Diese Arbeit beschäftigt sich mit den zeichenhaften Ordnungen zur Darstellung der ambivalenten Geschichte in Heinrich von Kleists Novelle "Die Marquise von O". Wem gehört die Zukunft und wie stellen sich Gesellschaften beziehungsweise einzelne Leute ihr zukünftiges Leben vor? Diese Frage ist geradezu keine Selbstverständlichkeit und gerät ins Visier unterschiedlicher Debatten über das geschichtsphilosophische Zukunftsdenken.
Diesbezüglich ist es ersichtlich, dass Hegel fatalistisch auffasst, dass die Zukunft unvorhersehbar und unvermeidlich ist. Mit anderen Worten sind die transzendente Weltdeutung und die Zukunftsvoraussagen unsinnig und sollen gar nicht zur Diskussion gestellt werden. Wenn man jedoch jüdisch-christliche eschatologische Ansichten und die Palette von sich stetig entwickelnden Theorien zugleich über die Zukunftsforschung durchforstet, dann verliert Hegels Gedankengut an Gewicht, weil sich der Wunsch allenthalben in der Geschichtswissenschaft und –philosophie nach der wissenschaftlichen und philosophischen Vorwegnahme und Festlegung zukünftiger Ereignisse regt.
Als herausragender Indikator für diese hellsichtige Hochrechnung von Zukünftigem und prognostischen Visionen sind die wirtschaftlichen Konjunkturen, gesellschaftlichen Strukturen, mentalitätsprägenden Einflüsse sowie die Männer der Politik in der Gegenwart. Auch Träume mit therapeutischer und prognostischer Funktion und sonstige Achtsamkeitsverhalten zählen dazu.
Dem französischen Historiker Georges Minois zufolge soll die Zukunft von Individuen und Gesellschaften vorausgesagt werden. Minois entwickelt fünf Formen der Zukunftsvorhersage: das Zeitalter der Orakel, der Prophezeiung, der Astrologie, der Utopien und der wissenschaftlichen Vorhersagen. Diese Formen sind ebenfalls stellenweise in Lucian Hölschers "Die Entdeckung der Zukunft" anzutreffen. Hölscher entwickelt eben durchaus im Anschluss an Reinhard Koselleck eine Ideen- und Bedeutungsgeschichte von Zukunft und geht von der „vergangenen Zukunft“ aus.
Vor allem aber zeigt er, dass die Vorstellung von der Zukunft als einem einheitlichen Zeitraum sich erst im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts in Westeuropa bildete und mit dem neuzeitlichen Konzept der Geschichte eng zusammenhängt. An diesem Punkt setzt Hölscher den Akzent sowohl auf die Institutionalisierung der Zukunftsforschung bzw. Futurologie als eigene Wissenschaft als auch auf Zukunftsvorstellungen als neuzeitliches Phänomen.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- I. Konzeptklärung
- I.1 Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
- I.2 Zeit und Geschichte in der Literatur
- I.3 Wie Gegenwart Zukunft wird?
- Erwünschte Zukunft in Die Marquise von O...
- II.1 Zukunftsvorstellungen in der Novelle
- II.1.1 Ungewollte Schwangerschaft
- II.1.2 Zwischen Dankbarkeit und Heiratsantrag
- II.1.3 Zwischen erhoffter und unerwünschter Vermählung
- II.2 Zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
- Schlussbetrachtung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Hausarbeit befasst sich mit der Frage nach der „erwünschten Zukunft“ in Heinrich von Kleists Novelle „Die Marquise von O...“. Die Analyse untersucht, wie die Figuren der Novelle ihre Zukunftsperspektiven gestalten und wie diese unter Einflussnahme sozialer Zwänge scheitern. Die Arbeit greift dabei auf geschichtsphilosophische Konzepte von Zeit und Geschichte zurück, um die in der Novelle präsentierten Zukunftsvorstellungen zu beleuchten.
- Die Bedeutung von Zeit und Geschichte in der Literatur
- Zukunftsvorstellungen und -wünsche in „Die Marquise von O...“
- Die Rolle sozialer Zwänge bei der Gestaltung der Zukunft
- Die Konfrontation mit unerwünschten Entwicklungen und deren Auswirkungen
- Die ambivalente Natur der „erwünschten Zukunft“ in der Novelle
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in die Thematik der Zukunftsvorstellungen in der Literatur ein und stellt die Fragestellung der Arbeit vor. Kapitel I. widmet sich der Konzeptklärung und analysiert die formalen Zeitstrukturen, die für die Analyse der Novelle relevant sind. Dabei werden verschiedene Thesen über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in den Blick genommen. In Kapitel II. werden die Zukunftsvorstellungen in Kleists Novelle „Die Marquise von O...“ untersucht, wobei die Figuren der Novelle und ihre individuellen Zukunftsperspektiven im Fokus stehen. Besondere Aufmerksamkeit wird dabei auf die Frage gerichtet, wie die Figuren ihre Zukunft gestalten wollen und wie diese Pläne unter dem Einfluss sozialer Zwänge scheitern.
Schlüsselwörter
Zukunftsvorstellungen, Literatur, „Die Marquise von O...“, Heinrich von Kleist, Zeit, Geschichte, Sozialer Zwang, Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft, Novelle, Wunsch, Erwünschte Zukunft, Geschichtsphilosophie, Konzepte, Analyse
- Arbeit zitieren
- Joel Henri Tatissong (Autor:in), 2021, Erwünschte Zukunft in Heinrich von Kleists Novelle "Die Marquise von O", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1275407