Licht- und Schattenseiten der Gründerzeit

Betrachtung einer wechselhaften Epoche am Beispiel des Aufstiegs und Falls Bethel Henry Strousbergs


Seminararbeit, 2009

13 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Gründerjahre

3. Der Aufstieg Strousbergs

4. Der Zusammenbruch

5. Schlussbetrachtung

Literatur

1. Einleitung

Mit der industriellen Revolution, die von England ausgehend in der Mitte des 19. Jahrhun­derts Deutschland erreichte, gelang es dem Bürgertum nicht nur kulturell, sondern auch wirt­schaftlich eine führende Stellung in der Gesellschaft einzunehmen. Die Zahl der Unterneh­mensgründungen stieg begünstigt durch die neuen technischen Erkenntnisse explosionsartig. Diese Epoche des wirtschaftlichen Aufschwungs ist als die Gründerzeit in die Geschichte eingegangen. Durch den raschen Ausbau des Eisenbahnwesens erreichte der Fortschritt bisher ungeahnte Dimensionen. Einigen Vertretern des erstarkten, selbstbewussten Bürgertums ge­lang es die Gunst der Stunde zu nutzen und so ihren Wohlstand und ihr Ansehen in einem Ausmaß zu mehren, wie es zuvor unvorstellbar schien. Einer ihrer bekanntesten Vertreter war der sogenannte „Eisenbahnkönig“ Bethel Henry Strousberg. Seine Geschichte spiegelt die enorme Dynamik dieser Zeit wieder. Nicht nur sein Aufstieg war beispielhaft, auch sein Scheitern steht exemplarisch für eine Zeit voller Wandel und Erneuerungen.

Im Folgenden soll mit Blick auf diese einzigartige Gründerkarriere ein Bild dieser Epoche gezeichnet werden und die Frage nach den Ursachen des plötzlichen Endes des Aufschwungs geklärt werden. Hierzu ist es zunächst notwendig den Fokus auf den geschichtlichen Ablauf des Gründerbooms zu richten, um die bedeutenden gesellschaftlichen Veränderungen dieser Zeit zu veranschaulichen. Daran anschließend wird das Wirken Strousbergs eingehend be­leuchtet. Sowohl sein Aufstieg als auch sein Fall sollen ausführlich betrachtet werden, um abschließend zu einem Urteil über die zentrale Fragestellung des Scheiterns, das letztendlich in der sogenannten „großen Depression“ von 1873 - 18961 mündete, zu kommen. Die folgen­den Ausführungen sollen sich auf diese Thematik beschränken, obgleich das Wirken Strous­bergs auch Anregungen für weitere Forschungsthemen bietet, die es lohnen würden näher betrachtet zu werden.2

