Spiegelneurone


Hausarbeit, 2009

18 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

1. Einleitung

2. Die Historie der Spiegelneurone

3. Die Funktion der Spiegelneurone
3.1 Spiegelneurone beim Menschen
3.2 Anwendungsbereiche

4. Fazit

LITERATURVERZEICHNIS

1. Einleitung

Wie kommt es zustande, dass man sich in andere Menschen hineinversetzen kann und dazu in der Lage ist, z.B. deren jeweilige Stimmungslage zu deuten oder diese sogar emphatisch mitzufühlen? Zwar waren die Rahmenbedingungen dieses Phänomens bereits psychologisch erarbeitet worden, jedoch konnten die neurophysiologischen Zusammenhänge bislang nicht begründet werden. Erst die – häufig als Zufall beschriebene – Entdeckung der Spiegelneurone durch Giacomo Rizzolatti in den 1990er Jahren brachte auch eine biologische Erklärung für die Grundlagen des Mitgefühls. Hieraus ergibt sich die Fragestellung, ob durch spiegelnde Nervenzellen tatsächlich das Geheimnis der Empathie gelüftet wurde, oder ob es noch andere Faktoren für das zwischenmenschliche Einfühlen gibt.

Um diese Frage zu klären, wird unter Punkt 2 zunächst ein Überblick über die Historie der Entdeckung der Spiegelneurone durch Rizzolatti, mitsamt einem Beispiel ihrer psychologischen Grundlagen nach Sigmund Freud, sowie Theorien über deren Bedeutung gegeben. Hierbei wird durch eine Zusammenfassung der beobachteten Funktionsweisen auch schon eine erste Definition der Spiegelnervenzellen beschrieben.

Unter Punkt 3 wird die Funktion der Spiegelneurone bei Affen anhand von Beispielexperimenten ausführlicher dargestellt und dabei u.a. die Grundvoraussetzungen für ihre Reaktionen oder ihr weites Wahrnehmungsfeld erläutert. Dies leitet zu Punkt 3.1 über, in dem der Unterschied der Funktionsweisen bei Affen und dem Menschen deutlich wird: die Fähigkeit zu Empathie und Mitgefühl. Neben der Darstellung der menschlichen spiegelneuronalen Arbeit, sowie dessen Auswirkungen, wird zudem auf pathogene Faktoren, die hieraus entstehen können, eingegangen und durch Vorstellung von Experimenten untermauert. In Punkt 3.2 werden drei Beispiele für die Anwendungsbereiche gegeben, in denen die Bedeutung der Spiegelnervenzellen für das jeweilige Feld deutlich gemacht wird. So werden hier u.a. auch gesundheitsfördernde Ressourcen durch spiegelnde Neuronen, wie es z.B. bei Schlaganfallpatienten der Fall ist, beschrieben.

Unter Punkt 4 wird ein abschließendes Fazit gezogen und die bisherigen Ausführungen diskutiert.

2. Die Historie der Spiegelneurone

Schon seit geraumer Zeit wird erforscht, wie sich die Empathie, Wahrnehmung und Kommunikation beim Menschen entwickelt. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts kam der österreichische Psychoanalytiker Sigmund Freud zu der Erkenntnis, dass Patienten Informationen aussenden, die sich aus deren Ängsten, Erwartungen, Wünschen und Bedürfnissen ableiten. Diese werden jedoch nicht mittels der Sprache kommuniziert, sondern äußern sich unbewusst durch bestimmte Zeichen, wie z.B. Stimme, Blicke, Körpersprache, Betonungen, Gesten, etc. „Freud erkannte, dass die in diesen Zeichen enthaltenen Botschaften des Patienten die Tendenz haben, den Kontakt zwischen Patient und Therapeut in einer für den einzelnen Patienten spezifischen Weise zu gestalten, wobei der Therapeut vom Patienten, ohne dass es Letzterem bewusst ist, eine bestimmte Rolle übertragen bekommt. Freud bezeichnete die Gesamtheit der vom Patienten in Richtung Therapeut ausgesandten Signale, die an den Therapeuten adressierten Gefühle einschließlich der sich daraus ergebenden diskreten Inszenierungen, als „Übertragung“.“ Diese Übertragung muss nun jedoch zunächst auch empfangen werden, um in den Therapieprozess einzufließen. Nach Freud bedarf es hierfür nicht nur eines intellektuellen Verständnisses seitens des Therapeuten, um die Semantik des zur Sprache gebrachten zu analysieren, sondern vor allem die Fähigkeit zur Empathie, um die Zeichen des Patienten erkennen zu können. Diese Empathie hat zum Zweck, sich in den Patienten einzufühlen, um die unbewussten Zeichen zu empfangen und zu deuten. Durch das Mitgefühl wird das Unbewusste der Zeichen also wieder bewusst gemacht.

