Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Abstract
Der Antisemitismus in der Habsburgermonarchie
Antisemitismus und die „Wiener Medizin“
Die Zweite Wiener Medizinische Schule
Antisemitismus im Gesundheitswesen
Antisemitismus und die jüdische Bevölkerung im fin de siecle
Das krankheitsbedingte Feindbild „Der Jude“
Ästhetik und Verweiblichung der Juden
Resümee
Bibliographie
Abstract
Antisemitismus und Ausgrenzung der jüdischen Bevölkerung im Habsburgerreich zur Zeit des Fin de Siecle manifestiert sich durch konfessionell, rassisch-biologisch und nationalistisch bedingte Aversion. Jede Art von Integration und Assimilation von Juden wurde im Fin de Siecle ausgeschlossen, da die biologische, geistige und moralische Überlegenheit von Nichtjuden im Vordergrund stand. Des Weiteren wurde die Diskriminierung aufgrund vermeintlich pathologischer Andersartigkeit der Juden, mit verstärkter Disposition zu Krankheiten, begründet. Dies wird in der folgenden Arbeit anhand der Zweiten Wiener Medizinischen Schule und dessen berühmte Vertretern erläutert und es wird des Weiteren auf das krankheitsbedingte Feindbild gegen Juden eingegangen. In diesem Hinblick wird auf die Krankheitsbilder der Syphilis, Cholera, Pest und der Hysterie eingegangen. Die Feindseligkeit gegenüber der jüdischen Bevölkerung zeigte sich nicht ausschließlich durch nationales, rassistisches oder antisemitisches Gedankengut, sondern unterlag einem Gesamtkonstrukt aus Vorurteilen und Mythen, wie beispielsweise der Ritualmordlegende. Im letzten Teil der Arbeit wird die Bedeutsamkeit des ästhetischen Ideals behandelt, welche die Sterotypisierung der körperlichen Unfähigkeit und der Schwäche der Juden, innehat.
Der Antisemitismus in der Habsburgermonarchie
Hervorgerufen durch politische Verfolgung und Ausschreitungen gegenüber Juden in Osteuropa kam es im Habsburgerreich Anfang des 20. Jahrhunderts zu Migrationszuströmen, vorallem in die österreichische Hauptstadt Wien. Das jüdische Leben in Wien zur Zeit der Habsburgermonarchie war gekennzeichnet durch antisemitische Bewegungen und nationales Gedankengut, im Speziellen seitens christlich-sozialer und deutschnationaler Gemeinschaften. Nach der bürgerlich-demokratischen Revolution 1848/1849 im Kaisertum Österreich, bei welcher zahlreiche gebildete Juden mitwirkten, entstanden ausgeprägte Spannungsfelder, welche sogar zu gewaltsamen Ausschreitungen führten. Die „Pillersdorfsche Verfassung“ im Jahr 1848 sicherte der jüdischen Bevölkerung umfangreiche Bürgerrechte, als auch Religionsfreiheit in Österreich zu. Nur wenige Jahre später, also 1851, wurden ebendiese Zugeständnisse widerrufen und es kam zur zwanghaften Beeidung von Staatstreue seitens der Juden. Die jüdische Bevölkerung verlor des Weiteren 1853 die erworbenen Rechte an Grunderwerb und 1855 das Notariat sowie ebenfalls das Recht den Lehrerberuf auszuüben. Die jüdische Bevölkerung der Habsburgermonarchie wurde somit in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts gesellschaftlich isoliert und war politischer und ökonomischer Diskriminerung, beispielsweise durch Niederlassungsverbote und steuerliche Sonderregelungen, ausgesetzt. Außerdem manifestierte sich der Antisemitismus in starker Weise durch Studentenverbindungen in Wien, welche 1887 einen sogenannten „Arierparagraph“ in die Statuten aufgenommen hatten um Juden gezielt abzuweisen. (Czeike, 2019/ Zuber, 2015, S. 10ff )
Mit dem Zerfall von neoabsolutistischen Systemen und dem Aufstieg von politischem Liberalismus war es Juden und Jüdinnen in den 1860er Jahren weiters möglich sich zu assimilieren und in die Gesellschaft zu integrieren. Diese Integration manifestierte sich durch das Ausüben von Berufen im Finanzwesen, als auch in medizinschen und juristischen Fachbereichen. Im Gegensatz dazu verblieben große Teilgruppen der jüdischen Bevölkerung, bedingt durch deren starke Wertorientierung an orthodoxen Traditionen, ohne sozioökonomischen Aufstieg. Die Stereotypisierung und der rassisch begründete Antisemitismus nahm erneut Aufschwung und kennzeichnete einen wesentlichen Teil der christlichsozialen Ideologie. Durch Publikatonen des Priesters Sebastian Brunner und des Journalisten Carl von Vogelsang wurde das Judentum in den Jahren um 1876 öffentlich mit Liberalismus und Kapitalismus in Zusammenhang gebracht. Im selben Jahr kam es seitens des Chirurgen Theodor Billroth zu antisemitischen Äußerungen in seinem medizinischen Lehrwerk „Das Lehren und Lernen medizinischer Wissenschaften“, mit der Begründung, dass Juden und Deutsche durch eine unüberbrückbare Kluft voneinander getrennt seien. Der deutschnationale Politiker Georg Ritter von Schönerer agierte als Wegbereiter des Antisemitismus in der Politik und bezeichnete dessen antisemitische Ideologie 1877 "als einen Grundpfeiler des nationalen Gedankens" und "als größte Errungenschaft dieses Jahrhunderts". (Fritz, n.d.)
Knapp 10 Jahre später, also 1887, bildete sich ein Verbund aus Christlichsozialen und Deutschnationalen Anhängern zu einer Wahlgemeinschaft heraus, welche mit Karl Lueger in Führungsposition 1897 einen Wahlerfolg in Wien erreichte. Der Antisemitismus in der Habsburgermonarchie verzeichnete, mit Karl Lueger als Bürgermeister in Wien, eine stark ökonomisch geprägte Orientierung, wobei zu bemerken ist, dass sich das antisemitische Gedankengut ebenso in kulturelle und wissenschaftliche Lebensbereiche ausweitete. In der Zeit von 1890 bis 1910 kam es, durch Karl Lueger zu einer starken Ausgrenzung und Diskriminerung des Judentums in Wien, da dieser gezielt antisozialistisch und antisemitisch agierte um den Liberalismus zurückzudrängen. Die antisemitische Bewegung im ausgehenden 19. Jahrhundert, also dem Fin de Siecle manifestierte sich durch Vertreibungen, Hetzpredigten, sowie Ritualmord- und Brunnenvergiftungsmythen im Hinblick auf jüdische Bevölkerungsgruppen im Habsburgerreich. Zur Zeit der Jahrhundertwende fanden ebendiese antisemitischen Wertvorstellungen großen Anklang, beispielsweise Adolf Hitler fand in Wien den nötigen Nährboden für sein antijüdisches Gedankengut. In weiterer Folge, kam es während des Ersten Weltkriegs zu starkem Anstieg des Antisemitismus in Wien, welcher sich unter Anderem durch Gründung des Antisemitenbund und gezielter Schuldzuweisung an die jüdische Bevölkerung auszeichnete. (Stadt Wien, 2019/ Fritz, n.d., Zuber, 2015 S.10ff)
Antisemitismus und die „Wiener Medizin“
Im Fin de Siecle manifestierte sich die hohe Akademisierung der jüdischen Bevölkerung zumeist durch das Ausüben eines medizinischen Berufes. Jene akademische Qualifikation versprach dem Judentum im Habsburgerreich maßgebliche Chancen für gesellschaftliche Anerkennung und Integration. Historisch betrachtet wurden anitsemitische Vorstellungen Ende des 19. Jahrhundets primär durch Andersartigkeit der Konfession zwischen dem Christentum und Judentum begründet. Anfang des 20. Jahrhunderts jedoch wurde der konfessionell bedingte Antisemitismus durch biologisch rassistische Elemente verdrängt. Jegliche Assimilation von Juden wurde seither ausgeschlossen, da die biologische, geistige und moralische Überlegenheit von Nichtjuden als gesichert und unveränderbar galt. Des Weiteren wurden die vorherrschenden Diskriminierungsprozesse durch vermeintlich pathologische Alterität und Andersartigkeit des jüdischen Milieu, mit verstärkter Disposition zu Krankheiten, begründet. Das stetige Vorantreiben von antisemitischen Gedankengut stellte sich auch im Kontext der „Zweiten Wiener Medizinischen Schule“ dar. (Kümmel, 1992)
Die Zweite Wiener Medizinische Schule
Im Laufe des 19. Jahrhunderts entwickelte sich die „Zweite Wiener Medizinische Schule“, welche sich durch ausgezeichnete Medizinforschung, sowie durch Spezialisierungen unter anderem im Bereich Haut-, Augen- oder Hals-Nasen-Ohren-Abteilung, auszeichnete. Anfang des 20. Jahrhunderts spiegelte sich die einhergehende internationale Bedeutung der medizinischen Forschung im Habsburgerreich in der Vergabe von Nobelpreisen an österreichische Mediziner wider. (Maisel, 2019)
Aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gingen zwei bekannte Mediziner, Rudolf Virchow und Theodor Billroth, mit unterschiedlichen Ansichtsweisen hervor.
Antisemitismus im Gesundheitswesen
Der 1821 geborene Mediziner und Anthropologe Rudolf Virchow unterlag erheblicher Kritik, nachdem er im Jahr 1868 eine Bewerbung um eine Assistenzstelle ablehnte, welche von einem jüdischen Bewerber eingereicht wurde. Die Anschuldigungen judenfeindlich zu sein konnte Virchow widerlegen und er äußerte des Öfteren sein Unverständnis gegenüber dem Antisemitismus. (Baringhorst, 2020/Kümmel, 1992)
Der Mediziner erkannte, dass antisemitische Strömungen durch Inkonsistenz und Irrationalität ausgezeichnet waren und erläuterte dies im Jahr 1893 wie folgt:
„[...] Der Antisemitismus ist so verstockt und verhornt, [...] man weiß nicht was die Leute eigentlich wollen. Der eine Antisemit ist immer ganz anders als der andere. Ein Programm [...] ist nicht im Antisemitismus enthalten.“ (Kümmel, 1992, S. 51)
Im Gegensatz dazu stehen die Äußerungen und Auffassungen von Theodor Billroth, seines Zeichens ebenfalls Mediziner, welcher im Jahr 1829 in Deutschland geboren wurde. Mit seinen Forschungstätigkeiten im Bereich der Bauch- und Kehlkopfchirurgie, als auch mit der ersten erfolgreichen Durchführung einer Magenresektion konnte er sich im Gesundheitswesen etablieren. (Horn, 2020)
Billroth beschrieb in seiner Publikation „Das Lehren und Lernen medizinischer Wissenschaften“ im Jahr 1876, mit folgendem antisemitischen Wortlaut, Juden, welche in Wien an der Medizinischen Fakultät studieren wollten:
[...]