Die Wirkung Auguste Rodins auf Rainer Maria Rilke – am Beispiel der Werke „Archaischer Torso Apollos“ und „Pietà“


Hausarbeit, 2007

17 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Rilkes Begegnung mit dem Künstler Rodin

3 Die Auswirkungen Rodins und seiner Kunst auf Rilke und dessen Dichtung
3.1 Die Neuen Gedichte und Der neuen Gedichte anderer Teil

4 Der „Archaische Torso Apollos“

5 “Pietà” & “Christus und Magdalena”

6 Schluss

7 Anhang
7.1 “Archaischer Torso Apollos”
7.2 “Pieta”
7.3 “Christus und Magdalena”

8 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Den Hauptgegenstand dieser Hausarbeit soll die Wirkung des französischen Bildhauers Auguste Rodin auf den deutschen Dichter Rainer Maria Rilke darstellen.

„Die Beziehung ist auf jeden Fall einzigartig und eher der Mentalität der Klassiker verwandt, etwa dem Goetheschen ‘Gegen große Vorzüge eines anderen gibt es kein Rettungsmittel als die Liebe‘, als der von Zeitgenossen wie Thomas Mann oder Gottfried Benn.“[1]

In welcher Beziehung stand Rodin zu Rilke und wie äußerte sich diese in seinem dichterischem Werk zu Beginn des 20. Jahrhunderts? Inwieweit gewann die Kunst Rodins Einfluss auf den empfindsamen Dichter, welchem eine „Rodin-Besessenheit“[2] zugeschrieben wurde? Diese Wirkung zeigt sich vor allem in den Neuen Gedichten und Der neuen Gedichte anderer Teil, welche an jeweils einem Beispiel aus diesen Gedichtbänden hier aufgezeigt werden soll.

Als Nachweis sollen dabei insbesondere die Werke „Archaischer Torso Apollos“, aus Der neuen Gedichte anderer Teil und „Pietà“, aus den Neuen Gedichten, bei welchem Rodins Skulptur „Christus und Magdalena“ als Vorbild diente, untersucht werden.

„In Rilkes dichterischem Werdegang bedeutete die Aufnahme, Deutung und Umdeutung von Rodins neuer Plastik einen ersten Höhepunkt. Das Bildwerk aus Stein – der psychisch und physisch nackte Körper – sprach mit der Stimme von Mund und Gesicht. Rodin übersetzte Geschichten von Menschen in festes Material: antike Sagen, Dantes Inferno, Szenen aus Baudelaires Fleurs du Mal -, und Rilke zog seine Lehren daraus.“[3]

2 Rilkes Begegnung mit dem Künstler Rodin

Im Frühjahr 1902 erhält Rainer Maria Rilke den Auftrag eine Monographie über Auguste Rodin zu verfassen, dieser lädt ihn nach einer schriftlichen Anfrage Rilkes freundlich zu ihm nach Meudon bei Paris ein. „Das ist der Auftakt zu einer Freundschaft, an deren Wechselfällen sich eine ganze Phase in Rilkes Leben verfolgen läßt. Rilke hat von Rodin sehr viel, Rodin von Rilke fast nichts zu lernen. Der eine, siebenundzwanzig Jahre alt, ist ein noch wenig gelesener und in Paris völlig unbekannter Dichter, der andere, zweiundsechzig, ein seit langem berühmter Bildhauer […] Auch Rilke bewundert ihn von Anfang an und wird in seiner Verehrung des Künstlers selbst dann nicht schwankend, als der Mensch Rodin in seinen Augen an Statur einbüßt.“[4]

Es stößt auf Verwunderung, dass Rilke, an dieser entscheidenden Wendephase seines Lebens, einen berühmten französischen Bildhauer als Mentor wählt und nicht etwa einen bekannten deutschen Dichter.

