Die Hitler-Jugend und die Freie Deutsche Jugend – zwei deutsche Staatsjugendorganisationen im Vergleich


Hausarbeit (Hauptseminar), 2008

34 Seiten, Note: 1.5 (Schweiz: 5.5)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Die Hitler-jugend
2.1 Die NSDAP
2.2 Entstehung der HJ
2.3 Totalitätsanspruch der HJ
2.4 Mitgliedschaft in der HJ
2.5 Jugend als Reserve der Partei
2.6 Weltanschauung und Erziehungsziele der HJ
2.7 Die Schulung der HJ
2.8 Die Militarisierung in der HJ
2.9 Das Ende der HJ

3 Die Freie Deutsche Jugend
3.1 Die SED
3.2 Entstehung der FDJ
3.3 Totalitätsanspruch von SED und FDJ
3.4 Mitgliedschaft in der FDJ
3.5 Die Jugend als Reserve der Partei
3.6 Weltanschauung und Erziehungsziele der FDJ
3.7 Die Schulung der Jugend
3.8 Die Militarisierung in der FDJ
3.9 Das Ende der FDJ

4 Fazit
4.1 Vergleich
4.2 Anmerkungen zur Arbeit

5 Anhang
5.1 Quellenverzeichnis
5.2 Abkürzungs- und Stichwortverzeichnis

1 Einleitung

In dieser Arbeit werden die zwei grossen Jugendorganisationen, die Hitler-Jugend (HJ) und die Freie Deutsche Jugend (FDJ), vorgestellt. Beide waren in Deutschland entstanden, die HJ agierte von 1926 bis 1945 und die FDJ von 1946 bis 1990. Als Staatsjugend unterstützten die HJ als auch die FDJ ihre politischen Führungen massgeblich, in dem sie die Jugend nach den Vorstellungen und dem Nutzen der Partei ausbildeten. Der historische und ideologische Kontext der beiden Jugendverbände unterschied sich aber grundlegend.

Die Hitler-Jugend war, wie es der Name schon sagt, die Jugendorganisation der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei, an derer Spitze Adolf Hitler stand. Das Regime verlangte von der heranwachsenden Generation eine vollumfängliche Anpassung an das nationalsozialistische Ideal und bildete diese sogar militärisch aus, um viele für „Führer, Volk und Vaterland“ in den Krieg zu schicken.

Die jungen Menschen in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), die mehrheitlich die dunkelsten Jahre in der Geschichte Deutschlands miterlebt haben, traten unmittelbar nach Kriegsende den Jugendausschüssen und dann der Einheitsorganisation der Freien Deutschen Jugend bei, um mitzuhelfen, eine antifaschistische, demokratische und sozialistische Republik aufzubauen. Doch die FDJ entwickelte sich bald in eine Richtung, die erschreckende Ähnlichkeiten mit der HJ aufwies. Der Zeitzeuge Helmut Schulz blickt zurück: „Im besten Glauben, dieses Mal das Richtige zu tun, zog sie [die Jugend] 1945 das Braunhemd aus und später das Blauhemd an. Wie keine andere in Europa hat die deutsche Jugend alle Lasten historischer Umbrüche und Wandlungen ausgehalten, in der Mehrzahl bereit, sich selber zu stigmatisieren.“[1]

Ziel dieser Hauptseminararbeit ist es herauszufinden, inwiefern sich der Charakter und die Struktur der HJ in der FDJ wiederholte. Aufgrund der Quellenlage in der Schweiz kann ich mich nicht auf einen spezifischen Themenbereich beschränken und im Rahmen einer Seminararbeit kann ich auch nicht die komplette Geschichte der HJ und FDJ im Detail abhandeln. Darum entschied ich mich, fokussiert einzelne Bereiche in der Geschichte dieser Jugendverbände zu beleuchten. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Bindung der beiden Jugendorganisationen an die Staatsmacht. Für ein besseres Verständnis wird zu Beginn kurz auf die richtungweisenden Parteien und die Entstehung der Jugendorganisationen eingegangen. Der Hauptteil der Arbeit ist so aufgebaut, dass zuerst die HJ und dann die FDJ behandelt wird. Gegliedert sind die beiden Organisationen nach denselben Themen, damit die Gemeinsamkeiten und Unterschiede leichter zu erkennen sind. Zum Schluss möchte ich in einem kurzen Fazit noch einmal die wichtigsten Aspekte zusammenfassen und vergleichen.

