Leseprobe
2. Eine historische und ritualtheoretische Betrachtung der Schwertleite im Mittelalter
2.1 Ablauf und Bedeutung der Schwertleite
2.2 Einordnung der Schwertleite in die Ritualtheorie Stollberg-Rilingers
3. Die Schwertleite Parzivals in Wolframs von Eschenbach Parzival
3.1. Relevante Handlungsschritte im Vorfeld der Schwertleite
3.2 Die Schwertleite Parzivals in Folge des Ither-Kampfes
3.3 Relevante Handlungsschritte im weiteren Textverlauf
4. Parzivals Schwertleite als gestörtes Ritual
4.1 Einordnung der Schwertleite Parzivals in den historischen Kontext
4.2 Einordnung der Schwertleite Parzivals in die Ritualtheorie Stollberg-Rilingers
5. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„Rituale sind allgegenwärtig und wirkmächtig, auch heute noch.“[1] Unser Alltag ist von ihnen geprägt, sie begegnen uns im privaten und beruflichen, im geistlichen und weltlichen Bereich, unter Vertrauten genauso wie unter Fremden. Mehr noch als in der heutigen Zeit verhalfen sie den Menschen im Mittelalter zu einem besseren Verständnis und Umgang mit der eigenen Lebensrealität. Sie lassen uns somit in der Gegenwart Erkenntnisse über das Funktionieren vergangener Gesellschaften erlangen. Ihre Bedeutung für das soziale Miteinander von Menschen spiegelt sich häufig auch an zentralen Stellen literarischer Texte wider – dann aber auffällig oft als nicht normkonformes Ritual. Die Grundzüge der ursprünglichen Ritualhandlung sind zwar noch erkennbar, sie weichen aber so weit vom Prototyp ab, dass von einem gestörten oder gefährdeten Ritual gesprochen werden muss.[2] Doch weshalb lassen sich in mittelhochdeutscher Literatur auffällig häufig gestörte Rituale finden und welche Bedeutung haben sie für die Texte, in denen sie sich zeigen? Um diese Frage zu beantworten, wird die vorliegende Untersuchung diesen Typus von Ritualen exemplarisch in Wolframs von Eschenbach Parzival betrachten. Hierbei steht die Untersuchung ihrer Rolle für den Gesamttext im Fokus.
Der Versroman Wolframs beinhaltet verschiedene ritualisierte Handlungen – darunter das Gralsritual, das Speiseritual oder auch das Frageritual. Als Untersuchungsgegenstand für diese Arbeit soll Parzivals Schwertleite als Ritual der Ritterpromotion dienen, da diese Textstelle den Anschein erweckt, besonders musterhaft ein von der Norm abweichendes Ritual abzubilden.
In einem unehrenhaften Kampf gegen Ither besiegt Parzival seinen Verwandten, raubt ihm die Rüstung und vollzieht mithilfe des Pagen Iwanet und der Umgürtung des Schwertes Ithers eine Art von Schwertleite. Insbesondere die Tatsache, dass dieses Ritual in eine der zentralen Textstellen eingebettet ist, die zweite Sünde Parzivals beinhaltet und nicht normkonform abläuft, eröffnet verschiedene Untersuchungs-ansätze. Der Fokus dieser Arbeit wird daher auf der Frage liegen, inwiefern das Ritual von Wolfram in gestörter Form, also vom Prototyp abweichend, entwickelt wird und welche Bedeutung dies für die Handlung hat. Zudem sollen erste Thesen aufgestellt werden, die Wolframs Entscheidung zu erklären versuchen.
Nach einem historisch-theoretischen Überblick über den Ablauf und die Bedeutung der Schwertleite im Mittelalter wird dieses Ritual in die geläufige Ritualtheorie Stollberg-Rilingers eingeordnet. Diese erlaubt mit ihren Einzelkriterien eine differenzierte Untersuchung des Rituals. Anschließend erfolgt eine Szenenanalyse der Schwertleite Parzivals im Rahmen des Kampfes mit Ither im dritten Buch des Parzival, woraufhin die Frage nach dem gestörten Ritual erneut aufgegriffen und mit dem historischen Kontext und den Ritualkategorien Stollberg-Rilingers abgeglichen wird. Die Arbeit schließt mit einem Fazit, das die Ergebnisse resümiert und einen Ausblick auf weitere Forschungsansätze bietet.
