Institutionelle Gewalt anhand der Betrachtung des Strafvollzuges


Hausarbeit (Hauptseminar), 2022

13 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Der Gewaltbegriff
2.1 Totale Institution
2.2 Wandel der Totalen Institution

3 Der moderne Strafvollzug
3.1 Ziele des Strafvollzuges
3.2 Das Dilemma des Strafvollzuges

4 Fazit

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Im Zuge des Vertiefungsseminars in Modul sieben, mit dem Thema „Gewalt. Soziologi­sche Perspektiven und gesellschaftlicher Umgang mit Gewalt“, wird mit folgender Lite­raturarbeit eine detailliertere Betrachtung vorgenommen.

Dabei wird die Hausarbeit eine kurze allgemeine Betrachtung des Grundbegriffes Gewalt umfassen, damit die Mehrdeutigkeit aufgezeigt wird. Entgegen der am weitesten verbrei­teten Auffassung, es handele sich bei Gewalt ausschließlich um physische Auseinander­setzungen, wird sich die Ausarbeitung mit dem Thema Institutioneller Gewalt befassen und dem Theorem der Totalen Institution. Somit ist es ein Anliegen dieser Prüfungsleis­tung, einen differenzierteren Blick auf das Thema Gewalt zu bieten und einen Teilbereich in den Mittelpunkt zu rücken, der möglicherweise nicht sofort der Gewalt zugeordnet werden würde. Infolgedessen wird eine zu behandelnde Frage sich darum drehen, wie die totale Institution zu charakterisieren ist, an welchen Merkmalen dies fest gemacht wird und welche Abläufe sichtbar sind. An die Kernpunkte der totalen Institutionen anknüp­fend, wird eine historische Betrachtung vorgenommen. Ausgehend vom erstmaligen Auf­treten des Theorems, wird die Entwicklung und Veränderung der totalen Institution in den Blick genommen. Die Betrachtung folgt der Fragestellung nach dem Einfluss auf Gesellschaftliche Zusammenhänge.

Als totale Institution, wird exemplarisch der Strafvollzug in den Blick genommen. Mit­hilfe der vorangegangenen Auseinandersetzung und Bezugnahme auf die Totalen Institu­tion, wird zuerst geklärt ob sich der Strafvollzug überhaupt diesem Modell zuordnen lässt. Anschließend sieht die Frage nach den offiziellen Zielen des Strafvollzuges vor, eventu­elle Problematiken auf Grundlage der totalen Institution zu erörtern, beziehungsweise der These nachzugehen inwieweit das Konzept des Strafvollzuges unter Umständen den no­minellen Zielen entgegenwirkt.

2 Der Gewaltbegriff

Der Begriff der Gewalt weist im deutschsprachigen Raum, anders als in einigen anderen europäischen Sprachen, eine Vielzahl an Deutungsmöglichkeiten auf. So wird im engli­schen eine klare Trennung zwischen „violence“ und „power“ vorgenommen. Diese Dif­ferenzierung unterscheidet die körperliche Gewalt von der ordnungsschaffenden Gewalt, die beispielweise von gesetzgebenden Instanzen, Ämtern und Behörden ausgeht. Gibt es im englischen Raum mehr oder minder zwei Trennscharfe Begriffe, existieren im Deut­schen hingegen diverse Komposita, die sich auf legitime und illegitime Formen der Ge­walt beziehen. Die Fülle der Gewalt ähnlichen Begriffe, wie Aggression und Macht, sind der präzisen Nutzung nicht zuträglich (vgl. Imbusch 2002, S. 26 ff).

