China, die USA und die "neue Weltordnung". Europas Rolle im Ringen der Systeme


Hausarbeit, 2021

25 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe

Inhalt

Einleitung

1. Die „neue“ Weltordnung
1.1 Russland und Amerika
1.2 China: Aufstrebende Weltmacht
1.3 Fazit: Die „neue“ Weltordnung

2. Das Ringen der Systeme

3. Europäische Positionierung in der neuen Weltordnung
3.1 Aktuelles Verhältnis zwischen der EU und China
3.2 Leitidee einer europäischen Positionierung gegenüber den USA
3.3 Leitideen einer europäischen China-Politik

Fazit und Ausblick

Quellen- und Literaturverzeichnis

Einleitung

„Zeit und Momentum sind auf unserer Seite“ (Xi Jinping)

Im Hinblick auf die Entwicklung Chinas während der letzten 30 Jahre hat der chinesische Präsident Xi Jinping Recht. China entwickelte sich in wenigen Jahrzehnten von einem armen Land zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt. Heute ist Chinas politischer und wirtschaftlicher Einfluss überall spürbar. Die „neue Seidenstraße“, Chinas Militärbasis in Dschibuti oder der 17+-Gipfel veranschaulichen die Großmachtambitionen der Volksrepublik. In der „neuen Weltordnung“ spielt das autoritär regierte Land längst eine führende Rolle und setzt ein alternatives, erfolgreiches System zur westlichen Demokratie. Die USA haben sich in diesem „Ringen der Systeme“ bereits unter Obama und Trump klar gegen Chinas wachsenden Einfluss gestellt und versuchten, ihre Vormachtstellung und ihr demokratisches System gegenüber der Volksrepublik zu verteidigen. Auch in der Europäischen Union (EU) nimmt der Diskurs über eine Positionierung gegenüber China und in der „neuen Weltordnung“ zu. Im aktuellen Außenministertreffen der EU vom 13.07.2021 war der zukünftige Umgang mit der Volksrepublik das bestimmende Thema.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die drängende Frage: Wie sollte sich die EU im Hinblick auf Chinas wachsenden Einfluss und die neue Weltordnung positionieren?

Zur Beantwortung dieser Frage wird zunächst die „neue Weltordnung“ und das daraus resultierende „Ringen der Systeme“ analysiert. Dabei wird die Staatsform, Bedeutung und Regierungsweise Chinas als Gegenmodell zur westlichen Demokratie erklärt. Im zweiten Teil dieser Arbeit werden Handlungsempfehlungen bzw. Leitlinien zum zukünftigen Verhältnis mit den USA sowie einer europäischen China-Politik erarbeitet. Abschließend folgt ein Ausblick über die Chance, die die neue Weltordnung für die europäische Außenpolitik darstellt. Ziel dieser Arbeit kann aus zeitökonomischen Gründen nicht sein, eine genaue China-Politik zu erarbeiten, sondern grundlegende Ideen zur Positionierung vor dem aktuellen Hintergrund auszuarbeiten.

1. Die „neue“ Weltordnung

Weltordnungen sind in der Regel von Dauer. Die letzte länger bestehende war die bipolare Weltordnung zwischen den USA und der Sowjetunion, den beiden Führungsmächten in Folge des Zweiten Weltkrieges. Mit der Auflösung der Sowjetunion und des Warschauer Paktes endete diese bipolare Weltordnung im Jahr 1989. Als klarer Sieger gingen die USA bzw. „der Westen“ hervor. Infolgedessen entstand eine neue, unipolare Weltordnung mit den USA an der Spitze der Welt. Der Weg war frei für ein konkurrenzloses Amerika. Francis Fukuyama verkündete gar das „Ende der Geschichte“ (vgl. Erler 2017, 7).

1.1 Russland und Amerika

Doch in den vergangenen Jahrzehnten verloren die USA an internationalem Einfluss und wurden durch die Terroranschläge 2001 verwundet. Die Wiederherstellung des Respekts vor der alleinigen Weltmacht funktionierte weder militärisch noch politisch (vgl. Erler 2017, 8). Schließlich betrieb Donald Trump stark isolationistische Politik, zog sich aus multilateralen Abkommen heraus und beschleunigte das Ende der unipolaren Weltordnung. Heute stehen die USA vor gewaltigen innenpolitischen Herausforderungen, die ein entschlossenes internationales Auftreten erschweren.1 Während der letzten 30 Jahre nahm die Rolle der USA als alleinige Weltmacht also zunehmend ab.

