In jedem Krieg werden Soldaten gefangen genommen, um sowohl einen taktischen als auch moralischen Druck auf den Feind auszuüben. Der Gefangene ist infolgedessen ein Teil des Krieges wie die anderen Kämpfer, die sich an der Front befinden. Die Haager Landkriegsordnung hatte schon 1907 die Rechte und Pflichten des Gefangenen verfasst. Dessen ungeachtet stellten die Kriegsgefangenen im ersten Weltkrieg das genaue Gegenteil des Sieges dar, was man nach vier Jahren eines solchen Konflikts nicht annehmen konnte.
Das Schicksal der französischen Kriegsgefangenen in Deutschland wurde mit Gleichgültigkeit und sogar mit Verachtung betrachtet. Mit einer Zahl von 480.000 bis 520.000 bildeten die Franzosen die stärkste Gruppe der Gefangenen. Manche Gefangene sind vier Jahre lang in Gefangenschaft geblieben, was sie zu privilegierten Zeugen macht. Der Gefangene wird hier nicht als eine passive Beute des Feindes betrachtet, sondern als ein Mensch, der im Mittelpunkt eines Systems steht, dessen er sich bewusst ist. Das Schicksal der Gefangenen ist umso interessanter, als ihre Lebensbedingungen sowohl physisch als auch moralisch sehr schlecht waren. Lange haben sie in den Lagern überlebt und einige von ihnen haben ihre Erlebnisse festgeschrieben.
Im Vergleich zu Büchern von Poilus wie Le Feu von Henri Barbusse sind heutzutage wenige Schriften bekannt geblieben, das Gedächtnis der Gefangenen hat sich allmählich verloren. Am 9. März 1915 schrieb ein Gefangener: „C'est donc bien au pays du diable que nous sommes!“ und ein anderer Gefangene schrieb nach dem Krieg, dass er die Boshaftigkeit und die Grausamkeit, die die deutschen Barbaren ihm gegenüber ausgeübt haben, nie vergessen wird.
Auf der anderen Seiten finden wir nuancierte Berichte und nach dem Krieg gibt es sogar ehemalige Gefangene, die eine Zusammenarbeit mit Deutschland wünschen wie Gaston Riou oder Jacques Rivière. Das bringt uns zur Hauptfrage unserer Arbeit. Ist die Gefangenschaft in dieser Hinsicht für die französischen Kriegsgefangenen in Deutschland 1914-1918 die Erfahrung einer Demütigung oder der Anfang einer Aussöhnung gewesen? Unter dieser Hauptfrage steckt eine weitere, die als hintergründig und wichtig erscheint: Wie hat sich das Bild des Deutschen bei den Gefangenen aufgebaut und entwickelt? Die Gefangenschaft ist ein Aspekt des Krieges, währenddessen Mitglieder zweier Nationen zusammenleben und währenddessen die Gefangenen viel über die anderen lernen können - was sie schriftlich bewiesen haben.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung und Forschungsstand
- I) Der Gefangene der Gefangenschaft und dem Deutschen gegenüber
- 1) Der Beginn der Gefangenschaft
- a) Die Festnahme
- b) Die Auseinandersetzung: Entdeckung des Unbekannten
- c) Eine dauerhafte Gefangenschaft
- 2) Das Leben als Gefangener
- a) Die Organisation im Lager
- b) Hygiene, Post und Ernährung: Das Überleben
- 3) Der Gefangene und die Bevölkerung
- a) Entdeckung der Bevölkerung
- b) Die Propaganda
- c) Die Fluchten
- 1) Der Beginn der Gefangenschaft
- II) Das Ausdrücken der Erlebnisse
- 1) Der Gefangene und seine Schreibfeder
- a) Tagebücher und Memoiren
- b) Die Beziehung zum Schreiben
- c) Die Begründung des Schreibens
- 2) Die Beurteilung des Deutschen
- a) Der Gefangene als privilegierter Beobachter
- b) Der Gefangene und die Kultur: Zwischen Zivilisation und Barbarei
- c) Die psychologische Analyse
- d) Der Gefangene als Selbstdenker?
- 3) Das Ende der Gefangenschaft
- a) Ablauf der Befreiung
- b) Die Befreiung: Ende des Gefangenseins?
- 1) Der Gefangene und seine Schreibfeder
- III) Der Gefangene nach dem Krieg
- 1) Wahrnehmung der Schriften und Einführung der Debatte
- a) Die Kriegsliteratur
- b) Der Gefangene als Schriftsteller
- c) Die Wahrnehmung der Erfahrung der Gefangenschaft
- 2) Der Weg zur Demütigung
- a) Der Veteran in der Nachkriegszeit
- b) Der Gefangene: Kämpfer für die Anerkennung
- c) Der Gefangene und die Politik
- d) Kurzer historiographischer Blick
- 3) Der Gefangene als Vermittler der Aussöhnung
- a) Die europäische Idee: Riou und Rivière
- b) Die Annäherung: D'Harcourt und De Gaulle
- 1) Wahrnehmung der Schriften und Einführung der Debatte
- Schluss
- Literaturverzeichnis
- Danksagung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit untersucht die Erfahrungen französischer Kriegsgefangener in Deutschland während des Ersten Weltkriegs. Sie analysiert, ob die Gefangenschaft für sie eine Demütigung oder den Beginn einer Aussöhnung darstellte. Die Arbeit basiert auf Tagebüchern und Memoiren der Gefangenen, um ihre Sichtweise auf die deutsche Bevölkerung und Kultur zu beleuchten.
- Die Lebensbedingungen der französischen Kriegsgefangenen in Deutschland
- Die Wahrnehmung der deutschen Bevölkerung und Kultur durch die Gefangenen
- Die Rolle der Propaganda und der Fluchten aus der Gefangenschaft
- Die Bedeutung des Schreibens als Mittel der Verarbeitung der Erfahrungen
- Die Debatte über die Demütigung und die Aussöhnung nach dem Krieg
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt den Forschungsstand zum Thema der französischen Kriegsgefangenen in Deutschland dar und führt in die zentrale Fragestellung ein. Kapitel I beleuchtet die Erfahrungen der Gefangenen während ihrer Gefangenschaft, von der Festnahme bis zur Organisation im Lager und dem Umgang mit der deutschen Bevölkerung. Kapitel II analysiert die schriftlichen Zeugnisse der Gefangenen, ihre Motivation zum Schreiben und ihre Beurteilung des Deutschen. Kapitel III untersucht die Wahrnehmung der Schriften der Gefangenen nach dem Krieg und die Debatte über die Demütigung und die Aussöhnung.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen die französischen Kriegsgefangenen, den Ersten Weltkrieg, die Gefangenschaft in Deutschland, die Demütigung, die Aussöhnung, die Wahrnehmung der deutschen Bevölkerung und Kultur, die Propaganda, die Fluchten, die Tagebücher und Memoiren der Gefangenen, die Kriegsliteratur und die Debatte über die Erfahrungen der Gefangenen nach dem Krieg.
- Arbeit zitieren
- Loïc Delafaite (Autor:in), 2007, Die französischen Kriegsgefangenen in Deutschland im Ersten Weltkrieg, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/127382