Möchte man sich eine genauere Übersicht verschaffen, ist es unerlässlich den Kontext der Gewalthandlung in den Blick zu nehmen. Mithilfe der Elementanalyse sollen die Bezie­hungen geklärt werden, also um welche Protagonisten und Protagonistinnen es sich han­delt und wie die Beziehungsdynamik aussieht. Die Art und Weise der Handlung, wie diese ausgeübt wird und die bestehenden Kausalketten geben sowohl über die zuvor ge­nannten Punkte Aufschluss, als auch über das Ursache-Wirkungsprinzip (vgl. Imbusch 2002, S. 34 ff). Hinsichtlich der Unterscheidung und Differenzierung können zusätzlich zu den inhaltlichen Elementen noch die Ebenen der Gewalt definiert werden. Die physi­sche und auch psychische Gewalt lässt sich der Direkten zwischenmenschlichen Ebene zugeordnet. Die Institutionelle Gewalt geht zumeist von Behörden und Ämtern aus, re­präsentiert daher eine ordnungsstiftende Ebene aber auch Hierarchie geprägte Ebene. Strukturelle Gewalt ähnelt der Physischen, bezieht sich jedoch mehr auf die benachteilig­ten Umstände in denen Menschen leben. Kulturelle Gewalt oder auch symbolische Ge­walt repräsentiert gruppenbezogene Moral- und Normenvorstellungen, mit deren Hilfe eine Abgrenzung zu anderen Gruppen geschaffen wird. Ritualisierte Formen der Gewalt stellen innerhalb von Gruppen eine identitätsstiftende Funktion dar und sind somit eben­falls ordnungsstiftend jedoch in einem kleineren Rahmen als die Institutionelle Gewalt (vgl. Imbusch 2002, S. 37 ff).

2.1 Totale Institution

Wie in der allgemeinen Betrachtung des Gewaltbegriffes bereits angedeutet wurde, han­delt es sich bei der Institutionellen Gewalt zumeist um staatlich organisierte Behörden, die strukturierende und ordnungssichernde Funktionen innehaben. Um dieser Funktion nachzukommen, verfügen Behörden oder Ämter von Rechtswegen eine Verfügungs­macht, die dem Individuum in einer hierarchisch übergeordneten Position gegenübertritt (vgl. Imbusch 2002, S. 39).

Eine ähnliches Hierarchieverhältnis beschreibt Ervin Goffman in seiner 1961 publizierten Studie, in deren Verlauf Goffman im psychiatrischen Bereich des St. Elizabeth Hospital in Washington, D.C. forschend tätig war. In dieser Veröffentlichung wird die Beschrei­bung der „totalen Institution“ verwendet, zu denen unter anderem Gefängnisse, Internate und militärische Einrichtungen zählen. Merkmale dieser Einrichtungen sind die durch externe Kontrolle vorgegebenen Abläufe, die zeitliche Rahmen und die Tätigkeiten der Menschen bestimmen. Zudem sind die Menschen nahezu Rund um die Uhr von der Um­welt abgeschottet (vgl. Hettlage 2008, S. 255).

Bereits vor dem Eintritt in eine „totale Institutionen“, beginnt deren Einflussbereich. Gof- fman beschreibt dies als Vorpatientenphase: der Mensch fällt durch die Symptome aus dem normativen Zustand seines Umfeldes raus. Mögliche Resonanz aus dem sozialen Umfeld, deutet eine notwendige Behandlung an, die dem Ausschluss aus der Gruppe na­hekommt. Dies lässt sich auch auf potentielle Straftäter übertragen, die in Untersuchungs­haft sitzen und auf Ihre Verhandlung warten. Sie sind im Begriff ihr gewohntes Umfeld zu verlassen und somit auch die Gruppe über die ein Teil ihrer persönlichen Identität existiert. (vgl. Hettlage 2008, S. 256).

Ab dem ersten Tag in der jeweiligen Institution werden die Insass*innen mit Angriffen auf ihr Selbstverständnis konfrontiert. Die herrschende Kleiderordnung verhindert den Ausdruck von Individualität, dadurch werden die Persönlichkeitsrechte stark einge­schränkt. Dem Individuum ist es kaum möglich einen privaten Rückzugsort zu finden und darüber hinaus werden persönliche Information, ohne Rücksichtnahme auf die Selbstach­tung, öffentlich geteilt (vgl. Hettlage 2008, S. 256).

Zur Aufrechterhaltung der Disziplin, programmieren „totalen Institutionen“ gezielt Be­lohnung und Bestrafung. Konsumgüter und Freizeit Aktivitäten, sind den Insass*innen nicht mehr selbstbestimmt zugänglich. Zudem sind die sie gezwungen ihr verhalten, auf das jeweilige Personal anzupassen, um möglichen Strafen zu entgehen oder Belohnung zu erhalten (vgl. Hettlage 2008, S. 256).

Im Zuge der Persönlichkeitsbeschneidung lassen sich aber auch Selbstwerterhaltende Verhaltensweisen beobachten. Zum einen gibt es Insass*innen, die aus Schutz vor Re­pressionen die Sichtweise der Herrschenden annehmen und sich kooperativ zeigen. Dem entgegen versuchen andere Patient*innen, im Rahmen ihres Wirkungsbereichs, sich den Spielregeln zu widersetzen. Mit kleineren Regelüberschreitungen oder dem Bilden von Untergruppen wird der Versuch unternommen ihre Individualität aufrecht zu erhalten. Einige Insass*innen ziehen sich aber auch in sich zurück, leben in Fantasiewelten und bilden einen Schutzschild. Resultat dieser Copingstrategien, können unbeabsichtigte Be­stätigung der Einweisung oder Verurteilung der Insass*innen hervorrufen. Aus der Per­spektive der Institution bestätigten sich so die Symptomatik und der Grund des Aufent­haltes. Mit Hilfe von, Gruppenaktivitäten und Gruppenangeboten, sowie der Duldung ge­ringfügigerer Vergehen sind Institutionen bemüht den Zusammenhalt zu stärken und den­noch die eigene Handlungsmacht zu verdeutlichen (vgl. Hettlage 2008, S. 257).

Aus dem Anpassungsverhalten der Insass*innen, entstehen jedoch auch Herausforderun­gen für das Personal. Einerseits soll die Kontrolle behalten werde, auf der anderen Seite liegt aber auch das körperliche und geistige Wohl der Menschen in ihren Händen. Darüber hinaus haben beispielsweise psychiatrische Stationen aber auch Gefängnisse einen Auf­trag, für deren Gelingen auch das Personal zuständig ist. Gerade letzteres stellt ein Un­gleichgewicht der Machtverhältnisse dar; denn die Insass*innen sind in ihrem Ziel nach Wiedererlangung der Freiheit auf das Wohlwollen der betreuenden Menschen angewie­sen (vgl. Hettlage 2008, S. 257).

Der Sprachgebrauch und die dazugehörigen Vokabeln, Versinnbildlichen diese hierarchi­schen Unterschiede. So tragen alle Menschen, die in den Einrichtungen der „totalen In­stitution“ Arbeiten, einen Berufstitel, der sie von ihren zu betreuenden Menschen ab­grenzt. Ärzt*innen und Pfleger*innen arbeiten mit „psychisch Kranken“ oder „Drogen­süchtigen“ und im Gefängnis beaufsichtigen Justizvollzugsbeamte die „straffällig gewor­denen Menschen“. Mit einzubeziehen ist jedoch auch die Sprache der Benutzer*innen. Drogenkonsument‘*innen betonen Ihre Erfahrungen als „Kick“ anstelle der Abhängig­keit. Nutzt jede Institution Ihre eigenen Vokabeln, so dienen sie doch mehr oder weniger demselben Zweck; durch die verallgemeinernde Bezeichnung der Menschen, geht der Verlust einer eigenen Individualität verloren, anderen stelle die „totale Kontrolle“ tritt (vgl. Hettlage 2008, S. 258). Wird innerhalb „totaler Institutionen“ Kontrolle über In- sass*innen ausgeübt sind auch die Arbeitenden betroffen. Repräsentieren sie die untere Ebene der Hierarchie, sieht sich das Fachpersonal ebenfalls mit übergeordneten Instanzen konfrontiert. Die Führungsetage und das Management behalten die übergeordneten Ziele im Blick, definieren genauso Verhaltensweisen für die beteiligten Akteur*innen, insbe­sondere den Arbeiter*innen gegenüber, die in direktem Kontakt mit den Insass*innen stehen. Aus Sichtweise der leitenden Ebene, müssen Mitglieder der Organisation die Hal­tung und Werte übernehmen. Freiwillige Kooperation wird im besten Falle mit Annehm­lichkeiten Verstärkt. Gleichwohl dienen Belohnungen auch als Androhungen, das ge­wohnte Gegenleistungen gemindert oder ausgesetzt werden (vgl. Hettlage 2008, S. 259f).

