Eine wesentliche Fragestellung, die sich wie ein roter Faden durch das Oeuvre Paul Austers zieht, ist jene nach Identität. Beharrlich suchen seine Protagonisten nach ihr, nicht selten geht ihnen das Gefundene aber auch wieder verloren und eine Rückkehr in ihren Isolationszustand wird für sie unausweichlich. In „City of Glass“, dem ersten der in den Jahren 1981-83 als „New York Trilogy“ verfassten Romane, ist dieses Thema geradezu omnipräsent. Die Frage nach Identität gewinnt in dieser, dem Zeitalter der Postmoderne zugeordneten, Erzählung eine neue fundamentale Bedeutung. Die der postmodernen Ära eigene allgegenwärtige Unbestimmtheit aufgrund neuer Methoden von Interaktion und sozialer Organisation resultiert in einer pluralistisch angelegten Wahrheit. Unter anderem darin gründet die Annahme, dass das Selbst nicht länger als stabile und geschlossene Einheit betrachtet werden kann, sondern dass Identität etwas Unsicheres geworden ist (Springer S. 14-17). Paul Austers Anspruch, das Thema ‚Identität’ in diesem Sinne mit „City of Glass“ neu zu beleuchten, tritt deutlich hervor. Schließlich verbirgt sich hinter dem vielfach auf Austers Erzählungen angewendeten Begriff „postmodern quest“ nicht etwa eine Identitätssuche im herkömmlichen Sinne, die die Entwicklung einer vereinheitlichenden Identität zum Ziel hat. Darauf weist Ilana Shiloh hin, wenn sie schreibt, dass die gesamte „New York Trilogy” „[is] structured around their protagonists’ quests for the loss of identity” (Shiloh, S. 41). Auch wenn Auster dieses Thema nicht ganz nach dem Vorbild postmoderner Identitätsmodelle angeht, bedient sich der Autor in „City of Glass“ ganz klar postmoderner Ästhetik. Besonders im erzählstrategischen Sinne, beispielsweise durch die Charakterisierung der Figuren und die Einspielung von metafiktionalen Elementen in den Roman, erscheint Auster als ein typischer postmoderner Autor, dem es darum geht, Kategorien wie Subjekt, Objekt, Identität, Plausibilität, Handlung, Charaktere, Erzähler und Autor zu zerstören oder sie zumindest in Frage zu stellen und seine Texte, wie Klepper es nennt, Gewissheiten zerspielen zu lassen (Klepper, S. 52). Damit wird deutlich, dass die oben angedeutete komplexe Identitätsproblematik nicht nur auf der Handlungsebene den Roman zu einem interessanten Untersuchungsgegenstand macht, sondern dass diese Problematik darüber hinaus auch als die Erzählebenen unterminierend behandelt wird und somit die Frage nach der dem Roman immanenten Poetik aufwirft.