Unter Hitler-Jugend ist in dieser Arbeit die Jugendorganisation einschliesslich ihrer angegliederten Verbände, wie zum Beispiel dem Bund Deutscher Mädel (BDM), zu verstehen.

Bedingt durch den damaligen Sprachgebrauch enthält die Arbeit viele Abkürzungen, das Abkürzungs- und Stichwortregister dazu befindet sich im Anhang.

Durch die offene Fragestellung wurde diese Arbeit so umfangreich, dass auf weitere interessante Themen wie zum Beispiel das Verhältnis zu anderen Jugend­organisationen und Kirchen, die genaue Aufgliederung und Strukturierung oder die Gegner der Verbände nicht eingegangen werden konnte.

2 Die Hitler-jugend

2.1 Die NSDAP

Die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) entwickelte sich aus der 1919 gegründeten Deutschen Arbeiterpartei (DAP), welcher Adolf Hitler bereits angehörte. Am 24. Februar 1920 wurde der Parteiname DAP in NSDAP umgewandelt und erhielt im Oktober desselben Jahres einen juristischen Charakter. Zählte die DAP um 1919/20 noch etwa 195 Mitglieder, waren der NSDAP bis zum November 1923 rund 55'000 Mitglieder beigetreten. Hauptsächlich kamen diese aus dem unteren Mittelstand (Kaufleute, Handwerker, niedere Beamte, Angestellte) und zunehmend auch Bauern.[2] Im deutschen Krisenjahr 1923 gelang es Hitler die rechtsextremen Kräfte hinter sich zu versammeln, mit deren Hilfe er am 8. und 9. November 1923 die Regierung in Berlin stürzen und die Macht an sich reissen wollte.[3] Der Putschversuch wurde blutig abgewehrt, die NSDAP aufgelöst und Hitler zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Nach der vorzeitigen Haftentlassung Hitlers im Dezember 1924 wurde am 27. Februar 1925 in München die NSDAP erneut gegründet. Am 30. Januar 1933 wurde Hitler vom damaligen Reichspräsidenten Hindenburg zum Reichskanzler ernannt. Obwohl die NSDAP seit längerem mit Propaganda und Terror operierte, erreichte diese Partei bei den Reichstagswahlen vom 5. März 1933 mit 44 Prozent der Stimmen deutlich weniger als erwartet. Nur gemeinsam mit der Deutschen Volkspartei konnte eine knappe Mehrheit erreicht werden. Um sein Ermächtigungsgesetz durchzubringen, benötigte Hitler jedoch ein zweidrittel Mehr.[4] Mit Gewalt, Manipulation und politischem Kalkül wurden die geforderten Prozente schliesslich erreicht.[5] Bis zum Juli 1933 sind alle anderen Parteien ausgeschaltet worden und zu Beginn 1934 wurde auch der Land- und Reichstag aufgelöst.

Das Ziel und die Funktion der Partei wandelte sich vom „Ergreifen der Macht“ zur „Erhaltung der Macht“, welche sie unerbittlich durch Propaganda, Kontrolle, Terror und Mord durchsetzte.

Nach dem Krieg wurde die NSADP mit all ihren Nebenorganisationen (wie SS, SA, HJ und NSBO) am 10. Oktober 1945 vom Kontrollrat der Alliierten aufgelöst und verboten.

2.2 Entstehung der HJ

Parteijugendverbände der NSDAP existierten schon bevor die Partei mit Hitler an die Macht gelang. Als Vorläufer der HJ gilt der 1922 in München gegründete „Jugendbund der NSDAP“, welcher gemeinsam mit der Partei bereits 1923 wieder aufgelöst wurde. Mit der erneuten Gründung der NSDAP um 1925 entstanden auch neue, parteigebundene Jugendgruppen, welche aber - im Gegensatz zum „Jugendbund der NSDAP“ - nicht von der NSDAP selbst, sondern von einzelnen Parteimitgliedern ins Leben gerufen worden waren. Diese Jugendgruppen schlossen sich kurze Zeit später zur „Grossdeutschen Jugendbewegung“ zusammen. Offiziell anerkannt wurde die nationalsozialistische Jugendbewegung, welche dann in „Hitler-Jugend, Bund deutscher Arbeiterjugend“ umbenannt wurde, am 4. Juli 1926 auf dem zweiten Parteitag der NSDAP in Weimar.[6] Die HJ war von Beginn an stark in die NSDAP eingebunden. Schon Ende 1926 wurden alle volljährigen Mitglieder verpflichtet, der NSDAP anzugehören und ein Jahr später hatten alle 18-jährigen Hitlerjungen in die SA überzutreten.[7]