Russland verlor in den letzten Jahrzehnten als „Verlierer“ des Kalten Krieges noch weitaus mehr Einfluss. Die Regierung unter Putin versuchte erfolglos, Russland durch eine klare Abgrenzung zum Westen zu alter Stärke zu führen und wieder die Rolle als Weltmacht einzunehmen.2 Putin lehnt die unipolare Weltordnung ab, fordert eine Position auf Augenhöhe mit den USA und hält an seinen Einflussgebieten wie Belarus fest. Lediglich militärisch erzielt Moskau leichte Erfolge im Ringen um gleiche Augenhöhe mit Washington (vgl. Erler 2017, 11). Wirtschaftlich ist Russland jedoch schon lange nicht mehr auf dem Niveau einer Weltmacht.3 Die russische Wirtschaft ist vom Handel mit Rohstoffen dominiert, ähnlich wie bei vielen Entwicklungsländern. Das Bruttosozialprodukt ist geringer als das von Italien und beim Pro-Kopf-Einkommen liegen sogar Rumänien und die Türkei mittlerweile vor Russland (vgl. Åslund 2021). Während Russland heute also militärisch weiterhin als Weltmacht auftritt, kann es diese Rolle aus wirtschaftlicher Sicht nicht erfüllen.

Zusammenfassend hat sich die Weltordnung in den letzten 30 Jahren also stark verändert. Russland ging als Verlierer aus dem Kalten Krieg und verlor zunehmend an wirtschaftlichem Gewicht und damit auch an internationalem Einfluss. Auch die USA mussten in den vergangenen Jahren (gerade unter Trump) Bedeutungsverluste in der Welt hinnehmen. Vor diesem Hintergrund entstand eine andere Weltmacht, die dieses Machtvakuum nutzte: China.

1.2 China: Aufstrebende Weltmacht

Die 1949 unter Mao Zedong gegründete Volksrepublik China erlebte Jahrzehnte des politischen Wandels: von der "Hundert-Blumen-Bewegung" über den "Großen Sprung" bis zur Kulturrevolution. China war lange Zeit ein in weiten Teilen von bitterer Armut geprägtes Land. Die anschließende sozialistische Modernisierung bereitete den Boden für einen beispiellosen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aufbruch (vgl. Schmidt-Glintzer 2008). China hat sich durch einen gewaltigen Reformprozess seit den 1970er Jahren innenpolitisch modernisiert und stabilisiert und globalpolitisch zunehmend an Einfluss gewonnen. Seit den 1980er Jahren wuchsen Chinas Wirtschaft und der Wohlstand und Lebensstandard der Bevölkerung kontinuierlich an (vgl. Heberer 2020).

Bei der Volksrepublik China handelt es sich um ein nicht liberales, autoritäres Regierungssystem. Der Staatsaufbau folgt in Kernelementen immer noch dem Modell der ehemaligen Sowjetunion. Die regierende Kommunistische Partei Chinas (KPC) durchdringt den Staat und die Gesellschaft auf allen Ebenen und hat ein absolutes Machtmonopol (vgl. Heilmann et al. 2018). Wesentliche Verfassungspunkte Chinas sind umfassende Durchgriffsbefugnisse der Zentralregierung, eine Gewaltenkonzentration anstatt Gewaltenteilung und die Unterordnung individueller Rechte gegenüber kollektiven Rechten, die durch die KPC definiert werden. Die Partei, nicht das Volk, ist der Souverän im Staat (vgl. Heilmann et al. 2018). Partei und Staatschef Chinas ist seit 2012 Xi Jinping. Unter ihm nehmen restriktive und repressive Herrschaftspraktiken sowie der Nationalismus, aber auch seine Macht und sein Personenkult, deutlich zu. Die Volksrepublik ist seit 2012 in allen Bereichen stärker zentralisiert, reglementiert, institutionalisiert und diszipliniert. Innenpolitisch wurde das Land unter Xi Jinping zunehmend autoritärer und ideologieorientierter, außenpolitisch herausfordernder (vgl. Heberer 2020). China bekennt sich offen zum Autoritarismus und sieht sich darin der westlichen Demokratie als überlegen (vgl. Friedensgutachten 2021).

