Leseprobe
Inhalt
Vorwort
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
I. Einleitung
1. Ausgangslage
2. Ziele
3. Gliederung
II. Hintergrund
4. Patient Blood Management – Allgemeine Betrachtung
5. Patient Blood Management – Morbidität und Mortalität
6. Patient Blood Management – Kosten
III. Empirische Studie
7. Simulation Etablierung PBM-Konzept am Universitätsklinikum Wuppertal
8. Ergebnisse
IV. Zusammenfassung
9. Diskussion
V. Literaturverzeichnis
Vorwort
Als James Blundell am 1. September 1818 die erste Bluttransfusion von Mensch zu Mensch durchführte wurde neben einer neuen medizinischen Fachrichtung, der Transfusionsmedizin, auch eine seines gleichen suchende Ausweitung der operativen Therapien möglich. Neben der Erfindung und Einführung der Narkose vermochte der Ausgleich von intraoperativen Blutverlusten bis dato unmöglich durchzuführende Operationen zu wagen.
Fremdblutprodukte waren seitdem als heilbringende, lebensrettende und alternativlose Pharmaka nicht mehr wegzudenken aus der Operativen Medizin. Doch in den letzten 20 Jahren hat sich das Wissen und das Bild über den „lebensspendenden Saft“ gewandelt. Es hat geradezu eine Paradigmenwechsel stattgefunden, der die Gabe von Fremdblut mit dem Komplikationspotenzial der Transplantation von soliden Organen gleichsetzte.
Durch das Patient Blood Management entwickelte sich ein Ansatz, der in seiner Grundüberlegung möglichst so wenig allogene Fremdblutprodukte verwenden möchte, wie möglich.
Bei der der Entwicklung und Anwendung neuer Verfahren und Behandlungsmethoden, im Sinne einer Innovation, ist ein gleichgerichteter Effekt auf Outcome und Kosten eher die Ausnahme und die neuere und innovative Behandlung kostet in der Regel mehr, im Vergleich zur bisherigen. Beim Patient Blood Management scheint dies jedoch anders zu sein! Patient Blood Management verkörpert die neuesten wissenschaftlichen und klinischen Erkenntnisse, in Bezug zur Transfusion von allogenen Erythrozyten, und bietet mit seinem Konzept gleichzeitig ein verbessertes Outcome als auch eine Einsparung von Kosten.
Im Rahmen dessen zeigt ich jedoch wie ursprünglich nicht hinterfragte, weil als alternativlos anerkannte, Verfahren in den Köpfen der Anwender verwurzelt sind und wie Gewohnheit und Ideologie, auch in der Medizin, Wirkung entfalten und Innovationsprozesse stören oder verlangsamen.
Sandro Lorenz Düsseldorf, im Februar 2020
Abkürzungsverzeichnis
EK Erythrozytenkonzentrat
Abb. Abbildung
BWR Bewertungsrelation
bzw. beziehungsweise
CMI Case Mix Index
DGAI Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin
EUR Euro
GmbH Gesellschaft mit begrenzter Haftung
HIV Human immunodeficiency virus
HUKW Helios Universitätsklinikum Wuppertal
KVD Krankenhausverweildauer
PBM Patient Blood Management
PPSB Prothrombin-Proconvertin-Stuart-Faktor-Antihemophilic Factor B
Tsd. Tausend
u. a. Unter anderem
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Gliederungsstruktur Hausarbeit, eigene Abb.
Abbildung 2: Säulen des PBM, eigene Abb., nach (Olivier et al., 2020)
Abbildung 3: Simulation von Anzahl und Kosten Erythrozytenkonzentrate, eigene Abb.
Abbildung 4: Simulation der Krankenhausverweildauer, eigene Abb.
Abbildung 5: Simulation 7-Tage-Mortalität, eigene Abb.
Abbildung 6: Simulation der Wundinfektionsrate, eigene Abb.