Rilke lernt nicht nur Rodins Familie kennen, er erhält außerdem einen Einblick in dessen künstlerisches Schaffen. „Die große Halle mit den ‘weißen, blendenden Figuren‘ ist ‘ein ungeheuer großer und seltsamer Eindruck‘. Übergroß dünkt ihn hier alles: ‘Man sieht, noch ehe man eingetreten ist, daß alle diese hundert Leben ein Leben sind‘.“[5]

Rilke trifft Rodin beinah täglich und nimmt eine verehrende geradezu demütige Haltung ihm gegenüber ein. Sie betreiben jahrelang einen regen Briefwechsel, wobei Rilkes Briefe immer sehr gefühlsbeladen und ehrerbietig klingen und das trotz seiner anfänglich starken Sprachprobleme, wogegen Rodins Briefe eher knapp und hart erscheinen. In einem Brief fragt Rilke Rodin wie man leben müsse und seine Antwort lautete immer: Mit harter Arbeit.

In Rodin sieht er den einzigen Menschen der sich in vollem Gleichgewicht und mit ganzer Kraft in seinem Werk auferbaue.

Somit wird durchaus ersichtlich, dass Rodin eine starke Veränderung in Rilke hervorrief, beispielsweise der unentwegte Wille zur Arbeit. Rodin forderte von ihm ständige Arbeit und nicht mehr das sehnsüchtige Warten auf Inspiration. Auch bei der von Rilke eingeführten Dingdichtung, spielte Rodins Einfluss eine tragende Rolle.

Rainer Maria Rilke hält einige Rodin-Vorträge und ist geraume Zeit als dessen Privatsekretär tätig, bis dieser ihn 1906 aufgrund eines Missverständnisses schroff entlässt. „Gleichwohl ist der Bruch vollständig, auch wenn Rodin die Verbindung im nächsten Jahr wieder anknüpft.“[6]

3 Die Auswirkungen Rodins und seiner Kunst auf Rilke und dessen Dichtung

Die Begegnung mit Rodin vermittelte Rilke Sinn für Körperlichkeit und Gegenständlichkeit, für Ausdruck und Formung, sowie für Dasein und Arbeit.

„Rilkes Reise zu Rodin nach Paris war eine Reise über mehrere Grenzen hinweg: Zum einen wurden damit die Grenze zwischen zwei Kunstbereichen überschritten und die Grundregeln und –erkenntnisse der einen für die andere Disziplin als verbindlich erklärt.“[7]

„In den Strömen und Gegenströmen von Rodins Kunst fand er Konflikte gespiegelt, die seine eigene Psyche und Arbeit in ähnlicher Weise verfolgten. […]. Unter dem Einfluß von Paris und Meudon hat Rilkes Leistung trotz seelischer Belastung ein bedeutend höheres Niveau erreicht.“[8]

Rilke meinte Rodin habe ihn sehen, folglich auf eine andere objektivere Art wahrnehmen gelehrt. Somit trat nun ein Verlust der Subjektivität in Rilkes Werk ein. Doch dabei verlor sich auch das Gefühl einer romantischen Einbezogenheit, welche die bisherige Quelle seiner lyrischen Inspiration darstellte.

Rilke absolvierte bei seinem Meister eine strenge Schule des Sehens. Dies geschah vor allem anhand der griechischen Antike und den Kathedralen des Mittelalters, doch besonders an den Skulpturen Rodins. „Das ‚Schauen‘, das genaue, nach außen gewendete, der Wirklichkeit der ‚Dinge‘ zugekehrte Wahrnehmen wurde ihm so zu einem wesentlichen Bestandteil des dichterischen Aktes. Vor allem aber orientierte sich Rilke an Rodins Ästhetik des plastischen Kunstwerks mit ihrem Prinzip der Selbstständigkeit und Abgeschlossenheit nach außen. Eben hier gewann er seinen Begriff des ‚Kunst-Dings‘ als Steigerung und Überbietung der Dinge in der Natur.“[9]

„Rilkes Deutung drängt die allegorischen Aspekte von Rodins Werk in den Hintergrund. Statt bestimmten mythologischen Figuren als Bedeutungsträgern erkennt er in Skulpturen Gebärden, in denen sich das Leben als solches ausspricht. Eine Plastik, die ‘sich auf sich selbst besinnt‘, darf nicht literarisierend Bedeutungen in ihre Körper einschreiben, sondern muß sich an deren Oberflächen halten. Dort kann sie das Leben zeigen, statt nur von ihm zu sprechen.“[10]