Gliederung
1. Einleitung
2. Spektren der Identitätsproblematik auf der Handlungsebene
2.1 Daniel Quinn
2.2 Die Stillmans
3. Die Romanstruktur und ihr Beitrag zur Identitätsproblematik
3.1 Metafiktion
3.1.1 Erzählstrategie
3.1.2 Intertextualität
3.1.3 Die Spirale
4. Schluss
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Eine wesentliche Fragestellung, die sich wie ein roter Faden durch das Oevre Paul Austers zieht, ist jene nach Identität. Beharrlich suchen seine Protagonisten nach ihr, nicht selten geht ihnen das Gefundene aber auch wieder verloren und eine Rückkehr in ihren Isolationszustand wird für sie unausweichlich. In „City of Glass“, dem ersten der in den Jahren 1981-83 als „New York Trilogy“ verfassten Romane, ist dieses Thema geradezu omnipräsent. Die Frage nach Identität gewinnt in dieser, dem Zeitalter der Postmoderne zugeordneten, Erzählung eine neue fundamentale Bedeutung. Die der postmodernen Ära eigene allgegenwärtige Unbestimmtheit aufgrund neuer Methoden von Interaktion und sozialer Organisation resultiert in einer pluralistisch angelegten Wahrheit. Unter anderem darin gründet die Annahme, dass das Selbst nicht länger als stabile und geschlossene Einheit betrachtet werden kann, sondern dass Identität etwas Unsicheres geworden ist (Springer S. 14-17). Paul Austers Anspruch, das Thema ‚Identität’ in diesem Sinne mit „City of Glass“ neu zu beleuchten, tritt deutlich hervor. Schließlich verbirgt sich hinter dem vielfach auf Austers Erzählungen angewendeten Begriff „postmodern quest“ nicht etwa eine Identitätssuche im herkömmlichen Sinne, die die Entwicklung einer vereinheitlichenden Identität zum Ziel hat. Darauf weist Ilana Shiloh hin, wenn sie schreibt, dass die gesamte „New York Trilogy” „[is] structured around their protagonists’ quests for the loss of identity” (Shiloh, S. 41). Auch wenn Auster dieses Thema nicht ganz nach dem Vorbild postmoderner Identitätsmodelle angeht, bedient sich der Autor in „City of Glass“ ganz klar postmoderner Ästhetik. Besonders im erzählstrategischen Sinne, beispielsweise durch die Charakterisierung der Figuren und die Einspielung von metafiktionalen Elementen in den Roman, erscheint Auster als ein typischer postmoderner Autor, dem es darum geht, Kategorien wie Subjekt, Objekt, Identität, Plausibilität, Handlung, Charaktere, Erzähler und Autor zu zerstören oder sie zumindest in Frage zu stellen und seine Texte, wie Klepper es nennt, Gewissheiten zerspielen zu lassen (Klepper, S. 52). Damit wird deutlich, dass die oben angedeutete komplexe Identitätsproblematik nicht nur auf der Handlungsebene den Roman zu einem interessanten Untersuchungsgegenstand macht, sondern dass diese Problematik darüber hinaus auch als die Erzählebenen unterminierend behandelt wird und somit die Frage nach der dem Roman immanenten Poetik aufwirft.
Diese Untersuchung stellt weder den Anspruch, eine erschöpfende Analyse noch ein verlässlicher Wegweiser durch Austers gläsernes Stadtlabyrinth zu sein, sondern ist lediglich darauf ausgerichtet, einen Einblick in das bizarre Erzähluniversum des Autors zu geben und auf die vielen Möglichkeiten, die sich beim Rezipieren ergeben, hinzuweisen.
2. Spektren der Identitätsproblematik auf der Handlungsebene
2.1 Daniel Quinn
Gleich zu Beginn des Romans wird die verlorene Identität des Protagonisten Quinn impliziert, indem der Erzähler die Aspekte, die üblicherweise die Identität einer Person ausmachen, nämlich „who he was, where he came from, and what he did“ (COG, S. 3) als unwichtig ausklammert. Zurückzuführen ist Quinns Identitätskrise -folgt man den Hinweisen, die von der Erzählinstanz hin und wieder gestreut werden- auf den Verlust seiner Familie. Dieses einschneidende Erlebnis brachte für Quinn, der früher „more ambitious“ (COG, S.5) war, einen Zustand der Isolation mit sich. Er ergeht sich nicht nur in langen Spaziergängen durch seine Heimatstadt New York, deren einziger Zweck darin besteht, sich in der Stadt und in sich selbst zu verlieren und „a solitary emptiness“ (COG, S.4) zu erreichen, auch veröffentlicht er nunmehr seine Bücher nur noch unter