Visueller Kolonialismus am Beispiel Schwarzer Frauenkörper. Fantasien des weißen Mannes


Hausarbeit, 2022

31 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Postkoloniale Theorie

3 Kolonialfotografie

4 Fazit

5 Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Anmerkung der Redaktion: Aus urheberrechtlichen Gründen sind die besprochenen Abbildungen nicht in dieser Publikation enthalten. Sie sind jedoch frei zugänglich und vollständig zitiert, sodass sie einfach aufgerufen werden können.

1 Einleitung

Die vorliegende Arbeit spürt den Mechanismen kolonialer Bildpraktiken anhand der Darstellung Schwarzer1 Frauenkörper2 nach. Zwar gibt es nicht den kolonialisierenden weißen 3 männlichen Blick, ebenso wenig den Westen oder den Rest der Welt – dieser Dualismus reproduziert künstliche Konstrukte, verallgemeinert komplexe Prozesse, Lebensrealitäten und Zusammenhänge. Dennoch muss zur Kenntnis genommen werden, dass es institutionalisierte, inszenierte Projektionen zugunsten männlicher westlicher Identitätsbildung gab (und gibt), die ein Zerrbild Afrikas 4 schufen. Wie es zu dieser Institutionalisierung von rassistischen Wissenspraktiken kam und wie sich diese Praktiken im Bildmedium einschrieben, soll erörtert werden. Um die diskursive Entstehung von Bildnarrativen nachvollziehen zu können, werden Bilder in dieser Arbeit als Bedeutungsträger mit Repräsentationsfunktion verstanden.

Zur Herausarbeitung der Mechanismen hinter den Bildern soll im ersten Teil ein theoretisches framework erarbeitet werden, das eine postkoloniale und feministische Perspektive bei der späteren Analyse der Fotografien einnimmt. Grundlegende Konzepte der postkolonialen Theorie liefern dabei einen Zugang zum Verständnis der Hintergründe westlichen Herrschaftsdenkens sowie von Identitäts- und Alteritätsprozessen. Insbesondere Bhabhas Verständnis der Kultur als signifying process, Saids Konzept der imagined geographies und Spivaks Postulat der Mehrfachausbeutung des sexed subaltern subject sollen hierbei zentrale Pfeiler sein.

Das transdisziplinäre Forschungsfeld Visual History soll im zweiten Teil das nötige framework zur Einordnung von Kolonialfotografie und deren Bildpraktiken liefern, um anschließend beide theoretische Teile – den postkolonialen und den visuell-historischen – in einer Ausformulierung und Beschreibung der kolonialen Narrative fruchtbar zusammenzuführen.

Der Bildkorpus setzt sich aus Fotografien der ehemaligen Kolonien5 des Deutschen Kaiserreichs zusammen, die (höchstwahrscheinlich) zwischen 1883 und 1918 entstanden sind. Es werden ausschließlich Fotografien Schwarzer Frauen gezeigt6, da diese im Zentrum der Arbeit stehen. Um das Besondere, die Frauenkörper beschreiben zu können, soll zunächst jedoch das Allgemeine, nämlich alle Körper betrachtet werden. Daher soll über die Darlegung allgemeiner Narrative kolonialer Fotografie – zu denen sich auch unzählige Bilder zur Untermauerung finden ließen, die hier aber schlicht den Rahmen sprengen würden – zu speziellen Bildpraktiken hingeführt werden, die nur Frauenkörper betrafen. Ziel ist es, anhand von Beispielbildern herauszuarbeiten, inwiefern sich der koloniale Blick über die Othering - Mechanismen strukturierte.

Die hier gezeigten Fotos der Einzelpersonen sind teilweise sehr explizit – ob dies im Einzelfall im Einvernehmen war und die Erlaubnis zur Publikation gegeben wurde, lässt sich nicht erahnen. Anliegen der Arbeit ist es jedoch, die Fotos mit größtmöglichem Respekt vor dem Körper des Individuums zu betrachten, da sie einzigartige historische Quelle kolonialer Machtpraktiken sind, die Aufschluss über dahinterliegende Mechanismen geben können.7