Dass China heute als neue Weltmacht begriffen wird, liegt vor allem am wirtschaftlichen Gewicht des Landes. Obwohl der Kommunismus herrscht, verzeichnet China praktisch den größten Wirtschaftsaufschwung der modernen Geschichte (vgl. Ten Brink 2021). Das Land ist heute die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt, hat die flächendeckende Armut besiegt und Russland schon vor Jahren als wichtigsten Wirtschaftspartner der zentralasiatischen Staaten abgelöst (vgl. Erler 2017, 18). Dabei verfügt die Volksrepublik über ein einzigartiges Wirtschaftssystem, dass für viele Beobachter im Westen zunächst ein Paradoxon darstellte: China verbindet die Teilnahme an der kapitalistischen Marktwirtschaft mit planwirtschaftlichen Elementen - also zwei Aspekte, die zuvor miteinander konkurrierten. Der Parteistaat setzt auf Märkte, steuert diese jedoch massiv und priorisiert die Förderung des heimischen Marktes (vgl. Ten Brink 2021). Vor allem in zukunftsorientierten Bereichen wie Internettechnologien, der KI oder Elektroautos haben chinesische Unternehmen mittlerweile ihre technologische Rückständigkeit überwunden (vgl. Ten Brink 2021). China ist zudem die mit Abstand größte Exportnation weltweit und profitiert daher enorm von offenen Märkten (vgl. Statista 2021). Um den globalen Handel weiter zu stärken und an Einfluss zu gewinnen, verfolgt Xi Jinping seit 2012 seinen „Marsch nach Westen“ (vgl. Erler 2017, 12). Ausdruck dieser Strategie ist das umstrittene Projekt der „neuen Seidenstraße“.4 Sie ist ein bisher einzigartiges, weltweites Wirtschaftsprojekt und gilt als Ausweis von Chinas globalen Ambitionen. Auf diese Weise wird die Volksrepublik ihren wirtschaftlichen Einfluss voraussichtlich weiter ausbauen und ihre Rolle als neue Weltmacht festigen können.

Auch die Außenpolitik Chinas hat sich im vergangenen Jahrzehnt gewandelt. Unter Xi Jinping tritt das Land deutlich selbstbewusster auf und wird auf immer mehr außenpolitischen Feldern aktiv (vgl. Stiftung Wissenschaft und Politik 2020, 5). Die KPC spricht von der „Großen Wiederbelebung der chinesischen Nation“ und verfolgt schon seit Jahren das Ziel, die bisher von der amerikanischen Dominanz geprägte Weltordnung mit ihrem westlich kontrollierten Institutionensystem aufzubrechen und eine „Multipolare Weltordnung“ zu etablieren (vgl. Erler 2017, 14). Dazu dient beispielsweise das Projekt der neuen Seidenstraße. Es sichert China Einfluss, richtet sich klar gegen die amerikanische Marktdominanz und ist eine Antwort auf Obama´s „Pivot to Asia“.5 Kritiker interpretieren das geopolitische Projekt Chinas als den Versuch, die beteiligten Staaten (oft ärmere Länder) wirtschaftlich zu durchdringen und mittelfristig auch politisch unter Druck zu setzen und zu prägen (vgl. Friedensgutachten 2021).6 Während China also wirtschaftlich längst eine Weltmacht ist, versucht es seinen Einfluss auch politisch auf internationaler Ebene auszubauen. Die KPC versucht mit aller Härte, Chinas Geltung auszuweiten, und tritt vor allem im asiatischen Raum (Hong Kong, Vietnam, Südchinesisches Meer etc.) zunehmend aggressiv auf.

