Leseprobe
Inhalt
1 Einleitung
2 Schulsozialarbeit
2.1 Definition
2.2 Funktion
2.3 Ziele
2.4 Kinder und Jugendliche als Klient*innen
2.5 Angebote und Methoden
3 Schulabsentismus
3.1 Definition und Erscheinungsformen
3.2 Deviantes Verhalten
3.3 Individuelle Faktoren
3.4 Institutionelle Faktoren
3.5 Auswirkungen auf die Jugendlichen
3.6 Prävention und Intervention
4 Methode der motivierenden Gesprächsführung
4.1 Grundhaltung und Prinzipien
4.2 Phase 1: Motivation zur Veränderung aufbauen
4.3 Widerstand und Change-Talk
4.4 Zuversicht aufbauen (Confidence-Talk)
4.5 Phase 2: Selbstverpflichtung für Veränderungen verstärken
5 Motivierende Gesprächsführung als mögliche Intervention
5.1 Gesprächsführung mit Kindern und Jugendlichen
5.2 Gesprächsführung in der Schule
5.3 Fallbeispiel Anna
5.4 Chancen und Grenzen der motivierenden Gesprächsführung
6 Fazit
1 Einleitung
Das Thema Schulabsentismus, Schulschwänzen, Schulverweigerung existiert vermutlich schon seitdem es Schulen und insbesondere die Schulpflicht gibt. In jüngster Zeit erfährt es jedoch wieder ein besonderes Augenmerk, da viele Theorien dafürsprechen, dass das „Schwänzen“ häufig mit weiteren problematischen oder delinquenten Verhaltensweisen der Kinder und Jugendlichen einhergeht und in besonders fortgeschrittenen Fällen im Schulabbruch enden kann. Häufig entwickelt sich Schulabsentismus aus einem Teufelskreis bestehend aus mangelnden Leistungen in der Schule, fehlenden Freundschaften und mit der Schule verbundenen Ängsten. Wenn die Zeit des Schwänzens zudem mit positiven Gefühlen wie Spaß und Kurzweiligkeit verknüpft wird, kommt es immer wieder zu schulvermeidendem Verhalten. Die Folgen wiederum sind Lücken im Lernstoff, welche wieder zu schlechteren Noten führen etc.
Bisher war der Umgang mit Schulschwänzern eher gleichgültig oder restriktiv, zum Beispiel durch Bußgelder oder eine mit Zwang, durch die Polizei, durchgesetzte Hinführung zur Schule in besonders harten Fällen. Doch nicht nur der Staat hat ein Interesse an der Durchsetzung der Schulpflicht, auch für die betroffenen Kinder und Jugendlichen können Benachteiligungen in der weiteren Bildungs- und Berufslaufbahn entstehen. Auch die persönliche psychische und soziale Entwicklung kann beeinträchtigt werden, denn in der Schule soll nicht nur Wissen vermittelt werden, es ist auch ein sozialer Ort, an dem Kinder lernen, sich in Gruppen einzufügen und soziale Beziehungen zu Gleichaltrigen herzustellen. Die soziale Arbeit trägt hier daher das doppelte Mandat von Hilfe und Kontrolle. Insbesondere die Schulsozialarbeit beschäftigt sich seit längerer Zeit mit dem Thema Schulabsentismus. Das Ziel dieser Arbeit ist, herauszustellen, ob eine motivierende Gesprächsführung mit Kindern und Jugendlichen in der Schulsozialarbeit eine sinnvolle Intervention gegen Schulabsentismus sein kann.
Um dies zu erforschen, wird Fachliteratur zu den einzelnen Aspekten der Fragestellung herangezogen und theoretisch geprüft. Dabei soll zunächst die Funktion und Aufgaben der Schulsozialarbeit betrachtet und Kinder und Jugendliche als Zielgruppe genauer in den Blick genommen werden, um sich dem Thema einerseits aus entwicklungspsychologischer Sicht zu nähern, andererseits um anhand dieser Aspekte zu prüfen, welche Faktoren bei einer Gesprächsführung und möglichen Intervention unbedingt berücksichtigt werden müssen.
Das Thema Schulabsentismus soll aus soziologischer sowie aus individueller und institutioneller Perspektive beleuchtet werden. Dabei soll auch auf die Auswirkungen für die Jugendlichen und die Notwendigkeit zur Prävention eingegangen werden, bevor im vierten Kapitel die Methode der motivierenden Gesprächsführung ausführlich dargestellt wird. Anschließend ist zu prüfen, welche allgemeinen Faktoren bei einer Gesprächsführung mit Jugendlichen zu beachten sind und wie eine Gesprächsführung im schulischen Kontext gelingen kann. Anhand eines Fallbeispiels einer schulabsenten Schülerin soll veranschaulicht werden, wie die motivierende Gesprächsführung als Intervention theoretisch eingesetzt werden kann, welche Möglichkeiten, aber auch Grenzen sie hat.
2 Schulsozialarbeit
2.1 Definition
Wie der Begriff schon vermuten lässt, handelt es sich bei der Schulsozialarbeit um ein Arbeitsfeld der sozialen Arbeit, die am Ort Schule und in gleichberechtigter Zusammenarbeit mit Lehrerinnen dieser Schule stattfindet. Sie dient dazu, Schülerinnen nicht nur in ihrer Bildungsund Berufslaufbahn, sondern auch in ihrer individuellen sozialen Entwicklung zu unterstützen. Sie ist damit ein Angebot der Jugendhilfe (Vgl. Pötter, 2018: S. 20). Träger der Schulsozialarbeit sind daher in der Regel öffentliche oder freie Träger der Kinder- und Jugendhilfe, jedoch ist auch eine gemeinsame Trägerschaft von Schule und Trägern der Kinder- und Jugendhilfe möglich. Die Fachaufsicht sollte in diesem Fall bei der Kinder- und Jugendhilfe liegen (Ebd. S. 24). Ziel der Schulsozialarbeit ist eine ganzheitliche Bildung. Darunter ist nach dem SGB VIII zu verstehen, dass Kinder und Jugendliche sich zu eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten entwickeln.
2.2 Funktion
Den rechtlichen Rahmen für die Schulsozialarbeit legt das SGB VIII sowie die Schulgesetze der Länder. Insbesondere aus den Paragraphen Recht auf Erziehung, Elternverantwortung, Jugendhilfe §1 SGB VIII, Aufgaben der Jugendhilfe §2 SGB VIII, Jugendarbeit §11 SGB VIII, Jugendsozialarbeit §13 SGB VIII, Erzieherischer Kinder- und Jugendschutz §14 SGB VIII und Jugendhilfeplanung und Zusammenarbeit mit anderen Stellen und öffentlichen Einrichtungen §80,81 SGB VIII lässt sich der eigenständige Bildungsauftrag ableiten sowie die Notwendigkeit einer lebensweltorientierten sozialen Arbeit. Dabei soll sich die Jugendhilfe an Jugendliche richten, die „zum Ausgleich sozialer Benachteiligungen oder zur Überwindung individueller Beeinträchtigungen in erhöhtem Maße auf Unterstützung angewiesen sind“ (§13 SGB VIII). Pötter betont jedoch, dass sich Schulsozialarbeit an alle Schülerinnen einer Schule richten müsse, um einen Labeling-Effekt zu verhindern. Diese Theorie der Zuschreibung, die alles was von der Norm abweicht mit einem Etikett versehen möchte, kann bei den Betroffenen zu Ausgrenzung und Stigmatisierung führen. Es ist nur ein Ansatz zur Entstehung devianten Verhaltens, die im Kapitel 3.2 noch näher erläutert werden sollen.
Sie nimmt an, dass jede*r Schüler*in während der Schullaufbahn einmal sozialarbeiterische Unterstützung benötigen könnte, die auch zeitlich befristet sein kann. Das Kinder- und Jugendhilfegesetz von 1990/1991 SGB VIII hält weiter einige Grundsätze und Handlungsprinzipien der Jugendhilfe fest, wie z.B. die präventive Ausrichtung, die sozialpädagogische Dienstleistungsorientierung, die Vielfalt an Inhalt, Methoden und Arbeitsformen oder die Freiwilligkeit der Adressat*innen. Die Rahmenbedingungen werden von der jeweiligen personellen, finanziellen, räumlich und materiell-technischen Ausstattung einer Schule/eines Landes bestimmt sowie der Zusammenarbeit des Trägers mit den anderen beteiligten Institutionen und der Zusammenarbeit der Fach- und Lehrkräfte. Es sollte immer ein schriftliches Konzept und eine Kooperationsvereinbarung zwischen Schule und Träger zu Grunde liegen (Vgl. Pötter, 2018: S. 3037). Die zentrale Funktion der Jugendhilfe bestehe auch darin, Integrationsarbeit zu leisten. Der gesellschaftliche Auftrag der Jugendhilfe sowie der Schulsozialarbeit bleibt ambivalent. Denn sie soll Kinder und Jugendliche zwar unterstützen, begleiten und sie in ihrer Entwicklung fördern, andererseits sollen gesellschaftliche Anforderungen und Normen erfüllt werden. Fachkräfte handeln somit immer in einem Spannungsfeld und halten das doppelte Mandat von Hilfe und Kontrolle (Vgl. Speck 2020: S. 47).
Speck beschreibt für die Schule drei verschiedene Funktionen, denen bereits ein gewisses Konfliktpotential anhafte: Die Qualifikationsfunktion, die Selektionsfunktion sowie die Integrationsfunktion. Sie erfüllen Aufgaben wie die Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten, die Weitergabe sozialer Positionen in der Gesellschaft sowie die Sicherung gegenwärtiger Machtverhältnisse. Er kritisiert zudem, dass die Schule bei der Erfüllung ihres staatlichen Auftrages häufig die Lebenswelt ihrer Schüler*innen aus dem Blick verliere, während die Jugendhilfe keinen Blick für den schulischen Alltag habe (Ebd. S. 48). In diesem Spannungsfeld siedelt sich die Schulsozialarbeit an.
2.3 Ziele
Im Alltag wird Schulsozialarbeit häufig mit konkreten Aufgaben legitimiert, beispielsweise der Verhinderung von deviantem Verhalten oder dem Abbau von Verhaltensauffälligkeiten, auch die Verringerung von Gewalt und Mobbing. Eine andere Aufgabe kann jedoch auch die Gestaltung der Nachmittagsbetreuung sein (Ebd. S. 50f.). Speck stellt den alltagspraktischen Begründungen fünf theoretische Begründungsmuster für die Schulsozialarbeit gegenüber, die im Folgenden kurz erläutert werden sollen. Das sozialisations- und modernisierungstheoretische Begründungsmuster begründet die Notwendigkeit einer Schulsozialarbeit mit gesellschaftlichen Veränderungen, die die Sozialisationsbedingungen der Kinder und Jugendlichen negativ prägen können. Diese können zum Beispiel ein gesteigerter Leistungsdruck in der Schule sein, die Einschränkung jugendlicher Lebensräume oder im familiären Umfeld Scheidung oder Arbeitslosigkeit. Diese gesellschaftlichen Veränderungen können potenziell negative Auswirkungen auf die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen haben. Schulsozialarbeit soll daher diesen Nachteil ausgleichen und Unterstützung für die Lebensbewältigung sowie den Schulerfolg sein. Ein Nachteil dieses Ansatzes ist die stark defizitorientierte Haltung und die Fokussierung auf Probleme der Kinder und Jugendlichen.
Das bildungstheoretische Bewältigungsmuster soll der Selektionsfunktion der Schule gegensteuern und leitet sich aus der UN-Kinderrechtskonvention ab, die jedem Kind und jedem Jugendlichen ein Recht auf Bildung, Nicht-Diskriminierung und Beteiligung zugesteht.
Vor dem Hintergrund wachsender sozialer Ungerechtigkeit und Benachteiligung einzelner Kinder und Jugendlicher soll Schulsozialarbeit Unterstützungsarbeit leisten, dieses Recht wahrzunehmen. Damit widmet sie sich auch dem Problem einer hohen Zahl an Schulverweiger*inn- nen, Schüler*innen ohne Abschluss, denen im Schulalltag nur eine mangelnde Förderung und Begleitung zukommt. Die Schulsozialarbeit verpflichtet sich in diesem Begründungsmuster dem Ziel einer gerechten Bildungsgesellschaft. Dies erreicht sie, indem sie die Lebenswelt der Schüler*innen in den Blick nimmt, nonformale und informelle Bildung aufwertet und damit das gesellschaftliche Bildungsverständnis erweitert sowie schul- und sozialpädagogische Interessen und Strukturen verknüpft (Vgl. Speck: S.56).
Das schultheoretische Begründungsmuster setzt an Veränderungen am Schulsystem selbst an. Sie sollte als eine Art Assistenz der Schule dabei unterstützen, Unterrichtsinhalte zu vermitteln, aber gleichzeitig auch eine reformerische Wirkung auf die Schule haben. Angesichts steigender Anforderungen an Schule und Lehrende, unter anderem auch die Ausweitung auf Ganztagsschulen, konnten es Lehrende allein nicht schaffen auf schwierige Lebensbedingungen von Schüler*innen einzugehen und sie aufzufangen. Schulsozialarbeit soll diese Lücke schließen und damit zur Funktion der Schule beitragen. Sie soll aber auch kritisch auf das Schulsystem blicken und Veränderungen anstoßen sowie Reformen voranbringen. Problematisch an dieser Begründung ist, dass sich die Schulsozialarbeit dem Funktionieren und den Leistungserwartungen der Schule unterwirft und dabei den eigenen pädagogischen Anspruch verliert. Es besteht außerdem das Risiko, dass Lehrende und Schulsozialarbeiter*innen nicht gut Zusammenarbeiten, da diese als Kritik übende Partei „von außen“ betrachtet werden (Vgl. Speck: S. 57ff).
Das transformationstheoretische Begründungsmuster begründete die Schulsozialarbeit zum Zeitpunkt der Wende in Ostdeutschland. Während die Schulen im Westen sehr stark an der Selektionsfunktion orientiert waren, wurde im Osten mehr Wert auf die Integration gelegt. Mit der Wende wurde das westdeutsche System auf Ostdeutschland übertragen, was zu Belastungen und Unsicherheiten bei Eltern und Lehrern sowie den Kindern und Jugendlichen führte, die mit auffälligem Verhalten reagierten. Schulsozialarbeit sollte diese Transformation der Systeme vereinfachen und begleiten, auf das abweichende Verhalten der Jugendlichen reagieren sowie die Lebensbewältigung unterstützen. Dieses Begründungsmuster birgt die Gefahr, dass ostdeutsche Jugendliche stigmatisiert werden. Ebenfalls wirkt die Schulsozialarbeit hier erneut sehr defizit- und eingriffsorientiert (Ebd. S. 60f.).
Das rollen- und professionstheoretische Begründungsmuster folgt dem Rollenverständnis der sozialen Arbeit, die sich neben anderen Disziplinen als eigenständige Profession begreift. Infolgedessen ist es nicht möglich, dass Lehrkräfte umfassende sozialpädagogische Aufgaben übernehmen. Dies sei für die Rolle der Lehrenden nicht vorgesehen und von ihnen zudem nicht leistbar. Abgewendet werden soll damit zusätzlich eine Überforderung und Allzuständigkeit der Lehrpersonen. Kritisiert werden kann an diesem Verständnis, dass es zwar die Zusammenarbeit von Lehrpersonen und Sozialarbeitenden begründet, nicht jedoch die Schulsozialarbeit an sich, denn deren Aufgaben wären nach dem professionstheoretischen Muster auch von anderen Einrichtungen der Jugendhilfe zu leisten (Ebd. S. 62f.). Je nach dem, welches Begründungsmuster der Arbeit zugrunde liegt, unterscheiden sich die Ziele und Zielgruppen von Schulsozialarbeit.
Oftmals werden als Zielgruppe der Schulsozialarbeit auch Eltern und Lehrer*innen aufgeführt. Auch wenn diese eine entscheidende Rolle in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen spielen und das Familiensystem miteinbezogen werden soll, sind sie eher als Kooperationspartner zu betrachten. Vorrangig richtet sich die Schulsozialarbeit an Kinder und Jugendliche einer Schule. Die Altersspanne beginnt bei sechs Jahren und reicht bis ins junge Erwachsenenalter. Zusammengefasst soll sie alle jungen Menschen in ihrer persönlichen individuellen Entwicklung fördern, Bildungsbenachteiligungen abbauen, Eltern und Lehrer*innen beraten sowie eine schülerfreundliche Umgebung gestalten (Ebd. S. 64). Wie Pötter bereits betont, lässt sich die Zielgruppe nicht auf Jugendliche mit Förderungsbedarfen festlegen, da dies nicht nur zu Stigmatisierungen führt, sondern auch den lebensweltorientierten präventiven Ansatz der Schulsozialarbeit einschränkt. Da es in dieser Arbeit um die Gesprächsführung mit Jugendlichen gehen soll, möchte ich die Besonderheiten dieser Zielgruppe noch einmal entwicklungspsychologisch betrachten, bevor ich näher auf die Angebote und das methodische Handeln der Schulsozialarbeit eingehe.
2.4 Kinder und Jugendliche als Klient*innen
Das Jugendalter, auch Adoleszenz genannt, geht mit einigen unterschiedlichen Entwicklungen und Veränderungen einher. Dies betrifft nicht nur die Entwicklung der sexuellen Reife (Pubertät), sondern auch neuronale Veränderungen sowie Veränderungen im Sozialverhalten. Häufig wird unterschieden zwischen der frühen Adoleszenz, die primär die pubertäre (biologische) Entwicklung zwischen circa zehn und 13 Jahren umfasst, der mittleren Adoleszenz, die zwischen 14-16/17 Jahren liegt und der späten Adoleszenz, die ins junge Erwachsenenalter reicht (Vgl. Lohaus, 2018: S. 3). Einige Entwicklungsschritte und Entwicklungsaufgaben, die Einflussfaktoren für eine gelingende Gesprächsführung mit Jugendlichen darstellen können, sollen im Folgenden kurz ausgeführt werden. Entscheidenden Einfluss auf schulische Leistungen in dieser Altersphase hat die Veränderung des Tag-Nacht-Rhythmus durch eine Verzögerung der Einschlafzeit. Gründe für diese Verzögerung können nachlassende elterliche Kontrolle sein sowie veränderte Aktivitäten (Abendaktivitäten, Nebenjobs). Sie sind aber auch auf hormonelle Veränderungsprozesse zurückzuführen. Bei Jungen setzt die Verschiebung des Rhythmus später ein und ist stärker ausgeprägt. Die Folgen sind häufig ein chronischer Schlafmangel sowie geringere Aufmerksamkeits- und Lernleistungen. Gleichzeitig kann die Belohnungsabhängigkeit verstärkt und die Emotionsregulierung vermindert sein. Schlafforscher fordern daher einen späteren Unterrichtsbeginn (Ebd. S. 17).
Bei der Bewältigung von kritischen Lebensereignissen, Alltagsstressoren und Entwicklungsaufgaben gibt es mit steigendem Alter auch eine Zunahme an Strategien, derer sich junge Menschen bedienen können. Dazu zählen am häufigsten Problemlösen als direkte Strategie, kognitive und verhaltensmäßige Vermeidung, Bewältigungsreaktionen der Anpassung an die Situation und emotionsbezogene Regulation. Auch hier zeigten sich Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Während Mädchen eher von der Suche nach sozialer Unterstützung und problemzentrierter Bewältigung berichten, sprechen Jungen eher über kognitiv vermeidende Strategien (Ebd. S. 39). Die Herausbildung geeigneter Bewältigungsstrategien gilt als eine wichtige Entwicklungsaufgabe im Jugendalter. Können Entwicklungsaufgaben nicht angemessen bewältigt werden, kann dies zu psychischen Auffälligkeiten und problematischen Verhalten führen und die Bearbeitung weiterer Entwicklungsaufgaben erschweren. Je nachdem, auf welche Schutzfaktoren und Ressourcen Jugendliche zurückgreifen können, gelingt es ihnen, Entwicklungsaufgaben angemessen oder problematisch bewältigen. Diese können in der eigenen Person begründet sein (zum Beispiel eine positive Grundeinstellung oder positives Selbstbild), im sozialen Umfeld oder der Familie liegen (Vgl. Lohaus: S. 43).
Weitere zentrale Entwicklungsaufgaben im Jugendalter sind nach Erikson die Identitätsentwicklung und die Entwicklung einer Zukunftsperspektive. Entscheidend für eine positive Zukunftsvision und deren Umsetzung ist die Selbstregulation, demnach die Fähigkeit, die eigenen Gefühle und das eigene Verhalten steuern zu können. Eine gelingende Selbstregulation besteht vor allem aus dem Zukunftsdenken, der Entwicklung realistischer Zielvorstellungen und dazu passenden Durchführungsplänen. Durchführungspläne bestehen aus „Wenn-dann-Plänen“, die die notwendigen Teilschritte zur Erreichung eines Zieles beinhalten. Jugendliche, die über diese Kompetenzen verfügten, schnitten während ihrer Schulzeit besser in komplexen Aufgaben ab. Andere Studien zeigten, dass die Vermittlung von selbstregulatorischen Zielsetzungs- und Zielerreichungsstrategien sich positiv auf den Lernerfolg und die Notenentwicklung auswirkte. Ein Selbstregulationstraining zeigte positive Wirkungen bei Jugendlichen, die langfristig ihr Gesundheitsverhalten verbessern wollten. Bei diesem Training sollten Handlungsabläufe selbstständig formuliert werden. Es zeigte sich, dass Jugendliche sowohl positive als auch negative Erwartungen bezüglich ihrer Zukunft ausdrückten und beide erfolgreich für eine Verhaltensänderung eingesetzt werden konnten (Ebd. S. 63ff.).
Die Adoleszenz ist eine emotionale Phase und viele Jugendliche weisen daher ein hohes Maß an Emotionalität auf. Sie lernen jedoch bereits ihre Gefühle zu verbergen, was Teil der Emotionsregulierung ist. Auch hier zeigen sich geschlechtsspezifische Unterschiede. Bei Mädchen zwischen zehn und 15 Jahren steigt die emotionale Instabilität, habituelle Ängstlichkeit und Depressivität, bei Jungen sinken diese Gefühle eher ab. Scham, deklariert als die Angst vor negativer Bewertung ist bei beiden Geschlechtern in der Jugendphase sehr ausgeprägt. Auch Stimmungsschwankungen treten häufig auf. Die Auslöser starker Emotionen ändern sich dagegen mit Eintritt ins Jugendalter. Besonders schulische oder soziale Bewertungssituationen mit Gleichaltrigen werden dann zum Auslöser von Ängsten (Ebd. S. 77f.). Dies zeigt sich auch daran, dass Jugendliche im Beisein von Gleichaltrigen eine erhöhte Impulsivität aufweisen (Ebd. S.86).
Generell gewinnen die Beziehungen zu Gleichaltrigen im Jugendalter immer mehr an Bedeutung. Innerhalb dieser Beziehungen rückt die Frage in den Fokus, wie beliebt ein/e Jugendli- che/r ist und welchen sozialen Status er in der Gruppe einnimmt. Studien konnten zeigen, dass es dabei fünf Gruppen gibt: Beliebt, Unbeliebt, Durchschnittlich, Kontrovers und Unbeachtet. In der abgelehnten Gruppe zeigen Jugendliche eher ein aggressives und störendes Verhalten, was dazu führt, dass sie sich eher Cliquen mit deviantem Verhalten anschließen oder sie reagieren eher ängstlich und zurückgezogen, was dazu führt, dass sie eher depressive Symptome entwickeln.
Das jeweilige Verhalten sowie die Beliebtheit beeinflussen sich hier wechselseitig. Dabei zeigten Studien, dass aggressives Verhalten im Jugendalter zunehmend akzeptiert wird und sich nicht negativ auf die Beliebtheit auswirkt. Besonders in der Übergangsphase von der späten Kindheit zum Jugendalter (zum Beispiel Wechsel auf weiterführende Schule) scheinen viele Unsicherheiten im Verhalten aufzutreten und der Sozialisationsdruck durch Gleichaltrige ist hier besonders stark. Stabile Beziehungen zu Gleichaltrigen können sich positiv auf die Entwicklung auswirken. Dies betrifft nicht nur schulische Leistungen, sondern auch das Sozialverhalten und die Selbstkontrolle. Möglich sind jedoch auch negative Einflüsse wie bei den abgelehnten Jugendlichen. Bei ihnen lassen sich langfristig häufiger internalisierendes sowie exter- nalisierendes Problemverhalten ausmachen, unter anderem auch den Schulabbruch (Vgl. Lo- haus 2018, S. 142-145).
In Bezug auf Problemverhalten zeigt sich, dass der Konsum von psychoaktiven Substanzen über die Adoleszenz hin ansteigt, ebenso verhält es sich mit aggressivem und gewalttätigem Verhalten. Häufig treten verschiedene problematische Verhaltensweisen gekoppelt auf.
Ebenso verhält es sich mit internalisierenden Verhaltensweisen, wie Depression, Angst und Essstörungen. Dieses sogenannte Risikoverhalten kann zu einer Reihe von Problemen führen, kann in weniger schwerwiegendem Ausmaß jedoch auch Ausdruck einer Bewältigung von Entwicklungsaufgaben (zum Beispiel die Erlangung von Autonomie) sein. So wird eine gewisse Art von (milder) Delinquenz mit positiven Peer-Beziehungen in Verbindung gebracht.
Eine erhöhte Risikobereitschaft im Jugendalter kann auch auf neuronale und hormonelle Veränderungen zurückgeführt werden. Man spricht hier auch von einer Reifelücke, in der sich Jugendliche befinden. Biologisch sind sie bereits reif und erwachsen, sozial sind sie teilweise noch nicht in der Lage die Verantwortung von Erwachsenen zu übernehmen (zum Beispiel die finanzielle Unabhängigkeit). Dies führt dazu, dass sie ihre Autonomie in Form von anderen Verhaltensweisen ausleben, um sich von den Eltern abzugrenzen, Akzeptanz der Peers zu gelangen und eine eigene Identität auszubilden. Das problematische Verhalten kann dann hilfreich bei der Bewältigung von Entwicklungsaufgaben werden (Ebd. S. 174f.).
Eine besondere Rolle bei der Steuerung des Verhaltens spielt die bereits erwähnte Fähigkeit zur Selbstregulation. Sie sorgt dafür, dass Gefühle und Affekte in Einklang mit langfristigen Zielen gebracht werden können. Probleme in der Selbstkontrolle zeigen sich auch in späteren Jahren noch mit negativen Folgen. Auch bei der Informationsverarbeitung unterscheiden sich Jugendliche von (älteren) Erwachsenen, denn durch fehlende gemachte Erfahrungen, fällt es ihnen schwerer, Sachverhalte richtig zu bewerten. Sie sind deshalb anfällig für falsche Interpretationen. Jugendliche verlassen sich zudem vermehrt auf Negativinformationen und unbestätigte Aussagen. Sie verneinen eher als dass sie bejahen (Vgl. Naar-King, Suarez: 2012: S. 26).
Eine entscheidende Rolle für eine gelingende Gesprächsführung mit Jugendlichen spielt die kognitive Entwicklung. Nach Jean Piaget gibt es drei Stufen dieser Entwicklung: die sensu- motorische, die konkrete und die formale Stufe. Erst mit etwa elf bis zwölf Jahren erreicht ein Kind die formale Stufe, das abstrakte logische Denken schreitet dabei immer weiter fort (Vgl. Flammer, 2017: S. 145).
2.5 Angebote und Methoden
Aus der heterogenen Zielgruppe und dem jeweils zugrunde liegenden Begründungsmuster ergibt sich ein breites Leistungsspektrum. Zu den zentralen Angeboten und Methoden der Schulsozialarbeit gehören die Einzelhilfe und Beratung in individuellen Problemsituationen, die sozialpädagogische Gruppenarbeit (zum Beispiel berufsorientierende Angebote), Projekte und Arbeit mit Schulklassen (zum Beispiel Klassenkonferenz), die innerschulische und außerschulische Vernetzung und Gemeinwesenarbeit (zum Beispiel die Kooperation mit dem Jugendamt) sowie offene Angebote für alle Schüler*innen.
Die Einzelfallberatung ist im schulischen Kontext eine Aufgabe, die klar in den Bereich der sozialen Arbeit fällt und ausschließlich von Sozialarbeitenden übernommen wird.
Schulsozialarbeitende sind sehr häufig die ersten Ansprechpartner von Schüler*innen und die besprochenen Themen sehr vielseitig. Zur Einzelfallberatung gehören auch kollegiale Beratung von Lehrkräften oder Eltern, Krisenintervention, Konfliktregelungsgespräche, Mediation und Mobbingintervention sowie Coaching zur Berufsorientierung und Lebensplanung. Ein Merkmal für diese Beratungsform ist, dass Schüler*innen sie selbstständig und freiwillig aufsuchen. Sozialarbeitende fungieren als Alltagsbegleiter und ständige Ansprechpersonen. Sie sollten empathisch zuhören können und ein ehrliches Interesse für die Jugendlichen und ihre Themen aufbringen (Vgl. Pötter 2018, S. 44).
Daneben verfügt die Schulsozialarbeit über keine eigenen spezifischen Methoden, sondern bedient sich der gleichen Methodenvielfalt wie die soziale Arbeit (Speck, 2020: S. 85).
Es lassen sich nach Speck vier Gruppen von Methoden in der Schulsozialarbeit unterscheiden: Die direkte einzelfall- und primärgruppenbezogenen Methoden mit direktem Interventionsbezug, die eine überprüfbare Intervention zwischen Schulsozialarbeiter*innen und Klient*innen anstreben (zum Beispiel Case-Management); die direkte sekundärgruppen- und sozialraumbezogene Methoden mit direktem Interventionsbezug, die das Netzwerk der Klient*innen miteinbeziehen (zum Beispiel soziale Gruppenarbeit); die indirekt interventionsbezogenen Methoden, die dazu dienen die eigene Arbeit als Schulsozialarbeitende zu reflektieren (zum Beispiel Supervision) und die struktur- und organisationsbezogenen Methoden, die auf die Abstimmung und Planung von Hilfestrukturen abzielen (zum Beispiel das Sozialmanagement) (Ebd.).
3 Schulabsentismus
3.1 Definition und Erscheinungsformen
Ab dem sechsten Lebensjahr sind Kinder in Deutschland verpflichtet, die Schule zu besuchen. Wenn Kinder und Jugendliche gar nicht mehr oder wiederholt nicht zur Schule gehen, gibt es dafür eine Vielzahl an möglichen Gründen und Erklärungen. In der Fachdiskussion hat sich der Begriff „Schulabsentismus“ als Oberbegriff für das generelle Phänomen des absichtlichen unentschuldigten Fernbleibens aus der Schule etabliert. Ricking formuliert dies wie folgt:
„ Schulabsentismus umfasst diverse Verhaltensmuster illegitimer Schulversäumnisse multikausaler und langfristiger Genese mit Einflussfaktoren der Familie, der Schule, der Peers, des Milieus und des Individuums, die einhergehen mit weiteren emotionalen und sozialen Entwicklungsrisiken, geringer Bildungspartizipation sowie einer erschwerten beruflichen und gesellschaftlichen Integration und die einer interdisziplinären Prävention und Intervention bedürfen“ (Ricking, Albers, 2019: S.12).
In dieser Definition klingen nicht nur die verschiedenen Erscheinungsformen von Schulabsentismus an, es werden auch Einflussfaktoren genannt sowie die Folgen für die betroffenen Kinder und Jugendliche. Genannt wird außerdem die Vielschichtigkeit des Problems, dessen Lösung eine interdisziplinäre Herangehensweise notwendig macht.
Differenziert wird im Allgemeinen zwischen den Begriffen „Schulschwänzen“ und „Schulverweigerung“ sowie einer dritten Form, dem „Zurückhalten“ durch die Eltern. Das Schulschwänzen meint klar die körperliche Abwesenheit im Unterricht und wird häufig in Verbindung mit jugendlichen „Rebellieren“ gebracht oder mit dem Autonomiestreben der Adoleszenz erklärt. Häufig verhält es sich so, dass Jugendliche die Schule gemeinsam mit der Peergroup schwänzen und dabei Freizeitaktivitäten nachgehen. Dies kann auch auf dem Schulgelände passieren, wobei die Schule noch als sozialer Ort zur Begegnung mit Gleichaltrigen betrachtet wird. Bei dieser Form von Schulabsentismus liegen in der Regel keine emotionalen Symptome vor.
Anders verhält es sich bei der Schulverweigerung, bei der zunächst zwischen aktiv und passiv unterschieden wird. Eine passive Schulverweigerung bezeichnet ein widerständiges und abwehrendes Verhalten im Unterricht, bei der aktiven Schulverweigerung schafft es das Kind oder der Jugendliche aus Gründen, die durch das Kind selbst motiviert sind, nicht, einen ganzen Schultag zu verbringen oder es sucht die Schule stets nur mit Verspätung auf, verlässt sie nach kurzer Zeit wieder oder bleibt über einen längeren Zeitraum ganz fern. (Vgl. Stamm et. al, 2009: S. 25f.). Schulverweigerung ist in der Regel auf Ängste und damit einhergehendes vermeidendes Verhalten zurückzuführen. So wird unterschieden zwischen der Schulangst, demnach Schulverweigerung in Verbindung mit auf die Schule bezogenen Ängsten wie Leistungs- oder soziale Ängste sowie der Schulphobie, der Schulverweigerung in Verbindung mit Trennungsängsten. Häufig wird innerhalb der Schulen unterschieden zwischen entschuldigtem und unentschuldigtem Fehlen, wobei häufig letzteres als problematisch angesehen wird.
Doch auch hinter entschuldigtem Fehlen kann ein schulvermeidendes Verhalten stecken, das von den Eltern geduldet oder gedeckt wird. Weiterhin ist es möglich, dass Eltern ihre Kinder zurückhalten, obwohl diese die Schule besuchen möchten. Dies kann aus einer elterlichen Ablehnung oder Vorbehalten gegenüber der Institution geschehen oder weil das Kind zum Beispiel für Aufgaben im Haushalt oder die Betreuung von Geschwisterkindern gebraucht wird (Vgl. Rotthaus, 2019: S. 134).
3.2 Deviantes Verhalten
Da in Deutschland die allgemeine Schulpflicht über neun Jahre gilt, verstößt das unentschuldigte Fernbleiben gegen gesetzliche Grundlagen und kann mit Bußgeldern geahndet werden. In schlimmeren Fällen ist eine Schulzuführung durch die Polizei notwendig oder es kommt sogar zu Arreststrafen. Da Schulabsentismus in Deutschland allerdings nicht nur eine Übertretung gesetzlicher Normen, sondern vorwiegend sozialer Normen ist, sollte es zudem als deviantes Verhalten betrachtet werden. Hierzu existieren in der Forschung bereits mehrere Erklärungsansätze, die beschreiben, warum es zu abweichendem Verhalten kommt. Diese sollen im Folgenden, bezogen auf Schulabsentismus, kurz skizziert werden.
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