Ähnlich wie bei den männlichen Jugendgruppierungen bestanden auch schon vor der Gründung des weiblichen Nebenverbandes „Bund deutscher Mädel“ (BDM) um 1930 kleinere Gruppierungen.[8] Ab 1926 wurden die Mädchen in „Schwesternschaften“ vereinigt und später von dem BDM übernommen, welcher 1932 seinerseits, wie nach und nach alle Jugendbünde, in die ständig wachsende HJ eingegliedert wurde.[9]

Als am „Reichsjugendtag“ vom 1. und 2. Oktober 1932 im Namen der HJ bereits 80’000[10] Jugendliche an Adolf Hitler vorbei marschierten, waren das Wachstum, Gewicht und die Ambitionen der jungen Organisation nicht mehr zu übersehen.[11]

2.3 Totalitätsanspruch der HJ

Nach der Machtübergabe an Hitler und seine Partei zu Beginn des Jahres 1933, erhob die Hitler-Jugend bald Anspruch auf das Monopol in der deutschen Jugendarbeit. Es folgte ein „Kampf um die Einheit der Deutschen Jugend“,[12] durch den sich die HJ ihre Alleinherrschaft in drei Phasen sicherte: Als erstes galt es alle konkurrenzierenden Institutionen oder Organisationen, in denen erzieherische Aufgaben wahrgenommen wurden, zu entmachten. Danach wurde die Kontrolle über möglichst viele Bereiche der Jugendarbeit und Freizeitbeschäftigungen übernommen.[13] Und schliesslich verfolgte man das „Ziel der hundertprozentigen Erfassung der gesamten Deutschen Jugend.“[14]

Wie totalitär die Ambitionen der HJ schon von Beginn an waren, wird in dem bereits 1934 erschienen Buch Schirachs deutlich: „Die HJ will sowohl die Gesamtheit der Jugend, wie auch den gesamten Lebensbereich des jungen Deutschen erfassen“,[15] schrieb der damalige Reichsjugendführer.[16] Mit dem „Gesetz über die Hitler-Jugend“ vom 1. Dezember 1936 wurde der ständig gewachsene Einfluss von der HJ und NSDAP auf die Bildung der Jugendlichen verbrieft. Das neue Gesetz rief die HJ als alleinige Jugendorganisation aus und sprach ihr die vollumfängliche Erziehungs­kompetenz ausserhalb von Schule und Elternhaus zu. Ausserdem wurde der Reichsjugendführer der NSDAP zum „Jugendführer des Deutschen Reiches“ ernannt und damit direkt dem „Führer“ und Reichskanzler unterstellt.[17]

Der nationalsozialistische Eingriff in das Leben der Jugendlichen umfasste fortan auch die Gesinnung, die Weltanschauung und die Spiritualität, um, wie Schubert es formulierte, „den Zugriff wirklich total zu machen.“[18]

2.4 Mitgliedschaft in der HJ

Wie die NSDAP war auch der Leiter des Amtes für Weltanschauliche Schulung, Fritz Brennecke, der Meinung, es hänge „von der heutigen Erziehungsarbeit in der Hitler-Jugend ab, wie die Parteigenossenschaft von morgen aussehen werde“.[19] Um ihre Herrschaft zu stabilisieren und zu sichern, war es für die Nationalsozialisten besonders wichtig, grosse Teile der deutschen Jugend organisatorisch und vor allem ideologisch zu erfassen.[20] Mit allen Mitteln und in allen verfügbaren Institutionen, von der Schule bis zu ausgewählten Freizeitangeboten wurde versucht, den Jugendlichen nationalsozialistische Werte einzuimpfen, was durch die ebenfalls kontrollierte Jugend-Presse und Rundfunk unterstützt wurde.[21] Die bestmögliche Erfassung der heranwachsenden Generation geschah aber durch ihre Mitgliedschaft in der Organisation.