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Komplikationsraten bei präoperativer Anämie, Endoprothetik, eigene Darstellung
Tabelle 2: Krankenhaussterblichkeit bei präoperativer Anämie, chirurgische Patienten, eigene Darstellung
Tabelle 3: Komplikationsraten bei präoperativer Anämie, chirurgische Patienten, eigene Darstellung
Tabelle 4: Exemplarische Kosten PBM-Konzept, modif. nach (Kleineruschkamp et al., 2016)
Tabelle 5: Einsparpotenzial durch PBM, eigene Darstellung
Tabelle 6: Ausgewählte Kennzahlen Helios Universitätsklinikum Wuppertal, Geschäftsjahr 2018, eigene Darstellung
I. Einleitung
1. Ausgangslage
Im Bereich der Operativen Medizin gab es in den letzten 15 Jahren enorme Fortschritte in Bezug auf Operationsmethoden, aber auch die perioperative anästhesiologische Behandlung ( Feu ß ner & Wilhelm, 2016 , Kettler & Radke, 2005 ). Selbst komplexe und risikoreiche Eingriffe, bei multimorbiden Patientinnen und Patienten, können durch die Weiterentwicklung der Klinischen Anästhesie realisiert werden, wobei die perioperative Mortalität stabil oder sogar im Sinken begriffen ist ( Lingnau & Strohmenger, 2002 , Probst et al., 2019 ).
Trotz aller Fortschritte ist der Ausgleich von relevanten intraoperativen Blutverlusten nur durch die Gabe von Spender- E rythrozyten k onzentraten (EKs) möglich ( Tanner & Muller, 2019 ). Im Jahre 2018 wurden rund 3,4 Millionen allogene Erythrozytenkonzentraten und 280.000 autologe EKs transfundiert ( 2018b ). Was die direkten und indirekten Kosten, eines im Krankenhaus transfundierten allogenen EKs, anbetrifft, ist die aktuelle Studienlage bei Werten von 176 € bis 320 €, wobei laut Högberg et al. durchschnittliche Kosten von 272 € pro allogenem EK veranschlagt werden ( H ö gberg et al., 2011 , Honemann et al., 2013 ). Bezieht man sich auf diesen Wert betrugen somit die durchschnittlichen Kosten für die Transfusion von Spender-Erythrozytenkonzentraten im Jahr 2018 mehr als 924 Millionen Euro.
Neben dem Kostenaspekt, durch die Transfusion von Blutprodukten, hier insbesondere EKs, gibt es auch noch eine Problematik auf der Beschaffungsseite. Das Angebot an Blutprodukten, welche aus allogenen Vollblutspenden hergestellt werden, sinkt in den letzten zehn Jahren kontinuierlich: Im Jahre 2010 lag die Anzahl der Vollblutspenden bei 4,8 Millionen und im Jahre 2018 bei nur noch 3,8 Millionen Einzelspenden und ist damit um mehr als 20 % gesunken ( 2018a ). Die Nachfrage hat sich zwar im gleichen Zeitraum verringert jedoch nur um 17 % ( 2018c ). Losgelöst von dieser quantitativen Betrachtung ist gerade die Beschaffung von seltenen Blutgruppen und die Versorgung in den nachfragereichen Sommermonaten ein ernstzunehmendes Problem mit einer teilweise resultierenden Minder- und Unterversorgung ( 2016 ).
Zusätzlich zu der Perspektive von Kosten und der Sicherstellung der Versorgung mit Blutprodukten kommt die transfusionsmedizinische Betrachtung hinzu.
Das wichtigste Problem bei der Gabe von Fremdblutkomponenten war viele Jahre die Gefahr der transfusions-assoziierten Infektion mit z. B. Hepatis B, C oder HIV ( Shander et al., 2016 ). Durch eine deutlich verbesserte Diagnostik und einen optimierten Herstellungsprozess ist dieses Risiko mittlerweile kleiner als 1:1 Million und daher nahezu nicht mehr relevant ( Madjdpour et al., 2005 ). Viel mehr im Fokus sind die immunologischen Auswirken nach erfolgter Transfusion mit Fremdblutprodukten gerückt ( Eckstein & Zimmermann, 2016 ). Es hat geradezu ein Paradigmenwechsel stattgefunden von der ursprünglich als heilbringend und lebensrettend empfunden Bluttransfusion, die sowohl die Sauerstoffversorgung des Gewebes und eine kardiovaskuläre Stabilisierung bewirkt, hin zu einer immunkompromittierenden Transplantation von einem ‚Fremdorgan‘ und negativen Folgen für die Immunkompetenz ( Goubran et al., 2017 , Remy et al., 2018 ).
