Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Erscheinungsbild der Sozial-Phobie
1.1 Störungsbild der Sozial-Phobie nach ICD 10
1.2 Symptomatik der Sozial-Phobie
1.2 Folgen im gesellschaftlichen Kontext und Komorbidität
2. Therapieansätze bei Sozial-Phobie
2.1 Psychodynamischen Therapie
2.2 KVT - Kognitive Verhaltenstherapie
2.2.1 Ansatz Kognitive Umstrukturierung
2.2.2 Ansatz der Konfrontationstherapie
2.3 Training sozialer Kompetenzen
2.3.1 Verbales Kommunikationstraining – Gewaltfreie Kommunikation
2.3.2 Nonverbales Kommunikationstraining – Pferdegestützte Therapie
3. Wirksamkeit
4. Fazit
Literaturverzeichnis
Einleitung
Angst ist ein ganz natürliches Gefühl, das jeder von uns in verschiedenen Situationen erleben kann. Sie befähigt uns nicht nur zur Sorge und Fürsorge uns und unseren Mitmenschen gegenüber, auch versetzt sie uns in gefährlichen Situationen emotional, kognitiv und physisch in einen Alarmzustand und kann ungeahnte Kräfte mobilisieren und somit zum Schutz und/oder Hilfe dienen. Angst kann aber auch eine lebenseinschränkende und leidvolle Erfahrung sein, welche maladaptives Verhalten generieren kann (Lundbeck, 2013, S.4).
Die Sozial-Phobie ist beispielsweise eine solche beeinträchtigende Angst. Dabei handelt es sich um eine situationsbezogene Unterform der phobischen Störung (Lundbeck, 2013, S.3). Ihre Lebenszeitprävalenz liegt zwischen 7 - 12% und ist somit neben Depression und Alkoholabhängigkeit die dritt häufigste psychische Störung (Stangier, 2022, S. 98). Die Corona Pandemie hat zusätzlich einen verstärkenden Effekt auf Angsterkrankungen wie die Sozial-Phobie. Alleine in Deutschland lag 2020 die zwölf Monatsprävalenz dieser Störung bei 3,6 % der Frauen und 1,9 % der Männer. Somit sind allein in Deutschland 1,7 Millionen Menschen von der Sozial-Phobie betroffen (Stöcker, 2020, S.174). Doch Epiktet, ein griechischer Philosoph (50.138 n. Chr.) sagte damals schon: „Nicht die Dinge an sich beunruhigen den Menschen, sondern seine Sicht auf die Dinge.“ Wichtig bei Krisen aller Art ist demnach, die Erfahrung mitzunehmen und gestärkt auf die Zeit der Herausforderungen zurückzublicken, sodass nicht die Angst überhandnimmt, sondern die vorhandene Stärke (Stöcker, 2020, S. 174).
Diese Hausarbeit widmet sich deshalb der Frage:
Welche psychotherapeutischen Ansätze gibt es derzeit zur Behandlung der Sozial-Phobie?
Die Hausarbeit gliedert sich in vier Kapitel. Zunächst wird im ersten Kapitel ein Überblick über die Symptomatik und die Folgen der Sozial-Phobie vermittelt. Danach werden im zweiten Kapitel verschiedene psychologische Therapieansätze vorgestellt, welche in der Praxis häufig angewandt werden. Daran anschließend werden im dritten Kapitel anhand von Wirksamkeitsstudien die jeweiligen Ansätze miteinander verglichen. Zum Schluss werden im Kapitel vier die gewonnen Einblicke zusammengefasst.
1. Erscheinungsbild der Sozial-Phobie
In diesem Kapitel werden die Symptomatik, die Folgen und Kormorbitäten der Sozial-Phobie erläutert, um ein besseres Bild von deren Ausprägung und Tragweite zu erhalten.
1.1 Störungsbild der Sozial-Phobie nach ICD 10
Die Soziale-Phobie ist unter dem Code F40.1 deklariert. Sie ist die Furcht vor prüfender Betrachtung durch andere Menschen, was zur Vermeidung von sozialen Situationen und Kontakten führt. Außerdem ist sie in der Regel mit einem niedrigen Selbstwertgefühl und Furcht vor Kritik verbunden. Sekundär können sich Beschwerden wie Erröten, Händezittern, Übelkeit oder der Drang zum Wasserlassen äußern. Oftmals meinen die betroffenen Personen, dass diese sekundären Symptome das primäre Problem darstellen. Die Symptome können sich bis hin zu Panikattacken steigern (DMDI, o. D).
