Stereotypenkommunikation als Form moralischer Kommunikation


Hausarbeit, 2002

31 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Anleitung zur Studienarbeit

1. Kommunikation
1.1 Modellvorstellung zur Kommunikation
1.2 Wahrnehmung
1.3 Stereotype/Vorurteile

2. Moral
2.1 Moral und Wissen
2.2 Moral und Protomoral

3. Moralische Kommunikation
3.1 Gattungen moralischer Kommunikation

4. Die Reflexivität der Stereotypenkommunikation
4.1 Die moralische Interaktionsdynamik der Stereotypenkommunikation
4.1.1 Stereotypisierungen und Entrüstungen
4.1.2 Expressivität
4.1.3 Kollaborative Herstellung
4.1.4 Relativieren der Stereotypisierung durch Gegenmoralisieren
4.1.5 Verhindern von Stereotypisierungen durch Umbewerten
4.1.6 Gegenmoralisierung der Gegenmoralisierung
4.2 Authentizitätsnachweise
4.3 Lachpartikel, Spaßmodulation und der Übergang zum Witz
4.4 Rehabilitierungsversuche

Epilog

Literatursverzeichnis

Anleitung zur Studienarbeit

Diese Studienarbeit besteht aus vier Teilen und als Erleichterung für den Leser, wurde von mir das große „I“ bewußt gemieden. Motivation und Anregung dieses Thema zu bearbeiten lieferten die Berichte von Kommilitonen und Freunden, die Teilnahme an Seminaren, eigene Erfahrungen sowie ein ganz persönliches Interesse an der Theorie einer interaktiven Realisierung von Moral in der Alltagskommunikation sowie der Stereotypenkommunikation als eine Form moralischer Kommunikation.

Im ersten Kapitel behandle ich zunächst den Begriff der Kommunikation. Da wir bei Kommunikation in erster Linie an den Austausch von Worten denken, um uns zu verständigen, werden in diesem Abschnitt der Arbeit verschiedene wissenschaftliche Theorien vorgestellt und allgemeine relevante Prozesse beim kommunikativen Geschehen erläutert. Darüber hinaus werde ich unterschiedliche Annahmen über die Entstehung, Verbreitung, Funktion etc. von Stereotypen/Vorurteilen vorstellen.

Im zweiten Kapitel der Arbeit werde ich darauf eingehen, was wir im allgemeinen unter Moral verstehen und wie diese traditionell und interaktiv definiert wird. Außerdem dient dieses Kapitel der begriff-theoretischen Klärung des Zusammenhangs von Moral und Kommunikation.

Im dritten Kapitel geht es um die Bestimmung elementarer Bestandteile und Komponenten moralischer Kommunikation. Dieses Kapitel stellt eine gemeinsame Klammer für vorherige und das folgende Kapitel dar und kann somit als beständiger Bezugspunkt gesehen werden.

Ausgehend von der Annahme, dass es sich bei der Stereotypenkommunikation um nur eine, wenn auch sehr verbreitete Form der moralischen Kommunikation handelt, geht es im vierten Teil in Anlehnung an die Studie von K. Nazarkiewicz „Interaktive Realisierung von Stereotypisierungen“ um die Beantwortung der Frage der intersubjektiven Produktion, Gestaltung, Wirkung und Verbreitung von Stereotypisierungen. Der verwendete Begriff der Stereotypenkommunikation bezeichnet dabei die methodische Fokussierung auf die intrakulturelle interaktive Realisierung von Stereotypen in Face-to-face-Gesprächen. In diesem Kaptitel werde ich versuchen, abstrakte Zusammenhänge in Beziehung zueinander zu setzen. Die Rolle der Beispiele ist die von Analogien, Metaphern und Veranschaulichungen, die beschreiben sollen, doch nicht notwendigerweise auch „beweisen“.

1. Kommunikation

Laut Pamela M. Fishman’s Beschreibung von Kommunikation und speziell von Alltagsgesprächen, konstruieren wir durch unsere Gespräche ständig Definitionen der Realität und erhalten sie aufrecht[1]. Durch Gespräche werden unsere privaten Gedanken und unser persönliches Verstehen in zwischenpersönliche und damit öffentliche Realitäten verwandelt. Die Dinge über die wir reden, nehmen Gestalt und Subtilität an, d.h. wir können auf sie zurückweisen. Dinge werden als ein integraler Teil der sozialen Welt betrachtet, die wir mit anderen gemeinsam haben.