Der Blick auf die Ziele der Volksrepublik verdeutlicht den Großmachtanspruch der Volksrepublik, sich nicht in eine aus chinesischer Sicht von der USA dominierten Weltordnung einzufügen. Grundsätzliches Ziel Chinas ist es, seine Unabhängigkeit, gerade angesichts des Handelskrieges mit den USA, zu stärken. Die Parteiführung versucht, die Abhängigkeit von westlicher Technologie so schnell wie möglich zu reduzieren, und setzt verstärkt auf Autarkie, um unabhängiger von Importen, Sanktionen und Schwankungen des Weltmarktes zu werden und den Binnenmarkt zu stärken (vgl. BMWI 2021). Die im aktuellen Fünfjahresplan der Regierung enthaltene Strategie „Made in China 2025“ ist ein groß angelegter Staatsplan (finanziert durch staatliche Banken) zur Förderung von Zukunftstechnologien, in denen China Führungsanspruch erhebt. Die Volksrepublik solle nicht weiterhin „nur“ als Montage- und Fertigungsstätte für Exportprodukte gelten, sondern Führungsnation von Zukunftstechnologie werden (vgl. Ten Brink 2021). Im Jahr 2035 soll die „sozialistische Modernisierung“ abgeschlossen sein. Bis dahin will China die führende Wirtschaftsmacht in zehn Zukunftsbereichen wie KI, Industrie 4.0, Mobilfunk, erneuerbare Energien oder Cybersicherheit werden und darin die internationalen Standards setzen (vgl. SZ 2020). Im Jahr 2049, zum 100-jährigen Geburtstag der Volksrepublik, soll der „chinesische Traum“ erfüllt werden: Der Aufstieg zur führenden Welt- und Wirtschaftsmacht, vor den USA (vgl. Sandschneider 2020). Die KPC zielt also klar auf den globalen Führungsanspruch und setzt dabei vor allem auf wirtschaftliche Stärke.

Doch auch militärisch verfolgt China die Ambitionen einer Weltmacht. Die Volksrepublik rüstet seit Jahren enorm auf und vertritt ihre Ansprüche zunehmend offensiver. Mit der Errichtung der Militärbasis in Dschibuti ist China nicht nur im asiatischen Raum, sondern nun auch in Afrika militärisch aktiv. Zwar ist die Volksrepublik kräftemäßig den USA noch unterlegen, doch dies könnte sich bald ändern: Bis 2049 will die Volksrepublik die größte Militärmacht der Welt werden. Zu Wasser, an Land, in der Luft, am Raketen-Terminal und im Cyberraum: Überall soll die chinesische Volksbefreiungsarmee führen. (vgl. Deutschlandfunk 2021). Dies scheint hinsichtlich Chinas extrem steigender Militärausgaben nicht unrealistisch zu sein.7 Zu ihrem 100-jährigen Geburtstag will die KPC mit China also wirtschaftlich, militärisch und geopolitisch an der Spitze der neuen Weltordnung stehen.

Mit dem Erstarken Chinas und den gestiegenen Ambitionen des Landes steigt auch die internationale Kritik an der kommunistischen Volksrepublik. China weist universell gültige, normative Prinzipien der Menschenrechte zurück und wird seit 2012 zunehmend autokratischer (vgl. Friedensgutachten 2021).8 Im gesamten asiatischen Raum tritt die Volksrepublik immer aggressiver auf und verstärkt ihre militärische Präsenz. Sie erhebt den Anspruch alleiniger Kontrolle über das rohstoffreiche Südchinesische Meer und baut dort längst Militärbasen. Insbesondere die japanisch verwalteten Inseln und Taiwan werden zunehmend bedrängt.9 Experten befürchten, dass China die Insel bis 2049 vereinnahmen könnte (vgl. Deutschlandfunk 2021). Für die autokratische Volksrepublik ist die florierende taiwanische Demokratie ein gefährliches Gegenbeispiel zum eigenen autoritären System.

Neben den Repressionen im Inneren und dem aggressiven Auftreten im asiatischen Raum gerät China auch für seine Wirtschaftspolitik verstärkt in internationale Kritik. Der Volksrepublik werden unfaire Handelspraktiken vorgeworfen. Beispielsweise profitiert China enorm von den offenen Märkten in der EU und den USA und kann dort Unternehmen aufkaufen. Gleichzeitig unterliegen europäische und amerikanische Unternehmen in China nach wie vor zahlreichen Einschränkungen und Diskriminierungen im Vergleich zu chinesischen Unternehmen (vgl. BMWI 2021).10 Diese Ungerechtigkeit war Mitauslöser für Donald Trumps harte China-Politik. Kritiker werfen China neben den unfairen Handelspraktiken vor, asymmetrische Handelsbeziehungen (mit Ländern, die auf chinesische Produkte angewiesen sind) immer offensiver zu nutzen, um nationale Interessen durchzusetzen. Beispielsweise werden Staaten wie Südkorea oder Australien bereits bestraft, weil führende Politiker Kritik an China äußerten (vgl. Friedensgutachten 2021). Im Kontext der „neuen Seidenstraße“ betreibt China laut Kritikern zudem eine „Schuldenfalle-Diplomatie“: Chinesische Banken vergeben gezielt Kredite an Staaten, die diese langfristig nicht bedienen können. Dadurch kann China Abhängigkeiten schaffen, Druck aufbauen und politischen Einfluss sichern. Montenegro oder Sri Lanka veranschaulichen diese Strategie aktuell. Außerdem bleiben chinesische Infrastrukturprojekte der Seidenstraße oft weit hinter etablierten Standards für Nachhaltigkeit, Transparenz und Umweltverträglichkeit zurück (vgl. Friedensgutachten 2021). Zuletzt gerät die Wirtschaftspolitik Chinas auch wegen mangelnden Schutzes geistigen Eigentums in Kritik.11 Aufgrund dieser zahlreichen Kritikpunkte wird das Aufsteigen Chinas vor allem von Regierungen demokratischer Staaten mit Besorgnis betrachtet. Die politischen und wirtschaftlichen Praktiken des Landes sind hochumstritten und mit demokratischen Grundsätzen nicht vereinbar.