Freud entwickelte hierfür die Allegorie des Therapeuten als „Receiver“, nach der der Therapeut „(…) dem gebenden Unbewussten des Kranken sein eigenes Unbewusstes als empfangendes Organ zuwenden [soll], sich auf den Analysierten einstellen wie der Receiver des Telefons zum Teller eingestellt ist. Wie der Receiver die von Schallwellen angeregten elektrischen Schwankungen der Leitung wieder in Schallwellen verwandelt, so ist das Unbewusste des Arztes befähigt, aus den ihm mitgeteilten Abkömmlingen des Unbewussten dieses Unbewusste, welches die Einfälle des Kranken determiniert hat, wiederherzustellen.“ Der Analysierende muss also im Sinne eines Receivers dazu in der Lage sein, in sich eine Resonanz zuzulassen, um die vom Patienten ausgehenden Informationen wahrzunehmen. Damit nahm Freud zukünftige Erkenntnisse neurobiologischer Verfahren vorweg, nach denen Netzwerke von Nervenzellen im Gehirn nicht nur dann aktiv werden, wenn die eigene Person fühlt oder handelt bzw. Handlungen plant, sondern auch dann, wenn diese Vorgänge bei anderen Personen miterlebt werden. „Nervenzellen, die nicht nur am eigenen Erleben und Handeln beteiligt sind, sondern die zugleich im Sinne einer Resonanz aktiv werden und dem Beobachter so anzeigen können, was im anderen vor sich geht, werden als „Spiegelneurone“ bezeichnet.[1]

Im Jahre 1996 führte eine kleine Gruppe Neurophysiologen unter der Leitung von Giacomo Rizzolatti an der norditalienischen Universität Parma Experimente an Makakenaffen durch, um die Koordination der Planung und Ausführung zielgerichteter Handlungen im Gehirn zu untersuchen. Es war bereits bekannt, dass für die Planung einer Aktion handlungssteuernde Nervenzellen im prämotorischen Cortex des Gehirns verantwortlich sind, während die Bewegungsneuronen im benachbarten motorischen Cortex die Kontrolle über die Muskelsteuerung haben. Versuche zu Handlungsabläufen hatten zwar gezeigt, dass die Handlungsneurone ihre Signale immer ca. 100 bis 200 Millisekunden vor den Bewegungsneuronen abfeuerten, dies allerdings oftmals auch taten, ohne dass die Bewegungsneurone aktiv wurden. Um dieses Phänomen zu untersuchen, schlossen Rizzolattis Mitarbeiter feine Messfühler an die Handlungsneurone mehrerer Makaken an, wodurch genau festgestellt werden konnte, welche spezifischen Nervenzellen bei der Ausführung verschiedener Handlungen ihre Signale abfeuerten. „Zum Star in diesem Ensemble von verkabelten Zellen wurde eine handlungssteuernde Nervenzelle (…), die immer dann – und nur dann – feuerte, wenn der Affe mit seiner Hand nach einer Erdnuss griff, die auf einem Tablett lag. Genau dafür, und für nichts sonst, hatte diese Zelle den Plan. Weder beim alleinigen Anblick der Nuss noch bei einer sonstigen Greifbewegung der Hand, also ohne Nuss, ging von dieser Zelle irgendeine Aktivität aus.