In Anlehnung an die Sichtweise der Konversationsanalyse[2], wird eine Konversation dadurch produziert, dass zwei Personen reden und ein aktives Übereinkommen haben, gegenseitig im Gespräch zusammenzuarbeiten. Dabei ist jede Bemerkung und jeder Redebeitrag als ein Versuch zu betrachten, eine Unterhaltung herzustellen. Ob ein Versuch erfolgreich ist oder nicht, hängt widerum von der Bereitwilligkeit der Teilnehmenden ab, interaktionelle Arbeit zu leisten. Mit anderen Worten: Eine Äußerung wird erst dann Teil des Gespräches, wenn die Gesprächspartner sich auf sie hin orientieren, auf sie reagieren und sich als Minimum abwechseln.

In diesem Sinne sind Interaktionen immer potentiell problematisch und können nur von einem Redebeitrag zum anderen durch die ständigen Anstrengungen der Teilnehmenden aufrechterhalten werden. Die jeweiligen Redebeiträge müssen miteinander begonnen, entwickelt und beendet werden. Jede gegebene Äußerung ist somit eine Koproduktion zweier oder mehrerer Gesprächsteilnehmer. Obwohl viel von unseren täglichen Gesprächen trivial erscheinen mag, ist es so, dass wir tatsächlich durch sie definieren, was wichtig, was wertvoll und was wirklich ist.

1.1 Modellvorstellung zur Kommunikation

Etwas allgemeiner gesehen, denken wir - wenn wir von Kommunikation sprechen - in erster Linie an den Aus­tausch von Worten um uns zu verständigen. Im Bewußtsein aller Vereinfachung kann man daher mit den Worten Fiehler’s feststellen, dass die zentrale Konzeptualisierung des Kommunikationsprozesses - alltagsweltlich wie wissenschaftlich - darin besteht, Kommunikation als einen zweckrationalen „Austausch von Information“ aufzufassen. Dabei ist die Grundvorstellung, dass durch Kommunikation Wissensdefizite über Sachverhalte der Welt ausgeglichen werden. Das zentrale Mittel hierfür ist die (wahre) Aussage.[3]

Dennoch finden wir in vielen Alltagssituationen Beispiele für Mißverständnisse, in denen Worte offenbar keine Eindeutigkeit transportieren und über die reine Vermittlung von Informationen hinaus, Gefühle erzeugt und ausgetauscht werden ohne dies „expressis verbis“ zu tun. So kann es passieren, dass wir - beabsichtigt oder nicht - im Prozeß der Kommunikation Antworten auf Fragen erhalten, die wir nicht gestellt (gesendet) haben und dass wir ungebeten Auskünfte von anderen, über andere und über uns selbst „empfangen“.

Der Kommunikationspsychologe Schulz von Thun spricht deshalb auch von „Vier Seiten einer Nachricht“ (= Sachinhalt, Selbstoffenbarung, Appell und Beziehung)[4], welche die Kommunikationssituation beeinflussen. Schulz von Thun geht davon aus, dass in jeder „gesendeten“ Nachricht, nicht nur ein Sachinhalt vermittelt wird, sondern auch Information: über den Sender (Selbstoffenbarung), über dessen Einschätzung der Beziehung bzw. wie er zum Empfänger steht (Beziehung) und über das, was getan oder nicht getan werden soll (Appell).

Wenn also die gesendete Nachricht nicht zwangsläufig der empfangenen Nachricht entsprechen muß, wie ist dann zu gewährleisten, dass die Botschaften entsprechend ihren Bedeutungen empfangen bzw. verstanden werden? Wie Sacks[5] zeigt, stellt sich bei jeder Kommunikation die Frage, ob sich die Gesprächsteilnehmer auf dieselbe Kategorie (z.B. Kultur) beziehen. Seiner These entsprechend, funktioniert unsere Verständigung nur deswegen, weil die Kategorien, auf die wir uns beziehen „natürlich“ organisiert sind. Mit anderen Worten, wie es „üblich“ ist bzw. „wie“ etwas wahrgenommen wird, erschließt sich auf der Basis geteilten Kulturwissens. Auch ich gehe davon aus, dass Verstehen gekoppelt ist an Kommunikation[6] und Wahrnehmung und das Kommunikation und Wahrnehumg ihrerseits sowohl hinsichtlich der Ablaufprozesse als auch der Resultate von den sozio-kulturellen Hintergründen der Beteiligten beeinflußt wird.

