Die Tatsächlichkeit der Tatsachen

Eine Untersuchung zu Alfred Döblins Erzählung "Die beiden Freundinnen und ihr Giftmord"


Hausarbeit, 2005

16 Seiten, Note: 1,0

Anonym


Leseprobe


Gliederung

1 Einleitung

2 Untersuchung der Einflussfaktoren
2.1 Das Beziehungsgeflecht
2.2 Der Bereich des Psychoanalytischen

3 Theoretische Ideen
3.1 Nietzsche und die Kritik an der Zuverlässigkeit der Sprache
3.2 Zeitgeschichtliche Theorien

4 Einordnung in den Kontext der Neuen Sachlichkeit
4.1 Dokumentarisches Schreiben
4.2 Sprache
4.3 Das Paradoxon von der Tatsächlichkeit der Tatsachen

5 Fazit

6 Literatur

1 Einleitung

Manche Lesarten wurden bereits gefunden für das kleine Werk Die beiden Freundinnen und ihr Giftmord von Alfred Döblin, eine davon ist die literarische. Der deshalb legitim als Erzählung zu bezeichnende Text wurde erstmals 1924 im Rahmen der Schriftenreihe Außenseiter der Gesellschaft. Die Verbrechen der Gegenwart veröffentlicht. Döblin rekonstruiert darin den historischen Fall zweier Freundinnen, die den Ehemann der einen mit Arsen töten. Der Fall und besonders das verhältnismäßig milde Urteil, das den Täterinnen auferlegt wurde, erregte zur damaligen Zeit sehr viel Aufmerksamkeit. Döblin beschäftigte sich daraufhin eingehend mit der Anklageschrift und dem Prozess und montierte in sein Werk viel Authentisches.

Auffallend an der Erzählung ist deshalb der stark dokumentarische Stil, der ihr zugrunde liegt. Dieser dient jedoch nicht allein dem peniblen Berichten von Tatsachen, sondern ist Teil des Programms, das Döblin entwickelt:

Die Schwierigkeiten des Falles wollte ich zeigen, den Eindruck verwischen, als verstünde man Alles oder das Meiste an diesem massiven Stück Leben.1

Diese Worte können als zentrale These der Erzählung betrachtet werden. – Inwiefern es Döblin gelingt, sie umzusetzen, soll nun im Folgenden untersucht werden.

Zunächst wird das Beziehungsgeflecht dargestellt, das Netz von Faktoren, die auf die Hauptcharaktere einwirken, diese in ihrem Handeln beeinflussen und – als Teil eines „Konvolut[s] von Tatsachen“2 – den Mord herbeiführen. Dabei werden auch psychologische und wissenschaftliche Erkenntnisse, die Döblin in die Erzählung hat einfließen lassen, beleuchtet.

Die Konsequenz des Döblinschen Programms soll anschließend an der Einordnung der Erzählung in den Kontext der Neuen Sachlichkeit ersichtlich werden. Dies erscheint besonders in Hinblick auf die sprachliche Gestaltung und das dokumentarische Schreiben interessant, soll aber vordergründig die Umsetzung der oben genannten These behandeln.

2 Untersuchung der Einflussfaktoren

Getreu den Worten des Epilogs „Das Ganze ist ein Teppich, der aus vielen einzelnen Fetzen besteht [...]“3 ist die Erzählung mosaikartig aufgebaut. So lässt sie sich in mehrere Abschnitte gliedern, die jeweils aus einem anderen Schwerpunkt, einem anderen „Fetzen“, bestehen. – Viel Platz wird der Vorgeschichte des Mordes eingeräumt. In dieser wird anfangs nur auf das Verhältnis der beiden Hauptfiguren, der späteren Mörderin Elli Link zu ihrem Ehemann und späteren Opfer Tischler Link4, eingegangen. Chronologisch folgt die Beziehung der Elli zu Margarete Bende, aus der sich ein lesbisches Verhältnis entwickelt. Für den Verlauf des geschilderten „Falles“ sind jedoch auch die anderen Akteure, wie die Eltern Links, Ellis und der Bende, genauso wie der Ehemann der Bende von Bedeutung.

An den Tod Links schließt der zweite Abschnitt an, die Gefängnisszene. Auf diese folgt im dritten Abschnitt der Prozess, der wiederum ausführlich geschildert wird. Danach sind so genannte „Zeitungsnotizen“ und der Versuch eines Überblicks zur Fallentwicklung eingefügt, bevor es im letzten Sinnabschnitt zum überaus bedeutsamen „Epilog“ kommt. Der Erzählung beigefügt findet sich auch eine Handschriftenprobe der Margarete Bende (in Sütterlin), rückseitig die dazugehörige graphologische Deutung.

2.1 Das Beziehungsgeflecht

Wie gesagt, beginnt Döblin seine Erzählung mit der Vorgeschichte des Mordes. Im Zentrum der Betrachtung steht hierbei die Frage: Welche Einflussfaktoren wirken auf die Figuren und wie beeinflussen sich die Figuren untereinander?

Dabei fällt vor allem die Determination durch die Elterngeneration auf. Indirekt haben die Eltern genetische sowie erzieherische Spuren (das eine ist von dem anderen oftmals schwer zu unterscheiden) an ihren Kindern hinterlassen. Doch auch in direkter Beeinflussung drängen sie die Kinder zu bestimmten Verhaltensweisen.

Beide Arten des Einflusses finden sich in Hinblick auf die Mutter Links. – Zum einen wird hinterfragt „warum erzieht sie so herzlose Kinder“5, zum anderen herrscht zwischen Mutter und Sohn ein beiderseitig abweisendes Verhältnis. Dieses wirkt sich außerdem auf Elli aus, gegen die die Mutter hetzt und sich so aktiv in die Beziehung zwischen Elli und Link einmischt.6 – Der Vater Links hat sich erhängt, ist als Einflussfaktor also nicht mehr direkt wahrzunehmen. Dennoch wirkt der väterliche Selbstmord auf Link, der zum „Darstellungsmittel diesesalten [sic!] Schicksals“7 mutiert und sich selbst immer wieder erhängen will.

Auch Elli ist nicht frei vom Einfluss ihrer Eltern. So heißt es von ihr nicht ohne Grund, sie sei immer Tochter geblieben.8 Besonders ihr patriarchischer Vater übt einen erheblichen Einfluss auf sie aus, obwohl er sich dessen nicht bewusst ist.9 So wählt sich Elli einen Ehemann, der den gleichen Beruf hat wie ihr Vater. Als sie später mit dem Gedanken der Ehescheidung spielt und Link verlassen will, drängt der Vater sie, getreu seinem konventionellen Leitspruch „die Frau gehört zum Mann“10, zweimal zu Link zurückzukehren. Trotz der sie dort erneut erwartenden Misshandlungen, fügt sie sich ihren Eltern, vor allem dem Vater. – Dies greift bereits in den Bereich des Psychoanalytischen, dem ich mich an anderer Stelle gesondert widmen werde.

Mit der Ehe verbinden Elli und Link unterschiedliche Erwartungen. Elli, die hoffte, Link sei ein Abbild ihres Vaters, fühlt nun: „[...] er ist nicht der ernste Mann, dem ich folgen will“. Link hingegen sehnt sich nach einer „warmen hegenden Liebe“, zu derer sie ihm aber keine Möglichkeit gibt.11

Durch die beiderseitige Enttäuschung kommt es zu ausartendem Streit zwischen Elli und Link. – Und an dieser Stelle muss bereits darauf hingewiesen werden, dass das „durch“ zu Beginn des vorhergehenden Satzes dort womöglich unglücklich steht, da es einen zu großen Anschein von Monokausalität vermittelt. – Denn worum es Döblin in der Erzählung vor allem geht, ist, die verschiedenen Einflussfaktoren aufzuzeigen, die die Charaktere – direkt oder indirekt – in ihrem Handeln prägen. Der eben erwähnte Streit ist daher als ein Konglomerat verschiedener Einflüsse zu sehen, die hier jedoch, um zu vereinfachen, mit dem Wort „Enttäuschung“ zusammengefasst werden.

So kommen auch andere Einflussfaktoren im Text vor: Link beginnt mit dem Trinken und er besucht des Öfteren radikalpolitische Veranstaltungen. Beides erhöht seine Brutalität. Demgegenüber beginnt Elli das Verhältnis mit Margarete Bende, das die Beziehung zwischen ihr und Link wohl am nachhaltigsten prägt. Bei dieser Liaison spielt auch der Zufall eine Rolle, denn ohne Link würde Elli die Bende nicht kennenlernen, und Elli ist (zufällig) in dieser Zeit sehr nach Anlehnung bedürftig, was die Bende auffängt12. Die Beziehung der beiden Frauen ist durch einen „traumartige[n], rauschhafte[n] Zustand“13 gekennzeichnet. Dies wird durch das ins Krankhafte gesteigerte Briefeschreiben betont, welches als „Instrument der Selbstberauschung“14 bezeichnet wird.

Auch in dieser Konstellation stellt Döblin den Einfluss der Elterngeneration dar. Die Mutter der Bende, Frau Schnürer, prägt ihre Tochter insofern, dass diese extrem abhängig von ihr ist. Auch wird immer wieder gesagt, die Bende spiele gegenüber Elli „die Rolle ihrer Mutter“. Durch das Verhältnis zu Elli löse sie sich aber auch von ihr.15

Mit der Bende tritt ein zweiter Wirk-Komplex in die Erzählung: Sie hat Probleme mit ihrem eigenen Mann und projiziert, da sie diesem nicht gewachsen ist, ihren Hass auf den Ehemann der Freundin, Link.16

So drängt sich die Bende in die Beziehung Elli/Link und ist ein direkter Einfluss. Dadurch wird Elli gestärkt und treibt den Streit mit Link voran. – Hierbei wird klar, wie wichtig es für die Erzählung ist, den Zusammenhang verschiedener Wirkkomplexe aufzuzeigen: Der Komplex „Beziehung Elli/Bende“ und der Komplex „Beziehung Elli/Link“ sind abhängig von einander. Des Weiteren hat auch die „Beziehung Bende/Bende“ einen Einfluss auf beide Komplexe, ebenso umgekehrt. Denn gewiss nicht aus eigenem Antrieb denkt die Bende, kurz bevor der Mord an Link aufgedeckt wird, über den Mord ihres eigenen Mannes nach.

Elli schämt sich jedoch „heftig [...] ihrer Heimlichkeiten mit der Bende“17. Aus Rechtfertigung hält sie sich immer wieder die Rohheiten ihres Mannes vor. Dennoch: Die Scham- und Schuldgefühle bewirken, dass sie sich zunächst der Bende gegenüber abweisend verhält und gleichzeitig auf Link eine neue Dimension von Wut und Aggression ausübt. Diese Aggression zu Hause bewirkt jedoch, dass Elli sich fester an ihre Freundin bindet, woraus wiederum Schamgefühl resultiert und somit ein unaufhörlicher Teufelskreis entsteht.

Hinter Worten wie „Scham“ und „Schuld“ verbergen sich psychologische Einflüsse, die nun im folgenden Kapitel erläutert werden.

[...]


1 DÖBLIN, Alfred: Die beiden Freundinnen und ihr Giftmord, Berlin 1924, S. 117.

2 Döblin: Die beiden Freundinnen, S. 113.

3 Ebd., S. 112.

4 Die Namen der Figuren in dieser Arbeit orientieren sich an der Erzählung, weshalb der Tischler Link im Folgenden als „Link“, Elli Link als „Elli“ und Margarete Bende als „Bende“ bezeichnet werden.

5 Döblin: Die beiden Freundinnen, S. 76.

6 Ebd., S. 18.

7 Ebd., S. 48.

8 Ebd., S. 43.

9 Ebd., S. 92.

10 Vgl. Döblin: Die beiden Freundinnen, S. 44.

11 Döblin: Die beiden Freundinnen, S. 13.

12 Ebd., S. 23.

13 Ebd., S. 54.

14 Ebd., S. 29.

15 Ebd., S. 25.

16 Ebd., S. 26f.

17 Ebd., S. 31.

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Die Tatsächlichkeit der Tatsachen
Untertitel
Eine Untersuchung zu Alfred Döblins Erzählung "Die beiden Freundinnen und ihr Giftmord"
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Institut für Deutsche und Niederländische Philologie)
Veranstaltung
Neue Sachlichkeit
Note
1,0
Jahr
2005
Seiten
16
Katalognummer
V129532
ISBN (eBook)
9783640358434
ISBN (Buch)
9783640357970
Dateigröße
454 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Tatsächlichkeit, Tatsachen, Eine, Untersuchung, Alfred, Döblins, Erzählung, Freundinnen, Giftmord
Arbeit zitieren
Anonym, 2005, Die Tatsächlichkeit der Tatsachen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/129532

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