Leseprobe
2.1.1 drei Phasen der Dialogentstehung
3.1.1 Der einleitende Dialog mit Kephalos
3.1.2.1.2 zwei Gegenargumente des Sokrates
3.1.3 Dialog mit Thrasymachos und dessen Verständnis der Gerechtigkeit
3.1.3.1 Thrasymachos Gerechtigkeitsverständnis
3.1.3.2 Wem dient die Gerechtigkeit?
3.1.3.3 Die Metapher des Hirten und seinem Vieh
3.1.3.4 Vom Verhältnis zwischen Ungerechtigkeit und Gerechtigkeit
3.1.3.5 Wer lebt glücklicher? Der Gerechte oder der Ungerechte?
3.1.4 Dialog mit Glaukon und Adeimantos
3.1.4.1 Glaukons Kritik an den bisherigen Dialogen
3.1.4.2 Adeimantos schließt sich der Diskussion an
3.1.4.3 Der platonische Staat – von der notdürftigen Stadt zum Wächterstaat
3.1.4.4 Zur Gerechtigkeit im Idealstaat
3.1.4.5 Staatsmodelle
3.1.4.6 Die Verankerung der Gerechtigkeit im Menschen
4. Kapitel
4.1 Die drei Gleichnisse
4.1.1 die Idee des Guten
4.1.2 Das Sonnengleichnis
4.1.3 Das Liniengleichnis
4.1.4 Das Höhlengleichnis
4.1.4.1 Deutung des Höhlengleichnisses
5. Kapitel
5.1 Anwendung auf unsere heutige Gesellschaft
6. Kapitel
6.1 Fazit
7. Kapitel
7.1 Literaturverzeichnis
1 Kapitel
1.1 Einleitung
In der vorliegenden Bachelorarbeit möchte ich mich mit Platons Werk „Politeia“ näher befassen und zwei wesentliche Fragen klären. Auf der einen Seite soll Platons Verständnis von Gerechtigkeit analysiert und interpretiert werden und auf der anderen Seite möchte ich klären, was sich Platon unter einem idealen Staat vorstellt, was er konkret darunter versteht und welche Anforderungen er an diesen stellt. Sodass nach der Beantwortung beider Fragen, die Kernuntersuchung dieser Abschlussarbeit beleuchtet und untersucht werden kann. Hierbei soll geklärt werden, was Platon unter einem gerechten Staat versteht und wie dieser aussehen und aufgebaut werden sollte, damit in einem letzten Schritt Platons Vorstellungen eines gerechten Staates mit unserem heutigen politischen Verständnis verglichen werden und angewendet werden kann.
Im Folgenden werde ich zunächst im 3. Kapitel einen Überblick über die inhaltlichen Kernpunkte der Primärquelle wiedergeben und aufzeigen. Darauf aufbauend erfolgt eine weitere Vertiefung des Inhaltes, sowie eine Analyse und Interpretation dessen, sodass die Kernuntersuchung der Bachelorarbeit nachvollziehbar beleuchtet und beantwortet werden kann. Zum Abschluss möchte ich, wie bereits erwähnt, Platons Verständnis eines gerechten Staates auf unsere heutige Gesellschaft und unser politisches Verständnis übertragen.
2. Kapitel
2.1 Platon
Platon wurde 427/29 vor Chr. in Athen geboren. Während seiner Kindheit und Jugend erlebte er den peloponnesischen Krieg, der zwischen 431 – 404 vor Christus (vgl. Roth 2005: S. 30). Auch die ständigen innen – und außenpolitischen Unruhen beschäftigten ihn in dieser Zeit und prägten ihn schon früh (vgl. ebd.). Durch Sokrates, seinem damaligen Lehrer, wurde Platon bereits in seiner Jugend mit der Philosophie vertraut gemacht. Dieser animierte ihn dazu, über die Dinge bewusst nachzudenken und sie zu hinterfragen (vgl. ebd.). So kam es schon früh dazu, dass Platon sich mit den Fragen der Politik, Staatsführung und der innerhalb der Polis verbreiteten Meinung kritisch auseinandersetze. „ Durch die mehrfache Verfassungsänderung zwischen 411 – 399 v. Chr., durch die Niederlage und den Zerfall der athenischen Polis wurde er sensibilisiert für die Fragilität und Kontingenz der politischen Institutionen und für die Relativität und Unbeständigkeit der Sitten (Roth 2005: S.30). Nachdem Sokrates, sein Mentor und Lehrer, 399 v. Chr. zum Tode verurteilt wurde, wurde das Misstrauen Platons gegenüber dem herrschenden System immer größer (vgl. Roth 2005: S.30). Der Tod Sokrates führte dazu, dass Platon sich der Politik entzog und sich von nun an auf seine Schüler konzentrierte. Er gründete eine Schule, wo die geistige und philosophische Arbeit im Vordergrund stand. Platon starb 348/347 v. Chr. in Athen.
2.1.1 drei Phasen der Dialogentstehung
Während seiner Lebzeiten verfasst Platon viele Werke, die sich in drei Phasen unterteilen lassen. Die erste Phase kennzeichnet sich dadurch, dass er sich mit den wichtigen ethischen Fragen bezüglich einer guten und aufrechten Lebensführung auseinandergesetzt hat. Diese Phase wird auch die Phase der frühen Dialoge genannt (vgl. Roth 2005: S. 31). Danach folgt die zweite Phase, die auch die Phase der mittleren Dialoge genannt wird. Der bedeutendste Dialog, der in dieser Phase entstanden ist, ist die „Politeia“. In der letzten, bzw. dritten Phase, der späten Dialoge, versucht Platon die Frage nach dem Guten, sowie dem Seien und dem Seienden zu beantworten (vgl. ebd.).
3. Kapitel
3.1 Politeia
Im folgenden Kapitel werde ich primär auf Platons Werk Politeia. Soweit ich nichts Weiteres angebe, werde ich mich auf dieses Werk beziehen. Hierbei bediene ich mich der im Literaturverzeichnis angegebenen Ausgabe, welches von Friedrich Schleiermacher nach der Stephanus Paginierung übersetzt wurde.