Aus diesem Grunde scheint die Transfusion von allogenen Erythrozyten auch negative Auswirkungen auf die Morbidität und Mortalität und damit auch auf konsekutive Parameter wie die Krankenhausverweildauer und Behandlungskosten zu haben ( Goodnough & Panigrahi, 2017 ).
Aus diesem Grunde hat sich das P atient B lood M anagement (PBM), auch in Deutschland, seit 2013/2014 erstmals in Forschung und Klinik etabliert mit dem zugrundeliegenden Verständnis die Transfusion von allogenen Blutprodukten so gering wie möglich zu halten um positive Effekte auf Morbidität/Mortalität, Kosten und die effiziente Ressourcennutzung, bei limitiertem Angebot, zu erreichen ( Madjdpour et al., 2005 , MullerFischer et al., 2014 , Olivier et al., 2020 ).
2. Ziele
Die vorliegende Studienarbeit soll klären inwieweit die Etablierung einer PBM-Ambulanz am Universitätsklinikum Wuppertal die Zahl der verabreichten Erythrozytenkonzentrate reduzieren kann und zusätzlich das Potenzial hat die Patientenversorgung und Patientensicherheit, in Bezug auf transfusions-assoziierte Morbidität und Mortalität, zu verbessern.
Zusätzlich sollen, aus gesundheitsökonomischer Sicht, die Kosten eines solchen Vorhabens näher beleuchtet und in Beziehung zu dem Nutzen gesetzt werden.
3. Gliederung
Das Kapitel I ‚Einleitung‘ enthält eine Erläuterung der Ausgangslage sowie eine Überleitung zu den Zielen und der Gliederung dieser Hausarbeit.
In Kapitel II ‚Hintergrund‘ werden die für die Beantwortung der Forschungsfrage notwendigen Grundlagen zielorientiert und themenspezifisch erläutert.
Kapitel III ‚Empirische Studie‘ beschäftigt sich mit den wirtschaftlichen Kennzahlen des Helios Universitätsklinikums Wuppertal und simuliert die möglichen Auswirkungen eines umgesetzten Patient Blood Managements.
Im abschließenden Kapitel IV ‚Zusammenfassung‘ werden die Ergebnisse der Studie, in Zusammenschau mit den erarbeiteten theoretischen Grundlagen, eingeordnet und mit den Zielen dieser Studienarbeit in Beziehung gesetzt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Gliederungsstruktur Hausarbeit, eigene Abb.
II. Hintergrund
4. Patient Blood Management – Allgemeine Betrachtun
Beim PBM handelt es sich um einen Ansatz, bei dem, auf Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse, die Gabe von allogenen Blutprodukten, im perioperativen Setting, möglichst auf ein Minimum reduziert werden soll und somit ein restriktives Transfusionsregime angestrebt wird ( Olivier et al., 2020 ). Dabei ist in großen wissenschaftlichen Studien die Nicht-Unterlegenheit und sogar eine verringerte Krankenhausmortalität gegenüber einer liberalen Transfusionspraxis gezeigt worden ( Mirski et al., 2015 ). Um dies zu erreichen gibt es drei Säulen ( Olivier et al., 2020 ):
Erstens soll eine präoperativ bestehende Anämie, also Verringerung der Hämoglobinkonzentration, behandelt werden. Dieses Problem ist nicht unerheblich bei einer Prävalenz der präoperativen Anämie von 10,5 bis knapp 48 % ( Deutsche Gesellschaft f ü r An ä sthesiologie und Intensivmedizin (DGAI), 2018 ). Dabei stellt die Eisenmangelanämie, mit einem Anteil von mehr als 50 % aller Anämien, die häufigste und zugleich auch effektiv behandelbare Anämieform dar ( Kassebaum, 2016 ). Die Ratio bei dieser ersten Säule ist eine pathologisch verminderte Hämoglobinkonzentration zu diagnostizieren und zu behandeln und damit den Hämoglobinwert, vor der eigentlichen Operation, auf einen normalen bzw. hochnormalen Wert zu heben ( Olivier et al., 2020 ).