2.2 Wandel der Totalen Institution

Nach heutigem Kenntnisstand ist es Möglichen, können auch geschlossene Anstalten Auslöser oder Ursache für etwaige Symptome seien können. Goffmans Studie gab dies­bezüglich einen Denkanstoß die Perspektive der Insass*innen in Betracht zu ziehen. Re­sultat waren die Forderungen nach Patient*innenrechten. Die 1960er Jahre symbolisieren den Beginn des Richtungswechsels, vor allem im Bereich der Psychiatrien. Die erkrank­ten Menschen sollten vermehrt außerhalb von Einrichtungen behandelt werden und die geschlossenen Psychiatrien in Richtung Gemeindepsychiatrien geöffnet werden. Aus­schlaggebend für das konzeptionelle Umdenken stellten neben den Kostengründen, vor allem die politischen Argumentationen, ausgehend von Bürgerrechtsbewegungen und In­tellektuellen, dar (vgl. Hettlage 2008, S. 263).

Die heutige Organisation von Psychiatrischen Einrichtungen, ähnelt dem der Kranken­häuser um einiges mehr als früher. Der Fokus liegt vermehrt mehr auf kurzen Aufenthal­ten für krisenhafte Phasen. Umfasste das aller erste DSM (Diagnostisches und Statisti­sches Manual Psychischer Störungen) lediglich 130 Seiten so besteht der aktuelle fünfte Band aus ca. 1000 Seiten. Durch diese Vielzahl an Diagnosen ist es heute möglich indi­viduellere Behandlung anzubieten (vgl. Blech 2013, S. 113). Darüber hinaus ist das Ziel durch verstärkte Prävention Krankheiten vorzubeugen und dadurch dem „Drehtüreffekt“ entgegen zu wirken. Diese Ansicht lässt sich auch im Kontext des Strafvollzuges be­obachten. Menschen sollen durch den Wiederaufbau von Fähigkeiten resozialisiert wer­den (vgl. Hettlage 2008, S. 263).

Trotz aller Verbesserungen im Gesundheitswesen und der daraus resultierend älter wer­denden Gesellschaft, ist ein Trend abzulesen, nach dem die Notwendigkeit der Unterbrin­gung von alten Menschen, im Blick behalten werden muss. Aus zeitlichen und ökonomi­schen Gründen, ist es den nachfolgenden Generationen nur schwerlich möglich einer an­gemessenen Versorgung nachzukommen, weshalb Heime einen hohen Zulauf verzeich­nen. So stieg die Zahl der Pflegebedürftigen 1999 von gerundet zwei Millionen auf ge­rundet vier Millionen im Jahr 2019 (vgl. Statistische Bundesamt 2022a). Innerhalb dieser Organisationen zeichnen sich Parallelen zu den von Goffman aufgezeigten Charakteris­tika der „totalen Institution“, mit dem Unterschied der Verschiebung hin zur Infantilisie- rung der alten Menschen. Mit dem Vergleich des hohen Alters und der Kindheitsphase wird im Kontext der Heimbetreuung eine Entmündigung vorgenommen. Alte Menschen seien nicht mehr in der Lage für sich zu sorgen, weshalb dies in Fremdbestimmung ge­schieht und hierdurch Privatsphäre und Selbstbestimmung eingeschränkt werden (vgl. Hettlage 2008, S. 265).