3.1.1 Der einleitende Dialog mit Kephalos
Im einleitenden Dialog mit Kephalos wird Sokrates von Polemachos dazu überredet, sich in die Wohnung seines Vaters, Kephalos, zu begeben (vgl. 328 c). Kephalos freut sich sehr über den Besuch Sokrates und bittet ihn, ihn doch häufiger zu besuchen, da er selbst, aufgrund seines Alters nicht mehr in der Lage ist, den weiten Weg vom Peraieus in die Stadt zu gehen (vgl. 328 d). Daraufhin verspricht ihm Sokrates, dass er seinem Wunsch nachkommen und ihn häufiger besuchen möchte, da er die Unterhaltungen mit älteren und weisen Männern sehr zu schätzen weiß, da diese bereits das Leben gelebt und den Weg gegangen sind, den Sokrates selbst noch gehen muss (vgl. 328 e). Daran anknüpfend fragt Sokrates den alten Kephalos, ob er denn das Alter, bzw. das Älter werden ermüdend, leidig und mühevoll findet (vgl. ebd.). Doch Kephalos antwortet Sokrates, dass nicht das älter werden an sich beschwerlich ist, sondern die Ansicht der Menschen auf das Älter werden. Die Lebens- und Denkart der älteren Menschen, die sich nach den Vorzügen der Jugend sehnen, machen das Älter werden wehmütig und nicht das Alter an sich (vgl. 329a). Kephalos sieht im Alter hingegen eher Vorteile als Nachteile, den durch den „Verlust“ der „Liebeslust“, um nur ein Beispiel zu nennen, erlangt man, nach Kephalos, große Ruhe und Freiheit, da der Mensch somit vielen Zwängen, denen er in jungen Jahren unterlegen ist, entledigt wird (vgl. 329 b – d). Daraufhin erwidert Sokrates, dass er, Kephalos, diese Ansicht vertreten kann, da er selbst ein großes Vermögen, welches er überwiegend von seinem Vater geerbt hat, besitzt und somit ist das Alter für ihn weniger beschwerlich als für andere (329 e – 330 b). Den erbrachten Einwand Sokrates‘ findet Kephalos nachvollziehbar und in gewissen Aspekten richtig, jedoch merkt er an, dass ein großes Vermögen das Alter auf der einen Seite angenehmer macht, auf der anderen Seite ist es nur ein zweitrangiger Aspekt (vgl. 330c). Kephalos führt an, dass ein wesentlicher Vorteil des Alters ist, wenn der Mensch in dem Bewusstsein lebt, dass er ein frommes, aufrechtes und ehrbares Leben geführt hat, er ohne Angst auf das Älter werden und den Tod blicken kann, da ihm im Jenseits kein Unheil erwartet (vgl. 331a-b). Anders sieht es bei denen aus, die in jungen Jahren die „Unterwelt“ verlacht haben und im Laufe des Lebens vielen Unrecht getan und sich vieles zu Schulden haben kommen lassen, sodass sie im Angesicht des Alters und des Todes rückblickend Ängste hinsichtlich des Jenseits entwickeln (vgl. 330e). Hierbei kommt es auch zur ersten Definition der Gerechtigkeit, indem Kephalos, als er diesen Vergleich nennt, sagt, dass für ihn Gerechtigkeit bedeutet, „daß [der Mensch] nicht leicht wider Willen jemanden übervorteilt oder hintergeht oder auch einem Gott irgend Opfergaben oder einem Menschen Geld schuldig bleiben und so in Furcht davon gehen muß, […]“ (331b) und, wie bereits erwähnt, keine Angst vor dem Jenseits haben muss, sofern er ein „gerechtes“ Leben geführt hat. Daran anknüpfend fragt Sokrates den alten Kephalos, ob er tatsächlich in dem aufgeführten Argument die Essenz der Gerechtigkeit ausmache. Hierbei führt er das Argument vom „Wahnsinnigen“ an, welcher ein Geschenk, hier eine Waffe, zurückfordert. Er sagt: „ Jeder wird wohl sagen, wenn einer von einem Freunde, der ganz bei besonnenem Mute war, Waffen empfangen hat und dieser sie im Wahnsinn wiederfordert, er ihm dergleichen weder verpflichtet ist wiederzugeben noch selbst recht täte, wenn er sie ihm wiedergäbe, oder in einem solchen Zustande ihm von allen Dingen die Wahrheit sagte“ (331c). Nach diesem Einwand entfernt sich Kephalos, unter dem Vorwand, er müsse „für die heiligen Dinge sorge tragen“ (331d) von dem Gespräch und Polemachos, sein Sohn, übernimmt die Verteidigung seiner Definition der Gerechtigkeit und führt diese noch weiter aus.
3.1.2 Dialog mit Polemachos
3.1.2.1 Einleitung
Polemachos und Sokrates versuchen nun in einem weiteren Gespräch den bereits begonnen Versuch einer Definition der Gerechtigkeit, weiterzuentwickeln. Hierbei versucht Polemachos die These seines Vaters Kephalos über die Gerechtigkeit zu festigen, indem er auf eine Definition des Dichters Semonides über die Gerechtigkeit zurückgreift (vgl. 331d). Demzufolge versteht Semonides unter Gerechtigkeit, dass jedem Menschen das ihm Schuldige gegeben wird (vgl. 331e). Sokrates jedoch widerlegt dieses Argument schnell, sodass Polemachos sich dazu genötigt sieht eine genauere Auslegung seines Verständnisses der Gerechtigkeit zu nennen. Demnach sei nach Polemachos Gerechtigkeit, „ […] Freunden Gutes tun und Feinden Böses tun“ (332d). Folglich ist es Gerecht, den Menschen, das zu geben, was ihnen zusteht, den Freunden Gutes und den Feinden Schlechtes.
3.1.2.1.2 zwei Gegenargumente des Sokrates
Dieses Verständnis der Gerechtigkeit ist nach Sokrates jedoch unnütz, bzw. zu nichts nütze. Zwar zeigt Sokrates auf, dass die Gerechtigkeit als eine notwendige Handlung angesehen wird, sie jedoch für spezifische Aufgaben wie medizinische Expertisen, Landwirtschaft oder Kriegsführung, sowie andere Beispiele, ungeeignet scheint, da sie durch die Handlungen „qualifizierter und ausgebildeter“ Personen ausgetauscht werden kann (vgl. – 333b). Demzufolge kann immer eine alternative Handlung genannt werden. Als beste Möglichkeit erweist sich die Gerechtigkeit dann, wenn sie etwas aufbewahren kann und dieses „Gut“ nicht benötigt, bzw. benutzt wird (vgl. 333c – d). Sokrates beschreibt dies dahingehend, indem er sagt, „und so auch in Absicht auf alle anderen Dinge sei die Gerechtigkeit, wenn ein jedes genutzt wird, unnütz, in der Unnützlichkeit aber nützlich“ (333d).