Zweitens soll der intraoperative Blutverlust minimiert werden. Dies wird prinzipiell erreicht durch moderne und minimalinvasive Operationsverfahren. Beispiele dafür wären die roboter-assistierte radikale Prostataresektion versus der offenen radialen Prostataresektion bzw. ohne Herzlungenmaschine (off-pump coronary bypass) versus mit Herzlungenmaschine ( Checcucci et al., 2020 , Potger et al., 2002 ). Weiterhin werden Blutverluste, mittels Absaugung gesammelt, aufbereitet und per Autotransfusion an den Patienten zurückgegeben (Cell Saver -Prinzip). Auch die Optimierung der patienteneigenen Blutgerinnung soll das Auftreten und die Schwere von Blutungen reduzieren ( Olivier et al., 2020 ).
Drittens soll postoperativ die patientenspezifische Anämietoleranz berücksichtigt werden, die durchaus große Abweichungen, abhängig u. a. von Alter, Geschlecht und Gesundheitszustand haben kann. Der Ansatz ist hier nicht einen Referenzwert für eine Transfusionspflicht über alle Patienten hinweg anzuwenden, sondern eine individuelle Entscheidung zu treffen ( Olivier et al., 2020 ).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Säulen des PBM, eigene Abb., nach (Olivier et al., 2020)
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass das Ziel von PBM die Minimierung der Gabe von Fremdblut ist und durch ein interdisziplinäres (Chirurgie, Anästhesie) Behandlungskonzept, das die prä-, intra- und postoperative Phase einschließt, umgesetzt werden soll ( Meybohm et al., 2017 ).
Als ein zentrales Element ist dabei jedoch die präoperative Phase zu pointieren. Vor einer elektiven Operation soll dabei gezielt eine mögliche Anämie des Patienten detektiert und auch behandelt werden. Diese präoperative Phase des PBM liegt dabei sowohl international, als auch bei uns in Deutschland, zum Großteil im Verantwortungsbereich der Anästhesiologie ( MullerFischer et al., 2014 ). Im Rahmen der präoperativen Evaluation und Aufklärung durch die Anästhesie, wird zusätzlich eine Anämiediagnostik durchgeführt (Anamnese, Labor) und eine Therapie, z. B. mit einer intravenösen Eisensubstitution, eingeleitet. Dies bedarf aber einer angepassten Planung und Terminierung, weil eine eventuell notwendige Anämietherapie eine Dauer von 4 bis 28 Tagen benötigt und somit elektive Operationen und die Einbestellung der Patienten in eine wie auch immer organisierte PBM-Ambulanz mit einem zeitlichen Vorlauf stattfinden muss ( MullerMeybohm et al., 2014 , Olivier et al., 2020 ).
5. Patient Blood Management – Morbidität und Mortalität
Die Auswirkungen des PBM auf die Morbidität und Mortalität ist die Prämisse der Entwicklung gewesen; es geht beim PBM keineswegs darum aus ökonomischen Überlegungen heraus die Transfusionshäufigkeit zu reduzieren ( Meybohm et al., 2017 ). Schon in der ‚präoperativen Säule‘ des PBM, der Diagnose und Therapie von Anämien, wird dies deutlich: In der S3 Leitlinie „Präoperative Anämie“ der D eutschen G esellschaft für A nästhesiologie und I ntensivmedizin (DGAI) werden Prävalenzen der präoperativen Anämie von 10,5 bis 48 % genannt ( Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI), 2018 ). Der recht große Intervall kommt durch die unterschiedlichen Patientenpopulationen, der in der Leitlinie zitierten Studien, zustande ( Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI), 2018 ).
Unbestritten sind die negativen Auswirkungen einer nicht behandelten Anämie bei einem chirurgischen Patienten. So zeigen zahlreiche Studien ein verschlechtertes Outcome bei bestehender präoperativer Anämie in Bezug auf Wundheilung, Infektion, Nieren- und Lungenfunktion, Krankenhausverweildauer, Krankenhauswiederaufnahmerate und dem Versterben ( Fowler et al., 2018 , Fowler et al., 2015 , Grosso et al., 2020 , Remy et al., 2018 ).
In einer Studie von Grosso et al. werden die Auswirkungen der präoperativen Anämie auf Patienten, die eine endoprothetische Versorgung der Hüfte erhalten haben, untersucht ( Grosso et al., 2020 ):
Tabelle 1: Komplikationsraten bei präoperativer Anämie, Endoprothetik, eigene Darstellung
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
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