2. Eine historische und ritualtheoretische Betrachtung der Schwertleite im Mittelalter
2.1 Ablauf und Bedeutung der Schwertleite
Mit dem Ritual der Schwertleite wurde im frühen Hochmittelalter die Ritterpromotion vollzogen, indem ein Knappe mit einem Schwert ausgestattet wurde. Meist wurde dieses Zeremoniell zwischen dem 14. und 18. Lebensjahr des jungen Mannes durchgeführt und enthielt als wesentlichen Bestandteil die Umgürtung des Schwertes, die gleichzeitig den Übergang in die Volljährigkeit bedeutete.[3] Ein erstes Beispiel für die Umgürtung des Schwerts lässt sich bereits für das Jahr 791 für den Fall Ludwigs des Frommen nachweisen, bei dem diese Form der Schwertüberreichung gleich zwei Mal praktiziert wurde – zum ersten Mal im Alter von drei Jahren mit kindlichen Waffen bei der Einführung in das Königreich Aquitanien und ein zweites Mal im Alter von 13 Jahren in Regensburg, als er mit seinem Vater, Karl dem Großen, auf den Avarenfeldzug ziehen sollte.[4] Ein prominentes Beispiel im Heiligen Römischen Reich liegt mit den Söhnen König Friedrichs I. vor. Heinrich VI. und Friedrich VI. wurden im Rahmen des Mainzer Hoffests 1184 mit der Schwertumgürtung zu Rittern erhoben. In diesem Fall werden weitere Bestandteile des Rituals wie das Baden, Fasten und Beten am Vorabend aufgeführt.[5] Auch der Bericht von Jean de Marmoutier über die Schwertleite des Grafen Gottfried Plantagenet von Anjou enthält die Beschreibung des Badens vor dem Ritual. Darüber hinaus wird ausführlich das Einkleiden in edle Gewänder, das Überreichen eines reich geschmückten Pferdes und einer außergewöhnlich standhaften Rüstung beschrieben. Bumke gibt zu bedenken, dass diese Beschreibung aufgrund von romanhaften Ausschmückungen nicht vorschnell als historisch korrekt betrachtet werden solle, allerdings einen Einblick in das Protokoll der Schwertleite um die Entstehungszeit der Historia Gaufredi bietet.[6]
Die Schwertleite wurde durch einen angesehenen Fürsten unter der Anwesenheit hoher Geistlicher vollzogen, die einen Schwertsegen erteilten und den Ritter mit seinen Aufgaben vertraut machten. Hierzu zählten insbesondere die Wahrung der Sicherheit der Kirche und die Unterstützung Schutzbedürftiger.[7] Die Schwertleite war üblicherweise in große Feierlichkeiten eingebettet. Zum Teil fanden diese kurz vor der anstehenden Hochzeit des werdenden Ritters statt, in manchen Fällen ist sogar eine Kombination aus Schwertleite und anschließender Machtübergabe überliefert. Zwei Beispiel hierfür sind bei Balduin von Hennegau im Jahr 1163 oder bei Heinrich dem Jüngeren von England im Jahr 1170 zu finden.[8]
Die Terminologie im Mittelhochdeutschen bedient sich verschiedenster Möglichkeiten, den Prozess der Schwertleite zu beschreiben. Beispielsweise dienen wâfen nehmen, wâfen enphâhen, swert geben, swert nemen, aber eben auch swert umbebinden oder swert umbegürten der Verbalisierung der Ritterpromotion. Wolfram führt im Parzival den Ausdruck schildes ambet[9] (154, 22–23) ein, der die Aufnahme des Ritteramtes beinhaltet.[10] Das mittelhochdeutsche Wort swertleite, das sich direkt mit der neuhochdeutschen Schwertleite in Verbindung bringen lässt, scheint seit 1160 geläufig zu sein. Es findet sich im König Rother, bei Heinrich von Melk und in Heinrichs von Veldeke Eineit.[11]
Der wichtigste Aspekt lässt sich an der Einführung des alten Dienstwortes ‚Ritter‘ in den Sprachgebrauch der hochadligen Schwertleite ausmachen, die das Umgürten des Schwertes eindeutig mit der Ritterpromotion verbindet. Die Einführung dieses neuen Begriffs und das Herausbilden des höfischen Zeremoniells dürften zeitlich zusammengefallen sein. Ab der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts nahm die Verwendung des Wortes swertleite wieder ab, eine der letzten überlieferten Verwendungen befindet sich in Konrads von Würzburg Partonopier und Meliur.[12]
2.2 Einordnung der Schwertleite in die Ritualtheorie Stollberg-Rilingers