In einem weiteren Gegenargument zeigt Sokrates die Unbrauchbarkeit der Gerechtigkeitsdefinition des Polemachos auf, die sich stark an der Definition des Semonides orientiert und anlehnt. Denn Polemachos sagt, dass Gerechtigkeit per se darin bestehen müsse, Freunden zu helfen und zu nützen und Feinden zu schaden und ihnen schlechtes zu tun (vgl. 334b). Daraufhin entgegnet Sokrates jedoch, dass bei einer konsequenten Verfolgung dieser Prämisse, das Gegenteilige eintreffen kann. Da der Gerechte nicht in der Lage ist, eindeutig zwischen einem Freund und einem Feind zu unterscheiden (vgl. 334c). Sokrates führt dies weiter aus, indem er sagt, dass es nicht die Sache des Gerechten ist den guten Menschen zu schaden, da dies zur folge hätte, dass der Gerechte die Menschen, denen er durch sein Handeln schadet, zu ungerechten Menschen umkehren würde (vgl. 335d – e), da er nicht in der Lage ist eindeutig zwischen seinen Freunden und Feinden zu unterscheiden.
Werden Sokrates Gegenargumente genauer bedachtet, so wird deutlich, dass man nicht bei der genannten Definition der Gerechtigkeit des Polemachos, der nach seinem Verständnis des Gerechten, seinen Freunden Gutes tun und seinen Feinden Schlechtes tun möchte, bleiben kann, da diese in sich zu widersprüchlich ist.
3.1.3 Dialog mit Thrasymachos und dessen Verständnis der Gerechtigkeit
3.1.3.1 Thrasymachos Gerechtigkeitsverständnis
Nachdem Sokrates das Gerechtigkeitsverständnis des Polemachos widerlegt hat, greift der Sophist Thrasymachos ungestüm in die Diskussion der beiden ein (vgl. 336b). Sokrates beschreibt Thrasymachos eingreifen dahingehend, dass er sagt, „nun wir aber innehielten, nachdem ich dies gesagt hatte, konnte er nicht länger Ruhe halten, sondern raffte sich auf und kam auf uns los, recht wie ein wildes Tier, um uns zu zerreißen, so daß ich und Polemachos ganz außer uns waren vor Schreck“ (336b). Thrasymachos wollte nichtmehr innehalten und ausschließlich der Diskussion folgen, sondern forderte Sokrates auf, nachdem dieser erst Kephalos und hinterher Polemachos Definition widerlegt hat, sein eigenes Verständnis der Gerechtigkeit den Anwesenden mitzuteilen, ohne dafür weit abzuschweifen (vgl. 336c – d). Daraufhin versucht Sokrates Thrasymachos zu besänftigen, indem er sagt, dass er zwar die Gerechtigkeit suche, jedoch keine Antwort auf diese Frage habe und weiterhin unwissend ist. Daher solle ihm Thrasymachos nicht zürnen, sondern ihn lieber bemitleiden, da er ein Unwissender ist (vgl. 336e – 337a). Im Gegenzug fragt er Thrasymachos, was dieser unter der Gerechtigkeit verstehe (vgl. 338a). Thrasymachos spottet erst über Sokrates, lies sich jedoch kein zweites Mal bitten und fing an seine Idee über die Gerechtigkeit den anderen Zuhörern und auch Sokrates mitzuteilen. Denn es war ihm anzusehen, so beschrieb es Sokrates, dass er „große Lust zu reden“ hatte, da er davon ausging, dass das was er zu sagen hatte, mit „Beifall“ begleitet werden würde (vgl. 338b). In Thrasymachos Argumentation ist das „Gerechte [ … ] nichts anderes als das den Stärkeren Zuträgliche“ (338c).
3.1.3.2 Wem dient die Gerechtigkeit?
Sokrates fragte Thrasymachos daraufhin, was er konkret darunter verstehe, da diese Definition des Gerechten für Sokrates zu ungenau und unbestimmt sei (vgl. 338d). Woraufhin Thrasymachos versucht seine Definition genauer zu erklären. Hierfür führt er die unterschiedlichen Staatsmodelle an und erklärt, dass die Regierenden in diesen Staaten die höchste Gewalt innehaben und die Gesetze so weit erlassen, dass diese ihren Interessen gegenüber zuträglich sind (vgl. 338d-e). Nach Thrasymachos ist das Gerechte im Hinblick auf die Regierenden, das was ihnen am „Nützlichsten“ ist (vgl.338e). Nach diesen Gesetzen müssen sich die Untergebenen richten und ihnen folgen, sodass ihnen Recht widerfährt. Tun sie dies nicht, bzw. widersetzen sie sich den Verordnungen, die die Regierenden erlassen haben, werden die Untertanen bestraft, da sie, das Gesetz gebrochen und sich dem Staat widersetzt haben (vgl. 338e – 339a). Aus diesem Grund ist, nach Thrasymachos, das Gerechte das dem Stärkeren Zuträgliche, welches sich in den Machtverhältnissen zwischen den Regierenden und den Untertanen besonders gut zeigt (vgl. 339a).
Nachdem Thrasymachos seine Erklärung beendet, wirft Sokrates jedoch ein, das Thrasymachos selbst die Gerechtigkeit als das Zuträgliche festlegt, obwohl er es zu Beginn Sokrates untersagt hatte (vgl. 339b). Dieser wiederum winkt dies ab, sodass Sokrates auf seine Erklärung eingeht und ihn fragt, ob die Regierenden unfehlbar wären oder sie auch eventuell Fehler begehen (vgl. 339c). Thrasymachos bejaht dies und bestätigt, dass die Regierenden durchaus auch „Fehler“ begehen können und nicht unfehlbar sind (vgl. 339c). Daraufhin führt Sokrates die Frage an, dass wenn die Regierenden nicht unfehlbar seien, wie können sie dann erkennen, dass ihre Handlungen und erlassenen Gesetze unfehlbar sind, bzw. so ausgerichtet sind, dass sie für sie das Zuträgliche sind (vgl. 339d – e). Er führt weiter aus und sagt schließlich, dass es aus diesem Grund für die Untertanen in einigen Fällen schwierig werden kann, wenn sie zwar dem Willen und den Gesetzen der Regierung folgen, jedoch nicht in deren Interesse handeln, da es nicht das ihnen Zuträgliche ist. Somit würden sich die Untertanen, gewissermaßen, in einer Zwickmühle befinden (vgl. 340 a – b). Gegen diesen Einwand von Sokrates entgegnet Thrasymachos, dass er in seiner angeführten Definition des Gerechten nicht von einer bestehenden Regierung, sondern von einer idealen Regierung ausgeht (vgl.340e). Somit können sich die Regierenden in dieser idealen Regierung auch keine fehlerhaften Gesetze oder Anordnungen erlassen und sich nicht irren (vgl. 341a-b). Konkret beschreibt Thrasymachos diesen Gedankengang, indem er sagt, „das ganz Genaue aber ist jenes, daß der Regent, insofern er Regent ist, nicht fehlt, und wenn er nicht fehlt, das für ihn selbst Beste festsetzt. Und dieses hat der Regierte dann zu tun“ (341a).