Obligatorisch wurde die Mitgliedschaft in der HJ für die jungen Deutschen erst mit Einführung der „Jugenddienstpflicht“ vom 25. März 1939. Nach gesetzlicher Vorlage wurden alle Jungen im Alter von 10 bis 14 Jahren im „Deutschen Jungvolk“ (DJ) und von 14 bis 18 Jahren in der „Hitler-Jugend“ (HJ) zusammengefasst. Die Mädchen traten zwischen dem 10. und 14. Altersjahr dem „Jungmädelbund“ (JM) bei und wechselten dann bis zum vollendeten 18. Lebensjahr zum „Bund Deutscher Mädel“ (BDM).[22] Um die Frauen länger in die Organisation einzubinden entstand später das BDM-Werk „Glaube und Schönheit“ für junge Frauen zwischen 17 und 21 Jahren. Daneben existierten verschiedene Sondereinheiten wie zum Beispiel die Motor-, Flieger- oder Marine-HJ.[23]

Dienstinhalt waren neben der körperlichen Ertüchtigung und der weltanschaulichen Schulung Aktionen wie Märsche und Lager, Ernteeinsätze, diverse Sammlungen von Altmaterial und quasi-militärische Übungen.[24]

Mit der „Jugenddienstpflicht“ wurden erstmals auch offiziell Sanktionen angedroht, sollte die Mitgliedschaft verweigert werden. Effektiv erwuchsen den Nicht-Mitgliedern schon vor 1939 erhebliche Nachteile. Zum Beispiel drohte dem Vater die Kündigung seiner Arbeitsstelle, wenn seine Kinder keine HJ-ler waren; es wurden für Nicht-HJ Mitglieder zeitweilige Ausgangssperren festgelegt, oder, wie bereits erwähnt, durften sich nur HJ Angehörige in Sport- oder Turnvereinen engagieren.[25] Dies sind nur drei von unzähligen Diskriminierungen der Verweigerer, die für ihre Überzeugung viele Nachteile im Alltag wie auch in der Ausbildung und im Beruf auf sich nehmen mussten.

Auf der anderen Seite ermöglichte die Mitgliedschaft Führungspositionen in der HJ zu erlangen, welche später den Weg zu einer Karriere im Staatsapparat eröffneten. Besonders interessant war die obligatorische Mitgliedschaft für Jugendliche, die zuvor keine Aufnahme in Jugendgruppen fanden.[26]

Betrachtet man die Mitgliederzahlen, wird deutlich wie umfassend es der NSDAP gelang, die junge Generation einzubinden.[27] Ende des Jahres 1933 waren von 7'529'000 Jugendlichen (im Alter zwischen 10 und 18 Jahren) 2’300'000 Mitglied der HJ, also knapp 31 Prozent. Zu Beginn des Jahres 1939 (Einführung der Jugenddienstpflicht), waren von 8’870’000 Jugendlichen fast eben so viele in der HJ. 8’700'000 Mitglieder zählte die Organisation, was 98 Prozent entspricht. Buddrus kommt mit 7’728'259 Mitglieder auf etwas über 87 Prozent, was mir persönlich realistischer erscheint. Auffallend dabei ist der Zuwachs von weiblichen Mitgliedern. Machten die Mädchen um 1933 noch knapp 26 Prozent aller Mitglieder aus, waren es um 1939 schon 39 Prozent, mit dem Bund „Glaube und Schönheit“ sogar 44 Prozent. Eine mögliche Ursache für die zu Beginn eher geringe Beteiligung der weiblichen Jugendlichen könnte sein, dass die Mitgliedschaft in den ersten Jahren für die Mädchen weniger zwingend war als für die Jungen.[28]

