Begleitung und Beratung trauernder Menschen aus personenzentrierter Perspektive


Hausarbeit, 2022

30 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Personenzentrierte Beratung
2.1 Grundlagen
2.1.1 Theorienkonzept
2.1.2 Persönlichkeitstheorie
2.2 Ziel der Personenzentrierten Beratung
2.3 Basisvariablen der Personenzentrierten Beratung
2.3.1 Kongruenz oder Echtheit
2.3.2 Bedingungsfreie Akzeptanz oder Wertschätzung
2.3.3 Empathie oder Einfühlendes Verstehen

3 Trauer
3.1 Modell der Bewältigung von Traueraufgaben nach Worden
3.1.1 Akzeptanz des Verlustes als Realität
3.1.2 Verarbeiten des Schmerzes
3.1.3 Anpassung an eine Welt ohne den:die Verstrobene:n
3.1.4 Finden einer dauerhaften Verbindung zu dem:der Verstorbenen inmit­ten des Aufbruchs in ein neues Leben

4 Personenzentrierte Trauerberatung

5 Fallbeispiel

5.1 Anwendung der theoretischen Hintergründe auf das Fallbeispiel

6 Fazit

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Trauer ist eine natürliche Reaktion auf jedes bedeutende Ereignis, das zum Tod eines geliebten Menschen oder zum Ende einer wichtigen Beziehung führt. Trauer, oder der Prozess des Trau­erns, umfasst ein breites Spektrum an Emotionen. Obwohl Trauer oft als private Erfahrung ange­sehen wird, hat sie starke Auswirkungen auf die:den Einzelne:n und aufdie Gesellschaft als Gan­zes. Sie kann sowohl gesellschaftlich als auch emotional störend sein und zu Veränderungen der Stimmung, des Verhaltens und der sozialen Interaktionen führen. Trotz ihrer Herausforderungen ist Trauer ein wichtiger Teil der menschlichen Erfahrung. Sie ermöglicht es uns, unsere Liebe und Verbundenheit mit denjenigen auszudrücken, die gestorben sind oder die wir verloren haben und bietet uns die Möglichkeit, über unser Leben und die Beziehungen, die uns am meisten bedeuten, nachzudenken. Sie kann Menschen in Zeiten der Tragödie zusammenbringen und uns helfen, die Bedeutung von Beziehungen und die Zerbrechlichkeit des Lebens zu verstehen. Die Trauerbeglei­tung hat in den letzten Jahren einen immer größeren Stellenwert erlangt. Die Trauerarbeit ist wichtiger Bestandteil der Sozialen Arbeit und Psychosozialen Beratung. Vor allem bei schweren Verlusten oder Trauerprozessen spielt sie eine wichtige Rolle und bietet Betroffenen die Möglich­keit, ihre Gefühle auszudrücken, sich Unterstützung zu holen und mit anderen Personen über ihre Trauer zu sprechen. Außerdem hilft sie Trauernden dabei, den Weg zurück in das Leben zu fin­den. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Trauerbewältigung auf Basis der Personen­zentrierten Beratung. Der Begriff wird in der psychologischen Literatur unterschiedlich verwen­det. In dieser Arbeit wird er im Sinne von Carl Rogers verstanden, der als Begründer der Klientenzentrierten Therapie gilt. Bei der Personenzentrierten Beratung handelt es sich um einen ganzheitlichen und individualisierten Ansatz, bei dem der:die Beratende dem:der Ratsuchenden zuhört, ihn:sie begleitet und unterstützt. Ziel ist dabei, die:den Ratsuchende:n in die Lage zu ver­setzen, selbst Lösungen für seine:ihre Probleme zu finden. Personenzentrierte Beratung hat sich als eine sehr effektive Methode bei der Bewältigung verschiedener Probleme erwiesen, da ihre flexible und individualisierte Herangehensweise es dem:der Ratsuchenden ermöglicht, sich in ei­ner vertrauensvollen Atmosphäre öffnen zu können und persönliche Ressourcen gewinnbringend zu nutzen. Der Themenwahl liegen unter anderem persönliche Umstände zugrunde. Aufgrund äu­ßerer Umstände stand mir für die Bearbeitung nur ein begrenzter, festgelegter zeitlicher Rahmen von zwei Wochen zur Verfügung. Ursprünglich wollte ich mich in diesem mit einem anderen Th­ema beschäftigen. Da jedoch unglücklicherweise der geplante Beginn meiner Bearbeitung mit dem plötzlichen Tod meines Onkels durch Suizid zusammenfiel, sah ich mich einer außerge­wöhnlichen Situation gegenüber. Bedingt durch familiäre Umstände hatte ich, neben der Bearbei­tung der Hausarbeit, in Hinblick auf den Todesfall zum einen die organisatorisch anfallenden