Zusammenfassend entwickelte sich China unter der Führung der Kommunistischen Partei in wenigen Jahrzehnten von einer armen Nation zu einer wirtschaftlichen Weltmacht. Die Stärke, mit der die hochmoderne Autokratie wächst, haben viele im Westen nicht antizipiert. Im nächsten Jahrzehnt wird China die USA voraussichtlich als wichtigste Ökonomie der Welt ablösen, und auch politisch und militärisch gewinnt die Volksrepublik zunehmend an Gewicht (vgl. Heilmann 2018). Bis 2049 will die Volksrepublik unter dem Narrativ einer „verantwortlichen Weltmacht“ wirtschaftlich, militärisch und politisch die führende Nation der Welt sein (vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung 2021). Auf Grundlage des Aufstiegs wächst in China der Glaube an die Überlegenheit des eigenen Systems. Die Parteispitze wirbt immer wieder für die autoritäre Regierungsweise und sieht sich dem Westen als überlegen. Der „Sieg über das Virus“ bei gleichzeitigem Wirtschaftswachstum ist das jüngste Kapitel der Erfolgsgeschichte Chinas. In chinesischen Medien wird mit dem Slogan „East rising - West decining“ längst das Ende der amerikanischen Vorherrschaft gezeichnet (vgl. Zeit 2021a). Zum aktuellen 100. Geburtstag der KPC unterstrich Xi Jinping den Führungsanspruch Chinas und beteuerte „Wir werden niemals scheinheilige Predigten von jenen akzeptieren, die glauben, sie hätten das Recht, uns zu belehren“ (Xi Jinping 2021).

1.3 Fazit: Die „neue“ Weltordnung

Unzweifelhaft hat sich die Weltordnung im letzten Jahrzehnt stark verändert. Nach dem Bedeutungsverlust der Sowjetunion stand die USA an der Spitze einer unipolaren Weltordnung. Als dann auch die USA sich zunehmend von der internationalen Bühne zurückzogen, nutzte China die entstandenen Machtvakua. Der Aufstieg der Volksrepublik bringt eine Kräfteverschiebung mit sich und beendet die unipolare Weltordnung. Diese Kräfteverschiebung birgt Konfliktpotential. UN- Generalsekretär António Guterres warnte vor einem neuen Kalten Krieg, in dem zwei Supermächte erneut um ihren Einfluss auf der Welt kämpfen (vgl. Deutschlandfunk 2020). Zwar setzt China keinen allumfassenden Widerspruch zu einem liberalen Wirtschaftssystem – es verdankt seinen eigenen Aufstieg einer globalisierten, vernetzten und kapitalistischen Welt - doch ist das neue „Ringen der Systeme“ unübersehbar. Wie jüngst die Pandemie verdeutlichte, stehen China und die liberale Welt in Wettbewerb: Waren im Kalten Krieg Sozialismus und Kapitalismus die konkurrierenden Gegensätze, so sind es heute Demokratie und Autokratie (vgl. Krumm 2021).

[...]


1 Zu nennen sind die extrem ungleichen Vermögensverhältnisse, der Riss zwischen liberalen, international vernetzten Globalisierungsbefürwortern und deren Gegnern sowie die kulturelle und ethnische Spaltung zwischen Weißen und People of Color (vgl. Schwarzer 2020).