2.5 Jugend als Reserve der Partei

Die HJ entwickelte sich weitgehend eigenständig. Die NSDAP hat ihr wohl ideell den Weg geebnet, aber gegründet wurde sie weder von der Führung der Nationalsozialisten noch von Hitler selbst.[29] Politisch hingegen war die HJ von Beginn an vollkommen von der NSDAP abhängig und galt als die Nachwuchsorganisation der Partei.[30] Tatkräftig unterstützte die Jugendorganisation das Parteiziel der NSDAP: „Die Menschen gleichsam mit Haut und Haar, mit Leib und Seele unter ihre Herrschaft zu bringen“,[31] in dem sie die heranwachsende Generation sehr früh und umfassend auf Parteikurs trimmte. Auch intern waren NSDAP und HJ eng miteinander verknüpft. Die Partei übernahm – besonders während dem Krieg, als es ihr an Kaderpersonen mangelte – oft HJ-ler mit Führungsqualitäten und beliess sie teilweise in denselben Positionen.[32] Die HJ war aber nicht nur Kaderreserve der Partei sondern auch die „letzte Blutsreserve“, um den nationalsozialistischen Staat im Ernstfall zu verteidigen.[33] So wurden die Jungen auch an der Waffe ausgebildet und später an die Front geschickt, wo viele für „Führer, Volk und Vaterland“ ihr Leben lassen mussten.

Sollte der Weltkrieg mit einer Niederlage für Deutschland enden, würde die Jugend – so war die Hoffung – mithelfen, durch so genannte „Werwolf-Attacken“ die Gegner zu infiltrieren, sabotieren und den Fortbestand des nationalsozialistischen Gedankenguts über den Krieg hinaus zu sichern.[34]

2.6 Weltanschauung und Erziehungsziele der HJ

Was Hitler [...] unter ‚Persönlichkeitsbildung’ versteht, ist eigentlich nichts als Ausbildung und Stählung des Körpers. An die Stelle des ethisch-moralischen Gehaltes der Persönlichkeit treten Befehl und Gehorsam“, fasste Schubert die Grundzüge nationalsozialistischer Erziehung zusammen.[35]

Der ideale Hitler-Junge und das ideale BDM-Mädchen stellten sich und ihr Leben dem Nationalsozialismus jederzeit zur Verfügung, waren körperlich und geistig fit, tüchtig im Beruf und gehorsam. Vor allem aber sollten sie sich bedingungslos an die Normen der Organisation halten.[36] Die Geschlechterrollen waren klassisch geteilt: Die Jungen wurden hauptsächlich nach dem „Soldaten-Typus“[37] erzogen, Mädchen und junge Frauen mussten sich durch hauswirtschaftliche Leistungen ausweisen, gute Mütter werden und vor allen Dingen ihr „Blut sauber halten“.[38] Auch für die Jungen galten die Reinhaltung und der Erhalt der „Rasse“ als die beiden wichtigsten Aufgaben. Ihre Einsatzfähigkeit für kriegerische Kampfhandlungen kommt dabei erst an dritter Stelle.[39]

„Ehre“ war bei der Charakterbildung der Jugendlichen eine der ganz grossen Tugenden. Als ehrenvoll galt, wer treu und selbstlos war, sich unter Kotrolle hatte und dem Vaterland diente.[40] Der Glaube an die Ehre und die Nation war ein wichtiger Bestandteil der psychologischen Erziehung der Nazis.[41]

Die Nation oder „das Volk“, wie es die Nationalsozialisten nannten, wurde durch eine starke Führung garantiert. Darum hatte sich die Bevölkerung dem Willen der Führung unterzuordnen und sämtliche Entscheidungen, auch fehlerhafte, mitzutragen, jedes Verhalten der Führung war legitim.[42]Es ist die Religion unserer Zeit, ein Volk zu sein",[43] pointierte Ernst Moriz Arndt das Nationalgefühl der Deutschen schon Jahre vor dem „Dritten Reich“, trifft aber mit diesem Satz ebenfalls den Nerv nationalsozialistischer Politik. Standardisierung und „Gleichschaltung“ waren wichtige Instrumente für die Herrschaft und Führung der Reichsbevölkerung.[44] Auch der Glaube, löst man ihn aus dem sakralen Zusammenhang, spielte eine bedeutende Rolle. Dazu möchte ich einen interessanten Gedanken von Schubert aufnehmen: Glaube, so Schubert, ist mehr als Wissen, denn Wissen kann verschieden ausgelegt und interpretiert werden. Der Glaube hingegen ist absolut und Irrtum ausgeschlossen. Abweichler und Andersdenkende sind „Ketzer“.[45] Ketzer hatten im „Deutschen Reich“ ein schweres Schicksal.

