Bei Kindsmordprozessen ging es niemals nur um den Tatbestand der Kindstötung an sich. In der Realität spielten noch viele andere Probleme in diese Thematik hinein. Die wichtigsten hiervon waren voreheliche oder außereheliche Sexualität, die Konfliktualität zwischen Liebesbeziehungen und Konvenienzverbindungen sowie Verführung und Vergewaltigung. Weitere Punkte waren herrschaftliche Privilegien, die soziale Stellung lediger Mütter und die der unehelichen Kinder sowie auch Verfahren zur Ermittlung der Kindsväter. Das Konglomerat all dieser Punkte ergibt eine Überschrift, unter welcher sich alles subsumieren lässt: Gesellschaftliche Akzeptanz nichtehelicher Sexualität.
Genau wie die Literatur des Sturm und Drang, die sich mit Kindsmord beschäftigte, zwangsläufig den Anspruch hatte, sich mit den oben genannten Punkten auseinanderzusetzen bzw. diese zumindest zu berücksichtigen, beschäftigten sich viele Theologen, Mediziner und auch Regierungsangehörige der Zeit mit dem Versuch, Lösungen zu finden. So schrieb zum Beispiel Regierungs - und Oberappelationsrat Ferdinand Adrian von Lamezan im Jahr 1780 die „Mannheimer Preisfrage“ mit dem Inhalt „Welches sind die besten ausführbaren Mittel, dem Kindermorde Einhalt zu thun, ohne die Unzucht zu begünstigen?“ aus und setzte eine Belohnung von 100 Dukaten für deren befriedigende Beantwortung an. Der Zusammenhang zwischen vorehelicher, sprich verbotener Sexualität und Kindsmord war also für zeitgenössische Diskutanten unbestritten, was an der Zahl der Antworten ersichtlich wird, die sich auf einer Höhe von 400 aus ganz Europa befunden haben soll1. Andererseits muss auch in die Betrachtung mit einbezogen werden, dass voreheliche Sexualität durchaus nichts ungewöhnliches war. Die meisten verlobten Paare praktizierten diese gewohnheitsmäßig, also ging es in dem Falle lediglich darum, dass die Gesellschaft als Korpus schlichtweg nichts davon wissen wollte, was durch die Geburt eines unehelichen Kindes jedoch nicht mehr zu ignorieren war.
Inhaltsverzeichnis
- Einführung
- Historische Realität
- Der Fall Margaretha Brandt als Stoffvorlage
- Motive für Kindsmord
- Verführungsdarstellungen
- Werksvergleiche
- „Die Kindermörderin“ und die 'Gretchentragödie': Plagiatsvorwurf Goethes
- ,,Die Soldaten“ und „Zerbin"
- Einfluss auẞenstehender Figuren auf die Haupthandlung
- Bürger und Schiller
- Wagner, Goethe und Lenz
- Fazit
- Literatur
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Abhandlung befasst sich mit dem Thema Kindsmord in der Literatur des Sturm und Drang, insbesondere am Beispiel des Stückes "Die Kindermörderin" von Heinrich Leopold Wagner. Ziel ist es, die historischen und gesellschaftlichen Hintergründe des Themas zu beleuchten, die Motive der Kindsmörderinnen zu analysieren und die literarische Auseinandersetzung mit dem Thema im Kontext der Epoche des Sturm und Drang zu untersuchen.
- Historische Realität des Kindsmords und seine gesellschaftlichen Ursachen
- Motive für Kindsmord im 18. Jahrhundert
- Die literarische Darstellung von Kindsmord im Sturm und Drang
- Verführungsdarstellungen und die Rolle der männlichen Figuren
- Der Einfluss des Adels und des Bürgertums auf die Thematik
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einführung beleuchtet die historische Realität des Kindsmords im 18. Jahrhundert und stellt den Fall Margaretha Brandt als Stoffvorlage für Wagners Stück "Die Kindermörderin" vor. Es werden die wichtigsten Motive für Kindsmord, wie die Angst vor gesellschaftlicher Stigmatisierung und die mangelnde rechtliche Absicherung für unverheiratete Mütter, erläutert.
Das Kapitel "Verführungsdarstellungen" analysiert die literarische Darstellung von Verführung und Vergewaltigung in der Epoche des Sturm und Drang. Es werden die unterschiedlichen Perspektiven auf die Rolle der Frau und die Verantwortung des Mannes in solchen Situationen beleuchtet.
Im Kapitel "Werksvergleiche" werden Wagners "Die Kindermörderin" mit Goethes "Faust" und Schillers "Die Soldaten" verglichen. Es wird der Plagiatsvorwurf Goethes gegen Wagner sowie die unterschiedlichen Ansätze der Autoren in der Darstellung von Kindsmord und Verführung untersucht.
Das Kapitel "Einfluss auẞenstehender Figuren auf die Haupthandlung" analysiert die Rolle von Bürgern, Schiller, Wagner, Goethe und Lenz in der literarischen Auseinandersetzung mit dem Thema Kindsmord. Es wird die Kritik des Bürgertums am Adel und die politische Dimension des Themas im Kontext der Epoche des Sturm und Drang beleuchtet.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen den Kindsmord, die Epoche des Sturm und Drang, die historische Realität des 18. Jahrhunderts, die Motive für Kindsmord, die Verführungsdarstellungen, die Rolle der Frau, die Verantwortung des Mannes, die Kritik am Adel, die gesellschaftliche Stigmatisierung, die rechtliche Absicherung von Frauen, die literarische Auseinandersetzung mit dem Thema, die Werke von Heinrich Leopold Wagner, Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller.
- Arbeit zitieren
- Katja Glaser (Autor:in), 2009, Das Kindsmordthema in der Literatur des Sturm und Drang, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/128941