Aufgaben zu bewältigen und zum anderen der Herausforderung zu begegnen, den individuellen Bedürfnissen der einzelnen Angehörigen, auch in emotionaler Hinsicht, Rechnung zu tragen. Des Weiteren hatte ich meinen beruflichen und privaten Alltag zu organisieren sowie meine eigenen Bedürfnisse und Gefühle einzuordnen und zu berücksichtigen. Durch die Beobachtungen und Er­fahrungen, der sich durch den Todesfall ergebenden, Dynamiken, Verhaltensweisen und Trauerre­aktionen im familiären und sozialen Umfeld, kam bei mir das Bedürfnis auf, mich aus fachlicher Perspektive mit diesem Thema zu beschäftigen. In Hinblick darauf, dass ich ohnehin die Hausar­beit zu schreiben hatte, bot es sich an, die fachliche Auseinandersetzung in diese einzubinden. Zu­nächst plante ich, die Trauerbewältigung unter personenzentrierter Perspektive im Kontext des speziellen Falles eines Suizids zu schreiben. Bei der Recherche stellte ich jedoch fest, dass für eine adäquate Bearbeitung des Themas der Trauerbewältigung aus personenzentrierter Perspekti­ve sowohl die Berücksichtigung der Grundlagen der Personenzentrierten Beratung, als auch die der Trauerbewältigung von maßgeblicher Relevanz sind, um Ansatz und Thema miteinander in einen tieferen Zusammenhang bringen zu können. Die zusätzliche Beschäftigung mit dem spezi­ellen Fall des Suizides sowie damit einhergehend unkomplizierter und komplizierter Trauer schien, unter Berücksichtigung der Rahmenbedingungen sowie des vorgegebenen Umfangs der Hausarbeit, daher nicht sinnvoll. Basierend darauf entschied ich mich dazu, in der vorliegenden Arbeit die Frage danach, ob und inwieweit die Personenzentrierten Beratung auch im Bereich der Trauerbewältigung gewinnbringend eingesetzt werden kann, näher zu beleuchten. Hierfür wird zunächst die Personenzentrierte Beratung nach Rogers näher betrachtet, um im Anschluss auf die Aufgaben der Trauerbewältigung nach Worden einzugehen. Darauffolgend werden die Merkmale der Personenzentrierten Beratung und deren Nutzen im Kontext der Trauerbewältigung themati­siert. Abschließend wird ein Fallbeispiel aufgeführt und die zuvor erarbeitete Theorie auf dieses angewandt.

2 Personenzentrierte Beratung

Die Personenzentrierte Beratung wurde von Carl Rogers entwickelt. Er ging davon aus, dass alle Menschen zu Wachstum und Selbstverwirklichung fähig sind, und sah die Rolle des Therapieren­den darin, ein unterstützendes Umfeld zu schaffen, in welchem Wachstum und Selbstverwirkli­chung ermöglicht werden. Die wichtigsten Merkmale der Personenzentrierten Beratung sind Kon- gruenz/Echtheit, Bedingungslose Akzeptanz/Wertschätzung und Empathie/Einfühlendes Verstehen. Die Personenzentrierte Beratung hat sich bei der Bewältigung einer Vielzahl von Pro­blemen als nützlich erwiesen. Sie legt ihren Fokus auf den:die Klient:in als Menschen, ist res­sourcenorientiert und hat zum Ziel, den:die Klienten:in wieder zur Selbstermächtigung zu befähi- gen und ihm:ihr auf diesem Weg unterstützend zur Seite zu stehen. Im Folgenden werden zunächst die Grundlagen der Personenzentrierten Beratung ausgeführt und anschließend auf die Ziele dieser eingegangen. Abschließend erfolgt eine Betrachtung der Basisvariablen.

2.1 Grundlagen

Grundlage der Personenzentrierten Beratung nach Rogers stellt sein Menschenbild dar. Eben die­ses hat er im Rahmen seiner langjährigen therapeutischen Tätigkeit entwickelt (vgl. Backhaus 2020: 18). Seiner Persönlichkeitstheorie, die wiederum ihrerseits Bestandteil Rogers‘ Theoriensy­stem der Gesprächspsychotherapie ist, kommt in diesem Kontext eine zentrale Bedeutung zu, da sie Rogers‘ Menschenbild beinhaltet (vgl. Alterhoff 1994: 40).