2 Unter Putin isolierte und distanzierte sich Russland im letzten Jahrzehnt zunehmend vom Westen (vgl. Trenin 2002, 2). Die Osterweiterung der NATO und EU wurden abgelehnt und die „Farbige Revolution“ als US-gesteuerte Regime Changes zu Lasten Russlands gewertet. Die Antwort auf die wahrgenommene Bedrohung durch den Westen war die Annexion der Krim und die Destabilisierung der Ukraine (vgl. Erler 2017, 10).

3 Seit 2014 verzeichnet die russische Wirtschaft – die nach wie vor von Korruption, Ineffizienz und Bürokratie geplagt ist - kein echtes Wachstum mehr. 2019 war das Bruttoinlandsprodukt der USA 13-mal höher als das russische (vgl. MDZ 2020).

4 Das 2013 angekündigte Projekt der „neuen Seidenstraße“ ist ein gigantisches Infrastruktur-Investitionsprogramm, das Asien mit Europa und Afrika auf dem Land- und Seeweg besser verbinden soll. Bisher investierte China dafür bereits über 1000 Milliarden Euro, um beispielsweise Eisenbahnverbindungen, Straßen, Brücken, Tunnel, Flug- und Seehäfen sowie Pipelines auszubauen. Das Infrastrukturprojekt soll 60% der Weltbevölkerung miteinander verbinden und so den wirtschaftlichen und geopolitischen Einfluss Chinas ausbauen (vgl. Focus 2021).

5 Damit versuchte Obama, Chinas wachsende Dominanz im gesamtasiatischen Raum einzuhegen (vgl. Erler 2017, 14).

6 In vielen Fällen haben sich die Seidenstraßen-Partnerstaaten nämlich erheblich bei chinesischen Staatsbanken verschuldet (vgl. Tagesschau 2021a).

7 Seit Jahren erhöht die KPC die Militärausgaben stärker als das BPI wächst – der Verteidigungsetat steigt dieses Jahr stärker als erwartet auf 209 Milliarden Dollar (vgl. Zeit 2021a). Die Volkrepublik hat bereits die meisten Kampfschiffe und die größte Truppenstärke weltweit und baut künstliche Inseln mit militärischer Infrastruktur im Südchinesischen Meer (vgl. Deutschlandfunk 2021).

8 Es gibt keine freie Presse und keine Gewaltenkontrolle. Das Sozialkreditsystem ist eine Totalüberwachung, Minderheiten werden diskriminiert. Im Kontext der Menschenrechtsverletzungen an den Tibetern und Uiguren (muslimische Minderheit) sprechen Experten bereits von einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit. In Hongkong hat China völkerrechtlich bindende Verträge gebrochen, um die Demokratiebewegungen zu schwächen, und droht mit der Zerschlagung der Hongkonger Autonomie. Außerdem vollzieht die KPC weltweit Desinformationskampagnen und Cyberangriffe (vgl. Zeit 2021a).

9 Die KPC betrachtet Taiwan als Teil ihres Staatsgebietes und droht immer wieder damit, das Land mit Gewalt in die Volksrepublik einzugliedern. Schon jetzt erlebt Taiwan jährlich mehrere Millionen von der KPC gesteuerte Cyberangriffe

10 Zu nennen ist der Joint-Venture-Zwang oder der beschränkte Zugang zu bestimmten Wirtschaftssektoren. In vielen Bereichen sind zudem für ausländische Unternehmen nur Minderheitsbeteiligungen möglich. Während hochsubventionierte chinesische Unternehmen und Investoren also in aller Welt Unternehmen kaufen können, schützt China seine eigenen Unternehmen durch beschränkten Marktzugang ausländischer Firmen.

11 In der Volksrepublik sind Verletzungen gegen gewerbliche Schutzrechte besonders zahlreich, und es herrscht ein Zwang zu unfreiwilligen Technologie-Transfers (vgl. BMWI 2021).

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
China, die USA und die "neue Weltordnung". Europas Rolle im Ringen der Systeme
Hochschule
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn  (Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie)
Veranstaltung
Europa und die USA: Brauchen wir uns noch?
Note
1,7
Autor
Jahr
2021
Seiten
25
Katalognummer
V1276168
ISBN (Buch)
9783346728470
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Neue Weltordnung, Europa, USA, China, Ringen der Systeme
Arbeit zitieren
Niklas Waerder (Autor:in), 2021, China, die USA und die "neue Weltordnung". Europas Rolle im Ringen der Systeme, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1276168

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Im eBook lesen
Titel: China, die USA und die "neue Weltordnung". Europas Rolle im Ringen der Systeme



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden