Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2 Untersuchung der Gattungszuordnung des Werkes
2.1. Schwank
2.2. Narrendichtung
2.3. Höfischer Roman
2.4. Artusroman
2.5. Komischer Roman
2.6. Spielmannsepos
2.7. Legendenroman
3 Resümee
4 Quellen- und Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„Eine so eigenwillig gebaute Dichtung“1 wie die des Strickers über einen Pfaffen namens Amis ist für das „Bild von der Gattungsgeschichte des 13. Jahrhunderts von hoher Bedeutung“2.
Der Pfaffe Amis vom Stricker weist als eines der bekanntesten mittelhochdeutschen Werke aus dem Spätmittelalter Merkmale einiger verschiedener Gattungsformen auf, wonach es den Lesern/-innen, aber auch der Forschung, eine eindeutige und klare Zuordnung zu nur einer Gattung erschwert. Diese Diskrepanz macht das Werk insbesondere vor dem gattungshistorischen Kontext so interessant. Neben offensichtlichen Eigenschaften lassen sich auch versteckte Charakteristika einer Gattung entdecken, über deren Intention seitens des Strickers als Autor und ihrer Wirkung diskutiert werden kann.
Inwiefern das Werk des Strickers entstanden ist, beleuchtete Hanns Fischer und stellte die Frage „Zufällige Kompilation disparater Einzelgeschichten oder planvoll gefügtes Erzählganzes?“3 auf. Eine Antwort auf diese Fragestellung liefert Hansjürgen Linke, welcher die einzelnen Episoden des Werkes nicht als „in sich geschlossene und selbständig vortragbare Einzelgeschichte[n]“4 betrachtet. Auch hinsichtlich der Gattungszuordnung können bzw. müssen sowohl einzelne Episoden als auch das Werk als Ganzes teilweise separat voneinander analysiert werden. Doch lässt sich das Werk Der Pfaffe Amis vom Stricker nun einer Gattung zuordnen oder handelt es sich hierbei um einen Sonderfall?
Es ist vorstellbar, dass sich das Werk nicht eindeutig nur einer Gattung zuschreiben lässt, weil es schlichtweg zu viele elementare Merkmale unterschiedlicher Gattungen wie beispielsweise der Schwankdichtung oder Artusromane miteinander vereint. Andererseits ist es ebenso möglich, diesen Sonderfall zu widerlegen und das Werk einer einzigen Gattung zuzuordnen, da die Übereinstimmung mit den Eigenschaften der anderen zu thematisierenden Gattungen nur marginal und dementsprechend unbedeutend ist.
Im weiteren Sinne haben sich die beiden oben genannten Autoren mit dieser Fragestellung beschäftigt. So erkennt Fischer Merkmale des Artus- sowie des Schwankromans in Der Pfaffe Amis wieder, indem er die Reisefreudigkeit des Pfaffen und den schwankhaften Formtyp des Werkes aufgreift.5 Linke hingegen geht in erster Linie weniger auf die Gattung des Werkes ein, sondern vielmehr auf die Form innerhalb des Werkes sowie dessen einzelne Episoden und ihre Zusammenhänge untereinander.6
Von der eingangs erwähnten Fragestellung Fischers ist das Thema dieser Hausarbeit abzugrenzen. Es wird nicht um die strukturellen Zusammenhänge einzelner Episoden zueinander oder im Gesamtkontext des Werkes gehen, wie es Linke vollzogen hat. Ebenfalls wird die Entstehung des Werkes durch den Stricker keine Rolle spielen oder etwaige historisch-gesellschaftliche Ereignisse aus jener Zeit einbezogen.
Im Nachfolgenden werden nun verschiedene relevante Gattungsformen vorgestellt: Schwank, Narrendichtung, höfischer Roman, Artusroman, komischer Roman, Spielmannsepos und Legendenroman. Hierbei werden sowohl vorhandene als auch fehlende Merkmale in Der Pfaffe Amis thematisiert und hinterfragt. Als unterstützende Literatur werden gattungsspezifische Texte und Quellen verwendet, die keinen direkten Bezug zum Werk des Strickers aufweisen. Dieser Bezug wird erst im Laufe der Hausarbeit hergestellt. Die Ergebnisse der Erörterung zu den einzelnen Gattungen werden anschließend im abschließenden Teil dieser Hausarbeit zusammengetragen und bewertet.
2. Untersuchung der Gattungszuordnung des Werkes
2.1. Schwank
Im Allgemeinen handelt es sich bei einer deutschen Schwankdichtung um eine „Erzählung eines lustigen Streichs“7 bzw. eine „knappe, auf eine Pointe zugespitzte Verserzählung“8. Dieses wesentliche Merkmal dieser Gattung lässt sich auch in der Episode Die unsichtbaren Bilder im Werk Der Pfaffe Amis vom Stricker wiederfinden, in welcher Amis dem König und dessen Hofgesellschaft vortäuscht, die Kunst des Malens zu beherrschen (vgl. „ich kan molen wol“9 ), obwohl er dies offensichtlich nicht tut (vgl. „und malet niht uber al“10 ). Der Stricker thematisiert mit diesem Streich des Pfaffen Amis ein Tabuthema jener Zeit, indem Amis dem König sowie der Hofgesellschaft durch seine List eine außereheliche Geburt unterstellt.
Die Überlistung und Demütigung des Königs bestehen hauptsächlich darin, dass sich Amis an ihm bereichert. Dieses Verhalten ist typisch für die Schwankdichtung, in welcher die Stoffe „meist aus den triebgebundenen Bereichen menschlichen Lebens [...] stammen“11. Des Weiteren wird der Pfaffe Amis als klug (vgl. „karger man“12 ) dargestellt, dessen Klugheit nicht nur in der bereits erwähnten Episode der Naivität bzw. „Dummheit“13 deutlich überlegen ist. Auch in anderen Episoden wie bspw. Die Heilung der Kranken profitiert Amis von der Dummheit des Herzogs sowie der Kranken, indem er vorgibt, ein sehr guter Arzt zu sein (vgl. „daz ane got nimant were pezzer arzet denne er“14 ).
Auffällig und gattungstypisch ist zudem vor allem die „Übertrumpfung eines anscheinend überlegenen Gegners durch Tüchtigkeit, Schlauheit oder Rücksichtslosigkeit“15. Während der Pfaffe Amis den König sowie den Herzog durch seine Schlauheit überlistet, handelt er in der Episode Der Edelsteinhändler gewissenlos, nachdem er den Kaufmann einem Arzt überließ, welcher jenen körperlich stark zusetzte (vgl. „Man satzt in in ein sweizbat.“16 ). Die unterschiedlichen Stellungen zwischen Amis und seinen Leidtragenden sorgen für Komik und somit zugleich für eine Belustigung der LeserInnen .
Der Stricker nutzt die Komik „als Mittel der Belehrung“17, „ohne [dabei] eine direkte Schlußmoral zu benötigen“18. In keiner der insgesamt elf Episoden schließt der Stricker jene mit einer eindeutigen Schlussmoral ab. Vielmehr sowie gleichzeitig auch kennzeichnend für Schwankdichtungen wirken die Handlungen des Pfaffen Amis „exemplarisch“19, mit welchen der Stricker die Intention verfolgt, „vor dem Bösen zu warnen und zum Guten zu ermahnen“20.
Abgesehen vom Pfaffen Amis als Protagonisten dieses Werkes versteckt der Stricker die weiteren Handlungsträger hinter dem Schild der Anonymität. Dieses Erzählmuster ist ebenso charakteristisch für die Gattung der Schwankdichtung wie die „paarweise gereimte Versdichtung“21 oder der „Offenheit in der Reihenfolge der einzelnen Schwänke“22. Wie letztendlich die elf Episoden im Werk des Strickers angeordnet werden ist nicht entscheidend und trägt keinerlei zum Verständnis des Gesamtwerkes bei, da sie unabhängig voneinander sind.
Bis auf die Episode Das brennende Tuch lassen sich keine der übrigen zehn Episoden eindeutig einem der drei Formtypen eines Schwanks - Ausgleichs-, Steigerungs- oder Spannungstyp - zuordnen.23 Das liegt daran, dass Amis oftmals keine Gegenhandlung oder gar Revanche seiner Opfer zulässt, weil seine Streiche entweder gar nicht oder erst zu spät nach seinem Verschwinden vom Handlungsort aufgedeckt werden. Einzig in der Episode Das brennende Tuch provoziert Amis eine Reaktion seitens des Hausherrn, welche darin besteht, dem Pfaffen hinterher zu reiten, um ein wertvolles Tuch zurückzuholen. Der Effekt dieser Reaktion verstärkt jedoch die List des Pfaffen Amis, sodass der Ritter und seine Frau schlussendlich noch mehr verlieren als das eine Tuch. Diese Handlungsabfolge lässt sich gut zum Steigerungstypus eines Schwanks zuordnen, bei welcher ein Verhältnis nicht umgekehrt, sondern noch gesteigert wird.24
2.2. Narrendichtung
Werke, die der Gattung der Narrendichtung angehören, handeln von einem Narren wie dem Pfaffen Amis, welcher als Protagonist im Werk fungiert. Atypisch hingegen scheint der Pfaffe Amis gegenüber den Narrenbildern aus vergleichbaren Narrendichtungen hinsichtlich seines äußeren Erscheinungsbildes bzw. seiner äußeren Merkmale zu sein, über die der Stricker abgesehen von der letzten Episode Der Edelsteinhändler (vgl. „Beide an har und an wat stalt er sich als ein koufman.“25 ) keinerlei genauere macht.