Sokrates überlegt kurz und versucht dann gegen diese Definition der Gerechtigkeit vorzugehen und Thrasymachos die Fehlerhaftigkeit seiner Argumentation vor Augen zu führen. Als Beispiel führt er hier unterschiedliche Künste an (vgl. 341 c – d). Jede Kunst, sei es die Heilkunst, Reitkunst oder die Schiffskunst dient nicht dem Ausführenden, der das Handwerk der Kunst erlernt hat, sondern ausschließlich der Untertanen. Ihre Aufgabe ist es, den Untertanten das ihnen Zuträgliche zu ermöglichen (vgl. 341c – d). Die Regierungskunst, fällt nach Sokrates auch unter diese Kategorie, sodass die Regierenden nicht das ihnen Zuträgliche durchsetzen, sondern im Interesse ihrer Untertanen regieren müssen (vgl. 342e). Demzufolge dient die Gerechtigkeit nicht den Regierenden, sondern den Untertanen.
3.1.3.3 Die Metapher des Hirten und seinem Vieh
Obwohl Sokrates erneut die Fehlerhaftigkeit in Thrasymachos Argumentation aufgezeigt hat, gibt dieser sich nicht so leicht geschlagen und führt das Beispiel vom Hirten und seinen Schafen und Rindern an (vgl. 434a). Er unterstellt Sokrates, dass nach seinem Verständnis, der Hirte nur im Interesse seiner Tiere und zu ihrem eigenen Wohle handle. Nach Thrasymachos Verständnis jedoch handelt der Hirte ausschließlich aus eigenem Interesse. Ihm geht es vorrangig um seine eigene Bedürfnisbefriedigung, die er aus der Aufzucht der Tiere zieht (vgl. 343b). So geht es nach Thrasymachos dem Hirten hauptsächlich darum, den größtmöglichen Nutzen aus der Aufzucht der Tiere zu erhalten (vgl. 433b). Diese erhält er aus den Endprodukten der Tiere, wie z.B. Milch, Wolle, Fleisch und auch Geld, wenn die Produkte im weiteren Verlauf verkauft werden sollten.
Anhand dieses Beispiels zeigt Thrasymachos auf, dass seiner Ansicht nach, die Aufwand – Nutzen – Kalkulation des Hirten, auch auf die Regierenden übertragen werden kann. Er unterstellt daher den Regierenden, dass sie zum größten Teil aus eigenem Interesse und zu ihrem Vorteil entscheiden und handeln und nicht zum Wohle der Untertanen (vgl.343b – c). Daraus schließt Thrasymachos, dass es für die Untertanen vorteilhafter wäre, wenn sie nicht nach den Regeln der Regierenden handeln, sondern sie brechen. Er begründet dies damit, indem er sagt, dass die Regierenden stehts ihrem eigenen Vorteil im Auge haben. Somit wäre es für die Untertanen von Nachteil zu gehorchen, da nicht zu ihrem Vorteil entschieden wird, sodass sie selbst ihre eigenen Interessen in den Vordergrund rücken müssen, welches sich im nicht einhalten der Anordnungen der Regierenden widerspiegelt (vgl. 343d – 344c). Letztendlich bleibt den Untertanen nichts anderes übrig als ungehorsam zu sein, denn die Angst vor dem Leiden, welches aus den Anordnungen erfolgen kann, ist größer als die Furcht vor dem Ungehorsam, bzw. Unrecht zu begehen (vgl. 344c). Thrasymachos beendet diesen Vortrag mit dem Satz, dass das „die Ungerechtigkeit kräftiger und edler und vornehmer als die Gerechtigkeit [ist], wenn man sie im Großen treibt; und wie ich von Anfang an sagte, das dem Stärkeren Zuträgliche ist das Gerechte, das Unrechte aber ist das jedem selbst Vorteilhafte und Zuträgliche“ (344c).
Sokrates möchte dies nicht im Raum stehen lassen und versucht an einigen Punkten anzusetzen, um die Argumentation von Thrasymachos zu widerlegen. Sokrates glaubt weiterhin, dass das Gerechte sich als Gut erweist und dass die Ungerechtigkeit vorteilhafter ist als die Gerechtigkeit (vgl. 345a). Daher fordert er Thrasymachos auf, sie davon zu überzeugen, dass er, Sokrates, die Ungerechtigkeit höher ansehen würde als die Gerechtigkeit (vgl. 345b). Daraufhin entgegnet Thrasymachos, dass wen das bereits gesagte ihn nicht überzeugen würde, er nicht wüsste, was ich noch anstellen soll, um ihn zu überzeugen (vgl. ebd.). Woraufhin Sokrates die erste Kritik an Thrasymachos Argumentation vorbringt. Demnach dürfte Thrasymachos nicht von einem fehlbaren und „ungerechten“ Hirten ausgehen, wenn er im vorherigen Dialog von „wahrhaften Arzt“ (345c) ausgehe (vgl. 345c – d). Sokrates wirft ihm vor, dass er mit zweierlei Maß misst und er aus diesem Grund nicht von der Prämisse ausgehen kann und darf, dass die Regierenden ausschließlich in ihrem eigenen Interesse handeln und nicht zum Wohle ihrer Untertanen (vgl. 345e). Jedoch gesteht Sokrates den Regierenden zu, dass sie, obwohl sie überwiegend im Interesse ihrer Untertanen handeln, auch ihr eigenes Interesse verfolgen, bzw. sie regieren für die Anerkennung ihrer Untertanen (vgl. 347b – c).
3.1.3.4 Vom Verhältnis zwischen Ungerechtigkeit und Gerechtigkeit
Im weiteren Verlauf des Dialogs möchte Sokrates auf Thrasymachos These, dass das unrechte Leben besser sei als das Gerechte, näher eingehen (vgl. 347d). Aus diesem Grund fragt er Thrasymachos, „so komm denn, […], antworte uns von vorn an. Behauptest du, daß die vollständige Ungerechtigkeit förderlicher ist als die Gerechtigkeit?“ (348b). Thrasymachos sagt, dass die Gerechtigkeit kein Hindernis oder Laster sei, eher eine gut gemeinte Einfältigkeit. Wohingegen er die Ungerechtigkeit als Klugheit ansieht (vgl. 348d). Konkret sind seiner Meinung nach Menschen, die Unrecht handeln nicht bloß „Beutelschneider“ (348d), sondern besetzen oft Positionen, in denen sie es schaffen „ganze Städte und Völker von Menschen […] unter sich zu bringen“ (348d). Des Weiteren führt er an, dass die Ungerechtigkeit Tugendhaft und Weise ist und, wie bereits erwähnt, die Gerechtigkeit eher von einfältiger Natur (vgl.348e). Somit schreibt Thrasymachos alle Attribute der Ungerechtigkeit zu, die nach Sokrates der Gerechtigkeit zuschreiben wären (vgl. 349a). Sokrates sieht dieser Ansicht des Thrasymachos jedoch kritisch und möchte das Gesagte mit ihm gemeinsam untersuchen (vgl. ebd.).
