Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Zur Theorie der Begriffe sozialistischer Realismus und Formalismus
2.1 Sozialistischer Realismus - Entwicklung, Theorie und Konzept
2.2 Der Formalismusbegriff
3 Die Durchsetzung des sozialistische Realismus in der Kulturpolitik der DDR
3.1 Monopolausbau des sozialistischen Realismus bis 1953
3.2 Auswirkungen des Neuen Kurses und 17.Juni 1953 und Tauwetter
4 Sozialistischer Realismus im Zeichen des sozialistischen Aufbaus?
5 Abstract
6 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Der sozialistische Realismus wurde bereits in den Anfangsjahren der DDR zu der dominierenden künstlerischen Gestaltungsweise für Künstler und Schriftsteller. Dem Prinzip des sozialistischen Realismus abweichende Kunstrichtungen oder Strömungen wurden als formalistische Kunst verfolgt und von der SED-Führung sowie von angesehenen DDR-Künstlern abgelehnt. Während der ersten Periode 1945 bis 19491, in der Bemühungen zur antifaschistischen-demokratischen Neuordnung im Vordergrund standen, wurde in der SBZ der Weg für die Durchsetzung dieses Kulturprogramms bereitet. Nach Gründung der Deutschen Demokratischen Republik 1949 wurde die Kultur und somit das Programm des sozialistischen Realismus explizit in die staatliche Planung einbezogen und zu einem wichtigen Bestandteil des beginnenden sozialistischen Aufbaus. Der planmäßige Aufbau des Sozialismus verlief nicht nur auf politischer und ökonomischer, sondern auch auf ideologisch-kultureller Ebene.2
In der vorliegenden Arbeit befasse ich mich mit der Kulturpolitik der DDR in ihren Anfangsjahren. Der sozialistische Realismus und seine Durchsetzung, zum Teil nach sowjetischem Vorbild, als instrumentelle Funktion beim Aufbau des Sozialismus sollen hierbei den Schwerpunkt bilden. Neben dem Versuch eines theoretischen Abrisses des Begriffes und des dahinter stehenden Konzeptes, werde ich außerdem kurz auf die geschichtliche Entwicklung eingehen. Die Jahre nach der Staatsgründung 1949 bis zum Mauerbau im August 1961 bilden den Mittelpunkt meiner Betrachtungen. Davon ausgehend, soll abschließend kurz beurteilt werden, inwiefern der sozialistische Realismus in den kulturpolitischen Maßnahmen letztendlich den Aufbau des Sozialismus in der DDR im benannten Zeitraum unterstützte.
Vom sozialistischen Realismus in der Kulturpolitik der DDR sprechend, kann der von Begriff des Formalismus nicht unbeachtet gelassen werden. Als ideologischer wie auch ästhetischer Widerpart zum sozialistischen Realismus wird er dieser in der Arbeit ebenfalls Beachtung finden.
Auffällig ist die unterschiedliche Betrachtungsweise des sozialistischen Realismus. In der wissenschaftlich-theoretischen DDR-Literatur der 1970er Jahre wird dieser oft geschönter und unantastbar dargestellt - im Gegensatz zu Literatur aus den 1990er Jahren des vereinten Deutschlands. Trotz teilweise verherrlichender Darstellung und nur seltenem Eingestehen von begangenen Fehlern, geben die Monographien der deutlich kommunistischen Autoren interessante und diskussionswürdige Einblicke in die Kulturpolitik der DDR.
Als geschichtlicher und theoretischer Gegenstand ist der sozialistische Realismus aufgrund seines einzigartigen Auftretens in der (Kunst-)Geschichte und seiner Instrumentalisierung für politische Zwecke interessant. Verglichen mit anderen Kunstrichtungen ist diese instrumentalisierte Stilrichtung eine, die statt von Künstlern intendiert, hauptsächlich von politischen Funktionären bestimmt wurde.3
2 Zur Theorie der Begriffe sozialistischer Realismus und Formalismus
Im folgenden Kapitel wird der Versuch unternommen den Begriff des sozialistischen Realismus und sein Konzept zu definieren. Außerdem soll der von den Sozialisten geprägte Formalismusbegriff näher umrissen werden, der mit einer deutlichen Abgrenzung zur westlichen bzw. kapitalistischen oder imperialistischen Kunst in Verbindung steht.
2.1 Sozialistischer Realismus - Entwicklung, Theorie und Konzept
Eine allgemeingültige, „wahre“ Definition dieses Begriffes gibt es nicht. Die DDR-Führung stütze sich bei ihren Auslegungen vor allem auf die marxistisch-leninistischen Ausführungen und auf das sowjetische Vorbild. Für sie fungierte der sozialistische Realismus hauptsächlich als Rahmen ihrer Kulturpolitik. Verschiedene sowjetische und deutsche sozialistische Künstler und Partei-Funktionäre stellten außerdem eigene Überlegungen zu dieser Problematik auf. In einem kurzen Abriss zur Entstehung des sozialistischen Realismus sollen seine Wurzeln deutlich, sowie Aussagen, mit denen die SED-Führung ihre kulturpolitischen Maßnahmen begründete und unterstrich, plausibler werden.
Eine entscheidende Rolle für das Herausbilden des sozialistischen Realismus kann auf die Theorien von Karl Marx und Friedrich Engels zurückgeführt werden. Ihre wissenschaftliche Weltanschauung der Arbeiterklasse enthält bereits, so Koch, Grundgedanken einer Theorie dieser Stilrichtung, woraus sich die kritischen Maßstäbe dieses politischen Programms ableiteten.4
In den 1930er Jahren wurden die Grundsätze des sozialistischen Realismus in der Sowjetunion proklamiert und daraufhin zum Inbegriff der marxistisch-leninistischen Kunstvorstellungen.5 Bereits im Oktober 1932 wurde der Begriff zum ersten Mal erwähnt und durch Stalin als eine künstlerische Methode der sowjetischen Literatur sanktioniert. Den Schriftsteller nannte er in diesem Zusammenhang einen „Ingenieur der menschlichen Seele“. Damit war die wichtigste Rolle eines Schriftstellers in der sozialistischen Gesellschaft gekennzeichnet. Eine für sowjetische Künstler verbindliche Definition dieses Programms wurde auf dem 1. Sowjetischen Schriftstellerkongress 1934 von dem Parteisekretär Shdanow vorgestellt. Diese legte den Inhalt und die Form des künstlerischen Werkes fest, die auch noch in der DDR ihre Gültigkeit behalten sollte. Shdanow bezog sich in seinen Ausführungen zwar vordergründig auf die sowjetische Literatur, doch erhielten diese auch für die anderen Künste Gültigkeit. Durch die vorgenommenen Reglementierungen wurde es den Künstlern nicht möglich sich an der Entwicklung der modernen Kunst und Literatur zu beteiligen oder zu orientieren. Kunst und Literatur, die nicht in das sozialistische Bild passten, waren bereits hier unter dem Siegel des Formalismus verboten. Der künstlerische Inhalt reduzierte sich, den Forderungen Shdanows folgend, auf die Arbeitswelt und technische Prozesse. Die Darstellung der Wirklichkeit in den Kunstwerken sollte dem Anspruch einer ideologischen Umformung und Erziehung der Leser/Betrachter dienen. Mit diesen Einschränkungen im schöpferischen Prozess war auch das Vorrücken der Bürokratie verbunden, die das Einhalten der Richtlinien zur Aufgabe hatte.6 Shdanow erläutert den sozialistischen Realismus in seiner Rede weiter: „[...] Dabei muß die wahrheitsgetreue und historisch konkrete künstlerische Darstellung mit der Aufgabe verbunden werden, die werktätigen Menschen im Geiste des Sozialismus ideologisch umzuformen und zu erziehen. Das ist die Methode, die wir [...] als Methode des sozialistischen Realismus bezeichnen.“7
Mit weiteren Anweisungen und Vorschriften, z.B. der Forderung nach Einfachheit und Volkstümlichkeit in den Werken unter Ausschluss von Formalismus, wurde diese Methode 1936 von der KPdSU belegt. Richtungweisend für die Kulturpolitik in der SBZ und DDR waren auch die Ausführungen von Lukács zum sozialistischen Realismus. Seine Realismuskonzeption grenzt ihn deutlich von formalistischen Stilrichtungen wie dem Expressionismus, Naturalismus oder Surrealismus ab.
Bewusst praktizierte künstlerische Gestaltungsweise sollte der sozialistische Realismus für Künstler und Schriftsteller werden. Galt die Bewältigung der Vergangenheit in der ersten Periode als thematischer Schwerpunkt, so wurde nun versucht die Inhalte stärker auf die Probleme der Gegenwart zu lenken. „Ankunft im sozialistischen Alltag“ war beispielsweise ein künstlerisches zu thematisierbares Thema. Bekannte Autoren der DDR wie Anna Seghers und Johannes R. Becher forderten andere Schriftsteller auf dem IV. Deutschen Schriftstellerkongress im Jahr 1956 auf, das Leben des arbeitenden Menschen und den Mensch als Teil des sozialistischen Aufbaus zu erfassen.8 Zwar übte Becher ein politisches Amt aus, von 1953 bis 1959 war erster Minister für Kultur und zuvor Präsident der Deutschen Akademie der Künste, doch wird daran deutlich, dass auch Künstler zu den Inhalten des sozialistischen Realismus Überlegungen anstellten und diese öffentlich machten.
Den Ausführungen Prachts folgend ist das Programm des sozialistischen Realismus eine spezifische Anwendung des Kommunismus auf das Gebiet der Kunst. Ausgehend vom Verständnis der DDR-Regierung, wurde die Theorie dieser Stilrichtung als das wissenschaftliche Bewusstsein von der Funktion der Kunst im Kampf um den Sozialismus begriffen. Die Kunst wurde folglich als eine Waffe im Klassenkampf verstanden. Der sozialistische Realismus, der die sozialen und politischen Bedingungen der Kunstproduktion, -verbreitung und –aufnahme umfasst, war die wissenschaftliche Bestimmung der gesellschaftlichen Funktion der Kunst. Entsprechend beinhaltet die sozialistische Kunst bereits eine klassenspezifische Rezeptionsvorgabe. Zwei Schlüsselbegriffe dieser Kunstdoktrin können genannt werden: Parteilichkeit und Volksverbundenheit. Beide Begriffe sind sehr eng miteinander verknüpft und fordern vom Künstler den parteilichen Standpunkt der SED auch in den Werken widerspiegeln zulassen, wobei diese in Inhalt und Form an die Bedürfnisse der Arbeiter und Bauern angelehnt sein müssen. In Kombination enthalten die Begriffe „[...] das Postulat der Verständlichkeit und Massenwirksamkeit als auch die Aufforderung, sich an nationalen klassischen ästhetischen Mustern zu orientieren.“9 Das klassische deutsche Erbe (Schiller, Goethe) erhielt in der DDR eine hohe Wertschätzung. Die SED forderte von den Künstlern in ihrem Schaffen an das klassisch-nationale Erbe anzuknüpfen, sich gleichzeitig am sowjetischen Vorbild zu orientieren. Dabei sollten sie die künstlerische Form nicht vernachlässigen, ihr aber auch keine selbständige Bedeutung zukommen zulassen, sondern „[…] sich dem Primat der Politik unterordnen.“10 Von Erbe als drittes Prinzip des sozialistischen Realismus ist der sozialistische Ideengehalt der Werke, der ein vom Marxismus-Leninismus geprägtes Geschichtsverständnis und Menschenbild eigen hat. Bezeichnend für die Kunst des sozialistischen Realismus ist ihr Bezug auf den Stand und die Perspektiven des Klassenkampfes.11
[...]
1 Unterschiedliche Absteckung der Phasen. Im DDR Handbuch (vom Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen, 1979) wird die antifaschistisch-demokratische Phase von 1945 bis 1951 festgelegt.
2 Vgl. Erwin Pracht, Einführung in den sozialistischen Realismus. Berlin 1975, S. 139f.
3 Vgl. Hans-Dietrich Sander, Marxistische Ideologie und Allgemeine Kunsttheorie. Tübingen 1970, S.40.
4 Vgl. Hans Koch, Zur Theorie des sozialistischen Realismus. Berlin 1975, S. 97f.
5 Vgl. Günter Erbe, Die Verfemte Moderne: Die Auseinandersetzung mit dem „Modernismus“ in Kulturpolitik, Literaturwissenschaft und Kultur der DDR. Opladen 1993, S. 28.
6 Vgl. Sander, Marxistische Kunsttheorie (Anm. 3), S.25f, 28f.
7 Zitiert nach: Erbe, Die verfemte Moderne (Anm. 5), S. 38.
8 Vgl. Pracht, Einführung in den sozialistischen Realismus (Anm. 2), S.19f, 54f.
9 Erbe, Die verfemte Moderne (Anm. 5), S. 29, 30f.
10 Ebd. S. 64.
11 Vgl. Koch, Zur Theorie des sozialistischen Realismus (Anm. 4), S. 7.