EU-Osterweiterung: Organisations- und Entscheidungsstrukturen


Hausarbeit, 2001

21 Seiten, Note: 1.3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Abbildungs-, Tabellen- und Abkürzungsverzeichnis

1. Einleitung

2. Organisations- und Entscheidungsstrukturen
2.1. Ministerrat
2.1.1. Entscheidungsverfahren
2.1.2. Machtverhältnisse
2.2. Parlament
2.3. Kommission
2.4. EZB-Rat

3. Zusammenfassende Betrachtung und Ausblick

II. Anhang

III. Literaturverzeichnis

IV. Versicherung

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Entscheidungsverfahren im Ministerrat

Abbildung 2: Effizienz der Entscheidungsverfahren

Abbildung 3: Gestaltungsmehrheiten und Sperrminoritäten

Abbildung 4: Mitentscheidung des Parlaments

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Bevölkerungsrang und Parlamentssitze

Tabelle 2: Machtverteilung und Entscheidungswahrscheinlichkeit im Ministerrat

Tabelle 3: Machtverteilung und Entscheidungswahrscheinlichkeit im Parlament

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Einleitung

Nach der EU-Süderweiterung um Griechenland, Spanien und Portugal in den 80er Jahren, die Erweiterung um die EFTA-Staaten Finnland, Österreich und Schweden, die Umsetzung des Binnenmarktes und des Starts der Währungsunion in den 90er Jahren, steht zu Beginn des 21. Jahrhunderts die EU-Osterweiterung auf der Tagesordnung. Damit steht die EU vor schwierigen wirtschaftlichen und politischen Fragen, und zwar schon allein, weil die Zahl der angedachten Neumitglieder – zehn aus Osteuropa sowie Zypern und Malta – bisherige Erweiterungsrunden einerseits deutlich übertrifft und weil andererseits die Gesamtmitgliederzahl eine kritische Größe erreichen könnte. Wichtige Impulse für eine EU-Osterweiterung stellen der Anspruch der EU als internationale Organisation weiter zu wachsen, der Wille vieler osteuropäischer Transformationsländer zur EU-Mitgliedschaft sowie die Südosterweiterung um Balkan-Länder dar, welche aufgrund eines begrenzten Zeitraums der Ordnungswirkung einer Aussicht auf Mitgliedschaft Beschleunigungsdruck schafft.1 Diese substanzielle Erweiterung legt eine Reform der Institutionen nahe, weil Heterogenität und Interessenunterschiede zunehmen, welche zu einer Senkung der Arbeitsfähigkeit führen, da nach der Organisationstheorie die Arbeitsfähigkeit von Gremien progressiv abnimmt, wenn die optimale Gremiengröße überschritten wird.2 Deshalb müssen Institutionen und Entscheidungsmechanismen der EU angepasst werden, um ihre Handlungsfähigkeit in einer vergrößerten Union zu schützen, bevor neue Mitglieder dazustoßen, da einzelnen Staaten in wichtigen Politikbereichen wie Besteuerung, Vertragsänderungen und Entscheidungen über das System der qualifizierten Mehrheit ein Vetorecht zugestanden wird.3 Die Steigerung der Handlungsfähigkeit kann durch Effizienzverbesserungen durch Stärkung der Organe und Vereinfachung der Verfahren oder durch Effektivitätssteigerung durch Zuordnung von Handlungsermächtigungen zur Nutzung wirksamer Instrumente erreicht werden. Zentrales Element zur Verbesserung der Entscheidungseffizienz ist die Ausdehnung der Bereiche, in denen der Ministerrat mit qualifizierter Mehrheit abstimmen kann.4

Die vorliegende Arbeit stellt den aktuellen Stand nach dem Vertrag von Nizza, die aus der Osterweiterung resultierenden Entwicklungen und mögliche Alternativen der Organisations-und Entscheidungsstrukturen in Ministerrat, Parlament, Kommission und EZB-Rat der EU dar.

2. Organisations- und Entscheidungsstrukturen

2.1. Ministerrat

2.1.1. Entscheidungsverfahren

Der Ministerrat ist das wichtigste Entscheidungsorgan der EU, dem vier verschiedene Abstimmungsverfahren zur Verfügung stehen: die einfache Mehrheit, die qualifizierte Mehrheit, spezielle QMV und Einstimmigkeit. Entscheidungen mit einfacher Mehrheit kommen nur in Ausnahmefällen zur Anwendung.

