Der vorliegende Essay wurde im Kontext des Tages der internationalen Rechnungslegung 2022, der jedes Jahr am 10. November begangen wird, verfasst. Dieser Beitrag, der zum gegebenen Anlass publiziert wurde, analysiert den (möglichen) Ursprung buchhalterischen Agierens als einen vom Menschen ausgehenden mental-neuronalen Prozess im Kontext individueller Entscheidungsfindung(en). Ziel ist die Akzentuierung der Verbindung zwischen dem Lebewesen Mensch an sich und des buchhalterischen bzw. kaufmännischen Denkens und Handelns. Bezogen auf seine wissenschaftliche Beschäftigung damit, etabliert Marlon Possard neue Kategorien hinsichtlich der Analyse der menschlich-ökonomischen Entscheidungsfindung(en). Der Beitrag untersucht die wesentlichsten Charakteristika der (doppelten) Buchhaltung und die Eigenheit des (gedanklichen) Verbuchens. Im Mittelpunkt der Analyse steht dabei das menschliche "Hineingeboren-Werden" in eine spezifische Wirtschafts- und Finanzordnung.
Possard führt zwei gänzlich neue Stufen ein (= Subjektivität und Objektivität) und entwirft den Gedanken der sog. "ideomotorischen Assimilation", der in effectu zum wissenschaftlichen Diskurs anregen soll.
Scientific identifications:
https://research.wu.ac.at/de/persons/marlon-possard | https://wuvienna.academia.edu/MarlonPossard | https://orcid.org/0000-0003-0556- 8685
« IDEOMOTORISCHE ASSIMILATION » – ODER: ÜBER DAS LEBEN IM ZEITALTER DER ÖKONOMISCHEN ENTSCHEIDUNGSFINDUNG.
BUCHHALTUNG ZWISCHEN WIRTSCHAFTLICHEN ABWÄGUNGEN, PSYCHOLOGISCHEN VERNETZUNGEN UND PHILOSOPHISCHEN DIVERGENZEN.
ESSAY IM KONTEXT DES INTERNATIONALEN TAGES DER RECHNUNGSLEGUNG
AM 10. NOVEMBER 2022
Marlon Possard (Innsbruck/Wien) | September 2022
Zum Verfasser (in German):
Marlon Possard, geb. 1995, ist Assistent am Institut für Treuhand-, Revisions- und Rechnungswesen an der Wirtschaftsuniversität Wien (WU). Seine Schwerpunkte in Lehre und Forschung liegen vorwiegend in den Bereichen des Externen Rechnungswesens, der Wirtschafts- und Unternehmensethik und des Steuer- und Unternehmensrechtes, aber auch der Wirtschaftskriminalität. Derzeit promoviert er an der Universität Innsbruck und analysiert wirtschaftskriminelles Agieren im Kontext jüngster Bilanzfälschungsskandale in Österreich. Im Januar 2022 wurde er zum Präsidenten des Akademischen Börsenvereines Innsbruck (ABVI), einer der größten Studierendenvereine Tirols mit ca. 300 Mitgliedern, gewählt. Seit August 2022 ist er zudem Young-Science-Botschafter des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung (BMBWF).
About the author(in English):
Marlon Possard, born in 1995, is an Assistant at the Institute for Fiduciary, Auditing and Accounting at the Vienna University of Economics and Business (WU). His focus in teaching and researchis exclusively in the areas of external accounting, economic and corporate ethics and tax and corporate law, but also white-collar crime. He is currently doing his doctorate at the University of Innsbruck and is analyzing white-collar crime in the context of recent accounting fraud scandals in Austria. In January 2022 he was elected to President of the Academic Exchange Association Innsbruck (ABVI), one of the largest student associations in Tyrol with around 300 members. Since August 2022 he has also been a Young Science Ambassador of the Austrian Federal Ministry of Education, Science and Research (BMBWF).