Rilke wurde weltbekannt durch seine Dingdichtung, welche sich angeblich dank des großen Einflusses Rodins und dessen Kunst entwickelte, beispielsweise ist diese Form der Dichtung in den Neuen Gedichten vorzufinden. „Der Umgang mit Rodins suggestiver Persönlichkeit hat gewiß viel zur Klärung von Rilkes Hinneigung zu den Dingen beigetragen. Jedoch das, was Rilke im Verlaufe der eigenen Entwicklung daraus gemacht hat, gehört ganz persönlich ihm selbst zu. Das Ding wird sich als wichtiger Grundstein im Gesamtwerk Rilkes zu erkennen geben.“[11]

Folglich ist der „Umschlag der Abstraktion vom Gegenstand in höchste Gegenstandsnähe […] ein Leitmotiv der Rodin-Deutung Rilkes,“[12] beziehungsweise ist der „Zusammenhang von Leben und ästhetischen Gesetzen der Plastik […] die Grundlage“[13] seiner Rodin-Darstellung.

Rilke entdeckte Rodins Schöpfungen auf eine sehr intensive Weise und schuf somit eine Art Dichtung der Plastik, welche auch Rodin guthieß. Er nahm bei ihm mit großer Aufmerksamkeit „ein gewisses Autonom – Werden der Materialien [anhand] der Bewegungen und Gebärden“[14] wahr.

Letztendlich bewirkte der Kontakt zu Rodin, dass Rilke „eine entschiedene Distanz zu sich selbst gewann und sein Schaffen in völlig neuem Licht sah. Diese Distanz befähigte ihn, seine Leistungen kritisch und wertend zu beurteilen, sie in ein anderes Bezugssystem zu stellen […].“[15] Folglich waren besonders die Begriffe Nähe und Distanz kennzeichnend für das Verhältnis der beiden.

Am Beispiel Rodins sah Rilke ein, dass man nicht bloß beim Träumen und Vornehmen bleiben sollte, sondern mit gewaltsamer Arbeit alles in Dinge umsetzten kann.

3.1 Die Neuen Gedichte und Der neuen Gedichte anderer Teil

Rilkes Neue Gedichte (1907/08) sind wohl einer der bekanntesten Sammlung von Dinggedichten in der Geschichte der deutschen Lyrik. Die Dinggedichte scheinen die bildliche Darstellung eines dinghaften bzw. materiellen Gegenstands mithilfe der Sprache anzustreben. Jedoch ist auf eine Deutung dieser erst der Umstand nahe zu legen, dass Rilkes Gedichte aus einer Auseinandersetzung mit der Ästhetik der bildenden Künste entstanden sind. Rilkes Begegnung mit Rodin und dessen Werk war der tragende Ausgangspunkt für die poetologische Neuorientierung.

Am 30.12.1907 verfasst Rilke einen Brief an Rodin und berichtet ihm darin von den Neuen Gedichten und seinen positiven Einfluss auf ihn, trotz des zuvor stattgefundenen Zerwürfnisses der beiden, welches Rilke sehr bedauerte: "... meine neue Gedichtsammlung, wo es einige Stücke gibt, die demütig nach der Natur gearbeitet sind. Ich hoffe, man wird daran erkennen, wie sehr Ihr Werk und Ihr Beispiel mich zu unwiderruflichen Fortschritten gezwungen haben, denn wenn man mich eines Tages unter denen nennt, die würdig der Natur gefolgt sind, so weil ich von ganzem Herzen Ihr gehorsamer und überzeugter Schüler war."[16]

„In Anlehnung an den Ausdruck Rilkes kann man den Übergang zu den Neuen Gedichten als Prozeß der ‘Versachlichung‘ bezeichnen.“[17] In den Neuen Gedichten findet sich eine deutliche Konzentration auf das einzelne sichtbare Ding.

Der Hauptteil dieser entstand von 1905 bis 1907 in Meudon und Paris, jener Der neuen Gedichte anderer Teil zwischen 1907 und 1908 ebenfalls in Paris. Der erste Band besteht aus 73 Gedichten und der zweite Band, der sogenannte andere Teil, aus 99, dabei kann jedes einzelne Werk für sich stehen. Trotz dessen findet sich eine innere Geschlossenheit, welche anhand der Form beispielsweise der vielen Sonette deutlich wird.