Nach ihrer „Untersuchung“, bzw. Analyse des Gesagten, kommen beide gemeinsam zu der Erkenntnis, dass der Gerechte ausschließlich den Ungerechten hintergehen würde (vgl. 349b - c). Ander sieht es beim Ungerechten aus, er hintergeht nicht nur den Gerechten, sondern auch den Ungerechten, ihm ist es im Endeffekt „egal“ wen er täuscht oder was nimmt (vgl. 349c – d). Dieses Verhalten der Ungerechten, dass sie den Gerechten und auch den Ungerechten hintergehen, widerspricht dem Verständnis der ausführenden Künste, welches die beiden im vorherigen Dialog entwickelt haben. Dort stellten sie fest, dass jede Kunst, sei es die Heilkunst, Reitkunst oder die Schiffskunst dient nicht dem Ausführenden, der das Handwerk der Kunst erlernt hat, sondern ausschließlich der Untertanen. Ihre Aufgabe ist es, den Untertanten das ihnen Zuträgliche zu ermöglichen (vgl. 341c – d). Zusätzlich möchte keiner, der eine bestimmte Kunst ausführt, einen anderen derselben Gruppe übervorteilen, wenn er gerecht ist. Kein Arzt möchte einen anderen Arzt übervorteilen oder ihm etwas vorenthalten (vgl. 349e). Einem Unwissenden wollen die „Experten“ jedoch etwas voraushaben. Wie auch der Gerechte dem Ungerechten etwas voraushaben wollen würde (vgl. 350a). Der Unwissende jedoch möchte sowohl den „Experten“ als auch anderen Unwissenden etwas voraushaben. Wie auch der Ungerechte dem Gerechten und anderen Ungerechten etwas voraushaben wollen würde (vgl. 350a – b). Nachdem Sokrates und Thrasymachos dies festgestellt haben, kommen beide zu dem Schluss, dass der „Kundige“ (der „Experte“) (350b) letztendlich doch der Gute und Weisere von den beiden ist und somit die Eingangsthese von Thrasymachos, dass die Ungerechtigkeit „weise“ und die Gerechtigkeit „einfältig“ sei, haltlos ist (vgl.350b – c).
Nachdem Sokrates Thrasymachos These widerlegt hat, stellt er sich die Frage, wie die Gerechtigkeit und die Ungerechtigkeit zueinanderstehen und welche der beiden der Stärkere ist (vgl. 351a). Thrasymachos vertritt die Meinung, dass der Ungerechte stärker ist als der Gerechte. Sokrates versucht diese Annahme zu entkräften, indem er das Beispiel einer Stadt nennt, welche unrechtmäßig versucht andere Städte zu erobern und zu unterwerfen (vgl. 351c -d). Er beschreibt es so, indem er sagt, bzw. fragt, wie eine unrechte Stadt oder ein unrechtes Heer, welches unrechterweise andere Städte einnehmen, in sich geschlossen und harmonisch sein kann oder eher zerrüttet ist und sich gegenseitig unrecht tut (vgl. 351c – d). Thrasymachos versucht die Frage zu beantworten und tendiert dazu, dass er sagt, dass sie bereits untereinander unrecht tun. Sokrates stimmte ihm zu und fuhr anschließend fort, „denn die Ungerechtigkeit, […] verursacht ihnen Zwietracht und Haß und Streit untereinander; die Gerechtigkeit aber Eintracht und Freundschaft“ (351d). Das hat zur Folge, dass diese unrechte Stadt sich selbst schwächt und manipuliert, sodass sie am Ende nicht in der Lage sein wird, über andere Städte herzufallen und sie einzunehmen (vgl. 351d – e). Diese Argumentation wendet Sokrates nun auf den Menschen an und zeigt auf, dass, wenn er Unrecht ist und der Ungerechtigkeit folgt schwach ist (vgl. 352a). Somit weist Sokrates nach, dass die Gerechtigkeit stärker ist als die Ungerechtigkeit.
Nachdem nun Sokrates jede Argumentation des Thrasymachos widerlegt hat, wird dieser wütend und kündigt an, keinen weiteren Dialog mit ihm zu führen.
3.1.3.5 Wer lebt glücklicher? Der Gerechte oder der Ungerechte?
Nachdem nun nachgewiesen wurde, dass die Gerechtigkeit weise, tugendhaft, gut und stark ist, kommt die Frage auf, wer von beiden das glücklichere Leben führt. Der Gerechte oder der Ungerechte? (vgl. 352d).
Um diese Frage beantworten zu können, führt Sokrates jedoch erst ein wenig aus. Er beginnt damit, dass er festlegt, dass es Dinge (technische Artefakte, Menschen, Gegenstände, usw.) gibt, die die ausgewählten Aufgaben besser erledigen können als andere, bzw. auf die Ausrichtung einer bestimmten Aufgabe ausgelegt sind (vgl. 352e). Er nennt dabei die Ohren und Augen als Beispiele, die dazu dienen, bzw. die Aufgabe haben zu hören und zu sehen (vgl. 352e). Werden nun diese Aufgaben sorgfältig und gut ausgeführt, so bezeichnet Sokrates dies als tugendhaft (vgl. 353b). Je besser eine Aufgabe ausgeführt wird, desto tugendhafter ist der Gegenstand oder die Person, die diese Aufgabe ausführt, bzw. bewerkstelligt (vgl. 353c).