1.2 Symptomatik der Sozial-Phobie
Charakteristisch zeigen sich die Symptome der Sozial-Phobie im Bereich der kognitiven Verarbeitung, im Verhalten und in den physischen Reaktionen. Der/ die Patient:in fühlt sich typischer Weise beobachtet und fürchtet, etwas zu tun, was in irgendeiner Weise demütigend oder peinlich sein könnte. Das betrifft vor allem Situationen, bei denen die Betroffenen im Mittelpunkt stehen, wie z.B. wenn sie vor anderen sprechen müssen, wenn sie jemandem vorgestellt werden, oder sie Geburtstag haben. Aber auch gemeinsam mit anderen Menschen essen, telefonieren, Besuch empfangen, bei einer Tätigkeit beobachtet werden oder die Teilnahme an Veranstaltungen oder Partys bereiten Sozialphobikern Schwierigkeiten. Diese werden dann oftmals mit Alkohol oder anderen Substanzen kompensiert. Auf der kognitiven Ebene äußert sich die Sozial-Phobie über unangebrachte Gedanken und Vorstellungen über die vorherrschende soziale Situation wie z.B. „Ich kann das nicht, ich bin ein/eine Versager:in, die anderen werden mich für dumm halten und mich vielleicht sogar auslachen“ etc. Diese Gedanken haben zur Folge, dass das Stressniveau weiter ansteigt. Daraus können dann vorübergehende kognitive Einschränkungen entstehen wie z. B. Impulskontrollstörungen, Wortfindungsschwierigkeiten, Vergesslichkeit, Konzentrationsschwierigkeiten, Orientierungsprobleme und Gedächtnisverlust (Kasper, 2000, S. 10 ff).
1.2 Folgen im gesellschaftlichen Kontext und Komorbidität
Angsterkrankungen wie die Sozial-Phobie gehören wie Eingangs bereits erwähnt zu den am weitesten verbreiteten psychischen Erkrankungen, auch bereits im Kindes- und Jugendalter (Pfeiffer, 2014, S.48). So besteht die Erstmanifestation der Erkrankung bei 50 % der Betroffenen schon im Alter von elf Jahren und 80 % im Alter von 20 Jahren (Neuro Depeche, 2022). Das kann gravierende Begleiterscheinungen und Folgen haben, die sich chronifizieren und dann weit ins Erwachsenenalter zu Einschränkungen führen können. Personen mit diesem Leiden zeigen z. B. in einem hohen Ausmaß schlechtere schulische Leistungen, bis hin zum Totalversagen bei Prüfungen und Schulabbrüchen (Pfeuffer, 2014, S.48). Dies wiederum führt unweigerlich zu Problemen beim Einstieg ins Berufsleben und dem weiteren beruflichen Werdegang. Oftmals entwickelt sich dadurch eine Angst vor der Angst, was gerade bei Erwachsenen dazu führt, dass sie sich sozial zurückzuziehen oder sogar ganz isolieren. Das wirkt sich wiederum, nicht zuletzt auch durch Einschränkungen im Freizeitangebot, vermindernd auf die Lebensqualität und das Wohlbefinden aus (Pfeuffer, 2014, S.48). Menschen mit einer Sozialen-Phobie haben häufig eine Komorbidität zu anderen Angststörungen und Depressionen. Darüber hinaus ist die Häufigkeit der Suizidversuche im Vergleich zum Bevölkerungsdurchschnitt 13-mal höher und der Alkohol- und Substanzmittelverbrauch um das Dreifache erhöht (Bandelow et al, 2014, S. 638).
2. Therapieansätze bei Sozial-Phobie
Ursprünglich wurden Verhaltensweisen von Sozialphobiker:innen als Schüchternheit interpretiert also als Normvariante von Verhalten, oder aber als Introvertiertheit und somit als ein Merkmal der Persönlichkeit. Der Krankheitswert auch bei schwerer Ausprägung wurde lange nicht wahr- und nicht ernst genommen (Neuro Depeche 2022). Erst seit 1991 ist die Sozial-Phobie in das ICD 10 aufgenommen worden (Beiglböck et al, 2006, S.240). Seither haben sich verschieden Therapieansätze in diesem Kontext entwickelt, welche im folgenden Kapitel vorgestellt werden.