2 Postkoloniale Theorie

Es ist offensichtlich, dass es sich bei Postkolonialismus um weit mehr als eine temporale Begrifflichkeit nach dem Kolonialismus oder einen „regierungspolitischen Machttransfer“8 handelt. Postkolonialismus soll nach María do Mar Castro Varela und Nikita Dhawan (2020) als „eine Widerstandsform gegen die koloniale Herrschaft und ihre Konsequenzen“9, als ein „Set diskursiver Praktiken“10 verstanden werden. Die daraus entstandene postkoloniale Theorie wendet sich – auf ein Set diverser, interdisziplinärer methodologischer Herangehensweisen zurückgreifend – den „Komplexitäten und Widersprüchen historischer Prozesse“11, insbesondere Dekolonisierungsprozessen zu, betrachtet aber auch aktuell bestehende neokoloniale Machtverhältnisse, Rekolonisierungstendenzen und – durch Kolonialismus und Migration beförderte – soziokulturelle Dynamiken.12

Zentral für die Ausarbeitung des nachfolgenden Kapitels war der eben zitierte Einführungsband Postkoloniale Theorie (2020), der nicht nur in das Werk der drei hier besprochenen Theoretiker*innen eingeführt, sondern Postkolonialismus in einen breiteren Diskurs eingeordnet hat. Zudem lieferte die umfangreiche Monografie Denise Toussaints mit dem Titel Dem kolonialen Blick begegnen. Identität, Alterität und Postkolonialität in den Fotomontagen von Hannah Höch (2014) zentrale Thesen zur Selbst- und Fremdkonstruktion des Deutschen Kaiserreichs. Daran anknüpfend schließt das Kapitel mit Susanne Zantops Studie Colonial Fantasies. Conquest, Family, and Nation in Precolonial Germany, 1770-1870 (1997).

2.1 Grundlagen und Konzepte

Im deutschen, sehr spät – im Vergleich zu anglophonen Ländern – einsetzenden Diskus um Postkolonialismus sind insbesondere Edward Said, Homi Bhabha und Gayatri Spivak vielzitierte und -rezipierte Theoretiker*innen. Die jeweiligen Zugänge sollen kurz erläutert werden, um bei der späteren Darstellung der Bildpraktiken auf deren Konzepte zurückgreifen zu können. Der US-amerikanisch-palästinensische Theoretiker und Literaturwissenschaftler Edward W. Said (1935 – 2003) gilt als wichtigster Impulsgeber des postkolonialen Diskurses und mit der 1978 erschienenen diskursanalytischen Studie Orientalism. Western Concepts of the Orient legte er eines der Gründungsdokumente der Theorie vor.13 Interessant für diese Arbeit ist vor allem Saids Konzept der imagined geographies, welches dabei helfen kann, Diskurse um Othering greifbar zu machen. Mit dem Begriff, den er in Orientalism ausarbeitet, beschreibt Said (the) universal practice of designating in one´s mind a familiar space which is 'ours' and an unfamiliar space beyond 'ours' which is 'theirs'14.

Exklusion funktioniert vorrangig über performative Grenzziehungen – über konstruierte Alterität verfestigen Personengruppen demnach ihre Identität. Diese imagined geographies werden an reale Räume geknüpft und mit nicht-räumlichen Differenzattributen (kultureller, nationaler, sozialer oder anderer Art) versehen. Das führe zu „boundaries in our own minds“15, denn „'they' become 'they' accordingly, and both their territory and their mentality are designated as different from 'ours'“16.17

Der anglo-indische Theoretiker und Literaturwissenschaftler Homi K. Bhabha (*1949) spürt in der Essaysammlung The location of Culture (erstm. 1994, dts. Die Verortung der Kultur, 2000) dem Verhältnis zwischen Kolonisator*in und Kolonisiertem*Kolonialisierter nach und verweist auf die „Unmöglichkeit 'reiner Identitäten'“18 aufgrund der „Wechselseitigkeit und Unabschließbarkeit von Identifizierungsprozessen“19. Im von ihm herausgearbeiteten Third Space (in „The Third Space“ aus Identity. Community, Culture and Difference, 1990), einem nicht-geografischen, nicht-zeitlichen Zwischenraum finde durch kulturelle Differenz ein fortlaufender Aushandlungsprozess um kulturelle, sprachliche und soziopolitische Fragen statt. Es gebe keine stabilen Entitäten, denn immer neue Diskurse befördern kulturelle Hybridität [20] – uneindeutige, mehrschichtige, vielseitig adaptierende kulturelle Identität. Bhabha versteht also Kultur als signifying process – nicht statisch, sondern dynamisch: eine klare Absage an den Kulturessentialismus.21

Mit der anglo-indischen Literaturwissenschaftlerin, Derrida-Übersetzerin, Aktivistin und Theoretikerin Gayatri C. Spivak (*1942) erfuhr die postkoloniale Theorie, deren Mitbegründerin sie ist, eine feministisch-marxistische Perspektiverweiterung. In ihren Analysen kritisiert sie neben eurozentrischen auch vergeschlechtlichte Leerstellen des Marxismus22 sowie den vereinheitlichenden und gleichzeitig exkludierenden weißen Feminismus23. Spivak stellt erstmals die rassifizierte Frau ins Zentrum. Im grundlegenden Essay „Can the Subaltern Speak?“24 25 von 1988, einem weiteren Gründungsdokument der postkolonialen Theorie, postuliert sie die Mehrfachausbeutung des sexed subaltern subject: es gebe sowohl eine patriarchale Ausbeutung als auch eine kolonial-ökonomische und damit eine „double colonization“26. Die Frage „Can the Subaltern Speak?“ ist als rhetorische zu verstehen, denn „die Unmöglichkeit des Sprechens ist dem Begriff von Subalternität an sich bereits immanent“27. Spivak sieht deswegen weibliche Intellektuelle bzw. postkoloniale Feministinnen in der Pflicht, die Stimmen der zum Schweigen gebrachten Marginalisierten repräsentativ zu artikulieren, ohne diese dabei zu entmündigen.28 29 Mit Hilfe dieser theoretischen Überlegungen lassen sich koloniale Bildnarrative und Herrschaftspraktiken in einen breiteren Diskurs um Eurozentrismus, Rassismus und Kulturessentialismus einfügen.

2.2 Selbst- und Fremd(en)konstruktionen

Um die Anderen ausgrenzen und herabwürdigen zu können, mussten diese Anderen zunächst künstlich über eine von Wissen und Macht durchwirkte Praxis, die bestimmte Grenzziehungen vornahm, konstruiert werden. Zentral für die Bildung von Narrativen und Topoi, die das Bild Afrikas präg(t)en, war das Verhältnis von Literatur und Wissenschaft zueinander: nicht nur bedingten sie einander in hohem Maße, sie gaben sich auch wechselseitig Anstoß, reproduzierten Thesen und verwiesen aufeinander. Zumeist fiktive Reiseberichte von Expeditionsteilnehmenden, Handeltreibenden, später Privatpersonen einerseits und aufklärerische „empirische“30 Abhandlungen andererseits manifestierten wechselseitig die Annahme einer „nicht-linearen Entwicklung der Menschheit“31 und erklärten „deren Abstufungen für nicht antastbar“32. Aufeinander rekurrierend, verbanden sie Intellekt und Charakter mit Hautfarbe, Physiognomie und Anatomie; ganz selbstverständlich wurde der weiße Europäer die Krone der Schöpfung. Mit Intellekt (im aufklärerischen Sinne) wurde Kultur gleichgesetzt, vice versa wurde fehlende westlich-humanistische Kultur auf fehlenden Intellekt und dies wiederum auf phänotypische Eigenschaften zurückgeführt. Da die Unterschiede biologisch begründet wurden, galten sie als unantastbar und evident – Körper wurden somit ideologisch aufgeladen und naturalisiert. Kultur stand dabei Natur diametral gegenüber; die Dichotomie Schwarz – weiß war aufgrund der „Naturgegebenheit“ Hauptdistinktionsmerkmal.33 Zwei ideologische Argumentationssträge, die aus den zurechtgelegten angeblichen Evidenzen eine tatsächliche Umsetzung – den Kolonialismus – ableiteten, waren erstens die kulturmissionarische Pflicht der Bändigung des „primitiven“ Charakters der „Naturvölker“ durch Beherrschung und „Domestizierung“, die sich über eine biologisch begründbare „Überlegenheit“ legitimierte und zweitens die sozialdarwinistische34 Selbstverständlichkeit, die sich aus der ebenfalls biologisch begründeten „Hierarchie“ zwischen Schwarzen und weißen Personen ergebe.35

Da das Deutsche Kaiserreich vergleichsweise nur kurz über Überseebesitzungen verfügte, war die deutsche Gesellschaft vor allem von kolonialen Fantasien geprägt. Laut Toussaint seien die späten imperialen Ambitionen des Deutschen Kaiserreichs unter anderem damit begründbar, dass bis dato kein Gefühl einer Nation, einer Kultur, einer – sich von anderen abzugrenzenden – Einheit in der noch relativ jungen Geschichte des Nationalstaats existiert habe. Erst über den „Kontakt mit dem Fremden36 habe sich ein kulturelles Set an Werten, Normen und ideologischen Vorstellungen entwickelt; erst der Kolonialismus veranlasse dazu, über Alterität eigene Identität zu konstruieren. Somit ist an das Konstrukt der Fremden immer das Konstrukt des Eigenen geknüpft – diese Grenzziehung strukturiert beide Seiten gleichermaßen (natürlich mit unterschiedlich fatalem Ausgang), denn „[e]rst im Kontrast zu anderen Völkern kann die eigene Kultur doch in ihrer Größe erscheinen.“37 38

Nächster Schritt in der Identitätsbildung ist mit Hilfe des Kolonialismus die Erhebung über die Anderen, die sich „logischerweise“ aus der Überzeugung von der eigenen kulturellen Überlegenheit ergibt. Um die Selbstkonstruktion erhalten zu können, müssen hierarchische Gegensatzentwürfe institutionalisiert und Grenzen fixiert werden, denn die konstituierende Größe in der Beziehung beider Pole zueinander – die Differenz – ist […] eine diskursive, die immer wieder bestätigt werden muss, um die Identität zu sichern.39 40

In ihrer Studie Colonial Fantasies. Conquest, Family, and Nation in Precolonial Germany, 1770-1870 (1997) zu vorkolonialen Repräsentationen außereuropäischer Fremder postuliert die Literaturwissenschaftlerin Susanne Zantop die historische Herausbildung einer kolonialen Sehnsucht, deren Basis die Selbstkonstruktion männlicher, deutscher Identität sei. Zantops Korpus, der aus „tales, novels, and plays; scientific articles; philosophical essays; and political pamphlets“ besteht, zeige eine colonial urfantasy of the encounter between European and 'native', which they recast to meet particular ideological needs. All of them built on one another, creating a network of implicit references, which reinforce their message and anchor it in the minds of their readers. Together, they create a colonialist imagination and mentality that beg to translate though into action.41

Zantop nennt diese Narrative Fantasie

(because of) their purely imaginary, wish-fulfilling nature and their unconscious subtext which links sexual desire for the other with desire for power and control.42

Diese Fantasien seien „simultaneously the vehicle of, and the driving force behind colonist ideology“43, wobei insbesondere Sexualität eine bedeutende Rolle einnehme. Rassismen und Sexismen seien in diesen kolonialen Fantasien miteinander verflochten und würden eine Dynamik aus „attraction and repulsion“44 erzeugen. Es sei wohl kaum ein Zufall, so Zantop, dass in einem ähnlichen Zeitrahmen sowohl race 45 als auch gender – biologisch begründet – einer Hierarchisierung unterzogen worden. Diese Fantasien lassen sich auch, wie später gezeigt werden soll, in Fotografien nachweisen.

3 Kolonialfotografie

Susan Sontags Essaysammlung Über Fotografie (2013) und Gerhard Pauls Einführungsband Visual History (2006) bilden den Zugang zur Visual History46, die wiederum das nötige framework zur Einordnung der Bildpraktiken liefert. Anika-Brigitte Kollarz´ Dissertation Aus dem Rahmen. Weißes Gedicht auf 'nem Schwarzen Gesicht?Visuelle Repräsentationen Schwarzer Frauen zwischen der deutschen Kolonialzeit und der Weimarer Republik (2017) ist vor allem der diskurstheoretische Rahmen entlehnt, der es erlaubt, Bilder als Repräsentanten eines dynamischen Diskurses zu begreifen und somit die Mechanismen hinter der Bildproduktion aufdeckt. Joachim Zellers Bilderstudie Weiße Blicke – Schwarze Körper (2010) stellt koloniale Bildpraktiken anhand von Reklamesammelbildern, Karikaturen und Postkarten vor und bietet damit Orientierungshilfe bei der Herausarbeitung der beobachteten fotografischen Narrative.

3.1. Bildmaterial

Bei der stichprobenartigen Sichtung digitaler Archive (Deutsche Fotothek, Bildarchiv „Kolonialismus und afrikanische Diaspora auf Bildpostkarten“ der Unibibliothek Köln und „Koloniales Bildarchiv“ der Unibibliothek Frankfurt a.M.) zeichneten sich verschiedene Bildpraktiken und Narrative ab, wobei in der vorliegenden Arbeit kein Anspruch auf Vollständigkeit besteht – bei längerer Beschäftigung und intensiverer Archiv -recherche wäre der Topoi-Katalog sicherlich noch gewachsen. Die hier beispielhaft angeführten Bilder stehen paradigmatisch für schiere Unmengen an Kolonialfotografie. Die Titel der Abbildungen sind meist von den Archiven generiert, da die Bilder entweder keinen oder einen diskriminierenden Titel trugen. Wenn die Fotografien Teil einer Sammlung oder auf eine Postkarte gedruckt waren, wurde der Titel beibehalten. Es fanden sich sowohl colorierte Kopien von Glasplattennegativen als auch Postkarten. Bis auf Abbildung 16 sind alle Aufnahmen aus ehemaligen deutschen Kolonien, zumeist aus dem heutigen Namibia und Tansania. Einige Aufnahmen sind Auftragsfotografien (Abb. 1, 2, 11, 12, 14), andere von Privatpersonen. Zu einigen Aufnahmen war es möglich, den Entstehungskontext zu rekonstruieren: Abbildung 4 entstammt einer Serie zu ethnographischer Feldforschung des Professors für Ethnologie und Urgeschichte der Universität Leipzig, Karl Weule (1864 – 1926), der sich 1906/1907 in Südost-Tansania aufhielt. Die Abbildungen 3, 6 und 7 sind der Sammlung des Geographen und Kolonialpolitikers Hans Meyer (1858 – 1929) zuzuordnen, der in den Jahren zwischen 1887 und 1889 sowie 1911 Forschungsreisen nach Ostafrika unternahm. Abbildung 5 entstammt Fritz Techmers Linse, eines Landmessers, der ab 1909 Teile Tansanias vermaß. 1906 entstand die Abbildung 14 bei einer Reise deutscher Parlamentarier in die ehemalige Kolonie Deutsch-Ostafrika, die der Fotograf Otto Haeckel begleitete. Nicht immer konnte das Jahr der Aufnahme ausgemacht werden oder es sind zwei Jahreszahlen mit größerem Abstand angegeben – wahrscheinlich weil die Aufnahmen mehreren Sammlungen zugeordnet werden konnten. Um zu zeigen, dass sich die Bildpraktiken, Narrative und Motive wiederholen (weil sie durch den bereits institutionalisierten kolonialen Blick geformt wurden und unausweichlich sind) und bspw. keine Präferenz eines bestimmten Fotografen oder einer Sammlung darstellen, wurden unterschiedliche Archive mit verschiedenen Fotografen konsultiert. Bevor auf einzelne Aufnahmen eingegangen wird, sollen die Produktionsmechanismen von Kolonialfotografie herausgearbeitet werden.

[...]


1 Schwarz wird großgeschrieben, um die soziopolitische Positionierung in einer mehrheitlich weißen Dominanzgesellschaft zu markieren. Die Bezeichnung Schwarz dient als Selbstbezeichnung, Selbstermächtigung und gilt als emanzipatorische Widerstandspraxis. Diese Distinktion dient zudem dazu, auf die soziale Konstruiertheit von Schwarz/ weiß hinzuweisen; damit wird nicht auf die Hautfarbe referiert. Vgl. https://www.oegg.de/wp-content/uploads/2019/12/Leitfaden_PDF_2014.pdf [zul. eingesehen am 08.08.2022].

2 Es sollen damit in dieser Arbeit behelfsmäßig Körper weiblich gelesener Personen gemeint sein. Ob die durch die hier vorgenommene Kategorisierung „Frauenkörper“ angenommene Geschlechtsidentität abweicht, ist im Einzelfall leider nicht bekannt. Es ist jedoch stark davon auszugehen, dass der Fotograf mit einem male gaze auf die Körper geblickt hat, was Folgen für die Darstellung, Posen und Distribution hatte. Dieser Hintergrund soll primär nachgezeichnet und untersucht werden.

3 Mit Weißsein ist ein unbewusstes Selbst- und Identitätskonzept gemeint, das mit Privilegien einher geht, welche Schwarzen Personen aufgrund von institutionalisierten Rassismen verwehrt bleiben. Weiß stellt dabei kein politisches Gegenstück zum Widerstand, der mit der Selbstbezeichnung Schwarz ausgedrückt wird, dar und wird deswegen klein und kursiv geschrieben. Vgl. https://www.oegg.de/wp-content/uploads/2019/12/Leitfaden_PDF_2014.pdf [zul. eingesehen am 08.08.2022].

4 Der afrikanische Kontinent wird häufig in der Fremdwahrnehmung als Einheit rezipiert, was Stereotypisierungen zur Folge hat. Mit dem Titel Afrika gibt es nicht! plädierte der damalige Afrika-Korrespondent der NZZ, Georg Brunold 1994 für eine vielfältigere Rezeption des Kontinents, um die regionalen, geografischen, religiösen, soziopolitischen und kulturellen Unterschiede nicht zu negieren. Wenn in der vorliegenden Arbeit Afrika geschrieben wird, so soll damit das vom eurozentrischen Blick durchzogene Konstrukt, nicht der tatsächliche Kontinent gemeint sein., Vgl. https://www.projekt-afrika-gibt-es-nicht.de/ [zul. eingesehen am: 29.07.2022].

5 Zwischen 1884 und dem Ende des 1. Weltkriegs verfügte das Deutsche Kaiserreich auf dem afrikanischen Kontinent über die Siedlungskolonie Namibia („Deutsch-Südwestafrika“), die Handelskolonie Togo, die Plantagenkolonie Kamerun sowie die merkantilen und siedlungspolitischen Kolonien Tansania, Ruanda, Burundi („Deutsch-Ostafrika“)., Vgl. Sebastian Conrad: Deutsche Kolonialgeschichte. München 2008.

6 Je nach Archiv und Verschlagwortung, war es unterschiedlich schwer, visuelle Repräsentationen Schwarzer Frauen zu finden. Da die Suche oftmals nur über Bildtitel möglich war, in denen diskriminierende Begriffe verwendet wurden, birgt dies die Gefahr, dass nur bereits Rassismen implizierende Fotografien gefunden wurden und dass dabei Bilder, die andere Positionen beziehen, durch das Raster fallen.

7 Das etwaig theorielastige ergibt sich aus dem Erkenntnisinteresse der Arbeit – so werden die Fotografien als Untersuchungsgegenstand zur Herausarbeitung der hierarchischen Praktiken hinter dem Bild betrachtet; das Bild rückt keineswegs in den Hintergrund, doch erscheint eine klassische deskriptive Bildanalyse hier nicht zielführend.

8 María do Mar Castro Varela u. Nikita Dhawan: Postkoloniale Theorie. Eine kritische Einführung. Bielefeld 3 2020. S. 24.

9 Ebd.

10 Ebd. S. 25.

11 Ebd. S. 24.

12 Vgl. Ebd. S. 24-26.

13 In Orientalism übt er massive Kritik am institutionalisierten (insbesondere auch akademischen) eurozentrischen Blick westlicher Gesellschaften auf den Orient, der von einem Überlegenheitsgefühl des Westens geprägt sei und mit einer Mystifizierung nicht-westlicher Gesellschaften einhergehe – dies nennt er Orientalismus. Said weist nach, wie diskursive Gewalt soziale Realitäten strukturiert, wodurch er Kolonialismus somit als „epistemisches Gewaltsystem und als Begehrensökonomie“ entlarvt. Um die koloniale Herrschaft zu stabilisieren, musste also zwangsweise eine europäische Konstruktion des Orients erfolgen, denn nur so konnte über einheitliche „Repräsentationspolitiken“, künstliche Projektionen und Abgrenzungen Wissen und damit Macht instrumentalisiert werden. The Invention of Africa (1988) des kongolesischen Philosophen V.Y. Mudimbe konnte innerhalb der African Studies ähnliche Produktionsmechanismen aufdecken und Mignolos The Idea of Latin America (2005) zeichnet die Konstruktion Lateinamerikas, ähnlich Saids Orientalism nach., Zitate und Vgl. aus: Castro Varela u. Dhawan: Postkoloniale Theorie, S. 103-105.

14 Edward Said: „Imaginative Geography and It´s Representations. Orientalizing the Oriental“. In : Ders.: Orientalism. Western Conceptions of the Orient. London 1995, S. 54.

15 Edward Said: Culture and Imperialism. New York 1994, S. 54.

16 Ebd.

17 Vgl. Castro Varela u. Dhawan: Postkoloniale Theorie, S. 104-112.

18 Anette Dietrich: Weiße Weiblichkeiten. Konstruktionen von 'Rasse' und Geschlecht im deutschen Kolonialismus. Bielefeld 2007, S. 33.

19 Ebd. S. 33-34.

20 Im bereits 1971 erschienenen Aufsatz „Calibán“ spricht der kubanische Schriftsteller Roberto Fernández Retamar (1930-2019) von radikaler Hybridität, doch erst mit Bhabhas Relektüre und Neuinterpretation erlangt das Konzept breite Rezeption im postkolonialen Diskurs., Vgl. Castro Varela u. Dhawan: Postkoloniale Theorie, S. 245.

21 Vgl. Ebd. S. 241-247 u. 258-260.

22 Vgl. „A Critique of Postcolonial Reason. Towards a History of the Vanishing Present“, 1999.

23 Vgl. „French Feminism in an International Frame“, 1988.

24 Der Begriff subaltern ist den Gefängnisheften des italienischen Politikers und marxistischen Philosophen Antonio Gramsci (1891-1937), den Quaderni del Carcere entliehen, die er in faschistischer Gefangenschaft zwischen 1929 und 1935 verfasste. Subaltern soll nach Spivak als soziales Konstrukt verstanden werden, das Produkt von hegemonialen Praktiken/Machtstrukturen ist und zur Unterordnung und Exklusion von Gesellschaftsteilen dient. Ihr Essay entstand u.a. in Reaktion auf die Ausführungen der South Asian Subaltern Studies Group, der es mit der Beschreibung der Subalternen um writing in reverse (Guha) ging. , Vgl. Castro Varela u. Dhawan: Postkoloniale Theorie, S. 196 u. S. 199.

25 Erschienen in Marxism and the Interpretation of Culture; dts. Can the Subaltern Speak Postkolonialität und subalterne Artikulation, erstm. 2007, hier 2008.

26 Übernommen aus A Double Colonization: Colonial and Postcolonial Women's Writing (1986) von Kirsten Holst Petersen und Anna Rutherford.

27 Castro Varela u. Dhawan: Postkoloniale Theorie, S. 210.

28 Problem dabei sei jedoch laut Spivak der Fakt, dass Subalternität eine unverifizierbare „singuläre Kategorie“ sei, die sich „jeglicher Exemplarität“ entziehe. Deswegen bergen Generalisierungen immer das Risiko, „Subalterne erneut in ein Forschungsobjekt zu verwandeln und so ihre Unterwerfung zu perpetuieren“., Zitate u. Vgl. Ebd. S. 201.

29 Vgl. Ebd. S. 161-165 u. 196-211.

30 Im folgenden werde ich Begriffe stets in Anführungsstriche setzen, die nach heutigem Wissensstand nicht zutreffend, ungenau, herabwürdigend o.ä. sind. Die Begriffe sollen nicht unreflektiert reproduziert werden. Für die Argumentation war ein Auslassen der Begriffe leider nicht möglich.

31 Denise Toussaint: Dem kolonialen Blick begegnen. Identität, Alterität und Postkolonialität in den Fotomontagen von Hannah Höch. Bielefeld 2014, S. 38.

32 Ebd.

33 Vgl. Ebd. S. 38-39.

34 Der Sozialdarwinismus wendet Darwins Evolutionstheorie auf Gesellschaften an, unterscheidet zwischen „gutem“ und „schlechtem“ Erbgut und vertritt das „Recht des Stärkeren“. Bereits vor Darwin hatte der britische Philosoph und Soziologe Herbert Spencer seine Gesellschaftstheorie mit der Evolution begründet., Vgl. https://www.bpb.de/themen/rechtsextremismus/dossier-rechtsextremismus/214188/was-ist-sozialdarwinismus/#footnote-target-2 [zul. eingesehen am: 02.08.2022].

35 Vgl. Toussaint: Kolonialer Blick, S. 38-41.

36 Toussaint: Kolonialer Blick, S. 33.

37 Ebd. S. 34.

38 Vgl. Ebd. S. 33-34.

39 Ebd. S. 36.

40 Vgl. Stuart Hall: „Wer braucht Identität“. In: Andreas Merkens u. Juha Koivisto (Hg.): Identität, Ideologie und Repräsentation. Ausgewählte Schriften 4. Hamburg 5 2016, S. 144-159.

41 Susanne Zantop: Colonial Fantasies. Conquest, Family, and Nation in Precolonial Germany, 1770-1870. In: Stanley Fish u. Fredric Jameson (Hg.): Post-Contemporary Interventions. Durham u. London 1997 , S. 2-3.

42 Ebd. S. 3.

43 Ebd. S. 4.

44 Ebd. S. 5.

45 Dieser sozialwissenschaftliche Begriff soll anderen, negativ und missverständlich konnotierten Begriffen vorgezogen werden und auf die soziale Konstruiertheit des nach phänotypischen Eigenschaften einteilenden Konzepts verweisen. Ein kleiner, nicht auf Vollständigkeit abzielender Exkurs zur Entstehung von race: Bereits Aristoteles entwickelte eine Klassifikation von Menschen nach ihrer Herkunft, doch mit der Verbreitung des Christentums trat zunächst der religiöse Aspekt in den Vordergrund (Einteilung in gläubig oder nicht-gläubig). Europäische Expeditionen und beginnender Kolonialismus im 15./16. Jh. und insbesondere die Aufklärung des 18. Jh.s trugen zur empirischen Generierung, Institutionalisierung und Anwendung des „biologistischen“ Konzepts verschiedener Ethnien bei. Im 19. Jh. verfestigten die Disziplinen Anthropologie und Ethnologie Vorstellungen der „Höherwertigkeit“ bestimmter Ethnien. Der race -Diskurs basiert nicht auf einem homogen entwickelten Begriff, sondern setzt sich aus verschiedenen Theorien aus unterschiedlichen Wissenschaften zusammen., Vgl. Otto Brunner / Werner Conze / Reinhart Koselleck (Hg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Bd. 5 Pro-Soz. Stuttgart 1984, S. 135-178 / https://plato.stanford.edu/entries/race/ u. https://uol.de/f/5/inst/biologie/ag/didaktik/Ulrich/Res_deutsch.pdfhttps://uol.de/f/5/inst/biologie/ag/didaktik/Ulrich/Res_deutsch.pdf [zul. eingesehen am: 02.08.2022].

46 Nach Gerhard Paul soll unter Visual History das Einbeziehen von Bildmedien als Quellen und als eigenständige Gegenstände in die historiografische Forschung verstanden werden. Bilder werden hierbei sowohl als Abbildungen als auch als Bildakte angesehen, „die Sehweisen konditionieren, Wahrnehmungsmuster prägen, historische Deutungsweisen transportieren und die ästhetische Beziehung historischer Subjekte zu ihrer sozialen und politischen Wirklichkeit organisieren“. Mit dem visual turn rückten in den 1970ern Bilder in den Fokus – zunächst als Überreste, als zusätzliche Quelle zur Perspektiverweiterung angesehen, wurden sie ab den 1990ern – beeinflusst von den Visual-Culture-Studies und der kulturwissenschaftlichen Gedächtnisforschung sowie der neuartigen, d.h. besonders visuelle Akzente setzenden Museums- und Ausstellungspraxis zunehmend als gleichrangige historische Quelle neben etablierten tradierten Quellen und als historischer Untersuchungsgegenstand wahrgenommen., Zitate u. Vgl. Gerhard Paul: „Von der Historischen Bildkunde zur Visual History. Eine Einführung“. In: Gerhard Paul (Hg): Visual History. Ein Studienbuch. Göttingen 2006, S. 7-29, hier: S. 25.

Ende der Leseprobe aus 31 Seiten

Details

Titel
Visueller Kolonialismus am Beispiel Schwarzer Frauenkörper. Fantasien des weißen Mannes
Hochschule
Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald  (Historisches Institut)
Note
1,0
Autor
Jahr
2022
Seiten
31
Katalognummer
V1284654
ISBN (Buch)
9783346778284
Sprache
Deutsch
Schlagworte
visueller, kolonialismus, beispiel, schwarzer, frauenkörper, fantasien, mannes
Arbeit zitieren
Felix Naundorf (Autor:in), 2022, Visueller Kolonialismus am Beispiel Schwarzer Frauenkörper. Fantasien des weißen Mannes, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1284654

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