2.1.1 Theorienkonzept

Seine verschiedenen Theorieansätze stellt Rogers 1959 in einem System dar. Dieses bildet zum einen den Kontext der jeweiligen Theorien ab und zeigt zum anderen auf, wie die einzelnen Theorien in Zusammenhang zueinanderstehen. Das Zentrum des Theoriekonzeptes stellt dabei die Theorie der Therapie dar, auf welche sich alle anderen Theorien beziehen und somit in wechsel­seitiger Abhängigkeit mit ihr stehen (vgl. Alterhoff 1994: 193)

2.1.2 Persönlichkeitstheorie

Rogers Persönlichkeitstheorie basiert auf der Einordnung der Erfahrungen, die er im Rahmen der Therapien gesammelt hat. Dabei konzentriert er sich auf das Beschreiben und Erfassen des thera­peutischen Vorgehens in Verbindung mit der Frage danach, wie es zum Eintreten einer Verände­rung kommt. Der Frage danach, was an dem Beratungsverhalten ursächlich für die Veränderung bei dem:der Klient:in ist, kommt hingegen eine zu vernachlässigende Rolle zu (vgl. Weinberger 1984: 97; Rogers 1978: 119). Er geht davon aus, dass jeder Mensch eine natürliche Tendenz be­sitzt, die ihn zur Erhaltung und Weiterentwicklung aller, seiner Gesamtperson, bestehend aus Körper und Geist, dienlichen Kompetenzen befähigt. Diese Annahme sieht er selbst als grundle­gend für den Personenzentrierten Ansatz an (vlg. Backhaus 2020: 16; Rogers 1983: 136). Diese Fähigkeit des Menschen, seine Weiterentwicklung hin zu dem Status von Unabhängigkeit und Selbstverwirklichung auf konstruktive Art und Weise naturgegeben anzustreben bezeichnet Ro­gers als Aktualisierungstendenz (vgl. Weinberger 1994: 97). Er nimmt an, dass eben diese einer­seits ursächlich für Verhalten ist, Selbiges aber andererseits auch zu steuern, beziehungsweise re­gulieren vermag (vgl. Alterhoff 1983: 46). Rogers sieht die Aktualisierungstendenz als wesentlichsten Impulsgeber des Menschen und geht davon aus, dass sie grundsätzlich positiv und auf das Erreichen von Selbstverwirklichung ausgerichtet ist. Sie bildet damit die Basis für den Drang, das Hinwirken und Streben des Menschen nach Selbstaktualisierung und Entfaltung, Selbststeigerung und -verantwortlichkeit, Reife und Autonomie sowie Kreativität und Sozialisie­rung (vgl. Rogers 1988: 49, 1976: 99ff.; Backhaus 2020: 18; Sander/Ziebertz 2021: 60f.; Alter- hoff 1983: 46). Zwar hat nach Rogers jeder Mensch von Natur aus diese, als Potenzial zu verste­hende, Fähigkeit inne, die Aktualisierung erfolgt jedoch nicht zwangsläufig bei allen Menschen (vgl. Backhaus 2020: 18; Stumm 2015: 577), da sie, aufgrund unterschiedlicher Ursachen, ver­borgen oder unterdrückt sein kann. Unter den richtigen Gegebenheiten sind ihr Ausdruck und ihre Freisetzung jedoch grundsätzlich bei allen Menschen möglich (vgl. Backhaus 2020: 18; Sander/ Ziebertz 2021: 60; Rogers 1988: 49). Destruktivität wohnt dem Menschen nach Rogers hingegen nicht naturgegeben inne. Sie ist vielmehr die Folge ungünstiger Umweltfaktoren und Entwick­lungsbedingungen. Kulturelle Einflüsse oder negative Erfahrungen mit engen Bezugspersonen können demnach negativen Einfluss auf den grundsätzlich guten Kern des Menschen nehmen. In der Folge kommt es zu inneren Abwehr- und Angstreaktionen, die sich in destruktivem Verhalten, Brutalität oder asozialem Verhalten manifestieren (vgl. Backhaus 2020: 18; Sander/Ziebertz 2021: 60; Korunka 1992: 78). Stehen Selbstkonzept, das sich in seiner Entstehung an den Werte­systemen anderer orientiert, und organismische Erfahrung bzw. das organische Selbst eines Men­schen in Harmonie miteinander, kommt es bei ihm zu keinem Konflikt und er kann der Aktuali­sierungstendenz nachgehen. Dies wird als kongruent bezeichnet. Sind Selbstkonzept und organismische Erfahrung beziehungsweise das organische Selbst eines Menschen jedoch nicht in Einklang miteinander, da sein Selbstkonzept durch die, bereits erläuterten, negative Umweltfakto­ren oder Entwicklungsbedingungen beeinflusst wurde, kommt es zu einer inneren Spaltung, der Mensch ist nicht konfliktfrei, er ist inkongruent (vgl. Weinberger 1994: 98).

