Die Zeit der Weimarer Republik brachte tiefgreifende Veränderungen für die Frauen. Es wurden ihnen politische Rechte eingeräumt und sie konnten in der Öffentlichkeit ganz anders in Erscheinung treten als jemals zuvor. Zwar hatte man in der Bohème auch schon vor dem Ersten Weltkrieg immer wieder vereinzelt ‚neue’ Frauen als „berufliche Rarität oder als literarische Konvention“ beobachten können. Die jungen Frauen der zwanziger Jahre, die den eigentlichen Typus der ‚Neuen Frau’ verkörperten, waren jedoch ein Massenphänomen.
Als einer der „Weimarer Prototypen des Romans der Neuen Frau“ wird in der Forschung der Roman Das kunstseidene Mädchen von Irmgard Keun angesehen. Kennzeichnend für Romane über die Neue Frau ist, dass deren Protagonistinnen Positionen moderner Weiblichkeit ausloten, mit den populären Bildern der Neuen Frau spielen und mit einer Reihe von Weiblichkeitsentwürfen experimentieren. Dies am Beispiel des Romans Das kunstseidene Mädchen zu untersuchen, soll Ziel dieser Arbeit sein. Dabei soll es vor allem darum gehen, die neuen Werte und die (scheinbare) Unabhängigkeit der Neuen Frau kritisch zu hinterfragen.
Gliederung
1 Einleitung
2 Merkmale der Neuen Frau
2.1 Äußerliches – Mode und Lebensstil
2.2 Sicherung des Lebensunterhalts durch Berufstätigkeit
2.3 Das Bild der Neuen Frau in der Gesellschaft – Unabhängigkeit und Neue Werte?
3 ZurDarstellung der Neuen Frau im Roman Das kunstseidene Mädchen
3.1 Doris’ Lebensstil – Bedeutung von Mode, Marken und Berufstätigkeit
3.2 Doris’ „System des Männerfangs“
3.3 Erschütterung des „System des Männerfangs“
4 Kritik an der scheinbaren Unabhängigkeit der ‚Kunstseidenen Mädchen’
5 Zusammenfassung
6 Literatur
1 Einleitung
[...] dabei ist es nicht einmal ganz sicher, ob es die neue Frau wirklich gibt
oder ob sie sich nur vorübergehend dafür hält.1
Robert Musil (1929)
Die Zeit der Weimarer Republik brachte tiefgreifende Veränderungen für die Frauen. Es wurden ihnen politische Rechte eingeräumt und sie konnten in der Öffentlichkeit ganz anders in Erscheinung treten als jemals zuvor. Zwar hatte man in der Bohème auch schon vor dem Ersten Weltkrieg immer wieder vereinzelt ‚neue’ Frauen als „berufliche Rarität oder als literarische Konvention“2 beobachten können. Die jungen Frauen der zwanziger Jahre, die den eigentlichen Typus der ‚Neuen Frau’ verkörperten, waren jedoch ein Massenphänomen.
Als einer der „Weimarer Prototypen des Romans der Neuen Frau“3 wird in der Forschung der
Roman Das kunstseidene Mädchen von Irmgard Keun angesehen. Kennzeichnend für Romane über die Neue Frau ist, dass deren Protagonistinnen Positionen moderner Weiblichkeit ausloten, mit den populären Bildern der Neuen Frau spielen und mit einer Reihe von Weiblichkeitsentwürfen experimentieren.4 Dies am Beispiel des Romans Das kunstseidene Mädchen zu untersuchen, soll Ziel dieser Arbeit sein. Dabei soll es vor allem darum gehen, die neuen Werte und die (scheinbare) Unabhängigkeit der Neuen Frau kritisch zu hinterfragen.
