Prototypensemantik


Seminararbeit, 2009

15 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 PROTOTYPEN – Der Vogel in unserem Kopf

2 WAHRNEHMUNGS- UND ASSOZIATIONSPRINZIPIEN
2.1 Familienähnlichkeiten
2.2 Übersummativität
2.3 Figur-Grund-Prinzip
2.4 Similarität und Kontrast
2.5 Kontiguität

3 EXPERIMENTELLER ANSATZ NACH BERLIN UND KAY

4 CUE VALIDITY

5 HEDGES

6 BASIC LEVEL TERMS

7 ERWEITERTE PROTOTYPENTHEORIE

8 KRITIK

9 LITERATURVERZEICHNIS

1 PROTOTYPEN – Der Vogel in unserem Kopf

Eine kleine Aufgabe zu Beginn. Antworten Sie spontan auf folgende Frage: „Was ist für Sie ein typischer Vogel?“. Die meisten Europäer würden wohl Spatz, Amsel, Schwalbe oder Rotkehlchen als Antwort geben. Warum fällt die Wahl aber selten auf Pinguin, Strauß oder Kiwi, zumal diese ebenso zur Gattung Vogel gehören? Die zuletzt Genannten scheinen weniger typische Repräsentanten für jene Gattung zu sein. (vgl. Blank 2001: 47)

Mit dieser Problematik beschäftigt sich die Prototypensemantik bzw. -theorie, die ich in dieser Hausarbeit darstellen möchte.

Die von E. Rosch begründete Prototypentheorie stellt ein sprachpsychologisches Bedeutungskonzept dar, das besagt, dass Wortinhalte im menschlichen Bewusstsein an Referenten gebunden sind, die sich als die besten Vertreter der jeweiligen Klasse auszeichnen. So ist der Spatz aus obigem Beispiel ein prototypischerer Vertreter der Kategorie Vogel als der Strauß, da vom Befragten zuerst an ein kleines flugfähiges Tier gedacht wird anstatt an ein großes flugunfähiges und in der natürlichen Umgebung des Sprechers nicht vorkommendes Tier. Laut dieser Theorie existieren im Gedächtnis der Mitglieder einer Sprachgemeinschaft dauerhafte und relativ stabile überindividuelle semantische Repräsentationen. (vgl. Ulrich 2002: 234)

Die Prototypentheorie stellt keine direkte Alternative zur Merkmalstheorie dar, sondern vielmehr eine Ergänzung. Sie gibt eine Erklärung für eine Reihe von Phänomenen, die im Rahmen der Merkmalstheorie nicht erfaßt werden. (Schwarz 2007: 53)

Man fragt also nicht primär nach den definierenden Merkmalen (wie z.B. „flugfähig“, „legt Eier“, „hat Federn“, „hat einen Schnabel“), sondern man berücksichtigt von vornherein eine Variation der zu untersuchenden Gegenstände, die unter den betreffenden Begriff fallen könnten. Irgendwo wird eine Vagheitszone erreicht, aufgrund derer man typische Vertreter in typischem Kontext heraussucht. Im Endeffekt erhält man eine größere Anzahl stereotypischer Merkmale über den gesamten Anwendungsspielraum. (vgl. Wunderlich 1991: 126f)

Ein Teil des Wortschatzes kann so an typischen Referenzbeispielen erlernt werden und daraufhin auf ähnliche Referenten übertragen werden.

2 WAHRNEHMUNGS- UND ASSOZIATIONSPRINZIPIEN

Um über die Prototypentheorie diskutieren zu können, muss man zunächst einige biologische Grundlagen der menschlichen Wahrnehmung darstellen, da diese mit der Sprachnutzung in direktem kausalem Zusammenhang stehen.

2.1 Familienähnlichkeiten

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Familienähnlichkeiten Die fünf Töchter der Familie Schmitt (vgl. Blank 2001: 38)

Der Begriff der Familienähnlichkeit geht auf L. Wittgenstein zurück und bezeichnet strukturelle Beziehungen zwischen diversen Referenten eines Wortes, ohne jedoch, dass alle über ein gemeinsames Merkmal verfügen. So genügt es, wenn jedes Referenzobjekt über ein (oder mehrere) Merkmal(e) zu einem anderen Referenzobjekt verfügt. (vgl. Ulrich 2002: 86f)

In Abbildung 1 sieht man fünf Zeichnungen von Mädchenköpfen, die die Töchter der (Beispiel-) Familie Schmitt darstellen sollen. Vergleicht man die erste Tochter (von links nach rechts) mit der letzten, so stellt man fest, dass sich diese in keinem Merkmal gleichen. Betrachtet man nun die erste und zweite Tochter, ist als gemeinsames Merkmal die Augenform zu erkennen; bei der zweiten zur dritten ist es die Nase, die die Ähnlichkeit ausmacht; bei der dritten zur vierten sind es die Kopfhaare und bei der vierten zur fünften Tochter ist es der Mund. Nach dieser Kette von Merkmalen (eine sogenannte chain category) könnte man sagen, dass die erste Tochter der letzten Tochter indirekt gleicht, da diese Mädchen insgesamt eine Struktur höherer Ordnung bilden und für den Betrachter eine Zugehörigkeit erkennen lassen, obwohl sie optisch nur indirekt miteinander verbunden sind.