2.7 Die Schulung der HJ

Die Kompetenzstreitigkeiten zwischen den regulären Schulen und der HJ zogen sich durch die ganze Zeit des „Dritten Reiches“. Durch den hauptsächlich vom Krieg verursachten Lehrermangel gelang es der HJ, sich massgeblich an der Einstellung neuer Lehrer zu beteiligen, welche natürlich nach eigenen Massstäben ausgewählt und ausgebildet wurden. Parallel dazu entstanden ab 1937 so genannte „Hitler-Schulen“, in denen Jugendliche für spätere Führungspositionen im NS-Staat vorbereitet wurden. Die Lehrpläne dieser Schulen wurden direkt von der HJ und NSDAP ausgearbeitet. Ihnen oblag auch die Schulaufsicht, was bedeutete, dass die staatliche Bildungsbehörde keinerlei Einfluss auf die Hitler-Schulen hatte. Dennoch berechtigte der Abschluss an einer solchen Schule zu einem Studium an den staatlichen Hochschulen.[46]

Freizeit, im heutigen Sinne als „Zeit zur freien Verfügung“, gab es für die jungen Deutschen kaum. An unzähligen Anlässen beanspruchte die HJ diese freien Stunden für sich. Dies bedeutete nicht, dass HJ-Angebote nur widerwillig angenommen wurden, denn offeriert wurden zum Beispiel Lager und Fahrten, an denen nun auch Kinder aus finanziell schwächeren Familien teilnehmen konnten. Sportveranstaltungen aller Art, zum Beispiel auch Motorsport oder Fallschirmspringen, wurden angeboten. Auch Kulturelles, wie Chöre oder Theater, fanden regen Zuspruch.[47]

Unter den Freizeitbeschäftigungen besonders hervorheben möchte ich die „Heimatabende“, die neben den Zeltlagern die Basis der HJ-Erziehung darstellten. Die zu Beginn wöchentlich stattfindenden Heimatabende boten die Grundlage für die so genannte „Weltanschauliche Schulung“.[48] Nach Fritz Brennecke, dem Leiter des Amtes für Weltanschauliche Schulung, hatte diese zum Ziel “dem Jungen an Hand der Beispiele aus der deutschen Geschichte wie aus dem gegenwärtigen politischen Leben und mit Hilfe der wissenschaftlichen Erkenntnisse des Nationalsozialismus die Plattform für sein Leben zu geben von der aus er an alle Erscheinungen der Umwelt herantrete.“[49] Die „Weltanschauliche Schulung“ umfasste also alles, was ein guter Nationalsozialist über sich, seine „Rasse“ und Umwelt wissen und denken sollte. Obwohl dafür extra auf das Geschlecht und Alter angepasste Lehrpläne entwickelt wurden, waren die Heimatabende, wie Buddrus in seinem Werk wiederholt darauf hinweist, in erster Linie nicht für die Aneignung von eigentlichem Wissen (im Sinne von Fakten) konzipiert, sondern um eine „Willenshaltung“ zu erzeugen, also das Wissen um die nationalsozialistische Auslegung der Themen zu vermitteln.[50] Neben der allgemeinen nationalsozialistischen Gesinnung, galt die Vermittlung von rassen­politischen Kenntnissen als eigentliche Hauptaufgabe, wie Hitler selbst unmissverständlich festlegte: „Die gesamte Bildungs- und Erziehungsarbeit der weltanschaulichen Schulung des völkischen Staates muss ihre Krönung darin finden, dass sie den Rassensinn und das Rassengefühl instinkt- und verstandesmässig in Herz und Gehirn der ihr anvertrauten Jugend einbrennt.“[51] Buddrus geht auf Grund seiner Quelle vom Reichsjugend-Pressedienstes davon aus, dass die HJ-Führer die „ersten [! ] Träger der rassenpolitischen Schulung“ waren.[52]