3 Der moderne Strafvollzug

Der Strafvollzug unterliegt im weitesten Sinne dem öffentlichen Recht. In Deutschland sind sowohl der Bund als auch die Länder befähigt hinsichtlich des Strafrechts, Gesetze zu verabschieden; mit der Ausnahme, dass vom Bund verfasste Gesetze, Ländergesetze außer Kraft setzen (vgl. Art. 72 und 74 GG). Dies stellt eine konkurrierende Gesetzge­bung dar, jedoch ist die Durchführung und Umsetzung in Händen der Länder. 2018 be­trug die Zahl der von den Ländern zu betreuenden Anstalten 180, die mit bis zu 73.336 Menschen Belegungsfähig sind (vgl. Laubenthal 2019, S. 38f). In Deutschland sind (stand Dezember 2021), 56.096 Menschen in Justizvollzugsanstalten inhaftiert (vgl. Statisti­sches Bundesamt 2022b).

3.1 Ziele des Strafvollzuges

Haben sich in Instituten wie etwas Psychiatrien nachhaltigere Behandlungskonzepte durchgesetzt, so lässt sich Ähnliches im Strafvollzug beobachten. Mit der Erkenntnis, dass Straffällig gewordene Menschen trotz der vorübergehenden Abwesenheit, wieder in die Gesellschaft zurückkehren, resultierte daraus die Erarbeitung konkreter Konzepte für Gefängnisse. Als zentrales Ziel wurde die Resozialisierung ausgemacht, sprich Befähigung ein straffreies Leben zu führen und die Integration in die Gesellschaft (vgl. Laubenthal 2019, S. 109ff).

In diesem Sinne ist Aufgabe der Institutionen, unter menschenwürdigen Bedingungen und adäquater Begleitung, für eine Verbesserung des Verhaltens der verurteilten Men­schen zu sorgen. Dieses Vorhaben nimmt jedoch ebenso die inhaftierten Menschen in die Pflicht, sich an diesem Prozess aktiv zu beteiligen. Normativ haben beide Seiten einen Rechtsanspruch, um die Gegenseite an Ihre Pflichten zu erinnern. Aus Sicht der Gefan­genen, muss sich die Anstalt des Strafvollzuges an das Grundgesetz halten, nach der ein menschenwürdiges Leben möglich sein muss (Art. 1 und 2 Abs; 1 und 2, Abs. 1 GG). Die Einrichtungen des Strafvollzuges selber haben keinen Anspruch ein Mitwirken einzukla­gen, jedoch wird unter dem Gesichtspunkt der Reintegration und Rückfallprophylaxe Druck aufgebaut. So wird beispielsweise die Beschneidung von persönlichem Besitz oder der Freizeitgestaltung vorgenommen (vgl. Laubenthal 2019, S. 114f).

Der Auftrag des Strafvollzuges mit Freiheitsentzug, ist der Schutz der Allgemeinheit. Die Opfer sind vor weiteren Übergriffen geschützt, etwaige angehörige und dritte, sowie auch die Gesellschaft insgesamt. Dies bezieht sich auch auf die Menschen innerhalb der Ge­fängnisstrukturen. Neben dem vorbeugen opferbezogener Delikte, sollen auch sämtliche andere Straftaten unmöglich gemacht werden (vgl. Meier 2020, S. 27).