Bereits Mahatma Gandhi (1869-1948) hielt fest: „Sorgfältige Buchführung ist für jede Organisation eine conditio sine qua non. Ohne ordentliche Buchführung ist es unmöglich, die Wahrheit in ihrer ursprünglicheren Reinheit aufrechtzuerhalten.“
(I) Intention
Am 10. November eines jeden Jahres begehen Buchhalter:innen und andere mit der Rechnungslegung betraute kaufmännische Mitarbeiter:innen auf der ganzen Welt den internationalen Tag der Buchhaltung, häufig auch Accounting Daygenannt. Dieser Tag sollte insbesondere dafür genützt werden, Menschen für das buchhalterische Berufsbild zu begeistern und sich gleichzeitig mit neuen Phänomenen des kaufmännischen Arbeitens, beispielsweise mit der sukzessiven Weiterentwicklung digitaler Möglichkeiten, auseinanderzusetzen.
Dieser Beitrag, der zum gegebenen Anlass verfasst wurde, analysiert den (möglichen) Ursprung buchhalterischen Agierens als einen vom Menschen ausgehenden mental-neuronalen Prozess im Kontext individueller Entscheidungsfindung(en). Ziel ist die Akzentuierung der Verbindung zwischen dem Lebewesen Mensch an sich und des buchhalterischen bzw. kaufmännischen Denkens und Handelns. Bezogen auf meine wissenschaftliche Beschäftigung damit, etabliere ich in diesem Kurzessay neue Kategorien hinsichtlich der menschlich-ökonomischen Entscheidungsfindung.
Dahingehend führe ich zwei gänzlich neue Stufenein (= Subjektivitätund Objektivität ) und entwerfe den Gedanken der ideomotorischen Assimilatiion[1] , der in effectu zum wissenschaftlichen Diskurs darüber anregen soll. Kehren wir am Tag der internationalen Rechnungslegung 2022 auf die wesentlichsten Charakteristika der (doppelten) Buchhaltung, auf die Eigenheit des Verbuchensund auf den menschlichen Umgang mit dem Hineingeboren-Werdenin eine spezifische Wirtschaftsordnung zurück.
(II) Historische Kurzbetrachtung der doppelten Buchhaltung
Die Buchführung, speziell die doppelte Buchhaltung, wird in unterschiedlichster Literatur häufig auf den italienischen Mathematiker und Franziskanermönch Luca Pacioli (1445-1517) zurückgeführt. Gewiss war Pacioli ein Denker, der mit seinem Werk Summa de Arithmetica, Geometria, Proportioni et Proportionalita aus dem Jahr 1494 die Entwicklung der Rechnungslegung maßgeblich prägte.
Dennoch kann, so argumentiere ich, nicht die gesamte Entwicklung der Rechnungslegung Pacioli zugeschrieben werden. Ein vermehrter Rückgriff auf Pacioli und sein Wirken in wissenschaftlichen Beiträgen in den letzten Jahren lässt jedoch fälschlicherweise eine dementsprechende Annahme vermuten. Wird davon ausgegangen, dass Pacioli zwar maßgeblich an der Weiterentwicklung des buchhalterischen Systemes beteiligt war, die doppelte Buchhaltung aber nicht erst im 15. Jahrhundert erstmalig in Erscheinung trat, so muss man grundsätzlich davon ausgehen, dass das Prinzip der doppelten Buchhaltung in Konten bereits vor Pacioli, zumindest in ihren Grundzügen, etabliert wurde. Historisch betrachtet können beispielsweise bereits bei der Volksgruppe der Kelt:innen (altgriech. Κελτοί) bestimmte kaufmännische Aufzeichnungen beobachtet werden, wenngleich diese noch sehr einfach gehalten waren und großteils mittels Höhlenmalereien vorgenommen wurden. Hinweise auf buchhalterische Aufzeichnungen finden sich ebenso in der Steinzeit und im späten Mittelalter. Das Gewinn- und Verlustdenken des Menschen kann also weit zurückdatiert werden.