Der Roman bietet sich dazu in besonderer Weise an, da er im Jahr 1932 veröffentlicht wurde und auch seine Handlung in den Jahren 1931/32 spielt. Damit erfolgt die Auseinandersetzung mit der Thematik der Neuen Frau im Kunstseidenen Mädchen „von ihrem Ende her“. Ihr Höhepunkt lag damals schon einige Jahre zurück, die davon ausgehenden „Eruptionen“ waren jedoch noch spürbar.5
Am Beispiel von Doris, der Protagonistin des Romans, soll erarbeitet werden, was eigentlich so ‚neu’ war am Leben der Neuen Frau. – Kann tatsächlich von Unabhängigkeit gesprochen werden bzw. gar von Emanzipation?
Um dies zu klären, wird zunächst allgemein mit Hilfe von Sekundärliteratur sowie Primärzeugnissen aus der damaligen Zeit dargestellt, welche Attribute der Neuen Frau
zugeordnet wurden. Dabei wird ihr Lebensstil vor dem Hintergrund der damaligen Zeit betrachtet, um darauf schließen zu können, was daran als modern galt. Hierbei ist es wichtig, Wirklichkeit und (Medien-)Konstrukt voneinander abzugrenzen.
Anschließend wird Das kunstseidene Mädchen in Hinblick auf die erarbeiteten Kennzeichen der Neuen Frau untersucht. Dabei ist festzustellen, dass im Roman nicht nur ein einziges eindeutiges Bild der Neuen Frau entworfen, sondern ein ganzer Diskurs entwickelt wird. Die Protagonistin handelt zunächst nach einem „System des Männerfangs“6. Es gelingt ihr jedoch aus verschiedenen Gründen nicht, dieses Programm in Gänze zu verwirklichen. Dadurch revidiert Doris im Laufe des Romans ihre Grundpositionen und kehrt schließlich zu relativ traditionellen Lebenseinstellungen zurück.
Inwiefern dies im Widerspruch zum Konzept der Unabhängigkeit der Neuen Frau steht und welche Kritik eventuell dadurch am Verhalten der Neuen Frau geübt wird, soll abschließend diskutiert werden.
2 Merkmale der Neuen Frau
Bereits im 19. Jahrhundert waren vereinzelt Frauen durch besondere Kleidung sowie einen
„unüblichen“ Lebensstil aufgefallen. Das wirklich ‚Neue’ in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts bestand nun aber darin, dass das Phänomen der ‚Neuen Frau’ nicht nur einzelne betraf, sondern das Bild einer ganzen Generation prägte.7
Mit dem Ersten Weltkrieg gelangten immer mehr erwerbstätige Frauen in die Öffentlichkeit, etwa Schaffnerinnen, Postzustellerinnen, Straßenfegerinnen oder Munitionsarbeiterinnen, und wurden auch zunehmend als Normalität akzeptiert. Oftmals vertraten sie ihre Väter und Brüder in den Fabriken als „legitime Stellvertreter“. Diese „konstruierte Stellvertretung“ endete zwar mit dem Beginn des Friedens, die Frauen widmeten sich dann aber nicht, wie von
vielen gehofft, wieder dem Haushalt und der Familie, sondern wollten weiterhin arbeiten.8
2.1 Äußerliches – Mode und Lebensstil
In den Großstädten der 1920er Jahre trat die Neue Frau durch kurze Haare – den sogenannten Bubikopf – knabenhafte Gestalt, Korsettfreiheit und luftige Kleidung in Erscheinung. Die Röcke waren für damalige Verhältnisse sehr kurz – galt doch vormals schon das Zeigen eines
entblößten Knöchels als verrufen. Dieser neue Frauentyp etablierte sich „jenseits der ‚Dame’ und der ‚Hausfrau’“.9
Auch war die „Bewegung“ der Neuen Frau nicht nur auf Berlin und Deutschland beschränkt: Überall, in Bombay, Peking, New York, Paris. und London war das „Modern Girl“, der
„Flapper“ oder die „Garçonne“ zu beobachten.10
War es bis dahin unerhört gewesen für eine Frau, ohne männliche Begleitung auf die Straße zu gehen, saßen die jungen Frauen nun allein oder mit einer Freundin rauchend und trinkend vor den Cafés der Großstädte. 11
Für dieses bis dahin ungewohnte Erscheinungsbild, entstand das Schlagwort der ‚Neuen Frau’. Diese galt zum einen als „Verkörperung der Neuen Sachlichkeit“: „rational, unabhängig, schnell, zielstrebig, unbekümmert“12. Zum anderen erschien sie von
„altväterlicher Moral befreit, sexuell liberal, als gleichwertiger Partner des Mannes, finanziell unabhängig“. Durch Illustrierte, Romane, Filme und vor allem auch durch die Werbung wurde dieses Bild schließlich zum Klischee.13 – Will man die tatsächliche Unabhängigkeit der Neuen Frau untersuchen, ist es vor allem wichtig, dieses Klischee zu hinterfragen.