Nachdem diese Tatsache geklärt ist, kommt Sokrates zu seinem eigentlichen Anliegen und fragt, ob die menschliche Seele auch eine bestimmte Aufgabe innehält, die nur sie verrichten, bzw. ausführen kann und es eine „Tugend der Seele“ gibt (vgl. 353d). Im weiteren Verlauf des Gesprächs zwischen Sokrates und Thrasymachos bestimmen beide, dass die Seele eine für sie bestimmte Aufgabe hat, die nur sie bewerkstelligen kann. Die wichtigste Aufgabe der menschlichen Seele ist, nach Sokrates, das Führen eines guten und gerechten Lebens (vgl. 353d – e), denn „die Tugend der Seele“ ist die Gerechtigkeit (353e). Aus diesem Grund wird ein Mensch, der eine gerechte Seele hat und ein gerechtes Leben führt, besser und glücklicher Leben, als ein ungerechter Mensch (vgl. 353e). Denn wenn die Tugend der Seele die Gerechtigkeit ist, dann ist die Ungerechtigkeit, das Schlechte in der Seele (vgl. 353e). Mit dieser letzten Argumentation endet der Dialog zwischen Sokrates und Thrasymachos.
3.1.4 Dialog mit Glaukon und Adeimantos
3.1.4.1 Glaukons Kritik an den bisherigen Dialogen
Nach der Beendigung des Dialogs zwischen Sokrates und Thrasymachos, tritt nun Glaukon an seine Stelle. Dieser kritisiert gleich zu Beginn Sokrates begonnene Definition des Gerechtigkeitsbegriffs (vgl. 357a – b). Glaukon wirft in seiner Kritik Sokrates vor, bzw. stellt ihm die Frage, ob er vorsätzlich vorgeben möchte, dass es besser ist, ein gerechtes als ein ungerechtes Leben zu führen oder es ihm nahe liegt, sie tatsächlich zu überzeugen (vgl. ebd.). Sokrates antwortet, dass ihm nichts anderes in den Sinn gekommen ist, als sie davon zu überzeugen, dass es besser ist, ein gerechtes und tugendhaftes Leben zu führen (vgl. 357b). Glaukon wirft jedoch den Einwand ein, dass viele Menschen die Gerechtigkeit, nicht als etwas Besonderes betrachten und sie eher als selbstverständlich und als verpflichtende Aufgabe sehen, bzw. betrachten, die sie zu erfüllen haben, damit sie den vorgesehenen Lohn, bzw. die vorgesehene Anerkennung dafür bekommen. Demzufolge ist das Führen eines Gerechten Lebens für die Menschen keine Aufgabe, die sie aus ihrer eigenen Überzeugung heraus machen, sondern weil sie sich in gewisser Weise dazu verpflichtet fühlen (vgl. 357b – 358b). Ein gerechtes Leben zu führen ist nach Glaukon für die Menschen eher beschwerlich als einfach (vgl. 358a).
Zusätzlich kritisiert Glaukon, dass Sokrates Thrasymachos von Anfang an nicht die Chance gegeben hat, ihn von seinen Argumenten zu überzeugen und dieser sich viel zu schnell von Sokrates hat beirren lassen (vgl. 358b). Auch kritisiert Glaukon weiter, dass „die Beweisführung von beiden Seiten nicht nach [seinem] Sinne gewesen“ sei (358b). Er zeigt auf, dass Sokrates keine genauen stichhaltigen Argumente dafür liefert, dass es erstrebenswert ist, gerecht zu sein und gerecht zu handeln, sondern einzig die Vorteile nennt, die die Gerechtigkeit dem gerechten Menschen bietet (vgl. 358c – d). Aus diesem Grund möchte Glaukon die Rede des Thrasymachos erneut vortragen und wieder die Ungerechtigkeit über die Gerechtigkeit stellen, damit Sokrates sich angetrieben fühlt, erneut die Gerechtigkeit zu verteidigen, jedoch auf eine Weise, die Glaukon zuträglicher ist (vgl. ebd.). Dieser beginnt nun damit, seine eigene Vorstellung der Gerechtigkeit vorzutragen. Glaukon sagt, „von Natur nämlich sagen sie, sei das Unrechttun gut, das Unrechtleiden aber übel; das Unrechtleiden zeichne sich aus durch größeres Übel als durch das Unrechttun“ (358e – 359a). Aus diesem Grund ist für Glaukon die Gerechtigkeit ein gesellschaftlicher Konsens (vgl. 359a). Das Ziel dieses Konsenses ist es, dass die Menschen, denen Unrecht widerfahren ist, bzw. die Angst haben, dass ihnen Unrecht widerfährt, sich schützen können (vgl. 359a – b). In dieser Übereinkunft wird festgelegt, dass die Menschen gerecht handeln und keinem mehr Unrecht tun oder unrecht handeln (vgl. ebd.). Damit für alle Menschen diese Übereinkunft gilt, werden Gesetze und Verträge konzipiert, den jeder unterschreiben kann, der Angst davor hat, dass ihm Unrecht widerfährt (vgl. ebd.). Somit ist nach Glaukons Ansicht, die Gerechtigkeit eher ein Kompromiss zwischen den Menschen, weil sie fürchten, wenn sie unrecht handeln, dass ihnen selbst Unrecht geschieht. Würde ein Mensch, wenn er Unrecht handelt, unbestraft davonkommen und keine Befürchtungen haben müssen, dass er selbst Unrecht leiden muss, würde er diesem Kompromiss nicht zustimmen (vgl. ebd.).
Natürlich versucht Sokrates, wie auch in den Dialogen davor, Glaukons Argumente zu widerlegen. Damit dies Sokrates nicht gelingt, trägt Glaukon einen Abschnitt aus der Sage des Gyges vor (vgl. 359c – 360e), um im Anschluss eine Überlegung, bzw. ein Gedankenspiel darzustellen. In seinem Gedankenspiel möchte Glaukon den gerechtesten und ungerechtesten Menschen gegenüberstellen (vgl. 360e). Bei dieser Gegenüberstellung werden beiden, sowohl dem Gerechten als auch dem Ungerechten in ihrem Handeln nichts genommen oder verändert. Sie bleiben in ihrem“ Bestreben vollendet“ (360e). In diesem Gedankenspiel ist der Ungerechte imstande die Menschen um sich herum so zu täuschen, dass sie davon ausgehen, dass dieser vollkommen gerecht und tugendhaft ist. Diese Überzeugungskunst, gerecht zu erscheinen, ohne es zu sein, ist nach Glaukon die höchste Stufe der Ungerechtigkeit, die ein Mensch erreichen kann (vgl. 361a). Der Gerechte hingegen, wird trotz seines rechtschaffenden, gerechten und tugendhaften Lebensstil nicht als gerecht von der Außenwelt angesehen, sondern als vollkommen ungerechter Mensch (vgl. 361c – d). Das hat zur Folge, dass der Gerechte jeglichen Antrieb verliert gerecht zu sein und gerecht zu handeln, weil ihm der Lohn dafür verwehrt bleibt (vgl. 361d). Das Ziel letztendlich ist nach Glaukon, dass der Mensch nicht gerecht sein muss, sondern nur den Anschein erwecken muss, dass er gerecht und tugendhaft ist (vgl. 362a).
