Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Antwortstrategien und deren Bewertung bei Klaus v. Stosch
2.1. Theoretische Theodizee
a. Bonisierungs- und Depotenzierungsversuche
b. Die Verteidigung der Prädikationen Gottes
c. Die Verteidigung der Naturgesetze
d. Die Menschliche Freiheit
2.2. Praktische Theodizee
2.3. Theodizee und Handeln Gottes
3. Antwortstrategien bei C.S. Lewis
3.1. Das Problem
3.2. Die Allmacht
3.3. Die Gutheit
3.4. Die Menschliche Bosheit
3.5. Der Fall des Menschen
3.6. Menschlicher Schmerz
3.7. Die Hölle
4. Fazit
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Krankheiten, Schmerzen und menschliche Tragödien gehören untrennbar zu dieser Welt. Jeden Tag und jede Minute gibt es Menschen, die unsagbarem, sinnlosem Leiden ausgesetzt sind. Wie kann in Anbetracht der Tatsache sinnlosen Leidens überhaupt ein Glaube an einen allgütigen, allmächtigen und allwissenden Gott verantwortet werden? Dieser Frage soll in dieser Seminararbeit mithilfe zweier Bücher nachgegangen werden. Zu Beginn liegt das Buch „Theodizee“ von Klaus v. Stosch im Fokus. Mithilfe einer ausführlichen Schilderung sowohl der Argumente als auch deren Beurteilung durch den Autor soll hiermit ein Überblick zu den Antwortversuchen in der Theodizeefrage gegeben werden. Als Vergleichswerk wird im zweiten Teil dieser Arbeit das Buch „Über den Schmerz“ von C. S. Lewis herangezogen.
Ziel dieser Arbeit ist die Ausarbeitung der Argumentationsstrategien beider Autoren, um einen umfassenden Einblick in die Fragestellung der Theodizee zu gewinnen.
2. Antwortstrategien und deren Bewertung bei Klaus v. Stosch
2.1. Theoretische Theodizee
a. Bonisierungs- und Depotenzierungsversuche
Um die Widerspruchsproblematik der Theodizee aufzulösen legt Stosch zwei Lösungswege dar. Zum einen wird der Ansatz einer Neuinterpretation von Leiden behandelt, zum anderen werden die Prädikationen Gottes näher betrachtet und kritisch reflektiert.
Behandelt man die Theodizeefrage, so würde es naheliegen diese doch so schwere Problematik durch eine Neuinterpretation leichter verständlich zu machen und damit auch zu entschärfen. Dies geschah auch in der Geschichte und speziell in der Kirchengeschichte immer wieder. Doch obwohl die verschiedenen Wege zur Neuinterpretation des Leidens in der Welt im Letzten keine umfassende Antwort boten und noch immer nicht bieten, haben sie dennoch teils mehr und teils weniger ihre Daseinsberechtigung und können so schließlich dem Übel in der Welt einen gewissen Sinn abgewinnen. Stosch führt insgesamt fünf Blickwinkel aus, die das Leiden auf unterschiedliche Weise auslegen.1
Anfangs werden drei Arten der Bonisierung und somit Leugnung des Leids erklärt. Die erste Bonisierungsform ist die Funktionalisierung. Dem Übel selbst wird ein Sinn zugesprochen und das Leid in der Welt damit zur Triebfeder des Guten erklärt, insofern es in zweierlei Weise unumgänglich ist. Diese zwei Argumentationswege des sogenannten need-for-knowledge und being-of-use gehen auf Richard Swinburne zurück. Laut Swinburne ist erst durch Leiden ein Erwerb von Wissen und Erfahrungen möglich, was er als den need-for-knowledge bezeichnet. Zudem wäre der being-of-use Argumentation zufolge eine innere Reifung des Menschen hin zu einem tugendhaften Individuum ohne Leid nicht denkbar. Würden beispielsweise nur Menschen Schmerzen ertragen müssen, die diese auch verdient hätten, wären heroische Handlungen zur Vermeidung dieser Schmerzen nicht denkbar. Gerade dadurch, dass auch unschuldige Menschen leiden, wachsen Mitmenschen in ihrer sittlichen Reifung, indem sie z.B. mitleiden oder der von Leid geplagten Person helfen. Beide Wege Swinburnes haben ihre Daseinsberechtigung, da sie aufzeigen, dass Leid auch gewinnbringend sein kann und uns Menschen im Wissens- und Tugenderwerb voranschreiten lässt. Nichtsdestotrotz ist Stosch der Ansicht eine Funktionalisierung des Leids sei mit Vorsicht zu behandeln. Gerade wenn es um fremdes Leid ginge sei eine Funktionalisierung moralisch absolut unzulässig, denn selbst wenn man selber beispielsweise durch Tugenderwerb vom Leid des anderen profitiert, könne das Leiden für die betroffene Person in diesem Moment keinen ersichtlichen Sinn haben.2