1.2 Wahrnehmung

Indem Interaktionsbeteiligte Informationen austauschen, dass heißt sich mittels sprachlicher Handlungen über ein Thema verständigen, tauschen sie zugleich auch immer Bewertungen und Einstellungen zu den infragestehenden Sachverhalten aus. In diesem Sinne sind Sachverhalte immer bewertete Sachverhalte.[7]

Schon die wahrnehmungspsychologische Forschung hat gezeigt, dass wir Gegenstände, Situationen und Personen in unserer Umwelt nicht so wahrnehmen, wie sie erscheinen und von anderen Beobachtern beschrieben werden, sondern eher so, wie wir erwarten, dass sie auszusehen haben. Um ein „übereinstimmendes“ Bild über andere zu schaffen, d.h. ein Bild das diesen Erwartungen gerecht wird, werden willentlich Details übersehen oder übermäßig betont.[8] Die Wahrnehmung einer Situation oder Person wird also auch beeinflußt von Emotionen, Voreinstellungen und Motivationen, die uns an positive/negative Erfahrungen erinnern.

Allgemein wird davon ausgegangen, dass vom einzelnen kognitive Konstrukte geschaffen werden, um Erfahrungen zu systematisieren, d.h. Systematisierung und Kategorisierung unserer Wahrnehmungen stellen Versuche dar, sich zurechtzufinden. Konstanten, wie z.B. Stabilität und Konsistenz in der Wahrnehmung, sind nützliche Ausgangspunkte, um ein Mindestmaß an Sicherheit zu erlangen. Dies bedeutet letztlich, daß Persönlichkeitsmerkmale eher in den Augen des Betrachters als in der Psyche des Akteurs existieren[9]. Es ist also naheliegend, dass durch die Reduktion von Informationen und Reizen, die Wahrnehmung und Realität in Gefahr ist, verzerrt zu werden.

1.3 Stereotype/Vorurteile

Die wissenschaftlichen sowie die persönlich geprägten Vorstellungen über die Entstehung, Verbreitung, Funktion etc. von Vorurteilen/Stereotypen sind sehr vielschichtig und nicht immer beruhen sie auf Beobachtungen oder Erfahrungen. Vermeintliches Wissen über Bilder, die man sich z.B. von verschiedenen nationalen und ethnischen Gruppen mach(t)e, reichen bis in die Antike zurück und stammen größtenteils aus „einem traditionellen Fundus“[10] und noch heute werden Elemente dieses Repertoires in Situationen von Auseinandersetzungen aktualisiert. Auch wenn sich „typische“ Eigenschaften im Laufe der Zeit ändern, bleibt das Prinzip der Charakterisierung eines Volkes durch bestimmte Eigenschaften - oder einer Eigenschaft - das gleiche.[11]

Vorurteile in ihrem eigentlichen Sinne sollten verstanden werden als ein vorläufiges Urteil, das man fällt und anhand von Tatsachen auf seine Gültigkeit hin überprüft. Allgemein entsprechen Vorurteile jedoch voreiligen Urteilen, die von Emotionen begleitet sind und im nachhinein nur selten durch genauere Kenntnis überprüft oder verändert werden. Dies ist normal, weil zu einer solchen Überprüfung entweder keine Möglichkeit besteht oder weil ein solche Prüfung bei der Fülle der notwendigen Urteile einfach nicht durchführbar ist. Wir sind also stets auf die Urteile anderer angewiesen, die wir in vielen Fällen übernehmen.

Im Gegensatz zur Stereotypenbildung, die ohne moralische Definition gedeutet werden könnten als Kategorisierungsversuch, sind Vorurteile fast ausschließlich negativ gewichtet. Infolge stereo­typer Vorstellungen werden bestimmten Menschen oder einer bestimmen Gruppe bestimmte negative Eigenschaften zugeschrieben. Durch die Starrheit und die gefühlsbetonte Haltung mit der Vorurteile aufrechterhalten werden, lassen sich zudem selbst bei widerspre­chender Erfahrung einmal gefällte Urteile nur schwer oder gar nicht korrigieren.

Im kognitiven Ansatz werden Stereotypen verstanden als der Versuch, Informationen besser einzuordnen, überschaubar und vertraut zu machen. Der kognitive Ansatz verhilft dem einzelnen zu Scheinwissen über andere. Im psychodynamischen Ansatz werden Vorurteile als Mangel an Selbstwertgefühl und Abwehr von Unsicherheit und Angst betrachtet. Abhängig von einer individuell entwickelten Fähigkeit zwischen „innerer Realität“ und „äußeren Objekten“ unterscheiden zu können, projiziert im psychodynamischen Ansatz der Mensch Teile seines Inneren (Bedürfnisse, Wünsche, Triebe) auf ein äußeres Objekt, um als Folge anzunehmen, dass dieses imaginäre Bild der Realität entspricht.[12]

Etwas allgemeiner gehalten besteht die Vorstellung der Stereotypenbildung darin, sie als anfänglichen Schritt zur Vereinfachung und damit Stabilisierung der Umwelt zu sehen. Dabei werden in Typologien bestimmte Persönlichkeitsmerkmale zu allseits bekannten und vertrauten „Typen“ zusammengefaßt. Stützen sich solche Persönlichkeitsmerkmale in erster Linie auf Äußerlichkeiten (z.B. ethnische oder rassische) und sind diese Merkmale als „Typen“ anerkannt, redet man von Stereotypen.

In den verschiedenen lern- und sozialpsychologischen sowie in psychoanalytischen Ansätzen wird der Aspekt der Funktion ausführlich behandelt. Die Menge an zur Verfügung stehenden Materialien, würde jedoch dem Rahmen dieser Arbeit zu sehr ausdehnen. Einer „verkürzten“ Annahme zufolge, besteht die Funktion der Stereotypenbildung einerseits darin, (Schein)Wissen und Sicherheit zu verleihen (kognitive Komponente) und andererseits in der Vereinfachung der Komplexität der Welt, d.h. in ihrer Überschaubarkeit.

Die (vermeintliche) Berechenbarkeit eines Unbekannten, soll durch seine Zuordnung zu einer Gruppe mit eindeutigen Merkmalen erleichtert werden. In diesem Sinne lassen sich Annahmen über kollektive Eigenschaften einer Gruppe auch auf ein bestimmtes Individuum aus dieser Gruppe anwenden. Eine Folge daraus ist, dass individuelle Unterschiede leicht übersehen werden.

[...]


[1] vgl. Fishman 1978b in Fishmann 1994

[2] vgl. Arbeit der Konversationsanalyse von Sacks, Scheglott, Jefferson u.a.

[3] vgl. R. Fiehler, 1990, S. 35

[4] vgl. Schulz von Thun in Losche, 1995, S. 43

[5] wie zitiert von K. Nazarkiewicz, S. 353

[6] Die Bedeutung expliziter bzw. implizierter Botschaften, d.h. die verbalen, non- bzw. paraverbalen Verhaltensanteile der Kommunikation werden absichtlich nicht weiter ausgeführt

[7] vgl. R. Fiehler, 1990, 36

[8] vgl. A. Thomas (1991, S. 57) in Losche, 1995, S. 68

[9] vgl. Jones u. Nisbett in Forgas, 1994, S. 36

[10] vgl. Stanzel (1987, S. 85) in Czyzewksi u.a. 1995, S. 2

[11] vgl. Czyzewski u.a., 1995, S. 2

[12] Nicklas/Ostermann in Auernheimer, 1990, S. 143 sowie Auernheimer 1990, S. 142 ff in Losche 1995, S. 71

Ende der Leseprobe aus 31 Seiten

Details

Titel
Stereotypenkommunikation als Form moralischer Kommunikation
Hochschule
Technische Universität Berlin  (Erziehungswissenschaften)
Note
sehr gut
Autor
Jahr
2002
Seiten
31
Katalognummer
V12631
ISBN (eBook)
9783638184687
ISBN (Buch)
9783638642514
Dateigröße
547 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kommunikation
Arbeit zitieren
Dipl.-Päd. Bibiane Klaus (Autor:in), 2002, Stereotypenkommunikation als Form moralischer Kommunikation, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/12631

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