2. Die Gründerjahre

Der Begriff „Gründerjahre“ ist zeitlich nicht exakt bestimmt. Oft findet er lediglich für die Beschreibung der kurzen Zeit des enormen Aufschwungs nach dem Deutsch-Französischen- Krieg und der anschließenden Reichsgründung Gebrauch. Der Beginn einer solchen Entwick­lung lässt sich jedoch schon viel früher ausmachen. Bereits zwischen 1854 und 1857 war eine drastische Geschäftsausweitung im Banken- und Börsenwesen, sowie bei der Entwicklung von Verkehr und Handel festzustellen. Die Anzahl der Firmenneugründungen erreichte ein vorher nicht gekanntes Ausmaß. Allein in Preußen sind zwischen 1850 und 1857 107 neu gegründete Aktiengesellschaften entstanden.3 Diese Entwicklung erfuhr in den Jahren 1857 - 1859jedoch eine Krise. Aufgrund von Kostensteigerungen nahmen die Finanzierungsschwie­rigkeiten zu, was vor allem den Eisenbahnbau und das Warengeschäft traf. Als diese Schwie­rigkeiten überwunden waren, konnte anschließend ein neuerlicher Aufschwung einsetzen. Dies gilt besonders für das Eisenbahnwesen, das sich ab 1862 zu einem führenden Sektor in der Wirtschaft entwickelte. Deutlich wird dies auch an der exponentiellen Zunahme der Stre­ckenlänge in dieser Zeit.4 Ab dem Winter 1866/67 setzte eine erneute Beschleunigung des wirtschaftlichen Wachstums ein. Es war ein starker Produktionszuwachs zu verzeichnen, was zu einer weiteren Zunahme des Verkehrsaufkommens führte. Die Nachfrage nach Kohle und Stahl stieg. Gleichzeitig stiegen auch die Aktienkurse und die Märkte wuchsen in die Breite. Eine Vielzahl von Firmenneugründungen war die Folge, da auch die gesetzlichen Rahmenbe­dingungen zur Errichtung einer Aktiengesellschaft enorm erleichtert wurden. Diese Entwick­lung erreichte mit der Einigung Deutschlands ihren Höhepunkt und stellt die abschließende Steigerung der deutschen Industriellen Revolution dar.5 Mit dem Sieg über Frankreich setzte ein ungeheurer Boom ein, derjedoch nur zwei Jahre anhalten sollte. Der neu entstandene gro­ße einheitliche Wirtschaftsraum bot für die Gründer ungeahnte Chancen. Allein in den Jahren zwischen 1871 und 1873 wurden 2,78 Milliarden Mark in 928 neuen Aktiengesellschaften angelegt6, was einen gewaltigen Investitionsstoß darstellte. Die Reparationszahlungen, die Frankreich an das Deutsche Reich zu leisten hatte, animierten viele Menschen sich als Grün­der zu versuchen. Die Erwartungen konnten jedoch nicht erfüllt werden, da sich der positive Effekt, den man sich von den Reparationen versprach, nicht einstellte. So kam es, dass der Gründerboom 1873 ein jähes Ende fand. Investoren steckten ihr Geld in teilweise völlig sinn­lose und überflüssige Unternehmungen. In Berlin führte dies zum Beispiel dazu, dass weit über den eigentlichen Bedarf hinaus Brauereien und Vergnügungsstätten gegründet wurden, die dann, in Aktiengesellschaften umgewandelt, als Spekulationsobjekt an der Börse dienten.7 Die Überbewertung von Anlagen und Aktien an den Börsen führte zu Spekulationsblasen, die eine regelrechte Börsenpanik zur Folge hatten. Diese Gründerkrise nahm in Wien ihren An­fang, griff jedoch schon bald auf Deutschland über und erfasste die Wirtschaft schließlich weltweit. Durch die Verschachtelung mehrerer Gesellschaften miteinander kam es gleich zu einer Vielzahl von Konkursen. Allein in Preußen gingen 61 Banken, 116 Industrieunterneh­men und 4 Eisenbahngesellschaften bankrott.8 Die Zeit des raschen Aufbruchs war vorerst vorbei.

Die Gründerjahre veränderten das Bild Deutschlands nachhaltig. Durch die neuen finanziellen Möglichkeiten setzte eine beispiellose Urbanisierung ein. Der Bau von nichtlandwirtschaftli­chen Wohnungen stellte einen wesentlichen Schwerpunkt der Investitionstätigkeiten dar. Vie­le Städte stiegen in den Rang von Großstädten auf.9 Das Städtewachstum führte auch das Architekturwesen zu neuer Blüte, was zum Teil noch heute an den reich dekorierten Gründer­zeitvierteln zahlreicher deutscher Großstädte zu erkennen ist. Zudem setzte ein gewaltiger technischer Fortschritt ein, der besonders in Verbindung mit dem Eisenbahnwesen sichtbar wird, allerdings auch andere Industriezweige, wie zum Beispiel die Montanindustrie, erfasste. Die Herausbildung eines neuen sehr einflussreichen Finanzbürgertums stellt einen weiteren wichtigen Aspekt der Gründerzeit dar. Zahlreichen Bürgern gelang es im Zuge des Auf­schwungs ihr Vermögen erheblich zu vermehren. Beispielhaft dafür sind vor allen die Ban­kiers, die die neue Aufbruchsstimmung geschickt zu nutzen wussten. Viele von ihnen waren, wie zahlreiche andere Unternehmer auch, Juden10, was nach der Gründerkrise zu vermehrten Antisemitismus in Deutschland führte. Ebenfalls jüdischer Herkunft war Bethel Henry Strausberg, dessen Wirken im Folgenden näher beleuchtet werden soll.