In der Regel wird der Narr in den Narrendichtungen als „kahlköpfig“26 dargestellt, dessen Kostüm „aus einem kurzen gezackten Oberkleid und der schellenbesetzten Narrenkappe“27 besteht. Über diese Eigenschaften in Bezug auf den Pfaffen Amis lässt sich als LeserIn nur spekulieren und obliegt der jeweils persönlichen Vorstellungskraft bzw. Interpretation. Da Amis zum Ende der Dichtung hin sein Äußeres zu dem eines Kaufmannes ändert, lässt sich daraus schließen, dass dies zuvor nicht der Fall ist und der Stricker den LeserInnen aufgrund seiner fehlenden Beschreibung einen Interpretationsspielraum gibt. Sehr naheliegend ist zudem, dass sich ein solches äußeres Erscheinungsbild eines Narren in der Zeit der Entstehung dieses Werkes noch nicht in einer solchen Ausprägung gebildet hatte (vgl. „um 1500“28 ). Des Weiteren verzichtet der Stricker auf die in einer Narrendichtung typischen Holzschnitte.
Neben den fehlenden Merkmalen weist das Werk des Strickers aber auch einige Eigenschaften einer Narrendichtung auf. Betrachtet man das Werk im Gesamten, so fällt auf, dass der Stricker seine Figur des Pfaffen Amis nicht dazu nutzt, „die Angehörigen der einzelnen Stände“29 anzusprechen, sondern deren Fehlverhalten vielmehr verallgemeinert. Dies lässt sich am deutlichsten daran erkennen, dass Amis es insgesamt mit vielen Menschen aus unterschiedlichen Schichten, vom König in der Episode Die unsichtbaren Bilder über Ritter in Das brennende Tuch bis hin zu Bauern in Die Kirchweihpredigt, zu tun hat, welche er allesamt durch seine Handlungen überlistet. Letztere Episode wiederum ist ein schönes Beispiel dafür, wie der Stricker auch in einzelnen Episoden Menschen unterschiedlicher Schichten (vgl. „Da waz manich kunne von gebouren und von vrowen, die mocht man gern schowen“30 ) anspricht. Dieser „Anspruch auf allgemeine Gültigkeit“31, welchen der Stricker dadurch erzeugt, ist charakteristisch für Narrendichtungen.
Daneben findet sich im Der Pfaffe Amis vom Stricker eine Ausrichtung „an der Sünden- und Heilslehre der Kirche“32 wieder. Auch hier kann die Episode Die Kirchweihpredigt zur Veranschaulichung herangezogen werden. In dieser thematisiert der Stricker das Fremdgehen bzw. den Ehebruch (vgl. „daz mir gebe dehein wip, die [...] ie keinen andern gewan“33 ). Gleichzeitig wird dem Narren Amis „die Verantwortung für sein Handeln abgenommen“34, in dem er zu Beginn seiner Predigt klarstellt, „daz mich got hat her gesant“35.
Prägend für Narrendichtungen und damit auch das Werk des Strickers ist der Begriff der „Torheit“36. Diesen überträgt der Stricker auf die Leidtragenden der Streiche Amis‘. Dies lässt sich insbesondere dadurch erkennen, dass die Geschädigten wie bspw. der König in Die unsichtbaren Bilder erst nach dem Verschwinden von Amis bemerken, dass sie reingelegt wurden (vgl. „Do nam er urloub unde reit“37 ).