dem Pseudonym William Wilson. Diese zweite „Identität“ Quinns dient ihm vor allem im Zusammenhang mit seiner schriftstellerischen Tätigkeit, da er diesen Namen erst annahm, als er „no longer [was] that part of him that could write books“ (COG, S. 5). Ein weiterer fester Bestandteil von Quinns Dasein als Autor von Kriminalromanen ist sein Protagonist Max Work], der in allen Veröffentlichungen Quinns die Hauptrolle übernimmt. Quinn ist damit zu einer „triad of selves“ (COG, S.8) geworden. Jedoch kann nicht behauptet werden, dass Quinn sich gleichermaßen mit seinen erfundenen Figuren identifiziert. Während er sich Work sehr nahe fühlt, nimmt er Wilson als etwas Abstraktes, nicht seiner Person Angehöriges, wahr: „If Wilson did not exist, he nevertheless was the bridge that allowed Quinn to pass from himself into Work. And little by little, Work had become a presence in Quinns life, his interior brother, his comrade in solitude“ (COG, S.8). Obwohl Works Existenz in Quinns Leben hineinreicht, so dass Quinn sich beispielsweise mehrmals fragt, was Work an seiner Stelle „might have been thinking“ (COG, S.23) oder er sich nach der Fertigstellung eines neuen Work-Abenteuers sogar „exhausted by his efforts (COG, S.8)“ fühlt, findet von Seiten Quinns auch was Work anbelangt keine direkte Identifikation statt. Vielmehr ist er so etwas wie eine ‚Aushilfsidentität’ für Quinn. Dieser strebt nicht danach, genau so zu sein wie Work, durch Work gelingt es ihm jedoch, weiter in der Welt zu leben, da die Person Quinn in einem Prozess des Schwindens begriffen ist. „He had [...] long ago stopped thinking of himself as real” (COG, S.13).
Dies ist die Ausgangssituation. Doch zersplittert die Identität Quinns, oder vielmehr das was davon übrig blieb, im Laufe der Erzählung noch weiter: Er nimmt bei einer sich zufällig bietenden Gelegenheit den Namen Paul Auster und damit die Rolle eines Privatdetektivs an. Als Quinn alias Paul Auster sich dem zu beschattenden Stillman senior bei jeder ihrer drei Begegnungen mit einem anderem Namen vorstellt, gewinnt das Spiel mit den Identitäten eine weitere Dimension. Wichtig im Hinblick auf Quinns Identitätsprobleme sind weiterhin die Identitätsadaptionen, die er vollführt, indem er zu einer Art Doppelgängerfigur von sowohl Stillman senior als auch Stillman junior wird. Diese Identifikationen sind für Quinn eine Behelfsmaßnahme um seine eigene Identität zu etablieren. Doch mit dem spurlosen Verschwinden der Stillmans aus Quinns Agitationskreis, schwinden auch die Einsichten die er durch sie zu gewinnen glaubte. Letztlich endet die Identitätssuche für Quinn im Nichts der sprachlosen Selbstzerstörung und Isolation.
Quinns Identitätskrise geht demnach durch verschiedene Stationen: Verweigerung der früheren Identität, Verwirrung der Identität in drei Teile, Annahme einer Rolle und unpassende Identifikation mit anderen Charakteren, indem er deren Denkweise annimmt.
2.2 Die Stillmans
Ähnlich wie bei Quinn, der mittels der von ihm vordergründig in Angriff genommenen Detektivsuche eine nach innen gerichtete Suche nach Identität beginnt, spiegelt sich bei Stillman senior in seinem „quest“ nach der paradiesischen Ursprache der Menschen sein Prozess von Identitätsfindung. Stillman sr. glaubt, im Chaos der „broken people, [...] broken things, [...] broken thoughts (COG, S.135)“ die Ursache allen menschlichen Übels gefunden zu haben. Antworten zu dieser neuzeitlichen Problematik plant er durch die Untersuchung von Sprache und ihren (angeblichen) Funktionen zu gewinnen. Seine wichtigste Aufgabe sieht er dabei darin, Signifikant und Signifikat wieder zur Deckung zu bringen, die seiner Meinung nach seit der Vertreibung der ersten Menschen aus dem Garten Eden nicht mehr in Relation zueinander stehen.
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- Arbeit zitieren
- Sarah Till (Autor:in), 2006, Untersuchungen des Zusammenspiels von Identitätsproblematik und Erzählstrategie in Paul Austers "City of Glass", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/126587
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