2.1 Psychodynamischen Therapie
Lange standen Verfechterinnen und Verfechter der psychodynamischen Psychotherapie empirischen Untersuchungen ablehnend gegenüber. Das führte dazu, dass Wirksamkeitsbelege fehlten und diese Therapieverfahren darum lange Zeit angezweifelt und kritisiert wurden (Berking & Rief, 2012, S.81). Jedoch wird die psychodynamische Therapie seit etwa 20 Jahren vermehrt in Form von randomisierten und kontrollierten Behandlungen im Rahmen von Studien validiert und erlebt durch eindrucksvolle Resultate, eine Renaissance (Hoffmann, 2014, S.4), auf die in Kapitel drei (Wirksamkeit) näher eingegangen wird.
Die Anfänge der psychodynamischen Therapien sind auf Sigmund Freud zurückzuführen. Seine These ist, dass menschliches Handeln, Erleben und Denken von unterbewussten, dynamischen, psychischen Prozessen beeinflusst wird. Hierbei nehmen die Erlebnisse und Erfahrungen in den ersten Lebensjahren einen besonderen Stellenwert ein. In diesem Zusammenhang wird angenommen, dass sich die Psyche aufgrund dieser Erfahrungen stufenweise entwickelt und somit einen direkten Einfluss auf das Leben des erwachsenen Menschen hat. Um ein psychisches Gleichgewicht zu gewährleisten, werden schmerzhafte und unangenehme Gefühle durch verschieden Abwehrmechanismen vom Bewusstsein unterdrückt und so ferngehalten. Diese unterdrückten schmerzlichen Erinnerungen sind jedoch im Unterbewusstsein gespeichert und beeinflussen über affektive und mentale Abläufe unser Denken, Fühlen und Verhalten. Das Symptom wird in den psychodynamischen Theorien entweder als Lösungsversuch eines innerpsychologischen Konflikts gesehen, oder als strukturelles Defizit (Berking & Rief, 2012, S, 77). Die psychodynamischen Therapieverfahren werden prinzipiell in vier verschiedene Ansätze eingeteilt: Die Psychoanalyse bezeichnet sich selbst als intensivste Form der psychodynamischen Psychotherapie, welche auf die Veränderung der Persönlichkeitsstruktur abzielt. Die analytische Psychotherapie hat vorwiegend die Bewältigung der Symptome im Fokus, während die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie ihren Schwerpunkt auf aktuelle psychosoziale Konflikte legt. Die psychodynamische Kurzzeittherapie zeichnet sich wiederum dadurch aus, dass das Problem ganz klar definiert und dann fokussiert in einem festgelegten Zeitraum behandelt wird.
Die Gemeinsamkeit dieser psychodynamischen Therapien ist das Ziel, für die Patientin / den Patienten einen sinnvollen Zusammenhang zwischen den vergangenen Erfahrungen und dem heutigen Erleben und Verhalten herzustellen. Dafür wird die Einsicht in Gefühls-, Erlebens- und Verhaltensmotive gefördert, welche in Folge zu einem Verständnis der aktuellen Schwierigkeiten führt. Dadurch soll wiederum eine Veränderung des Erlebens und Verhaltens in Gang gesetzt werden. Meist steht nicht das Symptom selbst im Vordergrund der Behandlung, sondern das Aufdecken der unterbewussten Hintergründe. Hierzu wird deutende und interpretierende Methodik angewandt wie z. B. die freie Assoziation, technische Neutralität, Übertragung und das Lösen von Widerständen (Berking& Rief, 2012, S.78 ff). Auch Hypnose kann angewandt werden, um Unbewusstes in Erinnerung zu rufen (Wipf, 2017, S.80).
2.2 KVT - Kognitive Verhaltenstherapie
Die KVT hat ihren Ursprung in der Kritik an der Psychoanalyse und den traditionellen Therapieformen. Sie ist eine problemzentrierte Therapie, die sich mit der Problematik in der Gegenwart beschäftigt. Die KVT ist hauptsächlich an der Lerntheorie ausgerichtet. Diese besagt, dass jedes Verhalten durch Lernprozesse bedingt wird und somit auch durch Lernprozesse veränderbar ist (Rupprecht & Hampel, 2006, S.92).