2.3. Höfischer Roman
Bei der Gattung des höfischen Romans handelt es sich um eine „Form der Erzählung“38, welche sich „formal an der höfischen Gesellschaft orientiert“39. Diese Orientierung lässt sich auch mehrmals im Werk des Strickers wiederfinden. So täuscht der Pfaffe Amis in der Episode Die unsichtbaren Bilder neben dem König auch dessen gesamte Hofgesellschaft (vgl. „und alle die da sint“40 ). In anderen Episoden wie beispielsweise Der auferstandene Hahn bezieht Amis andere Menschen aus der höfischen Gesellschaft nicht direkt mit in seine Taten ein, jedoch verbreitet sich die Nachricht über jene in der Gesellschaft schnell, sodass Amis auch bei scheinbar Unbeteiligten bekannt wird (vgl. „Daz saite si wip unde man“41 ). Ein weiteres Merkmal höfischer Romane ist die „narrative Figurenrede“42. Die Handlungen werden auch in Strickers Werk nicht vom Protagonisten Amis oder den anderen Figuren erzählt, sondern von einem personalen Erzähler aus der Sichtweise des Protagonisten. Dies ist hinsichtlich der Gattung des höfischen Romans insofern wichtig, dass in der Regel „nicht der Handelnde auch der sich erinnernde Erzähler“43 ist. Aufgrund dieser Erzählweise erhalten die Taten des Protagonisten und jener selbst als Charakter erst die notwendige Anerkennung bzw. Bedeutung. Dieser Fall bezieht sich folglich nur auf erfolgreich abgeschlossene Handlungen. Da in Der Pfaffe Amis in allen elf Episoden die Streiche und Listen des Pfaffen Amis zu seinen Gunsten gelingen, nutzt der Stricker zur Erzählung jener einen Erzähler, welcher weder Amis ist noch anderweitig als Figur im Werk vorkommt. Wie der Stricker die Erzählung seines Werkes aufgebaut hätte, wenn seine Hauptfigur in einer Episode gescheitert wäre, lässt sich demnach nicht feststellen. Wahrscheinlich ist jedoch, dass Amis als gescheiterte Figur die Erzählung seines Scheiterns übernommen hätte, da dies in den höfischen Romanen so üblich ist.44
[...]
1 Hanns Fischer: Zur Gattungsform des Pfaffen Amis, S. 291.
2 Ebd.
3 Ebd., S. 292.
4 Hansjürgen Linke: Beobachtungen zur Form des Pfaffen Amis, S. 316.
5 Vgl. Hanns Fischer: Zur Gattungsform des Pfaffen Amis, S. 299.
6 Vgl. Hansjürgen Linke: Beobachtungen zur Form des Pfaffen Amis, S. 310-316.
7 Erich Strassner: Schwank, S. 1.
8 Werner Rö>
9 Der Stricker: Der Pfaffe Amis, Vers 505.
10 Ebd. Vers 601.
11 Erich Strassner: Schwank, S. 4.
12 Der Stricker: Der Pfaffe Amis, Vers 797.
13 Werner Rö>
14 Der Stricker: Der Pfaffe Amis, Vers 806-807.
15 Erich Strassner: Schwank, S. 6.
16 Der Stricker: Der Pfaffe Amis, Vers 2099.
17 Werner Rö>
18 Erich Strassner: Schwank, S. 6.
19 Ebd., S. 6.
20 Werner Rö>
21 Ebd., S. 94.
22 Ebd., S. 95.
23 Vgl. Erich Strassner: Schwank, S. 8.
24 Vgl. ebd., S. 7.
25 Der Stricker: Der Pfaffe Amis, Vers 1832-1833.
26 Dieter Kartschoke: Narrendichtung, S. 142.
27 Ebd., S. 142.
28 Ebd., S. 142.
29 Ebd., S. 147.
30 Der Stricker: Der Pfaffe Amis, Vers 356-358.
31 Dieter Kartschoke: Narrendichtung, S. 144.
32 Ebd., S.147.
33 Der Stricker: Der Pfaffe Amis, Vers 380-382.
34 Dieter Kartschoke: Narrendichtung, S. 144.
35 Der Stricker: Der Pfaffe Amis, Vers 365.
36 Dieter Kartschoke: Narrendichtung, S. 142.
37 Der Stricker: Der Pfaffe Amis, Vers 728.
38 Dieter Kartschoke: Erzählen im Alltag, S. 27.
39 Internetseite von Duden Learnattack, abgerufen am 10.09.2020.
40 Der Stricker: Der Pfaffe Amis, Vers 519.
41 Ebd., Vers 982.
42 Dieter Kartschoke: Erzählen im Alltag, S. 27.
43 Ebd.
44 Vgl. Dieter Kartschoke: Erzählen im Alltag, S. 27.