Zur Sicherung der Handlungsfähigkeit einer stark erweiterten EU sollten Entscheidungen des Rats mit qualifizierter Mehrheit der Regelfall sein und das Einstimmigkeitserfordernis auf wenige Ausnahmen beschränkt werden. Aufgrund des Beharrens auf nationale Interessen besteht aber in einer qualitativ umfangreichen Liste von Bereichen das Erfordernis der Einstimmigkeit. Darunter fallen alle Maßnahmen zur Steuerharmonisierung sowie eine Reihe von Sozialvorschriften, weil hier Großbritannien zu keinerlei Zugeständnissen bereit ist und auf dem Gebiet der Sozialvorschriften von nordeuropäischen Sozialstaaten unterstützt wird. Im Bereich der gemeinsamen Handelspolitik besteht Frankreich in einzelnen Sachbereichen wie Handel mit kulturellen und audiovisuellen Dienstleistungen, Dienstleistungen im Bereich Bildung sowie in den Bereichen Soziales und Gesundheitswesen auf Einstimmigkeit. Deutschland macht die Anwendung qualifizierter Mehrheitsentscheidungen in Asyl und Einwanderung betreffenden Fragen ab 2004 davon abhängig, ob zuvor eine Einigung über Grundsätze der Lastenverteilung zwischen den Mitgliedsstaaten erreicht wird. Spanien fordert ein, dass über die Strukturfonds und den Kohäsionsfond erst ab 2007 unter der Bedingung, dass die finanziellen Regelungen bis 2013 angenommen sind, mit qualifizierter Mehrheit entschieden wird.5 Die letzten beiden Forderungen werden in der Form miteinander verbunden, dass arme Länder wie Spanien, Portugal, Italien und Griechenland ihre Zustimmung zur von Deutschland, Österreich und eingeschränkt Finnland geforderten eingeschränkten Freizügigkeit abhängig von der Fortsetzung der finanziellen Unterstützung durch Strukturfonds nach der Erweiterung machen.6

„Anders als Einstimmigkeitsregeln spiegelt die Möglichkeit des Mehrheitsbeschlusses die Einsicht der Mitgliedsstaaten wieder, aus Gründen der Handlungseffizienz und –fähigkeit ihre nationalstaatliche Souveränität in den betroffenen Politikfeldern dauerhaft aufzugeben und die angenommenen Rechtsakte auch als unterlegene Minderheit – und unter Umständen gegen den Willen der nationalen Parlamentsmehrheit – umzusetzen.“7 Die qualifizierte Mehrheit ist anzuwenden, wenn der Rat auf Initiative der Kommission Beschlüsse zu fassen hat und ist in Nizza auf eine Reihe von Anwendungsfällen erweitert worden. Hierzu zählen Personalentscheidungen, wie die Wahl des Kommissionspräsidenten, des Generalsekretärs des Rates, der Mitglieder des europäischen Rechnungshofes, der Kommission, des Wirtschafts- und Sozialausschusses und des Ausschusses der Regionen. Des weiteren gilt sie auch für einzelne Fragen der Handelspolitik und der GASP, sowie für verschiedene Bestimmungen über Verfahrensänderungen8. Damit wird die institutionelle Handlungsfähigkeit der EU in zentralen personalpolitischen Fragen wesentlich verbessert, weil das Beharren der Regierungen auf eigene Kandidaten nur noch begrenzt möglich ist.9 In den anderen Bereichen bestätigt die behutsame Ausweitung der Mehrheitsentscheidung den Charakter der EU als Staatengemeinschaft, wo einzelne Regierungen bei Beeinträchtigungen der von ihnen als essentiell angesehenen Interessen auf Einstimmigkeit beharren. Insgesamt ergibt sich für die quantitative Nutzung der Entscheidungsverfahren nach Nizza folgendes Bild.

Abbildung 1: Entscheidungsverfahren im Ministerrat

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle : Maurer, Der Vertrag von Nizza, 2001, S.14.

Es ist ein Rückgang der Einstimmigkeits- und eine Zunahme der Mehrheitsentscheidungen, in Form der qualifizierten und spezieller qualifizierter Mehrheiten, festzustellen.

Die Spieltheorie kann bezüglich wahlgewinnender Koalitionen herangezogen werden, um die verschiedenen Alternativen von Wahlsystemen zu vergleichen. Durch Division der möglichen Gewinnerkoalitionen für jedes Wahlsystem durch die Gesamtanzahl möglicher Koalitionen jedes Wahlsystems bei gegebener Unionsgröße wird die „passage probability“ ermittelt – die Wahrscheinlichkeit, dass hinter einem Schleier des Unwissens ein zufällig ausgewählter Vorschlag im Ministerrat angenommen wird. Dieser Maßstab wird Effizienz jedes Systems genannt, stellt keinen eigenen Wert dar, weil die Kommission keine Zufallsmaße vorschlägt und Koalitionen sich nicht zufällig bilden, sondern ist lediglich nützlich für Wahlsystemvergleiche.10 Abbildung 2 zeigt den Effizienzrückgang der vorgeschlagenen Wahlverfahren bei Erweiterung unter das derzeitige Effizienzniveau hinaus; dies gilt für die Beibehaltung des bisherigen Systems, den italienischen und den schwedischen Vorschlag, die eine generelle Neugewichtung der Stimmen vorsehen. Die restlichen Spalten bezeichnen Pläne, die eine doppelte Mehrheit, also eine jeweilige Mehrheit der Ratsstimmen und der Bevölkerung zur Antragsannahme, erfordern; sie unterscheiden sich in der Höhe der geforderten Mehrheiten. Die gewichtete doppelte Mehrheit besteht aus der bisherigen qualifizierten Mehrheit und einer 58%igen Bevölkerungsmehrheit, ähnlich der begrenzten Mehrheit, die aber eine Veränderung der qualifizierten Mehrheit zum Vorteil großer Länder vorsieht.