2.2 Ziel der Personenzentrierten Beratung

Ziel der Personenzentrierten Beratung ist die Unterstützung des:der Klient:in bei der Findung der eigenen Identität durch die Förderung eines gesunden psychischen Wachstums. Die bei Inkongru­enz eingeschränkte Fähigkeit zur Selbstheilung der Betroffenen soll im Rahmen der Personenzen­trierten Beratung reaktiviert und dadurch der:die Klient:in dazu befähigt werden, künftig auch ohne Beratende eigenmächtig zur Selbstgenesung gelangen zu können. Die Rolle des:der Bera­tenden ist dabei die eines:einer aktiven und unterstützenden Zuhörenden. Hierbei ist es wichtig, dass der:die Beratende einfühlend und emphatisch gegenüber dem:der Ratsuchenden ist sowie das Gesagte wiederholt beziehungsweise diesem:dieser in eigenen Worten widerspiegelt, sodass für den:die Klient:in die Möglichkeit zur Reflexion eröffnet wird. Dabei bezieht sich der:die Be- ratende auch auf jenes, was von dem:der Klient:in in der Erzählung anklang oder durch Körper­sprache und Mimik sichtbar wurde. Dadurch eröffnet sich für den:die Ratsuchende:n ein Raum zur Selbstexploration und -wahrnehmung. Durch dieses Vorgehen liegt der Fokus der Beratung und des Beratungsprozesses nicht auf den Symptomen und deren Reduktion, sondern vielmehr auf dem Hinwirken zur Wiedererlangung der Kongruenz des:der Klient:in. Optimalerweise führt die Umkehrung des zur Inkongruenz führenden Prozesses im Rahmen der Beratung zu einem wiedergefundenen Gleichgewicht zwischen dem Selbst und dem organismischen Vertrauen des:der Ratsuchenden. Gelingt dies, ist der:die Klient:in auch künftig in der Lage, auf ein inneres psychisches Gleichgewicht zurückzugreifen und dieses zu erhalten sowie zu einem Selbst zu ge­langen, das sich durch Flexibilität und fortwährende Prozesshaftigkeit auszeichnet (vgl. Alterhoff 1994: 177).

2.3 Basisvariablen der Personenzentrierten Beratung

Im Rahmen ihrer Forschungen gelangen Rogers und sein Kollegium zu der Schlussfolgerung, dass nicht die fachlichen Fähigkeiten und Kenntnisse des:der Therapierenden für den Erfolg einer Therapie maßgeblich sind. Vielmehr ist diesbezüglich das Vorhandensein einer bestimmten Ein­stellung Selbiger von Relevanz (vgl. Backhaus 2020: 18; Sander/Ziebertz 2021: 68; Rogers 1983: 22). Diese Feststellung steht den bisher üblichen therapeutischen Ansätzen entgegen. Denn bisher basierte die Auswahl der therapeutischen Techniken auf dem spezifischen Störungsbild eines:ei- ner Patient:in und hatte zum Ziel, dessen:deren Verhalten hin zu einer Störungsfreiheit zu verän­dern. Der gängige Blick in der Therapie war defizitorientiert. Der neue Ansatz von Rogers und seinem Team hat stattdessen zum Ziel, den Fokus nicht auf die Symptome zu legen, sondern eine Beziehung zu der ganzheitlichen Person des:der Klient:in herzustellen. Ziel ist es, einen Wohl­fühl-Raum zu schaffen, der dem:der Ratsuchenden die Möglichkeit zur freien Entfaltung bietet, eine ressourcenorientierte Haltung steht im Vordergrund. Der Grundhaltung des:der Therapieren­den kommt damit die tragende Rolle in Hinblick auf die Qualität der Beziehung zwischen Kli- ent:in und Therapeut:in zu und entscheidet schlussfolgernd über den möglichen Erfolg der Thera­pie (vgl. Backhaus 2020: 18; Sander/Ziebertz 2021: 68). Diese Annahmen Rogers werden 1994 durch Grawe bestätigt. Dieser schreibt, dass es sich bei der Qualität der therapeutischen Bezie­hung zu einem:einer Klient:in um einen der am besten approbierten therapeutischen Wirkfaktoren handelt und sowohl die Reflexion dieses Wirkfaktors als auch dessen sachgemäßer Einsatz unum­gänglich für eine:n gute:n Therapierende:n sind (vgl. Backhaus 2020: 19; Grawe 1994: 357). Zwar bezieht sich die Forschung Rogers‘ und seines Teams auf die Therapie und die Beziehung zwischen Therapeut:in und Klient:in, allerdings lassen sich die gewonnenen Erkenntnisse auf jeg- liche zwischenmenschliche Interaktionen, so auch auf die Beratung, übertragen. Rogers konkreti­siert, was für die Haltung des:der Therapierenden von zentraler Bedeutung ist. Hierfür formuliert er die drei Basisvariablen des Therapeut:innenenverhaltens: ,Kongruenz oder Echtheit‘, ,Bedin- gungsfreie Akzeptanz oder Wertschätzung[4] sowie ,Empathie oder einfühlendes Verstehen[4]. Es gilt zu beachten, dass nicht allen drei Variablen die gleiche Wichtigkeit zuzuordnen ist, sondern Ro­gers Erstere als die wesentlichste ansieht (vgl. Backhaus 2020: 19).