3. Der Aufstieg Strousbergs

Adolf Branald, der in seinem historischen Roman „Der Eisenbahnkönig“ das Leben Strous­bergs verarbeitete, verglich diese einzigartige Gründerkarriere mit dem Wirken Napoleons.11 In der Tat lassen sich in beiden Lebensläufen Parallelen finden.12 Der Aufstieg Strousbergs verlief ebenfalls sehr rasant und zielstrebig. Sein Scheitern war beispielhaft.

Am 20.11.1823 wurde Baruch Hirsch Strausberg als fünftes von acht Kindern im ostpreußi­schen Neidenburg geboren. Sein Großvater Baruch Chemiak erwarb dort Ende des 18. Jahr­hunderts als Schutzjude das Wohnrecht. Die Familie lebte recht bescheiden, weshalb Bartel Heinrich, wie er sich eingedeutscht nannte, entschloss, nach dem Erlangen der mittleren Reife an einem Königsberger Gymnasium, zu einem Bruder der Mutter nach London zu gehen, um dort in einem Exportgeschäft tätig zu werden. Hier sammelte er erste kaufmännische Erfah­rungen.

In London änderte er der besseren Verständlichkeit wegen seinen Namen in Bethel Henry Strousberg und ließ sich anglikanisch taufen. Dies geschah nicht, um sich vom Judentum ab­zuwenden, sondern diente eher der Emanzipation.13 Nach kurzer Zeit zog es ihn weiter nach Amerika, wo er seine ersten großen Geschäfte tätigte und so ein kleines Vermögen machte. Zurück in London promovierte er und wurde publizistisch tätig. Strousberg erlangte beson­ ders durch Artikel über Versicherungs- und Bankgeschäfte sowie Aufsätze über Währungs­fragen und Wirtschaftsdaten Aufmerksamkeit. Durch seine Arbeit als Journalist, Herausgeber und Verleger14 wurde er auch auf den englischen „Eisenbahnkönig“ George Hudson aufmerk­sam. Seitdem in England die Eisenbahn rollte, ging von diesem Verkehrsmittel eine gewisse Faszination aus. Nicht nur der technische Aspekt, sondern vor allen die finanziellen Möglich­keiten, die der Eisenbahnbau mit sich brachte, erweckten das Interesse von Unternehmern. Strousberg erkannte die Möglichkeiten, die sich ihm durch dieses Geschäftsfeld auftaten.

Nach seinem Umzug nach Berlin wurde erjedoch zunächst Vertreter einer großen englischen Versicherung. Diese Tätigkeit bescherte ihm die finanziellen Mittel, mit denen er eine Basis für seine zukünftigen Investitionen schaffte. Durch seine guten Kontakte nach England kam er schon bald mit dem Eisenbahnbau in Preußen in Berührung. Englische Unternehmer traten an Strousberg mit der Bitte heran, er möge ihnen bei der Erlangung der Konzession für eine Ei­senbahnstrecke von Tilsit nach Insterburg behilflich sein. Die Behörden verweigerten diese bisher, da sie befürchteten, dass das notwendige Aktienkapital nicht in den Bau investiert werden würde, sondern lediglich auf dem Papier existiere, was wiederum die Betriebssicher­heit der Strecke gefährden würde.15 Strousberg schlug daher vor die Aktien nicht in Geld, sondern in Sachleistungen einzuzahlen, die dann ein Generalunternehmer erbringen sollte. Dieses Verfahren war ihm vom englischen Bahnbau bekannt und sollte nun auch in Preußen Anwendung finden. Da das Risiko für den Generalunternehmer sehr hoch ausfiel, wurde ma­nipuliert. Das Aktienkapital wurde höher angesetzt, als die eigentlichen Baukosten. Die wirk­lichen Kosten des Baus waren für den Gesetzgeber nicht festzustellen. Die Konzession für den Bahnbau wurde nun erteilt und Strousberg erhielt als Generalbevollmächtigter der engli­schen Unternehmer für das Gelingen des Geschäfts eine hohe Prämie.