Somit sehe ich das Werk Paciolis, das zweifelsohne prioritär für die Entwicklung des heutigen Rechnungslegungssystemes war und mit seinen mathematischen Ausführungen diesbezüglich immer noch ist, als ein Grundlagenwerk und als eine kompakte Zusammenfassung hinsichtlich des damaligen Standes buchhalterischen Wissens an. Pacioli wirkte also en détail an der Weiterentwicklung der Buchhaltung mit, kann aber m. E. nicht als ihr Begründer angesehen werden.
(III) Ökonomische Entscheidungsfindung(en) zwischen mentaler Buchhaltung,
Subjektivität Objektivität und ideomotorischer Assimilation
Der Begriff der sog. mentalen Buchhaltung[2] [3] lässt sich auf den US-amerikanischen Ökonomen Richard Thaler (geb. 1945) zurückführen und kann den Bereichen der Wirtschaftswissenschaften und der Verhaltensökonomik zugeordnet werden. Er wurde durch Thaler in den 1980er Jahren definiert. Dieser Terminus besagt, dass der Mensch sein Leben in Konten einteilen und seine praktischen Entscheidungen danach ausrichten würde. Dies betreffe vor allem auch den Umgang mit den eigenen finanziellen Mitteln.
Steht man der These von Thaler bejahend gegenüber – wie im Übrigen auch ich – so kann man in weiterer Folge auch vom Menschen als ein ökonomisch denkendes Lebewesen sprechen, mit dem das mentaleAccountingauf enge Art und Weise verknüpft ist. Aber woher rührt die Tatsache, dass der Mensch grundsätzlich versucht, sofern ihn nicht andere menschliche Einschränkungen (z. B. gesundheitliche Beeinträchtigungen) daran hindern, ökonomisch zu denken und spezifische, häufig mit finanziellen Belangen verbundene Vorgänge, mit denen wir im Leben konfrontiert sind, im Kontext einer mentalen Verbuchungzu lösen? Ich behaupte zu sagen, dass wir, die wir alle Menschen sind, uns in einem Zeitalter der (ständigen) ökonomischen Entscheidungsfindung(en)befinden. Aber was kann darunter verstanden werden?
Heute, so scheint es, werden alle Sachverhalte, die einen wirtschaftlichen Berührungspunkt aufweisen, einer Abwägung unterzogen – und dies kann bewusst oder unbewusst geschehen. Im Mittelpunkt der Entscheidungsausrichtung(en) steht vermehrt die Frage nach der Rentabilität und nach den wirtschaftlichen Folgen bzw. Konsequenzen einer Handlung. Man kann durchaus sagen, dass der Mensch, sofern man ihn und seine Fortentwicklung historisch betrachtet, immer schon von einer gewissen ökonomischen Entscheidungsfindung im Kontext seiner Lebensplanung umgeben war. Dies ist demgemäß kein neues Phänomen. Spezielle Charakteristika sind hier beispielsweise bilanzielle Abwägungen, das Vermögen- und Schuldendenken des menschlichen Daseins, das Gegenüberstellen von Soll und Haben bzw. von Aktiva und Passiva. Mathematisch kann dies u. a. mit einer Kapitalgleichung ausgedrückt werden, die versucht, das Reinvermögen abzubilden: Astellt das Vermögen dar, Pdie Schulden.
Daraus kann das Eigenkapital Kerrechnet werden. Das Vermögen Aergibt sich aus beliebig vielen Vermögensbestandteilen, ebenso die Schulden mittels der Posten P.
a 1 + a 2 + a 3 + [. ] = A
p 1 + p 2 + p 3 + [. ] = P (A- P = K)
Der Mensch konnte sich nie vollständig von wirtschaftlichen Abwägungen loslösen. Ökonomische Herausforderungen begegnen einem Menschen im Laufe seines Lebens also ständig, er muss in gewisser Hinsicht darauf antworten. Letzteres wäre das ökonomische Handeln, unabhängig ob dieses Agieren nun effizient ist oder nicht. Die Eigenheit des an sich ökonomisch denkenden Menschen beschreibt schon der irische Ökonom John Kells Ingram (1823-1907) mit dem Begriff des economic man[4]. In seinem Werk AHistory of Political Economyaus dem Jahr 1888 hebt er insbesondere das menschliche Streben nach Effizienz im alltäglichen Leben hervor. Eine generelle Einordnung effizienten Handelns ist prinzipiell schwer, da Effizienz immer auch mit individuellen Überzeugungen und Werten in Verbindung steht. Eine allgemein gültige Definition kann es daher diesbezüglich nicht geben.