Als zweite Art der Bonisierung begegnet uns in diesem Buch die Pädagogisierung, welche bereits in biblischen Erzählungen auftaucht und das Leiden als Mittel zur Erziehung sieht. Doch auch diese Sicht auf das Leid ist nicht unproblematisch. Obgleich Leiden natürlich in vielen Fällen in Form von Herausforderungen und Prüfungen einen erzieherischen Charakter besitzen kann, ist es nicht weniger oft von so großem und unerträglichem Ausmaß, dass es für die betroffene Person in keinerlei Weise gewinnbringend ist. Schließlich birgt dieser Ansatz auch die Gefahr sich im Zuge der Erziehung eines Gegenüber unsittlicher Mittel zu bedie- nen.3
Zu guter Letzt kann Leid durch Ästhetisierung bonisiert werden. Eine Welt ohne Schurken und Bösewichte, ohne Katastrophen und Gewalttaten wäre für einen Befürworter eines solchen Ansatzes trist und grau. Gerade durch das Böse gewinne die Welt an Geschmack und komme das Gute überhaupt zur Geltung. Dies mag auch für Film und Theater zutreffend erscheinen und so sagt Plotin beispielsweise ein Schauspiel sei ohne Bösewicht nicht denkbar3 4. Doch was auf der Bühne eine Selbstverständlichkeit darstellt soll und darf nach Stosch in der realen Welt nicht zum Maßstab des Handelns werden. Führt man nämlich diesen Gedanken zu Ende müsste das Übel als Notwendigkeit in der Welt akzeptiert werden. Jeder heroische Einsatz gegen das Übel würde eine Diffamierung dieser Gutmenschen zur Folge haben, da dem Übel durch seinen ästhetisierenden Charakter ein Schutz zukommen müsste, um eine Harmonie zwischen Gut und Böse zu wahren.5
Während die Bonisierungstrategie das Übel funktional und zweckmäßig betrachtet und ihm so Sinn zusprechen möchte, geht es bei der Strategie der Verharmlosung darum dem Leiden seine ihm eigene Potenz abzusprechen. Hier zeigt Stosch zwei Möglichkeiten einer Depotenzie- rung. Bei der ersten Art der Leiddepotenzierung führt er einen Ansatz aus, der das Problem gleichsam an der Wurzel fasst. Auf onthologischer Ebene kann behauptet werden, das Böse hätte kein Sein aus sich. Das kommt auch den Hypothesen der scholastischen Philosophie nahe, die dem Übel seine Existenz in gewisser Weise abspricht. Alles Seiende ist demnach gut und das Böse hat folglich kein Sein aus sich, sondern ist nur eine Abwesenheit des Guten. Damit kann auch Gott wieder als gütig gedacht werden. Allerdings ist dieser Gedanke nicht nur zirkulär, denn er setzt die Güte Gottes bereits voraus, er bringt uns auch in der Theodie- efrage nicht weiter.6
Weitaus vielversprechender erscheint Stosch zufolge die Strategie einer Depotenzierung hinsichtlich einesjenseitsorientierten Seelenbildungsprozesses, der nur unter leidvollen Begin- gungen stattfinden kann. Diese teleologische Depotenzierung ist Teil der Theodizee des Irenäus von Lyon, welcher die Behauptung aufgestellt hat, Leiden sei für die Seelenbildung des Menschen notwendig. John Hicks greift diese These des Kirchenvaters auf und führt diese noch weiter, indem er zwei Bedingungen erläutert, die im Zusammenhang des Seelenbildungsprozesses entscheidend sind. Zuerst brauche es laut Hicks eine absolute Freiheit des Menschen gegenüber Gott