3.1.4.2 Adeimantos schließt sich der Diskussion an
Als Sokrates versucht Glaukons Behauptungen zu widerlegen, mischt sich Adeimantos in die Diskussion mit ein. Adeimantos behauptet, dass die Vorteile der Gerechtigkeit darin liegen, dass die Eltern, bzw. die Väter ihren Söhnen die Vorzüge der Gerechtigkeit aufzeigen und sie ermahnen, wenn diese sich nicht gerecht verhalten (vgl. 362e – 363a). Des Weiteren sagt er, dass die Götter die Menschen begünstigen, die sich gerecht und tugendhaft verhalten, sodass die Vorteile bei der Gerechtigkeit liegen, da die Menschen bereits in jungen Jahren erfahren, welche Vorzüge sie erhalten, wenn sie ein gerechtes Leben führen (vgl. 363b). Ein weiterer Vorteil, der der Gerechtigkeit zukommt, ist, dass die Dichter und Denker die Gerechtigkeit und ihre Tugend loben und ehren (vgl. 364a). Trotz alle dem, merken die Dichter an, dass die Gerechtigkeit, bzw. das Führen eines gerechten Lebens auch mühselig und beschwerlich ist, sodass das Schlechte der Ungerechtigkeit, ihrer Meinung nach, hauptsächlich in der öffentlichen Meinung existiert (vgl. 364a – b). Auch die Priester und andere hochrangige Religionsoberhäupter rücken die Gerechtigkeit durch ihre Fürsprache in den Vordergrund, so Adeimantos. Diese erzählen den Menschen jedoch auch, dass sie sich und ihre Vorfahren durch Opfergaben von ihren Sünden und ihren unrechten Handlungen befreien und säubern können (vgl. 364b – c). Adeimantos sieht dies jedoch kritisch, da diese Möglichkeit die jungen Menschen zur Ungerechtigkeit verleitet, da sie immer die Möglichkeit haben, sich durch eine Opfergabe, von ihren Sünden, zu befreien (vgl. 365a – b). Diese Widersprüche führen Adeimantos dazu, zu sagen, dass es noch keinem, auch nicht Sokrates, gelungen ist, die Gerechtigkeit als das höchste und wichtigste Gut anzupreisen und die Ungerechtigkeit als das schlimmste Unheil aufzuzeigen, was dem Menschen widerfahren kann (vgl. (366b – d).
Aus diesem Grund wird Sokrates dazu aufgefordert, aufzuzeigen, dass die Gerechtigkeit das höchste Gut ist, welches man verfolgen sollte, erstrebenswerter ist als die Ungerechtigkeit (vgl. 367b). Jedoch wird er dazu angehalten, nicht nur den „Schein der Gerechtigkeit“ und den „Schein der Ungerechtigkeit“ zu erwähnen (vgl.367c). Sokrates wird daher angehalten nicht nur an der „Oberfläche zu kratzen“, sondern in die „Tiefe“ der Thematik einzusteigen. Um dieser bitte nachzukommen, versucht Sokrates, vom Großen, hier dem Staat, auf das Kleine, dem Individuum, zu schließen (vgl. 369a).
3.1.4.3 Der platonische Staat – von der notdürftigen Stadt zum Wächterstaat
Aus diesem Grund beginnt Sokrates mit der Beschreibung und dem Aufbau des platonischen Staates. Sokrates geht davon aus, dass sich einzelne Städte, aber auch ganze Staaten, aus dem notwendigen Bewusstsein der Bedürfnisbefriedigung bilden (vgl. 369b – 370d) . Bei der Bildung der Stadt unterscheidet er die Entwicklung in drei Polis – Stufen (vgl. Höffe 2011: S.52). Den Beginn macht die primitivste Urform einer Stadt, die Sokrates auch die „notdürftigste Stadt“ ( 369e) nennt. Die Basis dieser Stadt bilden vor allem die Handwerker (Baumeister), Bauern (Ackersmann) und Händler (Weber, Schumacher, usw.), auf der Grundlage der Bedürfnisbefriedigung (vgl. 369d – e). Am Ende der Polisentwicklung bilden diese Berufsgruppen den dritten Stand innerhalb der Gesellschaft (vgl. Höffe 2011: S.52). Diese „notdürftige Stadt“ charakterisiert sich dadurch, dass sie gesund ist (vgl. Höffe 2011: S.53). Konkret zeigt es sich dadurch, dass sie für ein „unschuldiges Gemeinwesen, dass die dekadenzverursachenden Faktoren, die Versuchung der Ungerechtigkeit, nicht kennt“ (Höffe 2011: S.53) steht. Somit wird die gesunde Polis, welche sich vor allem durch die Befriedigung der Grundbedürfnisse, die mit Hilfe der gemeinschaftlichen Bedarfsdeckung gelöst wird, begründet (vgl. Höffe 2011: S.55). Die Arbeitsteilung, die durch die gemeinschaftliche Bedarfsdeckung erfolgt, ermöglicht ein hohes Maß an Lebenserleichterung (vgl. ebd.). Die Arbeitsteilung ist jedoch nur möglich, da sich jeder Mensch auf eine Aufgabe spezialisiert hat. Diese drei Punkte, Arbeitsteilung, Spezialisierung und Kommunikation führen dazu, dass Konflikte selten vorkommen und die Gemeinschaft auch ohne Gesetze, Regeln oder politische Heerscher, die für Ordnung sorgen, auskommt (vgl. Höffe 2011: S.57). Otfried Höffe nennt diesen Zustand auch, einen „vorpolitischen“ Zustand, der außerhalb der Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit besteht (vgl. ebd.). Die Frage nach der Gerechtigkeit kann mit Hilfe der gesunden Polis nicht beantwortet werden, da sie noch zu „primitiv“ ist und die Menschen in einer zu großen Abhängigkeit voneinander existieren.