Was aber auffällig ist, und das kann insbesondere in den letzten Jahren beobachtet werden, ist die Tatsache, dass der Mensch ökonomische Entscheidungen vermehrt in seine (intimste) Lebensplanung miteinbezieht. Es gibt, und das halte ich ausdrücklich fest, wohl nur wenige Tage im Jahr, in denen wir weder kalkulieren noch bestimmte Sachverhalte aus wirtschaftlicher Sichtweise heraus betrachten und evaluieren. Gerade in Zeiten wie heute, in denen die Teuerung aufgrund kriegerischer Auseinandersetzungen mitten in Europa sukzessive fortschreitet, wägen immer mehr Menschen ihre (mögliche) Lebensweise ab und die Frage nach der Betankung des eigenen Fahrzeuges wird vielleicht zu einer sich täglich stellenden Frage und zu einer ständigen Beschäftigung damit. Es kann aufgezeigt werden, dass wir verstärkt umgeben sind von wirtschaftlichen Sachverhalten (meist von pekuniären Herausforderungen), die einer persönlichen Beantwortungbedürfen.
Auf radikale Art und Weise lässt sich das heutige Zeitalter durchaus, so argumentiere ich, als epochaleZeitenwendebeschreiben. Letzteres liegt an der Beständigkeit ökonomischen Denkens, das von den Menschen einerseits selbst gefordert wird, andererseits aber auch der Natur des Menschen entspringt. Die
Vorgänge, rentabel und liquide zu denken, sind zwar – wie bereits dargelegt – keine neuen Erscheinungen, aber ihre kontinuierliche Auseinandersetzung damit wird zu einem menschlichen Kuriosum. Es besteht die Gefahr, dass diese Faktoren schleichend zur Richtschnur für unser Leben werden. Zur Skizzierung dieser Problematik etabliere ich nun die sog. zwei Ebenen der ökonomischen Entscheidungsfindung und konstituiere gleichzeitig den Terminus der ideomotorischen Assimilation.
(1)Die erste Ebeneist das rationale Denken des Menschen, das ich einer objektiven Ebene (= objective level) zuordne. Diese Ebene des Sollensist dafür verantwortlich, dass der Mensch vernunftbezogene Entscheidungen trifft, ohne auf individuelle Motive Rücksicht zu nehmen bzw. nehmen zu können. Häufig ist die objektive Ebene u. a. von einem kollektiven Denken umgeben.
(2)Die zweite Ebeneumfasst das Wollen des Menschen, d. h. eigene Überzeugungen und Motive. Diese zweite Stufe nenne ich subjektive Ebene(= subjective level ). Hierbei wünscht sich das Individuum bestimmte Verhältnisse bzw. Dinge, die herbeigeführt werden sollen. Diese können unabhängig von der objektiven Ebene existieren. Eine solche unabhängige Existenz der subjektiven Ebene zeigt sich heute aber häufig nicht mehr – und genau darin liegt die Problematik. Wollen(= subjektiv) wird demgemäß mit Sollen(= objektiv) abgewogen und dadurch zur eigentlichen Herausforderung. Der homo oeconomicuswünscht sich Dinge (= subjektive Ebene), die mangels bestimmter Tatsachen (= objektive Ebene) aber nicht umsetzbar sind[5].