[...]


1 Teilweise auch „lange Depression" genannt, Vgl. Fisch, Jörg: Europa zwischen Wachstum und Gleichheit. 1850 - 1914, Stuttgart 2002, S. 241f.

2 Strousberg zeichnete sich zum Beispiel auch als Wohltäter aus. So gab er im Winter 1869/70 an die arme Stadtbevölkerung Heizmaterial aus und richtete Volksküchen ein. Vgl. Borchart, Joachim: Der europäische Ei­senbahnkönig Bethel Henry Strousberg, München 1991, S. 114.

3 Vgl. Wehler, Hans-Ulrich: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Band 3: Von der „Deutschen Doppelrevolution" bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs, München 1995, S. 94.

4 Vgl. Abb. 10: Streckenlänge der deutschen Eisenbahn, in: Borchardt, Knut: Die Industrielle Revolution in Deutschland, München 1972, S. 72.

5 Wehler, S. 97.

6 Vgl. ebd., S. 98.

7 Vgl. Otto, Hans: Gründerzeit. Aufbruch einer Nation, Bonn 1984, S. 208f.

8 Vgl. ebd., S. 219.

9 Zum Bevölkerungswachstum vgl. Borchardt, S. 73.

10 Eine Analyse Berliner Unternehmer ermittelte einen Anteil von ca. 50% bei einem Bevölkerungsanteil von 2­3%. Der Anteil jüdischer Bankiers lag wahrscheinlich höher. Vgl. Böhme, Helmut: Berliner Finanzbürgertum im 19. Jahrhundert, in: Möckl, Karl (Hrsg.): Wirtschaftsbürgertum in den deutschen Staaten im 19. und beginnen­den 20. Jahrhundert, München 1996, S. 83-107, hier 86.

11 Branald, Arnold: Der Eisenbahnkönig, Prag 1962.

12 Vgl. Elbogen, Paul: Kometen des Geldes, Leipzig / Wien 1933, S. 11f.

13 Vgl. Borchart S. 23.

14 Strousberg brachte unter anderem „The Assurance Record", „The British Journal" und „Lawson's Merchant's Magazine" heraus. Vgl. ebd., S. 28.

15 Zur Vergabepraxis von Eisenbahnkonzessionen vgl. Ottmann, Karl: Preußens Eisenbahngeschichte als Basis verkehrswirtschaftlicher Grundsätze auch für die Gegenwart, in: Ritzau, Hans-Joachim (Hrsg.): Die Eisenbahn­szene gestern-heute, Band 4, Pürgen 1995, S. 26f.; sowie Borchart, S. 48f.

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Licht- und Schattenseiten der Gründerzeit
Untertitel
Betrachtung einer wechselhaften Epoche am Beispiel des Aufstiegs und Falls Bethel Henry Strousbergs
Hochschule
Technische Universität Dresden  (Institut für Geschichte)
Veranstaltung
Hauptseminar: Das lange 19. Jahrhundert – Kultur und Gesellschaft im Wandel
Note
1,7
Autor
Jahr
2009
Seiten
13
Katalognummer
V126532
ISBN (eBook)
9783640324330
ISBN (Buch)
9783640326112
Dateigröße
528 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Licht-, Schattenseiten, Gründerzeit, Betrachtung, Epoche, Beispiel, Aufstiegs, Falls, Bethel, Henry, Strousbergs
Arbeit zitieren
Sebastian Schurak (Autor:in), 2009, Licht- und Schattenseiten der Gründerzeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/126532

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