Daraufhin geschah jedoch etwas Unerwartetes: Auch als ein Mitarbeiter nach der Nuss griff, schlug das Messgerät aus. Die Zelle feuerte also auch dann ihre Signale ab, wenn der Affe nur beobachtete, wie nach der Nuss gegriffen wurde, was bei den Forschern zu der Erkenntnis führte, dass eine neurobiologische Resonanz existieren muss. Allein durch die Beobachtung einer fremdvollzogenen Handlung wird beim Beobachter dasselbe neurobiologische Programm abgerufen, das ihn die betrachtete Handlung selbst ausführen lassen könnte. Zudem konnten die Forscher bei den Makaken nachweisen, dass bereits ein handlungstypisches Geräusch ausreicht, um eine Resonanz bei den jeweiligen Handlungsneuronen zu erreichen, während es beim Menschen sogar schon genügt, nur von einer Handlung zu sprechen, um die entsprechenden handlungssteuernden Nervenzellen zu aktivieren. Aufgrund dieser spiegelnden Aktivitäten bezeichnete Giacomo Rizzolatti solche Nervenzellen als „Spiegelneurone“.[2]

Dieses Phänomen veranlasste viele Wissenschaftler sogar dazu, Theorien zur Bedeutsamkeit der Spiegelneurone für die menschliche Entstehungsgeschichte aufzustellen. So verglich z.B. der indische Neurophysiologe Vilayanur Ramachandran in einem Aufsatz die Rolle, die die Entdeckung der Spiegelneure für die Psychologie spielt, sogar mit der der Entschlüsselung der DNA für die Biologie. Demnach „(…) verdanken wir vielleicht auch die sprunghafte Entwicklung der menschlichen Kultur vor rund 40 000 Jahren den Spiegelzellen. Sobald jemand etwas erfand, ahmten andere ihn nach und die Erfindung verbreitete sich wie ein Lauffeuer.“ Laut Giacomo Rizzolatti können die Spiegelneurone sogar für die Entwicklung der Sprache verantwortlich gewesen sein, indem die Mundbewegungen eines anderen Homo Sapiens imitiert und somit signalisiert wurde, dass der Sinn verstanden wurde. Durch die Ergänzung von Lauten entwickelte sich aus diesen Mundbewegung schließlich die Sprache. Endgültig beweisen lassen sich solche Theorien jedoch wahrscheinlich nicht.[3]

3. Die Funktion der Spiegelneurone

Die von Giacomo Rizzolatti und seinem Team entdeckte Aktivität der Spiegelneurone bei Makakenaffen warf die Frage nach deren funktioneller Bedeutung auf. „Bei flüchtiger Prüfung könnte man vermuten, ihre Aktivierung bei Beobachtung von Handlungen, die ein anderer (in unserem Fall der Experimentator) ausführt, beruhe auf unspezifischen Faktoren, wie der Aufmerksamkeit oder dem Warten auf Futter, oder in ihr äußere sich eine Handlungsbereitschaft, die es dem Tier erlaubt, auf Gesten, die es sieht, möglichst rasch zu antworten und sich auf diese Weise gegen eventuelle Konkurrenten durchzusetzen.“ Beide Thesen wurden jedoch widerlegt, als ein weiterer Versuch zeigte, dass die Reaktion der Spiegelneurone in keinem Zusammenhang zu der Verhaltensweise des Tieres in Bezug auf eine Futtererwartung oder sonstige Belohnung seitens des Forschers steht. So zeigte das Messgerät sowohl in den Testsituationen, in denen ein Affe beobachtete, wie ein anderer Affe oder der Experimentator nach der Nuss greift, als auch zu dem Zeitpunkt, als das Tier selbst nach der Nuss greifen konnte, eine nahezu kongruente Entladungssequenz der Spiegelnervenzellen an. Also obwohl der Affe in keiner dieser Versuchsausführungen die Nuss erreichen konnte oder hinterher eine Belohnung bekam, stimmten die Messergebnisse weitestgehend überein. Hierdurch konnte auch die Hypothese der Aktivierung von Spiegelneuronen zur Handlungsvorbereitung entkräftet werden, da die Zellen auch feuerten, als das Tier die Nuss gar nicht erreichen konnte und somit überhaupt keinen Beweggrund zur Planung einer Handlung gehabt hätte. „Außerdem dürfen wir nicht vergessen, daß die Spiegelneurone sich in keinem Fall aktivierten, wenn das Futter dem Affen in Reichweite dargeboten wurde. Hinge ihre Reaktion tatsächlich mit der Vorbereitung der Handlung zusammen, hätten sie in jener Phase Aktivität zeigen müssen, die der tatsächlichen Ausführung der Bewegung durch den Affen vorausging.[4]