„Stand der Dichter des Stunden-Buchs noch im Zentrum seiner Welt: […] so beschränkt sich seine Funktion in den Neuen Gedichten, […], auf die eines registrierenden Instruments. […]. Statt eines Bildes oder einer Folge von Bildern gebraucht er gern ein Symbol. An die Stelle des Gefühls, das Anlaß und oft genug Gegenstand seines Dichtens gewesen war, tritt die aus genauer Beobachtung kondensierte Kenntnis eines Themas, Objekts oder ‘Dinges‘. In den Neuen Gedichten kann das eine Blume sein (Blaue Hortensie) oder ein Tier (Der Panther), ein Kunstwerk (Archaischer Torso Apollos) oder architektonisches Gebilde (Römische Fontäne), eine Landschaft (In einem fremden Park) oder ein menschliches Modell (Der Gefangene), eine biblischer Vorgang (Tröstung des Elia) oder ein mythologischer (Geburt der Venus) und noch einiges mehr.“[18]

[...]


[1] Wolfgang Leppmann: Rilke. Sein Leben, seine Welt, sein Werk. 2.Auflage. Bern und München: Scherz 1993.

S.255.

[2] Ralph Freedman: Rainer Maria Rilke. Der junge Dichter 1875 bis 1906. Frankfurt am Main und Leipzig: Insel

2001. S.268.

[3] Ebd. S.258f.

[4] Leppmann: Rilke. Sein Leben, seine Welt, sein Werk. S.203.

[5] Else Buddeberg: Rainer Maria Rilke. Eine innere Biographie. Stuttgart: Metzler 1955. S.62.

[6] Leppmann: Rilke. Sein Leben, seine Welt, sein Werk. S.256f.

[7] Rainer Maria Rilke/ Auguste Rodin. Der Briefwechsel und andere Dokumente zu Rilkes Begegnung mit

Rodin. Hrsg. von Rätus Luck. Frankfurt am Main und Leipzig: Insel 2001. S.17f.

[8] Freedman: Rainer Maria Rilke. Der junge Dichter 1875 bis 1906. S.255.

[9] Manfred Engel, Ulrich Fülleborn: Rainer Maria Rilke. GEDICHTE 1895 bis 1910. Band 1. Frankfurt am Main

und Leipzig: Insel 1996. S.906 f.

[10] Michael Kahl: Lebensphilosophie und Ästhetik. Zu Rilkes Werk 1902-1910. Freiburg im Breisgau: Rombach

1999. S.114f.

[11] Buddeberg: Rainer Maria Rilke. Eine innere Biographie. S.66.

[12] Kahl: Lebensphilosophie und Ästhetik. Zu Rilkes Werk 1902-1910. S.31.

[13] Ebd. S.33.

[14] Winfried Eckel: Wendung. Zum Prozeß der poetischen Reflexion im Werk Rilkes. Würzburg: Königshausen

und Neumann 1994. (Epistemata: Reihe Literaturwissenschaft; Bd. 127) S. 108.

[15] Brigitte L. Bradley: R.M..Rilkes Neue Gedichte. Ihr zyklisches Gefüge. Bern und München: Francke 1967.

S.7.

[16] Rainer Maria Rilke / Auguste Rodin. Der Briefwechsel und andere Dokumente zu Rilkes Begegnung mit

Rodin. Hrsg. von Rätus Luck. http://www.philosophia-online.de/mafo/heft2002-02/Rilke_Rodin.htm

(21.08.2007).

[17] Eckel: Wendung. Zum Prozeß der poetischen Reflexion im Werk Rilkes. S.101.

[18] Leppmann: Rilke. Sein Leben, seine Welt, sein Werk. S.260 f.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Die Wirkung Auguste Rodins auf Rainer Maria Rilke – am Beispiel der Werke „Archaischer Torso Apollos“ und „Pietà“
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena  (Institut für Literaturwissenschaft)
Veranstaltung
Seminar: Rilke als Dichter der Klassischen Moderne
Note
2,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
17
Katalognummer
V126099
ISBN (eBook)
9783640314898
ISBN (Buch)
9783640318360
Dateigröße
535 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Archaischer Torso Apollos, Pieta, Rodin, Rilke
Arbeit zitieren
Rebecca Tille (Autor:in), 2007, Die Wirkung Auguste Rodins auf Rainer Maria Rilke – am Beispiel der Werke „Archaischer Torso Apollos“ und „Pietà“, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/126099

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