2.8 Die Militarisierung in der HJ

Adolf Hitler war der Überzeugung: „Eine grosse Idee kann nur dann zum Ziele geführt werden, wenn eine fest gefügte und straffe, mit konsequenter Härte durchgeführte Organisation der Weltanschauung Gestalt gibt.“[53] In der Tat war die Struktur der HJ, ihre Befehlsbereiche, Dienstwege und Kompetenzen bis ins Letzte bürokratisch geregelt, hierarchisch und nach militärischem Vorbild aufgebaut. Körperliches und mentales Training, Schulung der Selbstdisziplin und Körperbeherrschung, Appelle, Reinlichkeit, Uniform und Marschieren gehörten zum normalen Umgang in der Jugendorganisation.[54] Doch ist die Anlehnung an eine militärische Schulung nicht als Rekrutierung im eigentlichen Sinne zu verstehen. Ernsthaft wurden die Jungen erst nach Einführung der Wehrpflicht (31.03.1935) vormilitärisch ausgebildet.[55] Spätestens ab 1935 – Jahre vor Kriegsbeginn – war die Vorbereitung der Jugend auf den bevorstehenden Kampfeinsatz nicht mehr zu übersehen. Es galt, mit den Worten von Helmut Stellrecht, dem damaligen Chef des Amtes für Körperliche Schulung, ausgedrückt: „[...] der Jugend [...] Härte zu geben, sie härter zu machen, als der Kampf sein wird [...].“[56] Es wurde zur zentralen Aufgabe der HJ, die Jugend ideologisch und militärisch so zu bilden, damit sie später problemlos in die Armee übertreten konnte.[57] Die HJ gab den jungen Männer ihre „Prägung“, aber es war die Armee, welche, laut Oberbefehlshaber Vietinghoff, die „Jugenderziehung“ abschloss.[58] Eines der eindrücklichsten Zitate zur Rolle der HJ entstammt ebenfalls von dem 1935 erschienenen Buch Stellrechts. Darin fordert er die Hitlerjugend auf: „[...] jedem jungen Menschen ins Herz hineinhämmern, wofür er zu kämpfen hat. Sie [die HJ] muss ihm schon zeigen, dass er ein Volk hat, dass er einen Staat, ein Vaterland, einen Führer hat für die gekämpft werden muss; sie muss ihm Glaube und Willen geben, da er für das Blut kämpft, für die Erhaltung der Rasse, für das, was der Nationalsozialismus als Idee erhoben hat.[59]

[...]


[1] Schulz, S.273, Z.8f.

[2] Hoser (www.historisches-lexikon-bayerns.de).

[3] Ziegler (www.historisches-lexikon-bayerns.de).

[4] WDR (www.wdr.de).

[5] Zum Beispiel wurden bis Ende März 1933 in Bayern bereits 5'000 Politiker verhaftet und die Sitze der KPD-Abgeordneten, die allesamt inhaftiert wurden oder abgetaucht sind, wurden gestrichen. (WDR (www.wdr.de)).

[6] Klönne, S.15 und Sauerwein (www.historisches-lexikon-bayerns.de).

[7] Klönne, S.16.

[8] Crawford; Hansen (www.bdmhistory.com).

[9] Klönne, S.16ff.

[10] Nach Schubert 70'000. (Schubert, S.72).

[11] Klönne, S.18.

[12] Miller-Kipp, S.18.

[13] Zum Beispiel mit dem Sportmonopol, das ab dem Sommer 1936 ausschliesslich HJ-Mitgliedern erlaubte, sich in einem Sport- oder Turnverein zu engagieren. (Klönne S.26f.).

[14] Hitler-Jugend 1933-1943, S.13. (Ort und Jahr nicht ersichtlich). Zit. nach: Buddrus, S.254, Z.34f.

[15] Schirach, Baldur von: Die Hitler- Jugend. Idee und Gestalt, Leipzig: 1934, S.69. Zit. nach: Klönne, S.20, Z.13f.

[16] Baldur von Schirach war von 1931 - 1940 Reichsjugendführer der NSDAP.

[17] Gesetz über die Hitlerjugend. Abgedruckt in Klönne, S.29.

[18] Schubert, S.188, Z.27f.

[19] Brennecke, Fritz: Die weltanschauliche Schulungsarbeit der Hitler-Jugend, in: Reichsjugend-Pressedienst, Nr. 121, 4.6.1936. Zit. nach: Buddrus, S.65, Z.24ff.

[20] Hellefeld, S.75.

[21] Klönne, S.65.

[22] Gesetz zur Jugenddienstpflicht. Abgedruckt in Könne, S.37f.

[23] Sauerwein (www.historisches-lexikon-bayerns.de).

[24] Klönne, S.62.

[25] Buddrus, S.254 und Füssl, S.45.

[26] Klönne, S.133.

[27] Folgende Zahlen sind eigene Angaben der HJ und könnten manipuliert sein. Über die Tendenz lässt sich aber dennoch etwas aussagen. Die Daten wurden übernommen von: Buddrus, S.288f. und Klönne, S.33.

