Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Staatsklugheit
2.1. Exkurs: Machiavelli
2.2. Definition und Konzept der Staatsräson
3. Herrschaftskonzeption
3.1. Antonius und Cleopatra im handlungstheoretischen Labor
3.1.1. Antonius - Macht VS. Leidenschaft
3.1.2. Cleopatra-Versuch des Machterhalts
4. Affektpolitik und politischer Affekt in Cleopatra
4.1. Affektbefangenheit bei Antonius
4.2. Cleopatra - affektlos?
4.3. Staatsräson am Beispiel des Affektverhaltens des Augustus
5. Schlussbetrachtung
6. Literaturverzeichnis
1.Einleitung
„Leg’t nun der Nil die stoltzen Wellen nider?
Und betet er den Tiber an?“
So beginnen die Reyen, die auf die finale Abhandlung von Daniel Casper von Lohensteins Drama Cleopatra (1680) folgen. Nachdem man das Stück rezipiert hat, ist man sich der vollen Tragweite der Symbolik bewusst. Hier spricht der Fluss Tiber, stellvertretend für das Römische Reich, Ägypten, verkörpert durch den Nil, an. Ein Ausspruch, der eine tatsächliche Begebenheit der Geschichtsschreibung beschreibt und höchstpolitisch ist. Ebenso lässt sich auch Cleopatra beschreiben. Als eines von Lohensteins Afrikanischen Trauerspielen beschäftigt es sich mit moralischen und politischen Überzeugungen und setzt diese in einen Kontext mit früh-modernem Gedankengut.1
Als Gattung ist es Ziel der Tragödie, Affekte, in Form von Trauer und Mitleid, hervorzurufen. So dient sie eben gleichsam als idealer Schauplatz für diese.2Dies ist, vereinfacht beschrieben, die Tragödienformel von Aristoteles. Zur Zeit des Barocks (Lohensteins Lebzeiten) erfuhr sie eine Neuinterpretation. Noch immer sollen Furcht und Mitleid erzeugen, doch die Leidenschaften sollen auf ein Mittelmaß beschränkt werden. Daraus ergibt sich, nach Opitz, eine erzieherische Funktion der barocken Tragödie: „durch die wiederholte Betrachtung der Leidenschaften und (...) Analyse“ soll „eine Handlungsmaxime (...) abgeleitet werden.“3Dies und auch die Lehre der Staatsräson bilden die Grundlage für die Affekttheorien des 17. Jahrhunderts, die wiederrum jene für Lohensteins Werke sind.
Getreu ihrem Titel soll diese Wissenschaftliche Arbeit die in Cleopatra dargestellte Herrschaftskonzeption und die des Politischen Affekts untersuchen. In welcher Konstellation stehen die Figuren zueinander? Wie zeigen sich Affekte? Dies geschieht unter besonderer Berücksichtigung des Verhältnisses der Affekte zum Begriff der Staatsklugheit. Hierfür wird dieser zunächst definiert. Nach einem kurzen staatstheoretischen Exkurs möchte ich auch das Konzept der Staatsräson erläutern. Anschließend an diese theoretische Einführung widmet sich der Hauptteil der Arbeit der Konzeption der Herrschaft und der Affektdarstellung im Drama. Jeder Protagonist wird, unter Bezugnahme der vorangegangenen theoretischen Überlegungen, individuell betrachtet, sein Affektverhalten und seine politische Klugheit erläutert. In der Anschließenden Schlussbetrachtung werden nicht nur die Ergebnisse zusammengefasst, viel mehr soll ein ganzheitliches Bild des politischen Affekts in Cleopatra skizziert werden. Als Primärliteratur dient mir die Zweitfassung des Werkes von 1680.
2.Staatsklugheit
Wenn wir von Staatsklugheit sprechen, dann meinen wir die politische Klugheit (pru- dentia) im Sinne der zeitgenössischen Klugheits- und Verhaltenslehre, derer sich Lohenstein in seinen Dramen bedient.4
AGR. Wer sich nicht anstelln kann / der taug zum herrschen nicht.