Zur theoretischen Beurteilung der Schwertleite wird im Folgenden auf die Ritualtheorie Stollberg-Rilingers zurückgegriffen. Unter den verschiedenen Ritualtheorien der wissenschaftlichen Disziplinen eignet sich für die hier vorliegende Untersuchung eine geschichtswissenschaftliche Theorie, da diese im Stande ist, das mittelalterliche Ritual der Schwertleite anhand verschiedener Kriterien im historischen Kontext differenziert zu bewerten. Nach Stollberg-Rilinger ist ein Ritual „eine menschliche Handlungsabfolge […], die durch Standardisierung der äußeren Form, Wiederholung, Aufführungscharakter, Performativität und Symbolizität gekennzeichnet ist […]“.[13] Zudem verfügen Rituale über eine elementar sozial strukturbildende Wirkung.[14]
Die Wiederholung und Standardisierung der äußeren Form zeichnet ein jedes Ritual aus und sorgt für „Erwartungssicherheit und dauerhafte Struktur.“[15] Auf die Schwertleite angewendet ergibt sich diese durch den stets wiederholten Prozess des Schwertumgürtens, der ausgenommen von Differenzen auf sprachlicher Ebene kaum abgewandelt wird. Alle Beteiligten kennen den vorgegebenen Ablauf und sind somit in der Lage, das Ritual als solches zu erkennen und einzuordnen. Zum Kriterium des Aufführungscharakters gehören das Herausheben des Rituals aus dem alltäglichen Handlungsfluss, die demonstrative Aufführung zu besonderen Anlässen, das Markieren der beteiligten Personen durch bestimmte Kleidung, Sprachformeln, aber auch eine besondere materielle Pracht kann ein Indiz für ein Ritual sein.[16] Durch die Integrierung der Schwertleite in große Feierlichkeiten, wie im Beispiel des Mainzer Hoffestes, und das öffentliche Vollziehen der Schwertleite unter der Anwesenheit von Fürsten und Geistlichen, die unter anderem an ihrer distinktiven Kleidung auszumachen sind, kann ebenfalls von einer Ritualisierung gesprochen werden. Das Mainzer Hoffest belegt zudem den Aspekt der materiellen Pracht. Neben einer Festkrönung des Kaiserpaares, einem Festzug, einem eindrucksvollen Ritterturnier mit 20.000 Rittern sowie einem Festmahl[17] ist in Bezug auf die eingebundene Schwertleite die Sprache von „größte[r] Pracht und Ehre […]“ (lat. „in maxima gloria et honore“).[18] Das Kriterium der Symbolizität ist im Zusammenhang der Schwertleite ebenfalls erfüllt. Das Ritual deutet über sich selbst hinaus auf einen größeren Ordnungszusammenhang und symbolisiert Einheit, Grenzen und Ordnungsprinzipien der Gemeinschaft. Im Falle des Schwertumgürtens wird auf den Prozess der Ritterpromotion und die mittelalterliche Ständegesellschaft mit ihren höfischen Normen und Werten verwiesen. Performativ ist die Schwertleite insofern, als sie ihre Wirkung – nämlich das Erheben eines jungen Mannes zum Ritter und den gleichzeitigen Übergang in die Volljährigkeit – erst durch das Umgürten der Waffe entfaltet. Hierdurch wird die soziale Wirklichkeit gewandelt und nonverbal eine Verpflichtung ausgesprochen – alle Beteiligten müssen sich ab dem Zeitpunkt des Rituals an das halten, was durch die Ritualhandlung vereinbart wurde. Ein Bruch dieser Vereinbarung würde gesellschaftliche Konsequenzen nach sich ziehen. Es besteht also eine Zäsur, die das Vorher und Nachher voneinander trennt.[19]
Die Schwertleite wird an einem Individuum vollzogen, bewirkt aber eine Änderung, die auf die gesamte Gesellschaft bezogen ist und von dieser akzeptiert werden muss, damit die Bedeutung legitimiert wird. Der individuelle Statuswechsel verweist wiederum auf die Gesellschaft, in der ein übergeordnetes Konzept von Ständen bekannt und akzeptiert sein muss. Der Übergang vom jungen Mann zum Ritter ist ein besonderer Punkt im Leben eines Adligen. Durch das Ritual wird an die Vergangenheit und die Ausbildung erinnert, während Handlungsverpflichtungen für die Zukunft aufgestellt werden. Dass dieser Übergang gerade äußerlich vollzogen werden muss, bedingt sich im Vergleich zu wandelbaren individuellen Einstellungen durch die Beständigkeit gesellschaftlicher Normen, auf denen dauerhafte Institutionen gegründet werden können. Stollberg-Rilinger bezeichnet dies als die sozial strukturbildende Wirkung[20] und konstatiert: „Ohne Rituale gibt es keine gesellschaftliche Ordnung, keine Institutionen, keine dauerhafte soziale Struktur.“[21]
Insgesamt bestätigt die Überprüfung der Kriterien Stollberg-Rilingers den Ritualcharakter der Schwertleite im Abgleich mit den historischen Beispielen aus der Zeit des Hochmittelalters aus 2.1.
