Leseprobe
1. Beschreibung der Lerngruppe
Die Klasse 9a, die sich aus 22 Schülerinnen und Schülern1 zusammensetzt, unterrichte ich seit Anfang des Schuljahres im betreuten Unterricht. Die Schüler sind weitestgehend motiviert, offen und es gibt kaum gruppeninterne Differenzen. Zudem übertragen sie ihre positive Unterrichtseinstellung auch auf das Verhältnis zu mir, wodurch eine sehr freundliche und meist störungsfreie Lernatmosphäre entsteht. Dies wird durch die Tatsache verstärkt, dass ich die Lerngruppe bereits im letzten Schuljahr im eigenverantwortlichen Unterricht begleiten konnte. In Bezug auf ihr Leistungsvermögen sind die Lerner jedoch sehr heterogen und lassen sich folglich in drei Gruppen einteilen:2
1. Insa, Sara, Jannik, Christoph, Inga, Aiske und Greta gehören zu den mündlichen Leistungsträgern. Sie beteiligen sich kontinuierlich am Unterricht und bringen diesen durch sehr gute Beiträge und sinnvolle Fragestellungen inhaltlich voran. Jannik sticht aus dieser Gruppe besonders heraus. Mittels seines guten Allgemein- und Fachwissens und durch sein großes Redebedürfnis dominiert er die Lerngruppe, woraufhin seine Mitschüler ab und zu davon entmutigt werden, noch etwas zum Unterricht beizutragen.
2. Das große Mittelfeld weist folgende Schüler auf: Svenja, Fenna, Simon, Sophia, Jelko, Ilka, Katharina L., Rieke, Elina, Ulrik, Dietke und Vanessa. Sie beteiligen sich regelmäßig am Unterricht, doch sind ihre Leistungen eher als durchschnittlich einzuschätzen. Die aufgeführten Schüler treten hauptsächlich in Reproduktionsphasen oder während der Vorstellung und Sammlung von Arbeitsergebnissen in den Vordergrund.
3. Nicolaas, Vivienne und Katharina S. tragen kaum etwas zum Unterricht bei und ihre Beiträge sind oft qualitativ schwach. Es ist äußerst schwierig, diese Schüler zu aktivieren. Insbesondere Nicolaas‘Zurückhaltung ist vermutlich dadurch zu erklären, dass er die neunte Klasse wiederholt und sich vermutlich noch nicht in die Lerngruppe integriert fühlt.
Insgesamt ist zu betonen, dass die Lerngruppe zwar politisch und wirtschaftlich sehr interessiert und diskutierfreudig ist, aber als relativ leistungsschwach einzustufen ist. Rollenspiele und das Arbeiten in den Sozialformen der Partner- und Gruppenarbeit haben sich als effektiv, funktional und beliebt für die Vorbereitung eines abschließenden Unterrichtsgesprächs erwiesen, in dem relativ viele Schüler motiviert und inhaltlich gestärkt sinnvolle Wortbeiträge beisteuern können. Zudem bedingt der Leistungsstand der Lerngruppe kontinuierliche Wiederholungs- und Übungsphasen.
2. Einordnung in den Unterrichtszusammenhang
Die Stunde ist inhaltlich dem verbindlichen Themenschwerpunkt der Jahrgangsstufe 9 „Das Unternehmen als wirtschaftliches und soziales Aktionszentrum“ zuzuordnen.3 Der Einstieg in diese Einheit erfolgte mittels eines Rollenspiels zum Thema „Ein Familienunternehmen bewahren“, indem die Schüler zum einen Ziele und Interessen unternehmerischen Handelns erlebten und zum anderen die unterschiedlichen Unternehmensformen erarbeiten. Darüber hinaus gewannen sie am Beispiel der xxxxxxxxx Bäckerei „xxxxx 35 xxx“ einen Einblick in den Themenbereich der Standort- und der Produktionsfaktoren sowie der Organisation und Struktur eines Unternehmens. Die zu zeigende Stunde soll den Übergang vom Unternehmen als wirtschaftliches zum sozialen Aktionszentrum herstellen, indem die Perspektive eines Unternehmers zum Thema der betriebsbedingten Kündigung mit der eines Betriebsrates in der Hausaufgabe kontrastiert wird.
3. Sachanalyse
Bei der Kündigung handelt es sich um eine einseitige Willenserklärung vom Arbeitgeber oder Arbeitnehmer,die dem Vertragspartner vorliegen muss, mit der Beabsichtigung das Arbeitsverhältnis zu beenden. Seit Mai 2000 ist die Schriftform vorgeschrieben (§ 623 BGB). Der Vertragspartner muss mit der Kündigung nicht einverstanden sein und muss ihr daher auch nicht zustimmen. Bei dem oftmals als Synonym verwendeten Begriffs der „Entlassung“ handelt es sich hingegen um eine durch den Arbeitgeber initiierte Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses.4
Das Kündigungsschutzgesetz unterscheidet zwischen einer personenbedingten Kündigung, z.B. bei fehlender körperlicher oder geistiger Eignung, einer verhaltensbedingten Kündigung, z.B. bei Diebstahl und Tätlichkeit, und einer betriebsbedingten Kündigung, wenn eine schlechte Auftragslage vorliegt und aufgrund dessen Arbeitsplätze abgebaut werden müssen, um den Betrieb als Ganzes zu erhalten.5 Letztere zwingt den Arbeitgeber eine Auswahl an Arbeitnehmern zu treffen. Hier steht theoretisch das Prinzip der Gewinnmaximierung im Vordergrund, welches durch die untergeordneten Ziele der ständigen Verbesserung von Produktion und Rentabilität, der hohen Qualität von Produkten und Dienstleistungen, der Beachtung und Umsetzung von technischen Neuerungen, der optimalen Gestaltung der Betriebsorganisation und dem guten Firmenimage getragen wird.6 Jedoch wird der Arbeitgeber in seiner Entscheidung praktisch durch das Betriebsverfassungsgesetz sowie das Kündigungsschutzgesetz eingeschränkt. So muss die Kündigung sozial gerechtfertigt sein, d.h. dem Arbeitnehmer sollte erst ein anderer Arbeitsplatz im Betrieb angeboten werden, auch zu schlechteren Bedingungen (Änderungskündigung). Darüber hinaus sollten soziale Gründe mit berücksichtigt werden. Zu diesen zählt die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Alter, der Familienstand sowie bestehende Unterhaltspflichten.7 Falls das Unternehmen über einen Betriebsrat verfügt, so muss dieser angehört werden, ansonsten ist eine Kündigung unwirksam. Der Betriebsrat hat zu überprüfen, ob diesozialen Kriterien in der Entscheidung des Arbeitgebers mit berücksichtigt worden sind, ob der zu kündigende Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz weiterarbeiten kann und ob eine Weiterbeschäftigung unter anderen Arbeitsbedingungen möglich und der Arbeitnehmer mit dieser einverstanden ist. Falls die Fähigkeiten und Kenntnisse des zu Kündigenden nicht den Interessen des Unternehmens entsprechen, sind die sozialen Kriterien bei der Entscheidung nicht von Belang.8
4. Didaktische Überlegungen
Der in der Sachanalyse diskutierte Gegenstand der betriebsbedingten Kündigung wirkt beim ersten Lesen sehr theoretisch und kühl, ebenso wie die von der Wirtschaft in diesem Zusammenhang oft verwendeten Begriffe des Humankapitals bzw. des Produktionsfaktors. Aufgrund dessen sowie der nüchternen Darstellung der Nachrichten ist es oft ein Leichtes, die Existenzbedrohung real existierender Menschen und deren Familien zu vergessen und die Frage, wer überhaupt seinen Arbeitsplatz aufgeben muss bzw. nach welchen Kriterien dieses entschieden wird, bleibt oftmals unbeantwortet.
Die obige Darstellung und die bereits beschriebene politisch und ökonomisch interessierte und kritische Einstellung der Schüler legen es nahe, den Zugriff auf das Thema in der zu zeigenden Stunde über das didaktische Prinzip der Problemorientierung erfolgen zu lassen, denn „Problemorientierung ist der didaktische Ansatz, bei dem durch die Bearbeitung konkreter Probleme das Politische [in diesem Fall auch eine unternehmerische Entscheidung] verstehbar und evtl. handhabbarer wird.“9 Aufgrund der Ferne des Problems für die Schüler ist es auf den ersten Blick äußerst schwierig, ein wesentliches Merkmal des problemorientierten Unterrichts, den subjektiven Bezug (Betroffenheit), herzustellen. Allerdings sind betriebsbedingte Kündigungen den Familien der Schüler nicht fern. Man denke z.B. an die Kündigungen des Unternehmens Airbus in Varel. Sicherlich wurde dies bereits in vielen Familien diskutiert und einigen Schülern ist dadurch bewusst geworden, welche Konsequenzen der Stellenabbau eines regionalen Unternehmens mit sich bringt. Das zweite grundlegende Merkmal, die Bedeutsamkeit, ist eng mit diesen Ausführungen verknüpft. Die Schüler werden im nächsten Jahr im Rahmen ihres Betriebspraktikums vermutlich mit dieser Thematik konfrontiert werden. Zudem werden einige im Anschluss ihrer Schullaufbahn in einem Betrieb tätig werden.
Das Problem, welcher Mitarbeiter zu entlassen und nach welchen Kriterien eine Entscheidung zu treffen ist, sollen die Schüler anhand des Einstiegs, einer typischen Nachrichtenmeldung, erkennen und formulieren. Dabei habe ich die Nachrichtenmeldung leicht abgeändert, indem ich die betriebsbedingte Kündigung stärker in den Vordergrund gerückt habe, um diesen Begriff in der zu zeigenden Stunde einführen zu können. Dies ermöglicht es mir zudem, lediglich auf diese Kündigungsart einzugehen und nur die Unternehmersicht zu beleuchten. Die anderen Kündigungsformen sowie die Rolle des Betriebsrates sollen in den folgenden Stunden bzw. in der Hausaufgabe thematisiert werden. Somit beuge ich einem Frustrationserlebnis auf Seiten der Schüler vor, da letztere sich aufgrund der Komplexität des Themas und ihres Leistungsvermögens leicht überfordert fühlen könnten. Darüber hinaus habe ich das Wort „muss“ in die Meldung eingefügt, um die Dringlichkeit sowie Unumgänglichkeit der betriebsbedingten Kündigung hervorzuheben.
Mit Hilfe der didaktischen Reduktion und mittels des Einstieges soll es den Schülern möglich sein, die bereits in der vorherigen Stunde erarbeiteten Ziele erwerbswirtschaftlicher Unternehmen zu wiederholen und bei der Beantwortung nach der Auswahl der zu kündigenden Arbeitnehmer anzuwenden. Neben diesen sehr abstrakten Zielen sollen sie zudem weitere Kriterien entwickeln, um somit wirtschaftliche Entscheidungen eines Unternehmers und dessen Motivation nachvollziehen und bewerten zu können und sich letztlich in ihrer ökonomischen Urteilskompetenz zu schulen.10
Die dafür notwendigen Rollenkarten entstammen zwar in ihrer Anlage einem Schulbuch11, sie wurden jedoch von mir in Teilen umgeschrieben. Da die Schüler sich zuvor mit einem ortsansässigen Bäckereibetrieb 35 beschäftigt haben, ist diese Unternehmensart ihnen näher als die im Schulbuch vorgestellte Dreherei. Zudem weisen die Rollenkarten im Original jeweils eine unterschiedliche Menge an Informationen auf, welche ich gerade im Bereich des Privatlebens ergänzt habe. Dies macht die Personen zum einen realer und zum anderen wird dadurch die Diskussion, welche der Personen zu entlassen ist, kontroverser.
In der abschließenden Vertiefungsphase sollen die Schüler sich zudem äußern, welche Kriterien sie bei der Auswahl herangezogen haben und diese ebenfalls hierarchisieren. Dabei soll ihnen bewusst werden, dass sowohl die Auswahl als auch die Gewichtigkeit der einzelnen Kriterien nicht leicht zu treffen sind, um somit ihr Verhalten auch reflektieren zu können.
Die Lösung der Hausaufgabe soll den Schülern die Gelegenheit bieten, die erarbeiteten Erkenntnisse zum einen umzuwälzen und darüber hinaus aus der Perspektive des Betriebsrates neu zu beurteilen. Hierdurch soll den Schülern die Interdependenz zwischen Politik und Wirtschaft12 deutlich werden. Sie sollen in diesem Kontext erkennen, dass aus der Perspektive des Betriebsrates das Soziale im Vordergrund steht und somit die Arbeitnehmer durch Eingriff des Staates geschützt werden sollen. Das Arbeitspapier enthält den Paragraphen 102 des Betriebsverfassungs- und Kündigungsschutzgesetzes sowie die in der Stunde verwendeten Rollenkarten, um den Inhalt der Stunde zu sichern. Des Weiteren sollen die Schüler in derAufgabenstellung dazu aufgefordert werden, zuerst den Text mit eigenen Worten zusammen zu fassen,um dann abschließend ein Urteil fällen zu können.
In der zu zeigenden Stunde wird auf eine Sicherungsphase in der Form verzichtet, dass die Schüler den Tafelanschrieb abschreiben, da es sich bei den Ergebnissen erstens um persönliche Einschätzungen handelt, die nicht zwingend eine Allgemeingültigkeit haben. Zweitens sind alle Rollenkarten, wie bereitserwähnt, auf dem Hausaufgabenblatt fixiert und bedürfen einer weiteren Beurteilung durch das Betriebsverfassungs- und Kündigungsschutzgesetz.
5. Lernziele
Aus den didaktischen Überlegungen ergeben sich folgende Lernziele:
Groblernziel: Die Schüler sollen erarbeiten, nach welchen Kriterien ein Unternehmer bei betriebsbedingten
Kündigungen entscheidet, indem sie in ihrer Urteilsfindung betriebswirtschaftliche Aspekte anwenden und bewerten.
Feinlernziele: Im Einzelnen sollen sie ...
- erkennen (können), dass eine Auswahl an zu kündigenden Angestellten nicht einfach vorzunehmen ist.
- ihre ökonomische Urteilskompetenz schulen, indem sie die unterschiedlichen Aspekte der
Gewinnmaximierung heranziehen sowie bewerten und schließlich zu einer eigenen fundierten Meinung kommen.
- weitere betriebswirtschaftliche Kriterien bezüglich der Beurteilung des Produktionsfaktors „Arbeitnehmer“ entwickeln und hierarchisieren (können).
- sich in der Sozialform der Gruppenarbeit üben.
6.Methodische Überlegungen
Wie bereits in den didaktischen Überlegungen angedeutet, werde ich zu Beginn der zu zeigenden Stunde mittels des OHP eine Nachrichtenmeldung an die Wand projizieren. Dies soll nicht nur die Aufmerksamkeit der Schüler fokussieren, darüber hinaus sollen die Schüler aktiviert werden, Kommentare zu dieser Meldung zu verfassen. Durch den Impuls „Angenommen Ihr wärt Unternehmer und würdet erfahren, dass ein Viertel Eurer Angestellten gekündigt werden müssten, welche Frage würdet Ihr Euch stellen?“ sollen die Schüler die Fragestellung der zu zeigenden Stunde formulieren, welche an der Tafel fixiert wird, um den Schülernwährend der ganzen Stunde als Orientierung zu dienen. Im Anschluss sollen die Schüler noch kurz spekulieren, welche Kriterien ein Unternehmer dabei heranziehen könnte. Dadurch soll zum einen der Unterrichtsgegenstand der vorherigen Stunde wiederholt werden und zum anderen soll eine Vorentlastung der Gruppenarbeitsphase ermöglicht werden. An dieser Stelle erhoffe ich mir insbesondere die leistungsschwächeren Schüler, aber auch jene aus dem „Mittelfeld“ dazu zu aktivieren, etwas zum Unterricht beizutragen.
[...]
1 Im Folgenden werde ich aufgrund der besseren Lesbarkeit primär das generische Maskulinum verwenden. Alle Geschlechter sollen sich bitte hierdurch angesprochen fühlen.
2 Weitere Informationen zur Beteiligung und Leistung der Schüler können dem kommentierten Sitzplan entnommen werden (s. Anhang 7.2).
3 Vgl. Niedersächsisches Kultusministerium: Kerncurriculum für das Gymnasium - Schuljahrgänge 8-10: Politik – Wirtschaft, S. 15.
4 Vgl. Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Das Lexikon der Wirtschaft: Grundlegendes Wissen von A bis Z, S. 330.
5 Vgl. ebd., S. 331.
6 Vgl. Nuding-Haller: Wirtschaftskunde. Stuttgart 2004, S. 268f. Zitiert in: Rolf-Dieter Lüer / Eckhardt Wansleben (Hrsg.): Anstöße Politik: Politik und Wirtschaft, Niedersachsen, S. 86.
7 Vgl. Bundeszentrale für politische Bildung, S. 331.
8 Vgl. §102 des Betriebsverfassungsgesetzes und Kündigungsschutzgesetzes. Zitiert in: Hartwig Riedel (Hrsg.): Politik & Co.: Politik-Wirtschaft für das Gymnasium, S. 29.
9 Vgl. Sibylle Reinhardt: Politikdidaktik: Praxishandbuch für die Sekundarstufe I und II. Berlin: Cornelsen 2007, S. 95.
10 Vgl. Niedersächsisches Kultusministerium, S. 13.
11 Vgl. Hartwig Riedel (Hrsg.): Politik & Co.: Politik-Wirtschaft für das Gymnasium, S. 28.
12 Vgl. Niedersächsisches Kultusministerium, S. 11.