(vgl. Blank 2001: 38)

2.2 Übersummativität

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Übersummativität (vgl. Blank 2001: 39)

Das zweite Prinzip, das der Übersummativität lässt uns einen kognitiven Mehrwert bilden. Das heißt im konkreten Beispiel, dass man aus einer Reihe verschiedener Töne eine Melodie formt oder wie in Abbildung 2 nicht nur die vier gleichmäßig verteilten Punkte sieht, sondern zugleich das somit geformte Quadrat, worin jeder der vier Punkte eine Ecke des Quadrats markiert. Die Figur ist also etwas Eigenes und nicht nur die Summe seiner Teile.

Hier reiht sich ein weiteres Beispiel ein: der Mond. Dieser ist objektiv gesehen eine helle Scheibe mit dunklen Flecken. Je nach Tradition sehen wir darin überdies den „Mann im Mond“, einen Jaguar (in südamerikanischer Kultur) oder ein Kaninchen (in asiatischer Kultur). Wir erkennen also das, was wir gelehrt wurden, darin zu sehen. (vgl. Blank 2001: 38f)

2.3 Figur-Grund-Prinzip

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3: Figur-Grund-Prinzip (vgl. Blank 2001: 41)

Das Figur-Grund-Prinzip ist eine lebensnotwendige Wahrnehmungsfunktion. Diese lässt uns bei gegebener Abbildung 3 entweder ein schwarzes Kreuz auf weißem Grund sehen, oder ein weißes Kreuz auf schwarzem Grund. Beides zugleich zu erfassen, ist dem Menschen nicht möglich. Jedoch lässt uns genau dieses vermeintliche Unvermögen ein herannahendes Auto vor einem komplexen und wenig differenzierten Hintergrund erkennen, um die komplexe Situation schnell und richtig analysieren zu können. Dies gilt sowohl für alltägliche wie nicht-alltägliche Situationen. Diese spezielle Art der Wahrnehmung kann gravierende Auswirkungen auf unsere Sprache haben. (vgl. Blank 2001: 41)

2.4 Similarität und Kontrast

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 4a u. 4b: Similarität und Kontrast (vgl. Blank 2001: 41)

Fahren wir fort mit dem vorletzten Wahrnehmungsprinzip, dem der Similarität und des Kontrasts. Abbildung 4a zeigt eine Anordnung von weißen Kreisen und schwarzen Rauten, wohingegen Abbildung 4b eine ähnliche Anordnung zeigt. In ersterer Grafik ist der Mensch geneigt zu sagen, er sehe Reihen, in zweiterer, er sehe Spalten und dass Abb. 4b im Vergleich zu 4a um 90° gedreht sei. Diese Aussage begründet sich darauf, dass der Similarität zufolge Gleichartiges in einem komplexen Bild gruppiert wird und gleichzeitig durch den Effekt des Kontrasts so von anderen Figuren abgehoben wird. Identität wäre der Extremfall der Similarität.

(vgl. Blank 2001: 41f)

2.5 Kontiguität

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 5: Kontiguität (vgl. Blank 2001: 42)

In Figur 4a und 4b wurde das Prinzip der Kontiguität ausgeblendet, da alle Einzelteile der jeweiligen Figuren den gleichen Abstand zu einander haben. Kontiguität, um nun zum letzten Wahrnehmungsprinzip zu kommen, wirkte bereits implizit in den Abbildungen 2 und 3. Jedoch wird der Effekt des Gruppierens in Figur 5 am deutlichsten. Dieses Gebilde würde man als Gitterstäbe oder Röhren zu be- bzw. umschreiben versuchen, da die menschliche Sehrinde diejenigen senkrechten Linien gruppiert, die näher beieinander liegen. Dieser Prozess läuft vollkommen automatisch ab. Bei komplexeren Gebilden entsteht Kontiguität, wenn eine mehr als zufällige und einmalige Beziehung zwischen Elementen unseres Weltwissens oder unserer Wahrnehmung besteht. Die Wirklichkeitserfahrung ist also als Ursprung zu nennen. (vgl. Blank 2001: 41f)

Um mit den Assoziations- und Wahrnehmungsprinzipien abzuschließen, gilt, dass „Similarität, Kontrast und Kontiguität […] Prinzipien [sind], die auf vielfältige Weise unsere mentalen Prozesse bestimmen.“ (Blank 2001: 42).

[...]

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Prototypensemantik
Hochschule
Universität Mannheim  (Lehrstuhl Romanistik II / Linguistik)
Veranstaltung
Proseminar I: Lexikologie
Note
1,5
Autor
Jahr
2009
Seiten
15
Katalognummer
V126312
ISBN (eBook)
9783640323050
ISBN (Buch)
9783640321131
Dateigröße
700 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Prototypensemantik
Arbeit zitieren
Mariana Schüler (Autor:in), 2009, Prototypensemantik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/126312

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