3. Die Schwertleite Parzivals in Wolframs von Eschenbach Parzival
3.1. Relevante Handlungsschritte im Vorfeld der Schwertleite
ichne will niht langer sîn ein kneht / ich sol des schildes ambet hân. (154, 22f.) Parzivals Wunsch, Ritter zu werden, der erstmals bei der Begegnung mit Rittern in der Einöde Soltanes aufkommt, gipfelt im dritten Buch des Parzival im Kampf mit dem roten Ritter Ither. In diesem Kontext wird Parzival das Schwert Ithers umgegürtet und somit eine scheinbare Ritterpromotion vollzogen.
Da die Schwertleite Parzivals von Wolfram nur kurz beschrieben wird, ist es notwendig, einige Textstellen chronologisch vor und nach der eigentlichen Schwertleite hinzuzuziehen. Dies ermöglicht, die Entwicklung bis zu diesem Punkt und einige nachgetragene Aspekte, die auf die eigentliche Schwertleite rekurrieren, sowie die Konsequenzen für den weiteren Handlungsverlauf zu verstehen.
So wirken sich Parzivals Aufwachsen in der Abgeschiedenheit und die Erziehung durch seine Mutter, die ihn mit allen Mitteln vom für ihn vorbestimmten Rittertum fernhalten will, unmittelbar auf die Schwertleite aus. Parzival befindet sich in einem Stadium der Selbstentdeckung. Als er den Rittern begegnet, faszinieren ihn ihre glänzenden Rüstungen, die ihm gleichzeitig den Zusammenhang zum Rittersein verständlich machen. Von diesen Rittern erfährt er, wie er selbst zu ihresgleichen werden kann.[22] „Parzival versteht Rittersein als etwas, das gegeben wird.“[23] Nach diesem Etwas wird er suchen, um seiner art (123, 11) nachzukommen.