Im Bestreben nach einer Wiedereingliederung in die Gesellschaft, wird eine opfer­zentrierte Sichtweise als methodisches Mittel angewandt. Durch die mit der Perspektive und vor allem der Auswirkungen auf die Opfer, wird ein Lernprozess zu mehr sozialer Verantwortung angestrebt. Voraussetzung dafür ist, die Bereitschaft des Täters an dem eigenen Verhalten zu Arbeiten. Sofern es sich bei den Geschädigten nicht um eine natür­liche Person handelt, erschwert das die Einsicht da es nicht die Möglichkeit des empathi­schen Hineinversetzens in das/ die Opfer gibt. Ein Beispiel aus der Praxis, ist der Opfer­Täter-Ausgleich. Dieser kann parallel zu Strafrechtlichen Sanktionen verlaufen. Unter Leitung eines Mediators wird über die Tat und deren Folge gesprochen. Ziel dieses Aus­tausches ist die Aufarbeitung und Wiedergutmachung für das Opfer. Aus Sicht des Täters besteht die Chance, in einem geschützten und begleiteten Rahmen prosoziales Verhalten zu üben und Verantwortung zu übernehmen (vgl. Laubenthal 2019, S. 128).

3.2 Das Dilemma des Strafvollzuges

Ist im Vorrangegangenen Punkt ausgeführt worden, welche nominellen Ziele mit dem Strafvollzug angestrebt werden, so liegt es doch an der Praxis, diese umzusetzen. Tritt der straffällige und verurteilte Mensch seine Haftstrafe an, ist dieser zwangläufig mit ei­ner Anpassungsleistung konfrontiert. Aus einem selbstbestimmten Individuum wird eine gefangene Person, in der Rolle des straffällig gewordenen Menschen. Der Mensch muss sich hierarchisch unterordnen, dem Personal der Anstalt und auch den Mitinsass*innen, die bereits länger in der Anstalt untergebracht sind. Demnach sind die Insass*innen dem Gefängnis und seinen Strukturen zeitlich, räumlich und in den gestatten Tätigkeiten aus­geliefert. Dies entspricht den entspricht den nominellen Zielen des Schutzes der Allge­meinheit, lässt jedoch gleichzeitig offen in welchem Maße sich die Straftäter*innen ko­operativ zeigen (vgl. Hettlage 2008, S. 256f). Resultierend aus der Unterordnung, reagie­ren Insass*innen mit individuellen Anpassungsstrategien. Es entsteht ein Spannungsver­hältnis aus der Erwartungshaltung der Strafvollzugsbehörden, die den Angestellten die Umsetzungen der übergeordneten Ziele übertragen und den Gefangenen., welche mit selbstwerterhaltenden Anpassungen, wie Rückzug, Kooperationsbereitschaft oder Wider­stand reagieren. Vor allem letzteres bestätigt bei Außenstehenden das Bild des verurteil­ten Straffälligen, der die Strafe nicht akzeptiert und kein Einsichtsvermögen hat (vgl. Hettlage 2008, S. 257). Anschließend daran stellt sich die Frage, ob die beschriebenen Ziele des Strafvollzuges auf alle Insass*innen anwendbar sind. Zeigen Rückfallstatistiken aus 2016, das mindestens 35 Prozent erneut verurteilt werden und somit nicht den Zielen entsprechend entlassen wurden (vgl. Jehle et al. 2016, S. 63ff). Innerhalb der Gefängnisse scheint es somit keinen Raum für Individualität und angepasste Maßnahmen zu geben. Vielmehr erscheint die Totale Institution des Gefängnisses, als unbeugsame Anstalt mit begrenzten Handlungsalternativen.

Gibt es zwar Statistiken wie Jehle et al., muss aber auch berücksichtigt werden, dass eine Dunkelziffer existiert. Nicht alle Menschen, die nach einer Verurteilung weiterhin einer kriminellen Tätigkeit nachgehen, werden auch verurteilt. Hierbei wird der Mangel an Wirksamkeitsstudien deutlich. Neben der Untersuchung der Rückfallquote, müssten auch die Qualitäten der Maßnahmen überprüft werden. Auf ihnen basiert das Konzept und die Maßnahmen im Strafvollzug, die von Insass*innen durchlaufen werden. Zu der Wirk­samkeit gibt es jedoch wenige Studien.