Wie Sie sehen können, ordne ich solche Vorgänge in zwei Ebenen (oder auch Stufen) ein, nämlich in eine (1)objektiveStufeund eine (2)subjektiveStufe. Beide Bereiche stehen in einem Wechselverhältnis zueinander. So hängt Wollenim heutigen Zeitalter immer auch von bestimmten Möglichkeiten und rationalen Überlegungen (= Sollen) ab. Diese Situationen lassen sich an vielen Exempeln demonstrieren, eines davon stellt für mich die runde und in sich geschlossene Form eines Karussells dar. Eine solche Drehscheibe hat kein Ende, und um eine philosophische Parallele herzustellen: Es ist nicht leicht oder – so wage ich zu behaupten – überhaupt gar nicht erst möglich, diesem regressus in infinitumzu entkommen. Demnach liegt eine Endlosrekursion[6][7] vor.
Die von mir etablierten Ebenen, d. h. subjektivund objektiv[8] , führen zwangsläufig zu unausweichlichen Situationen, da diese einer Entscheidung bedürfen. Während Richard Thaler von mentaler Buchhaltung spricht und weiters davon, dass sich der Mensch zeit seines Lebens sog. mentalen Kontenbedient, die er selbst konstruiert und die von Individuum zu Individuum verschiedenartig aussehen können, argumentiere ich noch weiter, selbst wenn ich Thalers Theorien positiv gegenüberstehe, und hebe ergänzend einen Wandel hervor, der sich wie folgt ausdrücken lässt: Wir leben in einem radikalen Zeitalter ökonomischer Entscheidungsfindungen!Von diesem Zeitalter können wir uns, zumindest rational, nicht trennen, weil wir bereits durch unsere Geburt in diese Zeitspanne – man könnte auch von einem Systemsprechen – hineingeboren wurden. Die Herausforderung beginnt somit bereits durch dieses Hineingeboren-Werden[9]. Der Mensch findet sich automatisch in einer speziellen Geld- und Wirtschaftsordnung wieder und er ist angehalten, sich dieser Systematik zu fügen. Was fehlt, ist eine ausdrückliche Bejahung bzw. Zustimmung des Individuums. Es kann hervorgehoben werden, dass es im ureigensten Sinne der Zufallist, der eine solche Problematik erst entstehen lässt. Ein solches Hineingeboren-Werdenin einen bereits etablierten Kreislauf umschreibe ich fortan als eine sog. ideomotorische Assimilation (engl. ideo-motor assimilation).
Eine weitere Ähnlichkeit zwischen dem Menschen und seinem Wesen einerseits und dem Sektor der Rechnungslegung andererseits, zeigt sich im Mechanismus der Abwägung. Häufig werden menschliche Entscheidungen nicht bloß unüberlegt getroffen, sondern unterliegen einem Prozess reiflicher Abwägung unterschiedlicher Komponenten. Und genau danach richtet der Mensch für gewöhnlich sein Leben aus. Zur Veranschaulichung eines solchen Verlaufes nenne ich folgendes Beispiel, das zugegebenermaßen nicht komplex ist: Mein:e Partner:in und ich möchten unbedingt fünf Hauskatzen anschaffen, die bei uns unterkommen sollen. Die Mietwohnung, die nur 40 m² umfasst, ist für zwei Bewohner:innen und fünf Hauskatzen definitiv zu klein. Wir müssen nun Überlegungen anstellen, ob wir nicht eine größere Wohnung beziehen, um die Katzen auch tatsächlich bei uns aufnehmen zu können. Eine größere Wohnung bedeutet aber auch höhere Kosten. Es kommt zu einem Abwägungsmechanismus und Fragestellungen eröffnen sich: Können wir uns die neue Wohnung tatsächlich leisten? Wenn nicht, warum nicht und welche Aspekte müssen für eine Kostenabdeckung erfüllt werden? Oder lohnt es sich aufgrund verschiedenartiger Aspekte prinzipiell nicht, eine neue Wohnung zu beziehen? Letzteres würde mit dem Verzicht auf die Katzenanschaffung einhergehen.
Was ich damit zum Ausdruck bringen möchte, ist eigentlich ganz simpel: Menschliches Leben steht immer in Verbindung mit kaufmännischen Überlegungen und Logiken – und somit in weiterer Folge auch in Verbindung mit rechnungslegungstechnischen Konnexionen. Das gewählte Exempel sollte das Um-die-Ecke- seinder Buchführung, die mentale Verkettung der Buchführung im Rahmen menschlichen Lebens und das grundlegende bilanzielle Denken im Alltag verdeutlichen.