Interessant ist zudem, dass bei den vom Affen beobachteten Handlungen ein biologischer Effektor, wie z.B. eine Hand oder der Mund etc. für die Aktion am Gegenstand eingesetzt werden musste, um die Spiegelneuronen anzuregen. Hierbei sind unterschiedliche visuelle Stimuli zwar irrelevant – sowohl menschliche, als auch tierische Hände hatten bei der Ausführung der gleichen Handlung dieselbe Wirkung beim Messgerät erzeugt – jedoch hatte sich gezeigt, dass bei der Ausführung der Aktion mithilfe eines Werkzeuges, die Zellen nicht aktiv wurden. Es wurde nun langsam offensichtlich, dass sich die Funktion der Spiegelneurone auf die Ausführung der Handlung eines anderen Lebewesens bezieht, was zudem dadurch deutlich wurde, dass auch die Art des Zielobjektes keinen Einfluss auf die Aktivitäten der Spiegelnervenzellen hatte. „Ob Futter oder geometrische Körper ergriffen werden spielt für die Spiegelneurone offensichtlich keine Rolle. (…) Des Weiteren bleibt die neuronale Antwort unverändert trotz sich ändernder Objekt- oder Hand-Grösse bei Nähe versus grösserer Entfernung und ist unabhängig von der Belohnung. Selbst bei hohem Verstärkungswert des Objektes bleibt die Antwortintensität gleich, ohne Unterschied, ob das Futter für den Affen selbst oder für einen anderen Affen bestimmt ist.[5]

Dass die Spiegelneuronen aber nicht nur die Handlung erfassen, sondern zudem auch noch die Intention der ausgeführten Aktion ermitteln kann, indem die Ausführung als bestimmte Art von Handlung identifiziert wird, zeigten weitergehende Experimente. So existieren z.B. Spiegelneurone, die dazu in der Lage sind, allein schon die beobachtete Blickrichtung eines anderen mit der geplanten auszuführenden Handlung in Verbindung zu bringen. Diese Nervenzellen feuern also nur, sobald der Experimentator bei der Interaktion mit einem Objekt auch seinen Blick auf selbiges richtet. Dieser Zusammenhang ist somit auch ein wichtiger Erfahrungswert in der Entwicklung eines Menschen, da z.B. schon von frühester Kindheit an gelernt wird, dass man durch die Fokussierung seines Blickes auf ein Objekt, eine bessere Erfolgsaussicht darauf hat, dieses auch zu erreichen. „Wann immer wir sehen, dass jemand einen solchen Akt ausführt, tritt unser motorisches System gewissermaßen in ‚Resonanz‘, so dass wir den Aufmerksamkeitsaspekt der beobachteten Bewegungen erkennen und ihren Handlungstypus verstehen können. Erkennen wir dagegen eine Diskrepanz zwischen der Richtung der Hand, die sich dem Objekt nähert, und der Richtung des Blickes, bleiben die gesehenen Bewegungen für uns uneindeutig.“ Hieraus ergibt sich, dass die primäre Grundvoraussetzung für das Verstehen von Handlungen anderer das Vorhandensein eines eigenen motorischen Wissens über die Ausführung derselben Handlung ist.[6]

[...]


[1] vgl. Bauer/Kächele, 2006, S. 36 f

[2] vgl. Bauer, 2008, S. 20 f

[3] vgl. Gaschler, 2006, S. 29

[4] vgl. Rizzolatti/Sinigaglia, 2008, S. 102 ff

[5] vgl. Wenkeler, 2008, S. 3 f

[6] vgl. Rizzolatti/Sinigaglia, 2008, S. 107 ff

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Spiegelneurone
Hochschule
Universität Bremen
Veranstaltung
Kommunikation und Wahrnehmung
Note
1,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
18
Katalognummer
V126270
ISBN (eBook)
9783640322978
ISBN (Buch)
9783640321056
Dateigröße
429 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Spiegelneurone, Spiegelneuronen, Empathie, Einfühlung, Mitgefühl, Wahrnehmung, Gehirn, Cortex, Rizzolatti, Makaken, Kommunikation
Arbeit zitieren
Hendrik Heitland (Autor:in), 2009, Spiegelneurone, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/126270

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