Mangelnde Flexibilität und Individualität in Bezug auf die Resozialisierungsansprüche des Strafvollzuges entsteht auch durch die geltende Rechtslage. So wird in der Regelun­terbringung im Sinne der Wiedereingliederung das „Soll“-Ziel des Hafturlaubes oder des offenen Vollzugs definiert, so kann aber grundsätzlich erst nach frühstens sechs Monaten gewährt werden (vgl. § 13 Abs. 2 StVollzG). Bei einer lebenslänglichen Haftstrafe, kön­nen derartige Zugeständnisse sogar erst nach zehn Jahren in Betracht gezogen werden (vgl. § 13 Abs. 3 StVollzG). Sollten die Gefangen jedoch über 18 Monate Haftzeit aus­stehen haben, fallen sie unter die Vollzugsvorschrift Nr. 4 Abs. 2a des Paragraphen 13 StVollzG (vgl. Arloth und Geiger 2018, S. 80f). Unter der geltenden Rechtlichen Vorrau­setzung, wird Insass*innen die Entscheidung abgenommen, ob sie sich kooperativer ver­halten wollen, um sich für eine humanere Vollzugform anzubieten. Zwangläufig müssen sich die straffällig gewordenen Personen also für einen genau definierten Zeitraum als Gefangene unterordnen (vgl. Suhling 2020, S. 32ff).

4 Fazit

In vorangegangener Ausarbeitung habe ich mich oberflächlich mit der Gewaltthematik beschäftigt und vertiefend mit dem Teilbereich der Institutionellen Gewalt. Anhand der vielfältigen Deutungsmöglichkeiten des Gewaltbegriffes konnte angedeutet werden, wes­halb eine Unterteilung in verschiedene Gewaltebenen unternommen wurde. Die Instituti­onellen Gewalt ist, basierend auf den Ergebnissen von Goffman und dem Theorem der totalen Institution analysiert worden. Zentrales Merkmal stellt der übergreifende Entzug von selbstbestimmtem Leben dar. Die Entscheidung wann und wo sich der Mensch in­nerhalb der Institution aufhält, wird von außen bestimmt. Übergeordnet ist das Ziel des Aufenthalts ebenfalls vorgegeben, in dem Freiheiten soweit gewährt werden, dass sie nicht stören. Es Bildet sich ein Machgefälle, in deren Kontext die Insass*innen sich Hie­rarchisch unterordnen müssen.

Mit dem Gefängnis wurde ein aktueller Bezug hergestellt, der sich an der frage orientierte ob es sich bei Gefängnissen um „totale Institutionen“ handelt. Das erste Merkmal welches dafür spricht, ist der gezwungene Aufenthalt unter eingeschränkter Bewegungsfreiheit. Zeitlich gesehen unterliegen die Insass*innen der Struktur des Gefängnisses. Ebenfalls müssen sie sich den Regularien der Einrichtung unterwerfen, um weiteren Sanktionen zu entgehen. Somit lässt sich das Gefängnis definitiv bei den totalen Institutionen einordnen. Die zweite Frage bezüglich der Gefängnisse, zielte in Richtung des Spannungsverhältnisses aus den humanistischen Zielen hinsichtlich der Resozialisierung und Wiedereingliederung und den eingeschränkten Lebensumständen innerhalb der In­stitutionen. Auf der einen Seite steht die Bestrafung eines Fehlverhaltens, auf der anderen Seite die Ziele des Strafvollzuges. Im Verlauf der Ausarbeitung ließ sich beobachten, dass die mangelnde Flexibilität der Gefängnisse, durch die Bindung an geltendes Recht und vorgefertigte Ziele, durchaus ein Hindernis darstellt.

Es zeichnet sich darüber hinaus ein bedarf nach weiterer Forschung ab. Die herangezo­gene Fachliteratur stellte selber die Frage nach der Wirksamkeit der Maßnahmen, zu de­nen es wenige wissenschaftliche Untersuchungen gibt (vgl. Suhling 2020, S. 32ff). Eine weiterführende Auseinandersetzung wäre ein Internationaler Vergleich der Strafvollzugs­anstalten, hinsichtlich der Resozialisierungsmaßnahmen und der Wirksamkeit dieser.

