Zu Arthur Schnitzlers "Lieutenant Gustl"

Leutnant Gustl - Held zwischen Norm und Trieb


Hausarbeit, 2004

18 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Entstehungs- und Wirkungsgeschichte

3. Norm und Trieb im Leben Leutnant Gustls
3.1 Leutnant Gustl – eine unauthentische Figur
3.2 Leutnant Gustl – ein triebhafter Mensch

4. Formale Betrachtung – Wirkung auf den Inhalt

5. Literatur

1. Einleitung

Arthur Schnitzlers Novelle „Leutnant Gustl“[1] zeigt uns in einem sich durch den gesamten Verlauf ziehenden inneren Monolog des gleichnamigen Helden dessen verworrene innere Gefühls- und Gedankenwelt, die durch einen augenscheinlich banalen Vorfall völlig aus dem Gleichgewicht gebracht wird. Er gerät in eine Lage, die es ihm nicht ermöglicht diesen Konflikt wie bisher gewohnt zu lösen.

Bei L.G. handelt es sich um einen Mann, der bisher, bestimmt durch seine Militärlaufbahn und deren engumrissene Regeln und Normen, gewohnt war, Konflikte in einem vorgegebenen Kontext und mit für alle verbindlichen Mitteln, wie z.B. das Duell bei Ehrverletzungen, auszutragen. Außerhalb seiner gewohnten Normen und vorgegebenen Richtungen ist er nicht in der Lage eine für ihn kritische Situation zu bestehen. Die logische Konsequenz dieser Unfähigkeit ist, dass er die einzige Möglichkeit seine Militärsehre zu retten darin sieht, sich selbst zu töten.

An strenge Ordnung gewöhnt, plant L.G. auch seinen Selbstmord penibel genau und legt auf die Minute den Zeitpunkt für seinen Freitod fest. Der Leser hat während der Zeit des Wartens die Gelegenheit, L.Gs. Gedankengänge mitzuverfolgen. Dabei erkennt man, dass L.G. sich nicht nur im Rahmen seiner Normen und Regeln bewegt, sondern gleichermaßen triebhafte Kognitionen hat, die sich fast ausschließlich auf Frauen und sexuelle Gelüste beziehen.

In meiner Arbeit möchte ich verdeutlichen, dass es sich bei L.G. um einen eher fragwürdigen Helden handelt, der eigentlich nie authentisch ist, weil er sich ausschließlich an den vorgegebenen Normen und Richtlinien orientiert. Er knüpft seine Ansichten und Lebenseinstellungen an die seiner Kameraden und Vorgesetzten und der äußere Schein und Status sind ihm wichtiger als seine Individualität und eigene Identität.

Zum anderen möchte ich mich auch mit seiner Triebhaftigkeit auseinandersetzen, die, oberflächlich betrachtet, nicht in sein von Normen geprägtes Leben passt, aber bei genauerer Betrachtung teilweise sogar Kongruenzen aufweist.

Schnitzler wählt für die Darstellung dieser Thematik den für seine Zeit innovativen Inneren Monolog. Im Rahmen meiner Arbeit möchte ich deshalb noch darlegen, inwiefern diese neue Form den Inhalt trägt und unterstreicht.

2. Entstehungs- und Wirkungsgeschichte

Schnitzler schrieb diese Novelle innerhalb von nur vier Tagen während eines Urlaubs und hatte schon Vorahnungen, dass sein neuestes Werk erhebliches Aufsehen erregen könnte.

Seinen Freund Hugo von Hoffmansthal hatte er am 17. Juli 1900 über seine aktuellen literarischen Projekte informiert und dabei in einem Brief an ihn festgestellt, dass er mit einer „Novelle beschäftigt ist, die [ihm] viel Freude macht“[2], er befürchte aber, dass es „beinah nur Ärger, ob einem was gelungen ist oder nicht“[3] geben könnte, was sich kurz nach der Veröffentlichung am 25. Dezember 1900 auch bewahrheitete.

Erste Indizien für eine Ablehnung seiner Novelle zeigten sich schon in der Veröffentlichung selber. In der Weihnachtsbeilage der „Neuen Freien Presse“, worin sie erste Mals zu lesen war, brach die Erzählung schon nach 40 Seiten ab, trotz der Bitte Schnitzlers die Novelle „aus künstlerischen Gründen“[4] vollständig abzudrucken. Und auch die Platzierung L.Gs. war alles andere als vorteilhaft – unter der Werbeeinschaltung eines Schuhhauses mit holprigen Reimen.

Was sich hier schon anzubahnen schien, mündete letztendlich in einem öffentlichen Skandal, in dessen Folge sich Schnitzler erheblicher Kritik vor allem von Seiten des Militärs erwehren musste.

Zum Beispiel verfasste Gustav Davis für die „Reichswehr“ am 22. Juni 1901 einen kritischen Kommentar zu Schnitzlers „L.G.“, in dem er verurteilt, dass Schnitzler, der selber den Rang eines Offiziers bekleidete, einen derart „widerlichen Ignorant und Cyniker, ein so jämmerliches charakterloses Subjekt [...] in der Uniform eines k. und k. Lieutenants“[5] auftreten lässt.

Zwar lässt Davis erkennen, welch geringer Bezug zur wirklichen Offizierswelt zu entdecken ist, jedoch kann man an den „aggressiven Reaktionen des Offizierskorps [erkennen], wie realitätsbezogen gerade diese Erzählung Schnitzlers ist“[6].

Die Realitätsnähe zeigt sich in vielen Details.

Es wird zum einen auf politische Probleme, wie zum Beispiel die des um die Jahrhundertwende vorhandenen Vielvölkerstaates Österreich angespielt, der nur „durch Bürokratie und Militär zusammengehalten wird“[7], zum anderen werden realitätsnahe Stimmungen und Ansichten dadurch deutlich, dass Gustl zum Beispiel häufig „antisemitische Vorurteile äußert“[8], wie schon gleich zu Beginn, als er „nicht einmal ein Oratorium mehr in Ruhe genießen kann“[9], weil dort viele Juden anzutreffen sind.

Ganz konkret wird der Realitätsbezug vor allem dadurch, dass alle Orte und Plätze, die L.G. während der Nacht vor seinem geplanten Tod betritt „noch heute nachgehbar wären“[10], d.h. Schnitzler wählte für seine Novelle authentische Schauplätze, was den Charakter einer realistischen Erzählung weiterhin unterstreicht.

So ist es nicht einmal auszuschließen, dass sogar für Leutnant Gustl selber eine Art Vorlage existierte, was an dieser Stelle jedoch nur Spekulation wäre.

Genau diese Realitätsbezüge in Kombination mit dem Vorwurf, durch seine Novelle die Offiziersehre verletzt zu haben, haben dann zur Folge, dass Arthur Schnitzler selber seinen Offiziersrang verliert und zum einfachen Sanitätssoldaten degradiert wird.

Die Begründung, die Schnitzler als erstes durch die Zeitung erfährt, ist zum einen, dass der „beschuldigte Oberarzt die Standesehre verletzt hat [...] [und] die Ehre und das Ansehen der österr. Ung. Armee geschädigt hat“[11], zum anderen kurioserweise, dass er „gegen die persönlichen Angriffe der Zeitung ,Reichswehr’ keiner Schritte unternommen hat“[12].

Die einzige Möglichkeit Schnitzlers wäre es gewesen, durch ein Duell seine Angegriffene Ehre wiederherzustellen, was dieser jedoch auf Grund seiner dem Duell gegenüber ablehnenden Haltung unterlässt.

Hier können Parallelelen Schnitzlers zu seiner Figur L.G. hergestellt werden, da beide durch Angriffe eines Widersachers in ihrer Ehre beleidigt worden sind und deswegen Konsequenzen ziehen müssen, mit dem Unterschied, dass L.G. seinen Gegner nicht durch ein Duell bezwingen kann, da dieser nicht satisfaktionsfähig ist. Das heißt, ihm würde nicht „von einem Offizierskorps nach Prüfung und Erwägung seines Rufes in Beziehung auf Charakter, privates und geselliges Leben, Wahl des Umgangs, Sitten, Takt und Bildung die Würdigkeit zum Offizier [...][zuerkannt], falls er über die Frage zu entscheiden hätte“[13]. Der Offizier Schnitzler jedoch hätte seinen Kritiker zu einem Duelle auffordern können und müssen, da dies die Konfliktregelung unter Offizieren war.

Eine gewisse Ironie ist hierbei nicht zu verkennen, da Schnitzler, „der eben in seiner Erzählung [...] [den] Duellzwang vorgeführt hatte, vorgeworfen wurde, den Verfasser des beleidigenden Zeitungsartikels nicht zum Duell aufgefordert zu haben“[14], was ihm letztendlich die Degradierung zum Sanitätssoldaten einbrachte.

[...]


[1] Im folgenden wird „Leutnant Gustl“ mit L.G. abgekürzt

[2] Polt-Heinzl: Arthur Schnitzler, Leutnant Gustl, S. 26.

[3] Ebd.

[4] Ebd., S. 43

[5] Ebd. S. 48

[6] Knorr: Experiment und Spiel, S. 93

[7] Knorr: Experiment und Spiel, S. 93

[8] Ebd.

[9] Schnitzler: Lieutenant Gustl, S. 14

[10] Knorr: Experiment und Spiel, S. 94

[11] Polt-Heinzl: Arthur Schnitzler, Leutnant Gustl, S. 52.

[12] Ebd.

[13] Janz / Laermann: Arthur Schnitzler, S. 131.

[14] Kaiser: Leutnant Gustl und andere Erzählungen, S. 40

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Zu Arthur Schnitzlers "Lieutenant Gustl"
Untertitel
Leutnant Gustl - Held zwischen Norm und Trieb
Hochschule
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Veranstaltung
Proseminar: Neuere deutsche Literaturgeschichte – Arthur Schnitzler
Note
2
Autor
Jahr
2004
Seiten
18
Katalognummer
V129410
ISBN (eBook)
9783640365203
ISBN (Buch)
9783640364930
Dateigröße
416 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Kommentar des Professors: "Guter, perspektivischer Blick auf Schnitzlers Text, der die Fragestellungen konsequent verfolgt."
Schlagworte
Leutnant Gustl, Norm, Trieb, Schnitzler, Novelle, Innerer Monolog
Arbeit zitieren
Steven Kiefer (Autor:in), 2004, Zu Arthur Schnitzlers "Lieutenant Gustl", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/129410

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