Die KVT besteht aus verschieden Therapiemodulen, die bei unterschiedlichen Krankheitsbildern unterschiedlich zum Einsatz kommen. Im Zusammenhang mit der Behandlung von Sozial-Phobie kommen im Rahmen der KVT vor allem kognitive Interventionen, wie die kognitive Umstrukturierung und Konfrontationsverfahren zum Einsatz (Schneider 2012).
2.2.1 Ansatz Kognitive Umstrukturierung
Dem Behandlungsprinzip liegt zu Grunde, dass Patient:innen mit Sozial Phobie generell die Neigung haben, ihre Leistungsfähigkeit zu unterschätzen, während sie gleichzeitig die Auswirkungen ihrer Angst und die Aufmerksamkeit, die sie bei anderen hervorrufen überschätzen. Dies resultiert aus einem dysfunktionalen Denkstil, der durch negative automatische Gedanken und negativen Fehlinterpretationen angetrieben wird (Rupprecht & Hampel, 2006, S.405). „Da uns eine hilfreiche Sprache zur Verfügung steht, sind wir nicht nur in der Lage über unser Denken nachzudenken, sondern auch über unser Nachdenken, nachzudenken“ (Ellis, 2003, S.80). Hauptziel der KVT ist, diese dysfunktionalen Kognitionen zu identifizieren und zu verändern (Berking & Rief, 2012, S.38). Die Behandlung beginnt stets mit einer funktionalen Analyse. Hier werden zunächst die Art, der Umfang der problematischen Verhaltensweisen, sowie die Emotionen und Kognitionen und deren Korrelationen erörtert. Hierbei geht es sowohl um die vorrausgehenden Ereignisse und Konsequenzen des Verhaltens als auch um die Frage, welche Reize kognitive, emotionale oder behaviorale konditionierte Reaktionen auslösen. Es wird unter der Berücksichtigung der Umgebung und dem kulturellen Kontext evaluiert welche Kognitionen zu welchen Emotionen oder Verhaltensweisen beitragen.
Dadurch wird dem/der Patient:in verdeutlicht, dass Gedanken keine Tatsachen sind, sondern lediglich Hypothesen, die überprüft werden müssen. Diese kognitive Technik, die man „Distanzierung“ nennt, hilft dabei die eigenen Gedankengänge objektiver zu betrachten und zwischen „ich glaube“ und „ich weiß“ klar zu unterscheiden. Über die Selbstbeobachtung und der Technik des „vertikalen Pfeils“ werden Überzeugungen, Einschätzungen und Annahmen identifiziert und das Zurückverfolgen von Emotionen geübt (Craske, 2012, S. 97).
Bei dieser Therapieform dient nicht die Therapeut:innen-Patient:innen-Beziehung als primärer therapeutischer Motor, wie das vor allem bei den psychodynamischen Therapien der Fall ist, vielmehr besteht die Hilfestellung darin, die Denkmuster der betroffenen Person aufzudecken, zu hinterfragen und zu verändern, damit diese letzten Endes selbst Expert:in ihres eigenes Lebens und Erlebens wird (Craske, 2012, S.62 ff). Aus dieser Expert:innensicht gelingt es den Betroffenen die eigenen Widersprüche zu entlarven und eine Bereitschaft zu entwickeln, alternative, passendere und konstruktivere Erklärungen zuzulassen. Durch die Widerlegung der maladaptiven Denkstile werden realistischere und positive Denkstile generiert, welche neue Verhaltensweisen hervorbringen, die wiederum zu neuen positiven Erfahrungen führen, was wiederum den neu generierten, positiven Denkstil verfeinert und festigt. Dadurch werden nach und nach, die bislang inneren maladaptiven Überzeugungen entkräftet (Craske, 2012, S.99). Durch die neuen zwischenmenschlichen Erfahrungen wird ein Veränderungsprozess der bisherigen Konditionierungen in Gang gebracht, bei denen neue soziale Kompetenzen erworben werden können (Craske, 2012, S.33).
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