In einer weiteren „Polisgenese“ (Höffe 2011: S.52) folgt die Weiterentwicklung der Polis auf die zweite Stufe. Diese Stufe wird auch die „üppige“ oder „aufgeschwemmte“ Polis genannt, da nun nicht nur, die Bedürfnisbefriedigung und das Überleben im Vordergrund stehen, sondern auch die Vorzüge des gesellschaftlichen Lebens hinzukommen (vgl. ebd.). Daraus folgt, dass eine kultiviertere, gebildetere und zivilisierter Polis entsteht. Laut Glaukon kann die gesunde Polis nicht das Maß aller Dinge sein, da sie, seiner Meinung nach mit dem Dasein der Tiere, hier Schweinen, gleichkommt (vgl. 372d – e). Demzufolge ist eine Weiterentwicklung der Polis notwendig, auch wenn die üppige Polis eher negativ und rückschrittig angesehen wird, kommt sie der Realität wesentlich näher als die gesunde Polis (vgl. Höffe 2011: S.59). Die Menschen in der üppigen Polis streben nicht mehr nur nach der Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse, sondern haben ein ganz anderes Konsumverhalten entwickelt als vorher, dieses entsteht vor allem durch Unzufriedenheit und Langeweile. Aus diesem Grund entsteht eine unersättliche Gier nach einer Bedürfnisbefriedigung, die die Grundbedürfnisse bei weitem überschreitet (vgl. ebd.). Das immer weiterwachsende Verlangen nach Mehr, führt dazu, dass die Produktion von Gütern gesteigert werden muss. Plötzlich werden nicht mehr nur Güter produziert, die zum „Überleben“ benötigt werden, sondern, um die Menschen „bei Laune“ zu halten (vgl. Höffe 2011: S. 59f). „ Das neue Verhältnis zu den Bedürfnissen, das Mehrwollen, erscheint als Denaturierung und Entfremdung und die entsprechende Polis als Entartung, als Dekadenz und Degeneration“ (Höffe 2011: S. 59). Des Weiteren führt das Verlangen nach neuen und extravaganten Gütern, dazu, dass das Handwerk, welches seit Beginn in der Polis vorhanden ist, nicht mehr qualifiziert genug ist, um die Bedürfnisse zu befriedigen. Es entstehen neue Berufsgruppen, was dazu führt, dass mehr Menschen in die Stadt kommen und diese weiterwächst. Der Anstieg der Bevölkerung führt dazu, dass das zur Verfügung stehende Territorium knapp werden könnte (vgl. 373d). Folglich ist es notwendig, das Territorium zu erweitern, damit es innerhalb der Gesellschaft nicht zu sozialen Konflikten und Besitzansprüchen kommt. Um sich Territorial zu erweitern, müssen die Menschen der üppigen Polis von ihren „Nachbarn Land abschneiden“ (373d – e). Dies gelingt nur, durch das gewaltsame Einnehmen vom Land einer anderen Stadt (vgl. 373e). Durch die gewaltsame Übernahme und für die eigene Verteidigung ist es erforderlich, dass Menschen da sind, die sich darauf spezialisiert haben, bzw. für die Kriegsführung spezialisiert wurden (vgl. 374b – d). Durch das Spezialisierungsprinzip, welches bereits für die gesunde Polis charakteristisch war, entsteht die Berufsgruppe der „Wächter“ (vgl. Höffe 2011: S.60). Es wird hierbei zwischen den Wächtern der inneren Sicherheit, der Polizei und der Verwaltung, und den Wächtern für die äußere Sicherheit, dem Militär, unterschieden (vgl. Höffe 2011: S.60). Die Entstehung dieser Berufsgruppe ist erforderlich, da in der üppigen Polis, anders als in der gesunden Polis, innen – und außenpolitische Konflikte auftun und diese durch die Wächter eingedämmt werden müssen und sollen (vgl. ebd.). Die Berufung eines Menschen in den Stand der Wächter erfolgt nicht durch ihr Geburtsrecht, sondern allein auf der Grundlage ihrer Fähigkeiten, sodass jeder, der eine entsprechende Begabung hat, diesem Stand beitreten kann (vgl. ebd.). Die Wächter der Polis sollen von Natur aus, lernbegierig, tapfer, eifrig, stark und sanftmütig gegenüber den Bürgern der Stadt sein (vgl. 376a – c). Damit die Wächter ihre Aufgaben und Pflichten vollkommen nachgehen können, ist es wichtig, dass sie eine besondere Erziehung genießen und bekommen (vgl. 376d – e). Diese Erziehung erfolgt überwiegend in den Bereichen Gymnastik zur Stärkung des Körpers, Musik für die Kunst der guten Rede und der Philosophie (vgl. 376b – e).
Während ihrer Erziehung werden die Wächter fortwährend Prüfungen unterzogen, die letztendlich aufzeigen sollen, wer zum Herrschen und wer zum Dienen geeignet ist (vgl. 412b). Am Ende entstehen somit zwei Gruppen innerhalb des Wächterstandes. Die Klügsten, Stärksten, Tapfersten und Ältesten werden Regenten, die anderen Wehrmänner, bzw. Krieger, genannt (vgl. 412b – 414).
Draus folgt, dass sich aus der einstigen einfachen notdürftigen Gesellschaft, eine Gesellschaft mit drei Ständen entwickelt hat. Den untersten, bzw. den dritten Stand bilden die Landwirte, Handwerker und Händler der Polis. Die vor allem wichtig für die Wirtschaft innerhalb der Stadt sind. Darauf aufbauend folgt der zweite Stand, der sich aus den Wehrmännern, der Polizei und der Verwaltung zusammensetzt. Den letzten und kleinsten Stand bilden die Regenten, bzw. Herrscher. Ihre Aufgabe besteht darin, die Stadt zu regieren, zu steuern und zu lenken (vgl. 414c – 415d). Mit der Entstehung und der Etablierung der drei Stände innerhalb der Polis ist ihre Entwicklung von der einstigen notdürftigen Stadt zum Wächterstaat abgeschlossen.
3.1.4.4 Zur Gerechtigkeit im Idealstaat
Mit Hilfe der Idee des genannten Staatsmodells, welches Sokrates Glaukon und Adeimantos aufgezeigt hat, möchte Sokrates die Gerechtigkeit im Idealstaat bestimmen und nennen. Die Bestimmung der Gerechtigkeit und der Ungerechtigkeit im platonischen Staat erfolgt durch die vier Grundtugenden im Staat (vgl. 427b). Die vier Grundtugenden sollen helfen, die Natur und die innere Form der Gerechtigkeit genauer zu definieren und zu nennen.
Den Ausgangspunkt der näheren Betrachtung des Gerechten, bzw. der Gerechtigkeit im aufgezeigten Staat, bildet die Tatsache, dass sie „vollkommen, weise, tapfer, besonnen und gerecht“ ist (vgl. 427e). Der Staat wird jedoch erst zu diesem vollkommenen Idealstaat, wenn sich diese vier genannten Tugenden zusammentun. Um zu überprüfen, ob alle vier Tugenden im Idealstaat vorherrschen, möchte Sokrates, jede einzelne Tugend untersuchen (vgl. 428a).
- Arbeit zitieren
- Guelcan Tayan (Autor:in), 2021, Platons Politeia und der gerechte Staat. Eine Analyse des Verständnisses der Gerechtigkeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1274439
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