(IV) Conclusio
Ökonomische Entscheidungen, die von Menschen selbstständig getroffen werden und bereits mental verankert sind, können als ein Konstrukt angesehen werden, das sich zwischen neuronalen Vernetzungen, psychologischen Elementen und philosophischen Divergenzen befindet. Diese Betrachtungsweise sollte mit dem vorliegenden Essay in besonderer Weise hervorgehoben werden. Vorgänge des Gehirns führen zu Aktionen, die sich wiederum auf wirtschaftliche Bereiche und auf die Verwaltung des eigenen Vermögens auswirken können. Mentale Überlegungen innerhalb der Buchhaltung, wie sie auch von Richard Thaler erörtert und untersucht wurden, können Finanz- und Wirtschaftsentscheidungen maßgeblich beeinflussen. Der Mensch von heute ist angehalten, seine Entscheidungen ständig auf ökonomische Art und Weise – und damit auch im Sinne der Buchhaltung – zu hinterfragen. Er verdeutlicht dadurch seine Stellung als homo oeconomicusin der Welt. Durch ein solches Denken kann sich zum Beispiel die Vermögens- oder Schuldensituation des jeweiligen Individuums (oder der Korporation) verändern, sowohl in positiver Hinsicht (bspw. durch eine gute Übersicht der eigenen Geldmittel und Liquidität) als auch im Rahmen einer negativen
Betrachtungsweise (bspw. durch eine nicht völlig durchdachte Verzinsung).
Was bleibt vom Geschriebenen nun übrig?
Summa summarum kann attestiert werden, dass wirtschafts- und finanzwissenschaftliche Handlungen bzw. Vorgänge nie für sich selbst stehen, sondern immer im Konnex mit anderen Disziplinen verstanden werden müssen. Hierbei nehmen sowohl die Neurowissenschaften, die (Sozial-)Psychologie als auch die Philosophie einen wesentlichen Raum ein. Dass Buchhaltung bereits im Gehirn geschieht, sollte nicht nur die Relevanz für die Praxis aufzeigen, sondern sollte weiters auch die Tatsache hervorheben, dass es allen Menschen gemein ist, kaufmännische Überlegungen anzustellen. Wie sehr bestimmte Typen von Menschen die Buchführung auch verabscheuen mögen, völlig loslösen können auch sie sich nicht von ihr. Und das ergibt sich einerseits (1) aus der vernunftgeleiteten Stellung, in der sich jeder Mensch als animal rationale (altgriech. ζῷονλόγον ἔχον) befindet und mit dieser erst eine Differenzierung des Menschen von anderen Lebewesen (z. B. Mensch als homo oeconomicusgegenüber einem Tier) möglich wird und andererseits (2)dadurch, dass der Mensch gewissermaßen ungewollt in ein System hineingeborenwird, in dem er mit solchen Aspekten der Wirtschaftlichkeit (heute) geradezu konfrontiert wird. Kann sich der Mensch dagegen wehren? Nein. Aber er wird sich selbst zunehmend zum Problem, da sich dieses Denken auf nahezu alle Gesellschaftsbereiche des Menschen ausdehnt bzw. ausdehnen kann.
Dieses Hineingeboren-Werden, dieses Bewegt-Werdendes Menschen in die Welt – und damit in einen vorgegebenen Wirtschafts- und Finanzkreislauf – nenne ich ideomotorische Assimilation bzw. ideo-motor assimilation. Es geht um ein ungewolltes Sich-(Wieder)-Finden, das einer individuellen Fügung bedarf.
Bemerkung:
Sofern in diesem Essay für die Leser:innen etwas nicht verständlich sein sollte – was ich natürlich nicht hoffe – sei mir folgender Hinweis erlaubt: Um meine Zeilen zur Gänze verstehen zu können, bedarf es einer Antwort auf die grundlegende Frage: Was ist der Mensch?Selbst wenn sich viele Forscher:innen in unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen mit dieser Frage auseinandersetzten und immer noch tun, gehört diese Fragestellung zu den größten ungelösten Rätseln der Menschheit und Wissenschaft. Wenn ich von einem Sich-Fügenspreche, so setze ich den Menschen als Wesen bereits voraus. Ich möchte dieses noch nicht gelöste Geheimnis mit einem Vergleich verdeutlichen: Dieses Rätsel, also was der Mensch ist, kann mit einem noch ungeklärten Problem innerhalb der höheren Mathematik, nämlich mit der sog. RiemannschenVermutung, zum Ausdruck gebracht werden. Bis heute ist trotz intensiver Forschung fraglich, sofern auf die Riemannsche HypotheseBezug genommen wird, in welchem Verhältnis die Primzahlen zueinanderstehen. So ähnlich verhält es sich m. E. auch mit dem Phänomen Mensch: Es gibt viele Ansätze unterschiedlichster Denker:innen, aber keine davon kann belegt bzw. als allgemein gültig angesehen werden. Der Mensch bleibt (sich selbst) also ein Rätsel. Sein Wesen und seine Existenz müssen aber vorausgesetzt werden, um diesen Essay – in ökonomischer, psychologischer und philosophischer Manier – verstehen zu können.
Um es mit Ludwig Wittgenstein (1889-1951) zu artikulieren, der in seinem Werk Tractatus logico- philosophicus(1922) schrieb:
Whereof one cannot speak, thereof one must be silent. [10] (TLP, 7)
[1] Ich bin mir bewusst, dass der Terminus ideomotorischinnerhalb der wissenschaftlichen Auseinandersetzungen vermehrt im Kontext der psychologischen Disziplin oder der Neurowissenschaften Anwendung findet, um spezielle Bewegungen oder Aktivitäten zu akzentuieren, die unbewusst durch den Menschen ausgeführt werden. Dennoch greife ich diesen Begriff auf und verwende ihn interdisziplinär, d. h. auch in Bezug auf ökonomisches Agieren, da – wie der vorliegende Essay aufzeigen soll – der Mensch in diese Welt unfreiwillig hineingeboren und von unterschiedlichsten Gedanken und Erfahrungen beeinflusst wird, die sich auf seine spezifischen Handlungen auswirken können. Mit ideomotorischumschreibe ich demnach auch das ungewollte Hineingeboren-Werden in diese Welt, das einer persönlichen Fügungbedarf. Die Fügungnenne ich Assimilation.
[2] Siehe hierzu: Thaler, R. (1980): Towards a positive theory of consumer choice . In: Journal of Economic Behavior and Organization (1), p. 39-60
[3] Siehe hierzu: Thaler, R. (1985): Mental accounting and consumer choice . In: Marketing Science (4), p. 199-214
[4] Siehe hierzu: Kells Ingram, J. (1888): A History of Political Economy . Edinburgh: Adam & Charles Black
[5] Zur Veranschaulichung: Wenn ich beispielsweise nur über ein geringes Einkommen verfüge, so kann ich mir vielleicht ein Fahrzeug leisten, aber wohl nur ein durchschnittliches KFZ. Würde ich jedoch über ein höheres Gehalt verfügen, so könnte ich mir auch ein bekanntes Marken-Fahrzeug leisten. Mit diesem einfachen Beispiel kann skizziert werden, wie die Ebenen der Subjektivität und Objektivität zum gegenseitigen Problem werden können. Durch einen Mangel an Geldmittel kann womöglich das gesamte Wollendes Individuums oder zumindest können Teile davon nicht gestillt werden. Wiederum zeigt kommt eine Sollen-Wollens-Problematik zum Ausdruck.