Literaturverzeichnis

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Hettlage, Robert (2008): Totale Institutionen - Organisationsanalyse und Gesellschaftsperspektive. In: Herbert Willems (Hg.): Lehr(er)buch Soziologie. Für die pädagogischen und soziologischen Studiengänge. Wiesbaden: VS, Verl. für Sozialwiss, S. 253-268

Imbusch, Peter (2002): Der Gewaltbegriff. In: John Hagan und Wilhelm Heitmeyer (Hg.): Internationales Handbuch der Gewaltforschung. 1. Aufl. Wiesbaden: Westdt. Verl., S. 26-57

Jehle, J.-M., Albrecht, H.-J., Hohmann-Fricke, S., & Tetal, C. (2016). Legalbewährung nach strafrechtlichen Sanktionen eine bundesweite Rückfalluntersuchung 2010 bis 2013 und 2004 bis 2013. Mönchengladbach: Forum

Laubenthal, Klaus (2019): Strafvollzug. 8. Aufl. Berlin: Springer

Meier, Bernd-Dieter (2020): Konzeptionelle Grundlagen des Strafvollzugs.

In: Meier, Bernd-Dieter; Leimbach, Katharina (Hg.): Gefängnisse im Blickpunkt der Kriminologie. Interdisziplinäre Beiträge zum Strafvollzug und der Wiedereingliederung. Berlin: Springer. Seite 27

Suhling, Stefan (2020): Zur Erfassung der Wirkungen des Strafvollzugs.

In: Meier, Bernd-Dieter; Leimbach, Katharina (Hg.): Gefängnisse im Blickpunkt der Kriminologie. Interdisziplinäre Beiträge zum Strafvollzug und der Wiedereingliederung. Berlin: Springer. Seite 32-39

Arloth, Frank und Geiger, Tobias (2018): Der deutsche Strafvollzug nach der Föderalis­musreform. In: Maelicke, Bernd; Suhling, Stefan (Hg.): Das Gefängnis auf dem Prüfstand. Zustand und Zukunft des Strafvollzugs. Wiesbaden: Springer. S. 80-81

Statistische Bundesamt. a. (2022): Gesundheitsberichterstattung des Bundes. Pflegebedürftige. Online im Internet unter: https://www.gbe-bund.de/gbe/pkg_is- gbe5.prc_menu_olap?p_uid=gast&p_aid=94100849&p_spra- che=D&p_help=0&p_indnr=510&p_indsp=138&p_ityp=H&p_fid= (15.06.2022)

Statistisches Bundesamt. b. (2022): Bestand der Gefangenen und Verwahrten in den deutschen Justizvollzugsanstalten nach ihrer Unterbringung auf Haftplät­zen des geschlossenen und offenen Vollzugs. Online im Internet unter: https://www.destatis.de/DE/Themen/Staat/Justiz-Rechtspflege/Publikatio- nen/Downloads-Strafverfolgung-Strafvollzug/bestand-gefangene-verwahrte- xlsx-5243201.html (23.06.2022)

Maximilian Musterfrau (2018): Wissenschaftlich Arbeiten und Schreiben. Wolfenbüttel: Ostfalia Hochschule (Manuskript).

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Details

Titel
Institutionelle Gewalt anhand der Betrachtung des Strafvollzuges
Hochschule
Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften Fachhochschule Braunschweig/Wolfenbüttel
Note
2,0
Autor
Jahr
2022
Seiten
13
Katalognummer
V1281366
ISBN (eBook)
9783346740182
ISBN (Buch)
9783346740199
Sprache
Deutsch
Schlagworte
institutionelle, gewalt, betrachtung, strafvollzuges
Arbeit zitieren
Jonas Weirauch (Autor:in), 2022, Institutionelle Gewalt anhand der Betrachtung des Strafvollzuges, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1281366

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