und der Welt, damit der Mensch sich in vertrauensvoller und bedingungsloser Liebe nach Gott ausstrecken kann. Des Weiteren benötigt der Mensch die Erde, die diesem einen leidvollen Lebensraum bietet, um persönlich und seelisch wachsen zu können. Dieses Wachstum ist im Jenseits nicht mehr möglich, da im Umfeld eines völlig friedlichen und leidlosen Himmels weder Anstrengung, noch Kampf oder heroische Taten gebraucht werden. Doch auch hier treffen wir ein ähnliches Problem an, wie in den Strategien zuvor. Denn, wenn dem Leid hier auf der Erde eine Funktion zukommt, kann in Frage gestellt werden, ob man dann überhaupt gegen das Übel in der Welt ankämpfen sollte. Deshalb ist auch die teleologische Depotenzierung am Ende moralisch nicht tragbar.7
Wenngleich alle fünf hier vorgestellten Blickwinkel auf das Leiden keine umfassende Lösung des Problems verschaffen konnten, bringen sie uns doch ein Stück weiter bei der Verteidigung der Güte Gottes. Sie lassen verstehen, wie selbst ein allgütiger Gott nicht alles Übel abzuwenden versucht, da es in einem gewissen Rahmen auch einen Sinn haben kann „[...] man kann vielleicht sogar zugeben, dass Negativität als solche lebenssinnkonstitutiv ist.“8. Die drei Bo- nisierungen und zwei Depotenzierungen konnten somit aufzeigen, dass Leiden durchaus einen tieferen Sinn haben kann. Es kann zum persönlichen und seelischen Reifungsprozess beitragen, sowie das Gute noch klarer erkennbar machen. Dennoch steht nach all diesen Erklärungsversuchen noch immer die entscheidende Frage im Raum, wie Gott, wenn er doch allgütig sein soll, so viel sinnloses und unerträgliches Leid zulassen kann.9
Durch die Abhandlung verschiedener möglicher Neuinterpretationen des Leids konnte also bisher nicht nur festgestellt werden, dass Leiden durchaus gewisse Funktionen haben kann, welche jedoch nicht universal auf alles Leid in der Welt übertragbar sind. Die Neuinterpretationen beinhalten allesamt die Gefahr moralische Grenzen zu überschreiten, gerade wenn es um die Deutung fremden Leids geht. Es müsse deshalb laut Stosch als Fundament weiterer Überlegungen festgehalten werden, dass es schlichtweg Leid gibt, dem kein Sinn zugesprochen werden könne und welches keinesfalls bonisiert werden dürfe10.
b. Die Verteidigung der Prädikationen Gottes
Da die Beschäftigung mit den Bonisierungen als auch mit den Depotentierungen des Übels zwar gewisse Erkenntnisse zu Tage gebracht haben, jedoch trotzdem scheinbar in eine Sackgasse laufen, da sie die Problemfrage nicht beantworten können, betrachtet Stosch im nächsten Kapitel eine Lösungsstrategie durch Veränderung der göttlichen Prädikationen von Güte, Allmacht und Allwissenheit.
Man mag annehmen das Widerspruchsproblem könnte einfach gelöst werden, indem man behauptet, dem Wort Güte komme im Hinblick auf Gott eine völlig andere Bedeutung zu, denn wir Menschen könnten ja nicht in adäquater Weise wahrnehmen und erkennen, was wirklich gut und was schlecht ist. Damit würde aber dem Wort Güte seine Bedeutung abgesprochen werden und folglich würden wir einen dualistischen Gott denken, der sowohl gut als auch böse wäre. Das widerspricht allerdings fundamental dem biblischen Offenbarungsglauben.11