2.3.1 Kongruenz oder Echtheit

Der Erfolg eines:einer Therapierenden ist nach Rogers davon abhängig, ob der:die Therapeut:in sich dem:der Klienten:in gegenüber authentisch zeigt. Intransparenz oder das Aufsetzen einer professionellen Maske sind dem Therapieerfolg entsprechend abträglich (vgl. Rogers 1973: 51, 74). Des Weiteren hängt die Wirksamkeit der Variablen emphatisches Verstehen und bedingungs­freie Akzeptanz davon ab, ob der:die Therapierende kongruent ist. Die Kongruenz stellt somit die grundlegende Variable dar. Sie sollte jene sein, die unbedingt verwirklicht wird, wenn sie im Wi­derspruch zu einer der anderen Variablen steht (vgl. Brem-Gräser 1993: 90). Kongruent ist ein:e Therapeut:in dann, wenn er:sie in der Lage ist, sich mit dem:der Ratsuchenden auf eine Bezie­hung auf Augenhöhe einzulassen, die durch authentisches und echtes Zeigen der eigenen Person auf Seiten des:der Therapierenden gekennzeichnet ist. Dadurch wird zugleich die Bereitwilligkeit des:der Therapierenden, sich in der Beziehung ebenfalls zu verändern, zum Ausdruck gebracht. (vgl. Backhaus 2020: 19; Sander/Ziebertz 2021: 77f.). Um kongruent zu sein, ist es erforderlich, sich über das eigene körperliche Erleben und die eigenen Gefühle bewusst zu sein sowie aufdiese Empfindungen zurückzugreifen und sie dem:der Ratsuchenden zu kommunizieren, wenn dies dienlich ist (vgl. Backhaus 2020: 19; Sander/Ziebertz 2021: 77f.; Rogers 1983: 31; Fehringer 1992: 178). Das Zeigen und Kommunizieren der echten Gefühle seitens des:der Therapierenden bezieht dabei grundsätzlich auch negative Emotionen mit ein. Der:die Therapeut:in soll diese dem:der Ratsuchenden dann kommunizieren, wenn dadurch die Möglichkeit auf eine tiefere Kommunikation geschaffen werden kann, die negativen Emotionen relevant für die Beziehung sind oder zu einer Belastung dieser führen könnten (vgl. Backhaus 2020: 19; Fehringer 1992: 178). Durch das offene Kommunizieren und Leben der eigenen, im jeweiligen Moment empfun­denen, Gefühle, wird der:die Therapeut:in in der Beziehung für den:die Klient:in transparent (vgl. Backhaus 2020: 19; Rogers 1983: 31). Dies ermöglicht dem:der Ratsuchenden, sich in der Bezie­hung zu dem:der Therapeut als Gesprächspartner:in auf Augenhöhe zu erleben, in der Folge Ver­trauen zu gewinnen, sich zu öffnen sowie selbst offener und echter zu sein. Zu beachten ist dabei, dass kongruent zu sein nicht bedeutet, dass der:die Therapierende all seine Probleme und Gefühle mit dem:der Ratsuchenden teilt, sondern jene, die er:sie in der Beziehung erfährt, wahrnimmt und anerkennt sowie solche, die in der Beziehung wiederholend auftreten, akzeptiert und kommuni­ziert (vgl. Backhaus 2020: 19f.; Rogers 1983: 32). Wichtig ist, zu verstehen, dass die Variable der Kongruenz gleichermaßen die wichtigste und die am schwierigsten zu lebende Grundhaltung dar­stellt. Das Erreichen vollkommener Kongruenz ist nicht möglich, vielmehr ist eine stetige Annä­herung an das Optimale anzustreben. Dies gilt überdies auch für die anderen Variablen (vgl. Backhaus 2020: 20).