[28] Crawford; Hansen (www.bdmhistory.com).

[29] Buddrus XXXI (Einleitung mit röm. Zahlen).

[30] Buddrus, S.299 und Klönne, S.46.

[31] Schubert, S.193. Z.15ff.

[32] Buddrus, S.300.

[33] Himmler nannte die HJ Ende 1944 „Die letzte Blutsreserve“. (BA NS 6/763, BI.74. Zit. nach Buddrus, S. XXXVIII, Kap. 5, Z.6).

[34] Werwolf siehe Anhang. Schubert, S.58ff.

[35] Schubert, S.49. Z.3ff.

[36] Buddrus, S.61.

[37] Schubert, S.165.

[38] Klönne, S.85f.

[39] Buddrus S.74. (Die Kameradschaft, Folge 6, 25.3.1936).

[40] Schubert, S.175.

[41] Ders., S.172.

[42] Ders., S.166.

[43] Quelle nicht ersichtlich. Wahrscheinlich: Arndt, Ernst Moriz, zitiert von Reichsführer Axman, in: Jaenicke, Alfred (Hrsg.): Das Archiv. Nachschlagewerk für Politik, Wirtschaft und Wissenschaft, Berlin 1944, S.199. Zit. nach: Buddrus, S.85. Z21f.

[44] Buddrus, S.60f.

[45] Schubert, S.176f.

[46] Buddrus, S.858.

[47] Klönne, S.133.

[48] Während des Krieges fielen sie wegen der schwindenden Teilnehmerzahl (die jungen Männer wurden eingezogen) häufig aus. (Buddrus, S.87).

[49] Brennecke, Fritz: Die weltanschauliche Schulungsarbeit der Hitler-Jugend, in: Reichsjugend-Pressedienst, Nr. 121, 4.6.1936. Zit. nach: Buddrus, S.65, Z.31ff.

[50] u.A. Buddrus, S.61ff.; S.71.

Vermittelt und abgefragt wurden in ständigen Wiederholungen vielmehr wenige standardisierte Axiome, aggregierte Symbole, sakrosankte Dogmen und Verhaltensmuster, die unhinterfragt bleiben, kritiklos und „gläubig“ rezitiert und verinnerlicht werden sollten.“ (Buddrus S.64. Z.24ff).

[51] Hitler, Aldof: Mein Kampf. Zwei Bände in einem Band, Ungekürzte Ausgabe München 1833. S.475 f. Zit. nach Buddrus, S.70, Z.6ff.

[52] Reichsjugend-Pressedienst vom 30.6.1939. Zit. nach Buddrus, S.70, Z.15ff.

[53] Hitler, Adolf. (Ort und Jahr nicht ersichtlich). Zit. nach: Klönne, S.42, Z.29ff.

[54] Klönne, S. 45 und Schmidt, Hannelore, S.23 und Schubert, S.165.

[55] Buddrus, S.176 und Schubert, S.165.

[56] Stellrecht, Helmut: Soldatentum und Jugendertüchtigung, Berlin 1935. S.18f. Zit. nach: Schubert, S.170, Z.5f.

[57] Buddrus, S.177.

[58] Vietinghoff war 1943 Oberbefehlshaber über die deutschen Truppen in Süditalien. Buddrus, S.184.

[59] Stellrecht, Helmut: Soldatentum und Jugendertüchtigung, Berlin 1935. S. 18f. Zit. Nach: Schubert, S.169. Z.29ff.

Ende der Leseprobe aus 34 Seiten

Details

Titel
Die Hitler-Jugend und die Freie Deutsche Jugend – zwei deutsche Staatsjugendorganisationen im Vergleich
Hochschule
Universität Luzern
Note
1.5 (Schweiz: 5.5)
Autor
Jahr
2008
Seiten
34
Katalognummer
V126060
ISBN (eBook)
9783640314638
ISBN (Buch)
9783640318117
Dateigröße
566 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Hitler-Jugend, Freie, Deutsche, Jugend, Staatsjugendorganisationen, Vergleich
Arbeit zitieren
Charlotte Peter (Autor:in), 2008, Die Hitler-Jugend und die Freie Deutsche Jugend – zwei deutsche Staatsjugendorganisationen im Vergleich, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/126060

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