Wenn nun Gottes Güte feststehen soll, kann eingeworfen werden, dass diese aufgrund seiner Verantwortung für das Leid nur dann tragbar wäre, wenn er zwar allmächtig war, doch seit Weltschöpfung dieses Attribut abgelegt hat. Dies widerspricht allerdings nicht nur nochmals dem Offenbarungsglauben, es entzieht zudem Gott auch nicht die Verantwortung für das Leid, da er nach dieser These trotzdem als Allmächtiger alles geschaffen hat. Gott bleibt also allmächtig und doch erschafft er etwas, was sich seiner Allmacht entzieht und somit unabhängig von ihm ist. Somit ist „Recht verstandene Allmacht [...] keine alles beherrschende und kontrollierende Super-Macht [...] [sondern sie] zeichnet sich gerade durch die Erschaffung von Wesen aus, die selber Mächtig sind und aus dieser gewährten Macht heraus in ein Freiheitsverhältnis zu ihrem Schöpfer eintreten können.“12. Allerdings bleibt Gott trotzdem im Letzten verantwortlich für das Übel, da er den Menschen auf diese Art geschaffen hat.13
Es bleibt also nur noch die Veränderung der Prädikation der göttlichen Allwissenheit, denn es scheint denkbar zu sein, dass Gott vor der Schöpfung nicht wissen konnte, wie immens das menschliche Leid sein würde. Dies würde zwar auch nicht das Widerspruchsproblem lösen, doch wirft das ein anderes Licht auf die moralische Beurteilung der Handlungen Gottes. Entscheidend ist hier natürlich in wie fern Gott überhaupt den Gesetzen der Zeit unterliegt. Mit Boethius kann man sagen, dass Gott zeitlos existiert. Erst mit der Schöpfung wird die Zeit erschaffen und somit muss er zwangsläufig Vergangenheit, Gegenwart und auch die Zukunft kennen. Somit steht fest, dass auch dieses Attribut dem Schöpfer nicht abgesprochen werden kann.14
c. Die Verteidigung der Naturgesetze
Wenn Gott also alles im Voraus gewusst hat bleibt für uns die Frage offen, ob er denn nicht mit diesem Vorausblick Naturgesetze hätte einrichten können, die menschliches Leid auf ein Minimum reduzieren. Stattdessen beobachten wir, wie tagtäglich Menschen völlig unverschuldet zum Opfer dieser Naturgesetze werden.
Im Kapitel über die natural law defense behandelt Stosch die Problematik des durch die Naturgesetze verursachten Übels in dieser Welt. Leibnitz zufolge sei unsere Welt die bestmögliche, da in sie eine Harmonie zwischen Körper und Seele hineingelegt wurde, welche er als prästabilierte Harmonie des Universums bezeichnete. Daraus würde folgen, dass jede scheinbare Verbesserung der Naturgesetze diese Harmonie stören würde. Auch heute noch wird diese Theorie noch vertreten, doch in dem Sinne, dass unsere Welt dem besten Welttyp entspricht, nämlich einem, der Freiheit ermöglicht. So sind es auch die Naturgesetze die uns erst den Raum für Freiheit geben. Zumal wir ohne diese Gesetze nicht einmal in der Lage wären bestimmte Handlungen in dieser Welt zu vollziehen.15
Obwohl nun die Naturgesetze so eingerichtet sind, dass wir leben und frei mit unserer Umwelt interagieren können, kann man mit Bertrand Russel einwerfen, dass Verbesserungen, die zur Leidreduktion beitragen, durchaus denkbar wären, wenn dem Schöpfer hierfür unendlich viel Zeit gegeben wäre. Allerdings ist dies nicht so einfach, wie man im ersten Moment annehmen mag, denn auf der einen Seite können scheinbare Verbesserungen auch ungeahnte negative Auswirkungen nach sich ziehen und auf der anderen Seite können wir als Menschen auf so hochkomplexe Probleme keine Antwort finden. Denn es bleibt zu bedenken, dass schon kleinste Veränderungen der Naturgesetze die Entstehung menschlichen Lebens bereits unmöglich gemacht hätten. Aus diesen Gründen scheint es logisch nachvollziehbar zu sein, dass das malum physicum als unvermeidliches Übel für unsere Entstehung hingenommen werden musste und nun Grundbedingung für das Gut der Freiheit des Menschen ist.16
[...]
1 Stosch, Klaus Von, Theodizee. Paderborn 22018, 18-19.
2 Vgl. ebd., 19-23.
3 Vgl. ebd., 23-24.
4 Vgl. ebd., 25.
5 Vgl. ebd., 24-26.
6 Vgl. ebd., 26-28.
7 Vgl. ebd., 28-33.
8 Ebd., 33.
9 Vgl. ebd., 38-39.
10 Vgl. ebd., 39.
11 Vgl. ebd., 40-45.
12 Ebd., 48.
13 Vgl., ebd. 45-49.
14 Vgl. ebd., 49-55.
15 Vgl., ebd., 56-61.
16 Vgl. ebd., 61-66.