[6] Dieses Sich-selbst-problematisch-Werdendes Menschen skizziert bereits der Philosoph Max Scheler (1874-1928) im Kontext seiner Problemerläuterung zur Wesensontologie des Menschen. So schreibt Scheler in seinem Werk Die Stellung des Menschen im Kosmos (1928): Wir sind […] das erste Zeitalter, in dem sich der Mensch völlig und restlos problematisch geworden ist; in dem er nicht mehr weiß, was er ist, zugleich aber auch weiß, dass er es nicht weiß . Siehe hierzu: Scheler, M. (1928): Mensch und Geschichte. In: Id., Gesammelte Werke (Späte Schriften), Bd. 9, Bonn: Bouvier, S. 120
[7] Die menschliche Problematik des eigenen Daseinsbringt – wenngleich in nur allzu pessimistischer Form – neben Max Scheler auch Arthur Schopenhauer (1788-1860) zum Ausdruck: Im unendlichen Raum zahllose leuchtende Kugeln, um jede, von welchen etwan ein Dutzend kleinerer, beleuchteter sich wälzt, die inwendig heiß, mit erstarrter, kalter Rinde überzogen sind, auf der ein Schimmelüberzug lebende und erkennende Wesen erzeugt hat: – dies ist die empirische Wahrheit, das Reale, die Welt. Jedoch ist es für ein denkendes Wesen eine mißliche Lage, auf einer jener zahllosen im gränzenlosen Raum frei schwebenden Kugeln zu stehn, ohne zu wissen woher noch wohin, und nur Eines zu seyn von unzählbaren ähnlichen Wesen, die sich drängen, treiben, quälen, rastlos und schnell entstehend und vergehend, in anfangs- und endloser Zeit: dabei nichts Beharrliches, als allein die Materie und die Wiederkehr der selben, verschiedenen, organischen Formen, mittelst gewisser Wege und Kanäle, die nun ein Mal dasind. Alles was empirische Wissenschaft lehren kann, ist nur die genauere Beschaffenheit und Regel dieser Hergänge. – Da hat nun endlich die Philosophie der neueren Zeit, zumal durch Berkeley und Kant, sich darauf besonnen, daß Jenes alles zunächst doch nur ein Gehirnphänomen und mit so großen, vielen und verschiedenen subjektiven Bedingungen behaftet sei, daß die gewähnte absolute Realität desselben verschwindet und für eine ganz andere Weltordnung Raum läßt, die das jenem Phänomen zum Grunde Liegende wäre, d.h. sich dazu verhielte, wie zur bloßen Erscheinung das Ding an sich selbst.
[8] Zum Verhältnis von Objektund Subjektschrieb bereits Arthur Schopenhauer in seinem Werk Die Welt als Wille und Vorstellung (1818) in § 2 treffend: Diese Hälften sind daher unzertrennlich, selbst für den Gedanken: denn jede von beiden hat nur durch und für die andere Bedeutung und Daseyn, ist mit ihr da und verschwindet mit ihr. Sie begränzen sich unmittelbar: wo das Objekt anfängt, hört das Subjekt auf. Siehe hierzu: Schopenhauer, A. (1818), Online: http://www.zeno.org/Philosophie/M/Schopenhauer,+Arthur/Die+Welt+als+Wille+und+Vorstellung/Erster+Band/Erstes+Buch [abgerufen am: 22.09.2022]
[9] Der Philosoph Martin Heidegger (1889-1976) würde dieses Faktum des Hineingeboren-Werdenswohl als Geworfenheit(engl. thrownness) umschreiben. Heidegger beschreibt mit diesem Terminus die Unausweichlichkeit des menschlichen Daseins, das für ihn völlig ungefragt geschieht. Er meint das In-die-Welt-geworfen-werden . Siehe hierzu: vgl. Heidegger, M. (1927): Being and Time. Online: https://plato.stanford.edu/entries/heidegger/#Car [abgerufen am: 12/09/2022]
[10] Wittgenstein, L. (1922), Online: https:// www.wittgensteinproject.org/w/index.php?title=Tractatus_Logico- Philosophicus_(English) [abgerufen am: 21.09.2022]
- Arbeit zitieren
- Marlon Possard (Autor:in), 2022, "Ideomotorische Assimilation" - oder: Über das Leben im Zeitalter der ökonomischen Entscheidungsfindung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1282117
-
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen.