Einleitung
Pygmalion aus Ovids Metmorphosen und der namenlose Maler des Portraits aus Edgar Allan Poes The Oval Portrait –was verbindet diese Charaktere aus zwei Werken unterschiedlichster Epochen miteinander? Beide sind Schöpfer eines Kunstwerks. Pygmalion erschafft Galathea, eine Elfenbeinstatue, die zu einer lebenden Frau aus Fleisch und Blut wird. Der namenlose Maler in Poes Erzählung malt ein fatales Porträt, bei dem das abgebildete Objekt einen hohen Preis für sein Simulacrum zahlen muss. Neben dem Akt des Schöpfens und Formens, welcher bis zur romantischen Epoche lediglich im Nach- und Abbilden der Natur bestand, gibt es noch weitere Aspekte, die bei der Schaffung von Kunst eine zentrale Rolle spielen: Einerseits die Verbesserung der Natur durch die Kunst (Aemulatio) wodurch der Künstler nicht mehr nur Nachbildner von etwas bereits Gegebenem ist, sondern Schöpfer von etwas Neuem wird. Die Natur steht somit der Kunst nicht mehr als Vorbild voran, denn die Kunst emanzipiert sich und definiert sich um. Ihr antagonistisches Gegenüber muss nicht mehr die Natur, das Leben, das Dynamische sein. Es könnte auch der Tod, das Statische, die Kunst, also sie selbst, sein. Beim Betrachten dieser dichotomen Paare Kunst/Natur, Leben/Tod, Dynamik/Statik stellen sich folgende Fragen, die den Anspruch an die Kunst und ihre Auswirkung betreffen:Bildet Kunst das Leben, die Natur, nur ab? Verbessert sie diese? Ist Kunst ein Ausweg aus dem Verfall? Kann man durch Kunst dem Tod entgehen? Inwiefern kann Kunst zerstören?
In der Romantik wurde der mimetische Anspruch der Literatur überwunden und eine neue Auffassung konstituierte sich allmählich. Einer der auffälligsten Umstürzler dieser Zeit, namentlich Edgar Allan Poe, befasste sich exakt mit diesen Fragen in seinem Werk.In Poes Erzählung The Oval Portrait wurden auf geschickte Weise die traditionellen Binärpaare in ein trianguläres Verhältnis voller Komplexität umgeformt. In diesem neuen Verhältnis steht die Kunst als eine Art Vermittler zwischen dem Leben und dem Tod. Als Grundgerüst von Poes Text dient der Topos des Lebendigwerdens der Kunst, der im Ovidschen Pygmalion- Mythos eine deutliche Ausführung findet.
Diese Arbeit soll einerseits nachweisen, dass Poe in seiner Erzählung eine Umkehrung des Pygmalion- Mythos verwendet und somit das klassische Kunstverständnis seiner Epoche aufbricht. Andererseits soll erklärt werden, auf welche Weise sich dies auf die Rolle des Künstlers und auf das Objekt der Kunst auswirkt.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Pygmalions Galathea- das ideale Kunstwerk
- The Oval Portrait
- Die Malersbraut- eine Rivalin der Kunst
- Übertragung und die Life-likeliness of expression
- Der Porträtrahmen- Ein Seitenblick auf Poes Arabeske
- Die Problematik der Wahrnehmung
- Der Verdacht eines Todes
- Überlistung des Todes oder die Vision von einem Leben im Tod
- Biografischer Exkurs: Die Frauen des Edgar Allan Poe
- Fazit: „Pleasure, not truth...“- die Emanzipation der Kunst
- Literaturverzeichnis
- Primärliteratur
- Sekundärliteratur
- Enzyklopädien
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit analysiert Edgar Allan Poes Erzählung „The Oval Portrait“ und untersucht, wie Poe den Pygmalion-Mythos umkehrt, um das klassische Kunstverständnis seiner Epoche zu hinterfragen. Dabei werden die Auswirkungen dieser Umkehrung auf die Rolle des Künstlers und das Objekt der Kunst beleuchtet.
- Die Umkehrung des Pygmalion-Mythos in Poes „The Oval Portrait“
- Die Rolle des Künstlers als Schöpfer und Zerstörer
- Die Problematik der Wahrnehmung und die Grenzen der Kunst
- Die Beziehung zwischen Leben, Tod und Kunst
- Die Emanzipation der Kunst und ihre Folgen
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt den Pygmalion-Mythos als Ausgangspunkt für die Analyse von Poes „The Oval Portrait“ vor. Sie beleuchtet die zentrale Rolle des Lebendigwerdens der Kunst im Mythos und die damit verbundenen Fragen nach der Beziehung zwischen Kunst und Natur, Leben und Tod.
Im zweiten Kapitel wird Pygmalions Galathea als ideales Kunstwerk betrachtet. Die Analyse zeigt, wie Pygmalion durch die Erschaffung der Statue die Natur verbessert und ein neues Ideal der Kunst etabliert.
Das dritte Kapitel widmet sich Poes „The Oval Portrait“ und untersucht die Rolle der Malersbraut als Rivalin der Kunst. Die Analyse beleuchtet die Übertragung des Lebens in die Kunst und die damit verbundene Problematik der Wahrnehmung.
Das vierte Kapitel befasst sich mit dem Verdacht eines Todes in Poes Erzählung und untersucht die Frage, ob die Kunst dem Tod entgehen kann.
Das fünfte Kapitel beleuchtet die Vision von einem Leben im Tod und analysiert, wie Poe die Grenzen zwischen Leben und Tod in seiner Erzählung verwischt.
Der biografische Exkurs im sechsten Kapitel beleuchtet die Rolle der Frauen im Leben von Edgar Allan Poe und ihre Bedeutung für sein Werk.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen den Pygmalion-Mythos, die Umkehrung des Kunstverständnisses, die Rolle des Künstlers, das Objekt der Kunst, die Problematik der Wahrnehmung, die Beziehung zwischen Leben, Tod und Kunst, die Emanzipation der Kunst und die Folgen für die Kunst und den Künstler.
- Quote paper
- Deniz Tavli (Author), 2009, Life in Death - Die Umkehrung des Pygmalion-Mythos in Edgar Allan Poes "The Oval Portrait", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/129413