AGR. Anton that es vor an.
MEC. Es ist nie nach zuthun / was man nicht loben kann.5
Losgelöst von der eigentlichen Szene ist zunächst festzustellen, dass die Sentenz im ersten Vers einen eindeutigen Bezug zur „machiavellischen prudentia-Lehre“6aufweist. Sie verdeutlicht, dass „Verstellung und Schein“7durchaus ein Teil der im Drama dargestellten Herrschaftskonzeption ist. Hierbei handelt es sich um eine von vielen Sentenzen dieser Art, die durch die Charaktere, insbesondere Nebencharaktere, in Cleopatra ausgesprochen werden. Aus ihnen kann man die kollektive Weltanschauung, die von jeder Figur in Lohensteins Stück akzeptiert wird8, zusammensetzen. Im weiteren Verlauf des Gesprächs zwischen den Räten des Octavius Augustus spricht Agrippa schließlich M. Antonius und seine vorangegangenen (politischen) Entscheidungen an. Sein Gesprächspartner entgegnet, dass diese nicht nachahmbar seien, da sie eben nicht nach Vorbild der obenstehenden Sentenz getroffen wurden. Es ist also davon auszugehen, dass Antonius Handeln nicht von politischer Klugheit bestimmt wurde. Das dieses als Beispiel für das nichtgewollte bzw. unkluge politische Agieren tituliert wird, fungiert gut als eine Art Gegenprobe, um Existenz und Stellenwert der prudentia im Drama aufzuzeigen. Die Tragödie gibt uns einen Einblick in die Welt eines harschen politischen Realismus. In diesem ist Staatsklugheit die oberste Tugend. Um Lohensteins moralische Überzeugungen und damit auch jene, die seiner Cleopatra zu Grunde liegen, zu verstehen, muss man das Frühmoderne Konzept der Staatsräson verstehen.9
2.1.Exkurs: Machiavelli
Auch für den italienischen Staatstheoretiker Niccolo Machiavelli (1469-1527)10zeichnet sich erfolgreiches Herrschen durch „politische Tüchtigkeit (...) und Klugheit“11aus. Ausschlaggebend dafür, welche Mittel im Rahmen dieser nützlich sind, ist nur Erfolg. Der Name Machiavelli wird bis heute synonym für „skrupellose Machtpolitik und Machtursupation um jeden Preis“12genutzt. Zu sagen, dass moralische Erwägungen in seinen Theorien weitestgehend ignoriert werden, reicht nicht aus. Viel mehr gilt für den Herrscher keine „kategorische Verbindlichkeit der moralischen Tugend“13. Andererseits wird Machiavelli auch als Begründer einer Politik angesehen, die sich durch Autonomität und rationales Begründen auszeichnet.14Doch Nützliches und Rechtes bleiben indifferent.15Mit Blick auf das „Gewebe (...) feinster List und höchster Lebensklugheit“16, dass wir in Cleopatra vorfinden, wird klar, dass Lohenstein sich an mehr als nur der Klugheitslehre Machiavellis orientiert hat. Doch eben dieser war auch anderen ein „Lehrmeister“17. Machiavelli selbst benutzt die Begriff- lichkeit der „Staatsräson“ nicht. Dennoch wird das Konzept stark mit ihm assoziiert. Denn Machiavelli und die späteren „Staatsräson“-Theoretiker eint, dass sie sich vor allem mit der „Effektivität von Politik“18beschäftigen. Viele Begriffe aus der machia- vellischen Verhaltenslehre sind in den Staatsräson-Diskurs eingeflossen.19
„(...) denn zwischen dem Leben, wie es ist, und dem Leben, wie es sein sollte, ist so ein gewaltiger Unterschied, daß derjenige, der nur darauf sieht, was geschehen sollte, und nicht darauf, was in Wirklichkeit geschieht, seine Existenz viel eher ruiniert als erhält.“20
Es handelt sich immer um eine Politik der Selbsterhaltung, die zum einen durch das Schicksal (fortuna) und zum anderen durch die „Notwendigkeit der jeweiligen Situation“21(necessita) gesteuert wird. In letzterem Begriff sieht Bach einen „bedenkenswerten“, denn, dass politische Gegner mit „Schlechtigkeit“ agieren, ist dem machiavellistischen Menschenbild nach, ein Fakt. Demnach sollte sich ein dem entgegen handelner Akteur selbst durch Listklugheit auszeichnen.22Machiavelli schrieb seine Theorien für und in bestimmten (politischen) Umständen. Die Politik des frühen 16. Jahrhunderts war schnell und skrupellos, hierfür bedarf es eines „Überlebens- Guides“23für den Herrscher. Seine eigentlich exklusiven Methoden und Theorien wurden zum Ende des 16. Jahrhunderts übertragen und als unausweichliches Werkzeug des Regierens angewendet. So kam der Begriff „Staatsräson“ in den sprachlichen Gebrauch.24
2.2.Definition und Konzept der Staatsräson
Die Diskursivierung der necessisitâ ist „eine zentrale Problemlage der Regierungslehre Machiavellis.“25Dem liegt seine Überlegung zu Grunde, dass moralisch richtiges Handeln eines Staatsoberhaupts civitas und Machterhaltung durchaus gefährden kann. Moral ist also weniger wert als die politische Macht. Demnach ist moralisch indifferentes Handeln ein erlaubtes Mittel für den Machterhalt und -erwerb.26Mit der Weiterentwicklung dieser Gedanken ging die Übernahme der List als Mittel des Handelns in der Staatslehre mit einher.
Wie im späteren Verlauf dieser wissenschaftlichen Arbeit am Beispiel von Lohensteins Cleopatra sichtbar wird, kann List verschiedene Formen annehmen, beispielsweise Lüge, Täuschung, Hinterhalt oder auch Mord. Das Fundament, dass Machiavellis Bestimmungen dem Konzept der Staatsräson legen, sieht nur politische und keine moralischen Zwecke vor. Lohenstein rezipiert die Lehren von Klugheit und Staatsräson nicht nur, sondern fügt mit der Rolle der Affekte eine neue Perspektive mit an. Er stellt in seinem Trauerspiel nicht nur die Frage nach der rechtlichen Integrität der Klugheit, sondern auch die nach jener der Affekte. So lässt er Cleopatra in der zweiten Abhandlung im Gespräch mit ihrem Geheimrat (II, V. 217-237) den eben beschriebenen necessitä-Diskurs verhandeln. Die Königin ist der Meinung, dass „das Unrecht (...) mehr Ehre“ bringt, wenn „man's vertraegt / als thut“ (V. 225/226). Archi- bius hingegen stellt klar: „Man bricht Gesaetz und Recht / (...) / wenn es der Zepter gilt“. (V. 236/237) Letztendlich wird Cleopatra sich für eine Politik im Sinne der Staatsräson aussprechen und sich moralisch schuldig machen.
Anschließend an diese theoretische Einführung, kann man sich über den Lateinischen Ursprung leicht an den Begriff „Staatsräson“ selbst herantasten: lat. ratio status, was ins Deutsche übersetzt so viel wie „Staatsvernunft“ bedeutet, womit sich der Kreis zur Staatsklugheit schließt. Staatsräson beschreibt allen Überlegungen nach, eine Staatsführung, die sich selbst erhält und autonom ist. Man kann von einer Art Management sprechen. Dieses kann man durchaus studieren und perfektionieren. So handelt es sich bei dem Begriff, so wie dem der Staatsklugheit, um einen neutral zu nutzendem Term, ebenso wie das Wort Politik.27
3.Herrschaftskonzeption
Grundlage und gleichzeig auch Mittelpunkt der Handlung von Cleopatra ist ein „geschichtliches Verhängnis“28. Niefanger tituliert dieses als „göttliche Instanz“29, die den Verlauf der Geschichte garantiert. Das Verhängnis fungiert als eigenständige Geschichtsmacht.30Uwe-K. Ketelsen beschreibt den historischen Moment, an dem die Handlung des Dramas einsetzt, wie folgt:
,,(...) Antonius hat die Schlacht bei Actium schon verloren, Oktavian hat mittlerweile den Belagerungsring um Alexandria geschlossen. Es ist klar, dass die Zeit des Antonius und der Cle- patra abgelaufen ist. (...) Oktavian (...) ist als militärischerSieger in Ägypten gelandet“31
Das Schicksal der Figuren steht also von Beginn an fest. Als Rezipienten befinden wir uns am Anfang vom Ende. Die dramatische Spannung generiert sich aus einer interpersonalen Spannung.32Im Fokus dieser stehen die drei Hauptfiguren. Zum einen Antonius und Cleopatra, beide handeln affektiv. Zum anderen Augustus, der rational und staatsklug handelt. Diese antagonistische Figurenkonstellation ist ein typisches Merkmal des schlesischen Trauerspiels.33
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1 Vgl. Robertson, Ritchie: .Verdammte Staatsklugheit / die Treu und Bund heist brechen!' Reason of State in Lohenstein’s Cleopatra, S. 78
2 Vgl. Worms, Katharina: Geschichtsdarstellung und politischer Affekt in Lohensteins Cleopatra und Sophon- isbe, in: Distance and/or Close-up: Visuality, Community and Affect in Representations of History, PhiN 2017, S.9
3 Ebd.
4 Vgl. Worms, Katharina: Geschichtsdarstellung und politischer Affekt, S. 12
5 Lohenstein, Daniel Casper / Meid Volker (Hg.): Cleopatra, Stuttgart, Reclam 2008. S. 125 / IV, V. 84-89
6 Bach, Oliver: Kluge Leidenschaft? Daniel Caspers von Lohenstein Cleopatra zu Affektenlehre und Staatsräson , S. 592
7 Worms: Geschichtsdarstellung und politischerAffekt in Lohensteins Cleopatra und Sophonisbe, S. 12
8 Vgl. Robertson: Reason of State, S. 80
9 Vgl. Robertsson: Reason ofstate, S. 80
10 Oberndorfer, Dieter / Rosenzweig, Beate (Hg.): Klassische Staatsphilosophie. Texte und Einführungen Von Platon bis Rousseau. München, C.H. BeckVerlag 2000, S. 135
11 Ebd.
12 Ebd.
13 Bach: kluge Leidenschaft?, S.575
14 Oberndorfer: Klassische Staatsphilosophie, S.135
15 Vgl. Bach: Kluge Leidenschaft?, S.575
16 Mulagk, Karl-Heinz: Phänomene des politischen Menschen im 17. Jahrhundert. Berlin, Erich Schmidt Verlag 1973. (S.23)
17 Ebd.
18 Robertsson:Reason of state,S.78
19 Vgl. Worms: Geschichtsdarstellung und politischerAffekt, S. 10
20 Machiavelli
21 Worms: Geschichtsdarstellung und politischerAffekt, S. 10
22 Vgl. Bach: Kluge Leidenschaft.
23 Vgl. Robertson: Reason ofstate, S. 79
24 Vgl. Ebd.
25 Bach: Kluge Leidenschaft, S. 574
26 Vgl. Ebd. S.576
27 Roberstson:Reason ofstate,S.79
28 Geisenhanslüke, Achim: Trauer-Spiele. Walter Benjamin und das europäische Barockdrama, Paderborn: WalterFink2016. S. 96
29 Niefanger, Dirk: Barock. Lehrbuch Germanistik, S.177
30 Ebd.
31 Ketelsen, Uwe-Karsten: D. C. v. L. „Cleopatra“, in: Dramen vom Barock bis zur Aufklärung. Stuttgart, Reclam 2000, S.127
32 Vgl. Bach: Kluge Leidenschaft, S. 573
33 Niefanger: Barock, S. 178