2.3.2 Bedingungsfreie Akzeptanz oder Wertschätzung

Eine rasche positive Entwicklung eines:einer Ratsuchenden steht Rogers zufolge in engem Zu­sammenhang mit einer starken positiven Wertschätzung des:derselben. Die Ursache hierfür ist, dass jedem Menschen das grundlegende Bedürfnis nach Respekt, Bewunderung, Wärme, Liebe und Akzeptanz innewohnt (vgl. Fehringer 1922: 178). Um diesem Umstand im Rahmen einer Therapie Rechnung zu tragen, bedarf es auf Seiten des:der Therapierenden der Fähigkeit zu be­dingungsfreier Akzeptanz beziehungsweise Wertschätzung. Bringt der:die Therapeut:in dem:der Ratsuchenden echte, tiefe Zuwendung entgegen und äußert diese auch, ist dies für den Thera­pieprozess förderlich. Dabei ist es wichtig, dass im Rahmen der Zuwendung keine Wertung oder Beurteilung der Gefühle, Gedanken und Verhaltensweisen des:der Ratsuchenden erfolgt (vgl. Backhaus 2020: 20; Sander/Ziebertz 2021: 73; Rogers 1983: 27). Der:die Klient:in wird als ei­genständiges Individuum akzeptiert und als dieses wertgeschätzt. Erfüllt der:die Therapeut:in die­se Anforderungen an die Wertschätzung und Zuwendung, spricht man von bedingungsloser Ak­zeptanz (vgl. Backhaus 2020: 20; Sander/Ziebertz 2021: 73f.; Rogers 1983: 27; Fehringer 1992: 178). Der:die Therapeut:in muss die Gefühle, Gedanken und das Verhalten des:der Ratsuchenden dabei keineswegs gutheißen oder dessen:deren Meinung teilen. Vielmehr geht es darum, dass der:die Therapierende dem:der Ratsuchenden das Gefühl vermittelt, als Individuum mitsamt all seiner:ihrer Eigenheiten jederzeit so akzeptiert und wertgeschätzt zu werden, wie er:sie ist (vgl. Backhaus 2020: 20; Sander/Ziebertz 2021: 73f.; Fehringer 1992: 178). Erfahrbar wird das Gefühl der Wertschätzung für den:die Klient:in sowohl durch verbale als auch durch nonverbale Kom­munikation. Mimik, Gestik, Körperhaltung und Stimme können Transmitter für die bedingungslo­se Wertschätzung und Sympathie des:der Therapierenden sein (Weinberger 1998: 46). Der:die Klient:in wird für die Fähigkeit, Sorge für sich selbst zu tragen sowie eigene Lösungen zu ent­wickeln geschätzt. Er:sie wird in seiner:ihrer Würde bestärkt und ihm:ihr mit Respekt und Tole­ranz begegnet. Durch diesen positiven Umgang wird dem:der Ratsuchenden ermöglicht, sich selbst nach und nach im eigenen Sein besser anzunehmen und zu akzeptieren. Das Steigern der Selbstakzeptanz wiederum bewirkt das Freisetzen von Potentialen und Kräften, durch die Verän­derung möglich wird. Die Selbstermächtigung des:der Ratsuchenden wird vorangetrieben, das Formulieren eigener Ziele ermöglicht, der:die Klient:in erfährt sich als selbstwirksam und wird in der Folge dadurch erneut positiv bestärkt (vgl. Backhaus 2020: 21; Sander/Ziebertz 2021: 73f.).

2.3.3 Empathie oder Einfühlendes Verstehen

Während die bereits beschriebenen Variablen sich auf Eigenschaften und Einstellungen des:der Therapierenden beziehen, ist das Einfühlende Verstehen dadurch gekennzeichnet, dass es aktives Handeln beschreibt. Als Therapeut:in ist es wichtig, die Emotionen und Gefühle des:der Ratsu­chenden zu verstehen und mit ihm:ihr zu fühlen. Dafür ist es notwendig, sich in dessen:deren Ge­fühlswelt beziehungsweise innere Welt hineinzuversetzen und die jeweiligen Emotionen sowie deren persönliche Bedeutung rücksichtsvoll und sensibel zu erfassen. Der:die Therapeut:in sollte sich in der inneren Welt des:der Ratsuchenden so vertraut bewegen können, als ob es sich um die eigene handle. Dabei ist es jedoch zugleich wichtig, dass der:die Therapeut:in nicht vergisst, dass es sich hierbei um die Welt des:der Ratsuchenden handelt und eben nicht um die eigene. Einfüh­lendes Verstehen lässt sich demzufolge als aktives Nacherleben fremden Erlebens oder zeitlich begrenzte Identifikation mit dem fremden Erleben verstehen (vgl. Finke 1994: 43; Backhaus 2020: 21; Sander/Ziebertz 2021: 68f.; Rogers 1983: 23f.). Dies ermöglicht Therapeut:in und Kli- ent:in, gemeinsam das innere Erleben des:der Ratsuchenden zu erkunden. Die Empathie wird in diesem Kontext zu einem Prozess zweier Menschen, der zum Zweck hat, gemeinsam das innere Erleben einer Person, in diesem Fall des:der Ratsuchenden, zu erforschen und zu erfassen, bis dieses für diese:n stimmig empfunden wird. Der Prozess zeichnet sich durch wiederholte Versu­che aus und ist charakterisiert durch Verlangsamung und Präzisierung der Wahrnehmung (vgl. Backhaus 2020: 22; Sander/Ziebertz 2021: 69). Durch das Einfühlen in den inneren Bezugs­rahmen des:der Ratsuchenden ist es möglich, dessen:deren inneres Erleben mitsamt der zugehöri­gen Sinngehalte und Bedeutungen zu verstehen und dies dem:der Ratsuchenden auch zu vermit­teln. Gelingt es dem:der Therapierenden, die Welt seiner:ihrer Klient:in vollständig zu verstehen und sich frei in dieser zu bewegen, so kann er:sie diesem:dieser das eigene Verständnis davon, was dem:der Ratsuchenden nur vage bewusst ist, vermitteln. Dies wiederum ermöglicht ihm:ihr ebenso, dem:der Ratsuchenden gegenüber, Selbigem:Selbiger kaum bewusste Bedeutungsinhalte aus dessen:deren Erleben, anzusprechen (vgl. Finke 1994: 43; Backhaus 2020: 21; Rogers 1983: 23f.; Sander/Ziebertz 2021: 68f.). Rogers ist der Ansicht, dass ein psychisch gesunder Mensch in der Lage ist, bewusste Entscheidungen zu treffen. Dies hängt damit zusammen, dass er sich seiner Gedanken, Empfindungen, Gefühle und Motive bewusst ist und diese in den Entscheidungspro­zess einbeziehen kann (vgl. Backhaus 2020: 21). Wenn der:die Klient:in den:die Therapierenden als verständnisvoll und einfühlsam wahrnimmt, fühlt er:sie sich angenommen. Er:sie erkennt, dass er:sie sich verständlich machen kann und sein:ihr Zutrauen zu sich selbst nimmt zu. Dies er- möglicht die Zuwendung des:der Ratsuchenden zu seinem:ihrem eigenen subjektiven Erleben. Die Überzeugung selbst zur eigenen Problemlösung fähig zu sein wächst, wodurch der:die Kli- ent:in Verantwortung für eben diese übernimmt, anstatt sie anderen zu überlassen. Es kommt zu einer Auseinandersetzung mit dem inneren Bezugssystem und zur Selbstexploration (vgl. Alter- hoff 1994: 104f.). Der Förderung der Selbstexploration Ratsuchender durch Einfühlendes Verste­hen kommt somit eine wesentliche Bedeutung zu, da sie in engem Zusammenhang mit konstruk­tiven Änderungen auf Seiten des:der Ratsuchenden steht (vgl. Alterhoff 1994: 105). Die Empathie-Fähigkeit Therapierender ist entsprechend ausschlaggebend dafür, dass der:die Kli- ent:in zu Selbstexploration und innerem Verstehen ermutigt wird. Das Klären sowie Benennen der Gefühle des:der Ratsuchenden führt bei diesem:dieser zu einer Erleichterung. Ob die Benen­nung durch die:den Therapierende:n erfolgt oder in einem gemeinsamen Prozess durch die:den Ratsuchende:n selbst, ist dabei unwesentlich. Die erfahrene Erleichterung ermöglicht es dem:der Ratsuchenden, Verhaltensweisen zu überprüfen sowie zukünftige Entscheidungen bewusst zu treffen. Es kommt zur Selbstermächtigung, sodass der:die Klient:in sich nicht mehr als Opfer sei- ner:ihrer Impulse und unbewussten Prozesse sieht, sondern sich als wirksame:r Akteur:in mit Kontrolle über sich selbst wahrnimmt (vgl. Backhaus 2020: 21f.). Hierfür ist es nach Rogers nicht unbedingt notwendig, dass der Prozess des Verstehens dem:der Therapierenden direkt gelingt. Vielmehr ist bereits der Versuch, Verständnis für die:den Ratsuchende:n aufzubringen, sehr wert­voll (vgl. Backhaus 2020: 22; Rogers 1983: 24). Eine klare Kommunikation zwischen Thera- peut:in und Klient:in ist hierfür besonders wichtig, da sie die Suche nach Verständnis verdeut­licht. Durch das Mitteilen des Verstandenen erhält der:die Ratsuchende die Chance, die Selbstexploration im Überprüfen der Äußerungen des:der Therapierenden voranzutreiben (vgl. Backhaus 2020: 22). Für das Gelingen klarer Kommunikation ist es wesentlich, dass der:die The- rapeut:in dem:der Ratsuchenden das Nachempfundene auf eine Art und Weise mitteilt, die das mühelose Verstehen des Gesagten ermöglicht. Die Wahrscheinlichkeit, dieses Ziel zu erreichen, steigt, wenn der:die Therapierende folgende Aspekte in der Kommunikation zu berücksichtigen und umzusetzen weiß: Er:sie konzentriert sich ausnahmslos auf die Gefühle des:der Ratsuchen­den und hält die eigenen Äußerungen möglichst anschaulich, genau, konkret und kurz. Des Wei­teren berücksichtigt er:sie, dass die eigenen Formulierungen keinen Anspruch auf Richtigkeit haben, sondern stets als Annäherung an die Emotionen des:der Ratsuchenden zu verstehen sind. Er:sie achtet zudem darauf, die Emotionen des:der Ratsuchenden nach Möglichkeit direkt anzu­sprechen sowie das einfühlend Verstandene möglichst häufig mitzuteilen. Er:sie benennt überdies die in der gegenwärtigen Situation erlebten, unmittelbaren Gefühle des:der Ratsuchenden (vgl. Alterhoff 1994: 104; Sander/Ziebertz 2021: 69ff.). Obwohl die Haltung des Einfühlenden Verste­hens am leichtesten zu erwerben ist und am häufigsten Ausdruck im therapeutischen Handeln fin- det, ist sie zugleich die Anfälligste für Missverständnisse. Die Ursache hierfür liegt in dem fal­schen Verstehen und Anwenden technischer Handlungsanweisungen wie beispielsweise dem Spiegeln. Um dies zu vermeiden, sollte auch diese Basisvariable, Rogers‘ Sichtweise folgend, als wesentliche, tief verankerte menschliche Grundeinstellung und nicht als Technik gesehen werden (vgl. Backhaus 2020: 22).

[...]

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Details

Titel
Begleitung und Beratung trauernder Menschen aus personenzentrierter Perspektive
Hochschule
Frankfurt University of Applied Sciences, ehem. Fachhochschule Frankfurt am Main
Veranstaltung
Modul 1: Interventionsmethoden und Diagnostik - Psychosoziale Beratung und Recht
Note
2,0
Autor
Jahr
2022
Seiten
30
Katalognummer
V1282026
ISBN (Buch)
9783346735973
Sprache
Deutsch
Schlagworte
personenzentriert, Trauer, Trauerbewältigung, Trauerberatung, Personenzentrierter Ansatz, Personenzentrierte Beratung, Beratung, Soziale Arbeit, Begleitung, psychosozial, Psychosoziale Beratung, Trauerbegleitung, Rogers, Carl Rogers
Arbeit zitieren
Laura Linn (Autor:in), 2022, Begleitung und Beratung trauernder Menschen aus personenzentrierter Perspektive, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1282026

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