkseinkommen zwischen 1929 und 1932 von 75 Milliarden Mark auf rund 45 Milliarden Mark gesunken, und Preise und Investitionen haben ebenfalls hohe Einbußen erlebt.[69]

Tabelle 2: Arbeitslosigkeit in ausgewählten Industrieländern

(Angaben in %)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

[70]

Dennoch befasste sich die klassische Theorie mit Wirtschaftsmodellen, in denen keinerlei staatliche oder außenwirtschaftliche Eingriffe existent sein sollten – es galt noch immer das Prinzip des Vollbeschäftigungsmechanismus.[71]

Ein wesentlicher Unterschied des Keynesianismus gegenüber der Neoklassik ist die Betrachtungsweise bei der Analyse: Während in der Neoklassik unter mikroökonomischen Aspekten analysiert wird, so stehen bei Keynes’ Analyse gesamtwirtschaftliche Größen im Vordergrund.[72] Ein elementarer Punkt des Keynesianismus ist die Vorstellung, dass es durchaus dem rationalen Verhalten des Menschen entspricht, Geld nicht bloß als Tauschmittel zu behandeln, sondern es auch aus Vorsichts- und Spekulationsmotiven, also aus Liquiditätsmotiven nachzufragen. Der Zins ist hinsichtlich der Liquiditätsmotive ein entscheidender Bestimmungsfaktor. Er ist von Geldangebot und –nachfrage abhängig und bestimmt die Investitionsgüternachfrage und Produktion. Wie auch in der Sicht der Neoklassik, sind Investitionen vom Zins abhängig sind. Daraus folgt, dass eine Trennung von Geld- und Gütermarkt nach Keynes’ Auffassung nicht korrekt ist, da Geld für den Gütermarkt nicht neutraler Natur ist. Beide Märkte stehen daher in enger Beziehung zueinander.[73] Ein weiterer Unterschied zur Neoklassik liegt in der Betrachtungsweise der Konsum- und Investitionsgüternachfrage (vgl. 2.1.5). Keynes geht davon aus, nicht der Zins, sondern das Einkommen sei der Bestimmungsfaktor der Konsumnachfrage. Die Investitionsgüternachfrage unterliegt Schwankungen, aufgrund unsicherer Erwartungen wie z.B. Konkurrenzdruck, Gewinn- oder Absatzerwartungen geprägt, um nur einige zu nennen.[74] Auch der von den Klassikern stets vorausgesetzte funktionierende Wettbewerb auf allen Märkten trifft in diesem Ansatz nicht mehr zu: „Auf den Gütermärkten verhindern Konzentrationstendenzen flexible Preisanpassungen (nach unten) und der Arbeitsmarkt ist seit Zunahme der Stärke der Gewerkschaften kein reiner Wettbewerbsmarkt mehr.“[75] Ebenso widerlegt Keynes die Annahme, das Angebot würde sich selbst seine Nachfrage schaffen. Die Nachfrage wird nicht durch das Angebot bestimmt, die effektive Nachfrage, verstanden als die kaufkräftige aggregierte Güternachfrage in einer Volkswirtschaft,[76] ist der entscheidende Faktor für die Angebotshöhe und die daraus resultierende Nachfrage nach Arbeitskräften, also die Beschäftigung.[77]

[...]


[1] vgl. http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,515275,00.html

[2] vgl. Sozialistisches Büro 2006, 72

[3] vgl. http://statistik.arbeitsamt.de/statistik/index.php?id=D

[4] vgl. http://statistik.arbeitsamt.de/statistik/index.php?id=D

[5] vgl. Guckelsberger/Kronenberger 2002, 321

[6] vgl. http://www.ftd.de/politik/deutschland/:OECD%20Mindestl%F6hne/196185.html

[7] vgl. Holstein/Pflugmann 2002, 497

[8] http://www.bundestag.de/dasparlament/2007/25/menschenmeinungen/16196152.html

[9] http://www.iwkoeln.de/default.aspx?p=pub&i=2029&pn=2&n=n2029&m=pub&f=4&a=20196

[10] vgl http://www.bundestag.de/dasparlament/2007/25/menschenmeinungen/16196152.html

[11] vgl. http://www.bdaonline.de/www/bdaonline.nsf/id/E45CF0204C51672CC1256DE70069F485?Open&ccm=200060020&L=DE&markedcolor=%23003399

[12] http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/artikel/876/118737/

[13] http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/artikel/876/118737/

[14] vgl. http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/artikel/876/118737/

[15] vgl. SPD, Vertrauen in Deutschland. Das Wahlmanifest der SPD in Sozialistisches Büro 2006, 76

[16] vgl. http://www.zeit.de/online/2007/13/Mindestlohn?page=2

[17] http://www.regierungsprogramm.cdu.de/download/regierungsprogramm-05-09-cducsu.pdf

[18] http://www.tagesspiegel.de/politik/div/;art771,2054711

[19] vgl. http://www.welt.de/politik/article856354/Thema_Mindestlohn_als_Spaltpilz_.html

[20] http://www.focus.de/finanzen/news/mindestloehne_aid_51780.html

[21] Vgl. http://www.zeit.de/online/2007/13/Mindestlohn?page=2

[22] vgl. http://www.zeit.de/online/2007/13/Mindestlohn?page=2

[23] vgl. http://www.zeit.de/online/2007/13/Mindestlohn?page=2

[24] http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/artikel/876/118737/

[25] vgl. http://www.dgb.de/themen/themen_a_z/abisz_doks/m/mindestloehne.htm/

[26] vgl. http://presse.verdi.de/aktuelle_themen_neu/data/mindestlohn_studie_mai_07.pdf

[27] vgl. http://www.dgb.de/themen/themen_a_z/abisz_doks/m/mindestloehne.htm/

[28] vgl. http://www.zeit.de/online/2006/11/Gewerkschaften?page=2

[29] Hohlstein/Pflugmann 2002, 71

[30] Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft 2005, 277

[31] vgl. Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft 2005, 278

[32] vgl. ArbG 2005, 504

[33] vgl. Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft 2004, 277

[34] vgl. http://www.dgb.de/themen/themen_a_z/abisz_doks/m/mindestloehne.htm/

[35] http://bundeskongress2007.verdi.de/reden_berichte/grusswort_michael_sommer

[36] vgl. ArbG 2005, 710

[37] http://www.bda-online.de/www/bdaonline.nsf/id/74F6D498D237CD13C12572F1003DB707

[38] vgl. http://www.iwkoeln.de/default.aspx?p=pub&i=2029&pn=2&n=n2029&m=pub&f=4&a=20196

[39] vgl.http://www.bda-online.de/www/bdaonline.nsf/id/974ECABA63B5AFD7C12571B8004318E4

[40] http://www.bda-online.de/www/bdaonline.nsf/id/974ECABA63B5AFD7C12571B8004318E4

[41] vgl.http://www.bda-online.de/www/bdaonline.nsf/id/974ECABA63B5AFD7C12571B8004318E4

[42] http://www.bda-online.de/www/bdaonline.nsf/id/74F6D498D237CD13C12572F1003DB707

[43] vgl. http://www.bda-online.de/www/bdaonline.nsf/id/74F6D498D237CD13C12572F1003DB707

[44] vgl. Hohlstein/Pflugmann 2002, 476f.

[45] vgl. Hohlstein/ Pflugmann 2002, 411

[46] vgl. Guckelsberger/Kronenberger 2002, 222

[47] vgl. Krol/Schmid 2002, 208

[48] vgl. Krol/Schmid 2002, 208

[49] vgl. Guckelsberger/ Kronenberger 2002, 219

[50] Guckelsberger/ Kronenberger 2002, 220

[51] vgl. Hohlstein/ Pflugmann 2002, 592

[52] Krol/Schmid 2002, 209

[53] vgl. Hohlstein/Pflugmann 2002, 528

[54] vgl. Krol/Schmid 2002, 209

[55] vgl. Krol/Schmid 2002, 210

[56] vgl. Hohlstein/Pflugmann 200, 619

[57] Krol/Schmid 2002, 210

[58] vgl. Krol/Schmid 2002, 209

[59] vgl. Krol/Schmid 2002, 209f.

[60] vgl. Krol/Schmid 2002, 210

[61] vgl. Krol/Schmid 2002, 211

[62] vgl. Krol/Schmid 2002, 212ff.

[63] vgl. Hohlstein/Pflugmann 2002, 610

[64] vgl. Krol/Schmid 2002, 212 ff.

[65] Kromphardt 1987, 77 in Krol/Schmid 2002, 215

[66] Krol/Schmid 2002, 215

[67] Schmid/v. Dosky 1990, 75

[68] vgl. Hohlstein/Pflugmann 2002, 406

[69] vgl. van Suntum 2005, 109

[70] Guckelsberger/Kronenberger 2000, 228

[71] vgl. Schmid/v. Dosky 1990, 75f.

[72] vgl. Krol/Schmid 2002, 231

[73] vgl. Krol/Schmid 2002, 230

[74] vgl. Krol/Schmid 2002,232ff.

[75] Guckelsberger/Kronenberger 2002, 229

[76] vgl. Felderer/Homburg 2005, 102

[77] vgl. Guckelsberger/Kronenberger 2002, 229

Ende der Leseprobe aus 76 Seiten

Details

Titel
Die Problematik der Einführung von Mindestlöhnen in Deutschland
Hochschule
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
Note
1
Autor
Jahr
2007
Seiten
76
Katalognummer
V125797
ISBN (eBook)
9783640313402
ISBN (Buch)
9783640317189
Dateigröße
698 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Problematik, Einführung, Mindestlöhnen, Deutschland, Thema Mindestlohn
Arbeit zitieren
Jennefer Schröder (Autor:in), 2007, Die Problematik der Einführung von Mindestlöhnen in Deutschland, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/125797

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