Abbildung 2: Effizienz der Entscheidungsverfahren

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Baldwin et al., EU Reforms for Tomorrow’s Europe, S.6.

Die anderen Vorschläge der doppelten Mehrheit beinhalten einfachere Zählungen ungewichteter Stimmen und Bevölkerungsanteile mit variierenden Schwellen von 50%, 60% und 71%. Die meisten der für den EU-Ministerrat vorgeschlagenen Wahlsysteme führten zu einer starken Reduktion der Entscheidungsfähigkeit; einige sogar zum Stillstand. Das auch von der Kommission vorgeschlagene System der doppelten Mehrheit mit je fünfzigprozentiger Mehrheit im Rat und der Bevölkerung ist das einzige System, das nicht zu einer Reduktion der Handlungsfähigkeit führt.11

Die ab 2005 geltenden Vertragsbestimmungen zur Stimmenwägung vermehren und erhöhen die Hürden für Mehrheitsentscheidungen, da in EU-27 73,9% statt nur 70,9% in EU-15 der Stimmen notwendig sind, zusätzlich eine einfache Mehrheit der Mitgliedsstaaten notwendig ist und außerdem ein Mitgliedsland auf Antrag eine Bevölkerungsmehrheit von 62% aller Unionsbürger überprüfen lassen kann. Diese drei Berechnungskriterien bewirken eine erhebliche Reduktion der Fähigkeit zu effektiver Politikgestaltung, da z.B. in EU-27 die Stimmen der 13 größten Mitgliedsstaaten mit 88% der Bevölkerung nicht zur Beschlussdurchsetzung im Rat ausreichten.12 Diese erhebliche Erschwerung von Mehrheitsentscheidungen kann als „Lähmung“ der Union interpretiert werden, da mit der Anzahl der Mitglieder die Interessendivergenzen und Verhandlungskosten steigen und aus diesem Grund das Quorum der qualifizierten Mehrheit hätte herabgesetzt und nicht erhöht werden müssen.13 Außerdem wird der Antrag auf Überprüfung der Bevölkerungsmehrheit zum konfliktträchtigen Politikum und sollte deshalb als Regel festgeschrieben werden.14

[...]


1 vgl. Welfens; Jungmittag, Die Integration Osteuropas in die EU, 2001, S.87.

2 vgl. Donges, Osterweiterung der europäischen Union, 1998, S.67.

3 vgl. o.V., Another fine voting mess, 2000.

4 vgl. Wessels, Die Vertragsreformen von Nizza, 2001, S.6.

5 vgl. Hrbek, Der Vertrag von Nizza, 2001, S.24.

6 vgl. Hoenig, Nationale Interessen belasten die Erweiterung der EU, 2001.

7 Maurer, Optionen zur Wahrung der Handlungsfähigkeit, 2000, S.19.

8 vgl. o.V., kleine Schritte bei Mehrheitsentscheidungen, 2000.

9 vgl. Wessels, Die Vertragsreformen von Nizza, 2001, S.9.

10 vgl. o.V., Another fine voting mess, 2000.

11 vgl. Crooks, EU voting changes signal deadlock, 2000.

12 vgl. Maurer, Der Vertrag von Nizza, 2001, S.4.

13 vgl. Neumann, Die EU wird zum unbeweglichen Koloss, 2000.

14 vgl. Donges, Handelsblatt-Nachgefragt, 2000.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
EU-Osterweiterung: Organisations- und Entscheidungsstrukturen
Hochschule
Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen  (Allgemeine Volkswirtschaftslehre und Finanzwissenschaft)
Veranstaltung
Seminar zur allgemeinen VWL: Ausgewählte Probleme der Europäischen Union
Note
1.3
Autor
Jahr
2001
Seiten
21
Katalognummer
V126062
ISBN (eBook)
9783640314645
ISBN (Buch)
9783640318124
Dateigröße
716 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
EU-Osterweiterung, Organisations-, Entscheidungsstrukturen
Arbeit zitieren
Dr. Christian Lorenz (Autor:in), 2001, EU-Osterweiterung: Organisations- und Entscheidungsstrukturen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/126062

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