Ott weist darauf hin, dass Herzeloyde ihren Sohn – nachdem sie ihn von seinen Plänen, Ritter zu werden, nicht abhalten kann – mit einem schlechten Pferd und Narrenkleidern ausstattet, damit er möglichst schnell negativen Erfahrungen ausgesetzt sein werde und zu ihr zurückkehre.[24] Nachdem Parzival seine Mutter verlässt, um sich am Hof Artus‘ zum Ritter ausbilden zu lassen, begegnet er Karnahkarnanz, der seine art erkennt und ihm den Weg zu Artus deutet. Dass Parzival ritterliche Eigenschaften in sich trägt, zeigt sich, „wenn die Mutter ihm von Lähelin erzählt, wenn er Sigunes Schmerz um Schiunatulander sieht und wenn Cunneware um seinetwillen beschimpft wird.“[25] In diesen Situationen ist Parzivals Handeln geprägt von seinem Gerechtigkeitssinn und der Überzeugung, für die Schwachen einzutreten.[26] Dass er am Hof Artus‘ von diesen Werten Abstand nimmt und die Rüstung Ithers aus der Hand des Königs fordert, lässt sich nur durch seine Torheit und sein Aufwachsen fernab der höfischen Welt begründen, die ihn seine eigentlich ritterlichen Werte vergessen lassen. Doch nicht nur Parzival macht sich mit seinen Forderungen schuldig. Genauso ist es Artus selbst, der durch das Zusagen der Waffen Ithers in negativer Weise dargestellt wird. Stock weist in dieser Szene auf stark asymmetrische Beziehungen hin. Parzival fordert von Artus Anerkennung ein, obwohl er sich der Signifikanz und der Abläufe der höfischen Rituale nicht bewusst ist. Genau dieses Wissen ist aber notwendig, „um eine Identifizierung im Akt der Schwertleite, des Rittermachens, gelingen zu lassen.“[27] Nachdem Artus auf die Forderungen Parzivals vorerst mit Zögern reagiert, belegt der Vers der knappe iedoch die gâbe enpfienc (150, 27) deutlich, dass „König Artus [...] Waffen verschenkt, die ihm nicht gehören, und seine Zustimmung dazu gibt, daß ein Knabe im Torenkleid gegen einen wohlgerüsteten Ritter angeht, um ihm seine Rüstung abzunehmen. Dieser allen Regeln des höfischen Anstands spottende Vorgang gewinnt bei Wolfram die Bedeutung einer ritterlichen Schwertleite!“[28] Auch Schröder erkennt eine Mitverantwortung am Ither-Mord bei Artus: „in der Klage über den Tod Ithers, der wîben nazziu ougen liez (155,14) und über den manec ritter weinde, / der klagende triwe erscheide (159,23f.), steckt auch eine unausgesprochene Anklage gegen Artus, der das Unfaßliche mindestens zugelassen hat […]“[29]
3.2 Die Schwertleite Parzivals in Folge des Ither-Kampfes
Mangels besseren Wissens und einer standesgemäßen Ausbildung ist es Parzival nicht möglich, sein törichtes Leben hinter sich zu lassen. Wie von seiner Mutter vorbestimmt und durch Artus legitimiert, zeichnet sich Parzivals Verhalten während des Kampfes mit Ither durch verschiedene Vergehen aus. Die größte Sünde ist zweifelsohne der unehrenhafte Kampf gegen einen Verwandten mit einem unritterlichen Wurfspeer, der im Mord gipfelt. Bedenkt man, dass Ither aus ritterlichem Ehrempfinden nicht die eiserne Spitze, sondern das stumpfe Ende seiner Lanze gegen Parzival einsetzt,[30] erscheint Parzivals Vorgehen umso grausamer und unkontrollierter. Auch die Leiche Ithers behandelt Parzival nicht mit dem gebotenen Respekt. Er wälzt sie hin und her und versucht so, seiner Rüstung habhaft zu werden, jedoch ohne Erfolg. Erst mit Hilfe des Knappen Iwanet kann er die Rüstung anlegen. Dieser gürtet ihm auch das Schwert Ithers um: der gurte im umbe ein scharpfez swert (157, 22). Hierin liegt – lediglich in einer kurzen Sequenz dargestellt – die eigentliche Schwertleite Parzivals. Die Bitte Parzivals, ihm den Köcher mit den Wurfspießen umzulegen, welcher der Knappe widerspricht, da diese Ausstattung für einen Ritter unpassend wäre, belegt erneut die Unwissenheit des jungen Ritters bezogen auf die höfische Welt.[31]
Auffällig ist, dass Parzival vor dem Kampf und der vollzogenen Schwertleite keinerlei Ausbildung genossen hat, wie es für einen angehenden Ritter üblich wäre. Die erste Ausbildung wird in Kurzform unmittelbar nach der Schwertleite beschrieben. Iwanet bringt Parzival bei, das Schwert aus der Scheide zu ziehen (vgl. 157, 23), lehrt ihn Tapferkeit – wiederriet im vliehen (157, 24) und überreicht ihm sein erstes Pferd – dô zôch er im dar nâher sân / des tôten mannes kastelân (157, 25f.) – wie bei Rüstung und Schwert handelt es sich auch hier um Raubgut.
- Arbeit zitieren
- Tom Hackbarth (Autor:in), 2022, Das gestörte Ritual der Schwertleite Parzivals in Wolframs von Eschenbach "Parzival", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1280737
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