2.2 Sicherung des Lebensunterhalts durch Berufstätigkeit
Die Protagonistinnen des Massenphänomens der Neuen Frau waren die weiblichen Angestellten, Verkäuferinnen und Bürokräfte. – Während im 19. Jahrhundert noch galt, dass eine Dame, die arbeitet, keine Dame mehr ist, so drangen die jungen Frauen der zwanziger Jahre nun massenhaft in die Erwerbstätigkeit, vor allem in kaufmännische Berufe.14 Durch das Erleben des Ersten Weltkrieges und die Jahre der Inflation hatten viele Frauen die Erfahrung gemacht, materiell und emotional auf sich allein gestellt zu sein. Dies trug dazu bei, dass sich ihr Selbstverständnis und ihre Erwartungen gegenüber den Männern änderten.Sie sahen im Leben als Hausfrau und Mutter fortan nicht mehr die einzig wahre Erfüllung,sondern vielmehr eine „Einschränkung von Freiheit und Selbständigkeit“.15
Gemäß Erhebungen zur Erwerbstätigkeit der Angestelltengewerkschaften in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre war der Durchschnittstypus der weiblichen Angestellten 20 Jahrealt, ledig und wohnte bei den Eltern oder anderen Verwandten. Nach dem Volksschulabschluss hatten die meisten der weiblichen Angestellten keine Ausbildung
absolviert, sondern sich die nötigen Kenntnisse für den Angestelltenberuf in kurzen Lehrgängen angeeignet.16
Da diese Berufe als so genannte „Ledigen-Berufe“ galten, gingen damit auch mancherlei erotische Phantasien einher. Neben ihrer Arbeitskraft boten die Frauen in ihren Berufen nämlich auch Erotik und Weiblichkeit. Dadurch waren sie angehalten, ihre äußere Erscheinung durch Kosmetik und regelmäßigen Sport zu pflegen. Insbesondere war es wichtig, dass die weiblichen Angestellten den geforderten Modestandards so weit wie möglich folgten, um für den Arbeitsmarkt attraktiv zu sein.17 Das Geld, das sie allein durch ihre Erwerbstätigkeit verdienten, reichte dazu jedoch nicht. Denn sie alle hatten mit ähnlichen Problemen hinsichtlich niedriger Bezahlung und geringer Aufstiegschancen zu kämpfen.18
Daran wird deutlich, dass sich den Frauen durch die neuen Berufsmöglichkeiten zwar einerseits durchaus Freiräume auftaten. Andererseits aber ging damit – übrigens bis in die heutige Zeit hinein – keine wirkliche Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern einher.19
2.3 Das Bild der Neuen Frau in der Gesellschaft – Unabhängigkeit und Neue Werte
Die damalige Öffentlichkeit sah die Neue Frau als schönheitsbewusst und sexuell liberal. Auch wurde ihr eine gewisse Kühle und Berechnung unterstellt, vor allem in Liebes-Dingen Dies soll anhand dreier zeitgenössischer Texte kurz umrissen werden:
In dem Gedicht An die Berlinerin von Kurt Tucholsky aus dem Jahr 1922 wird die Neue Frau dargestellt, als sei sie zu wirklicher Romantik und Liebe nicht mehr fähig. Sie versuche, die Filmstars nachzuahmen, die sie im Kino sieht und gehe mit ihren Männern kühl und berechnend um. Wichtig für sie sei, dass sie etwas Materielles von den Männern bekommt,z. B. eine „Maulwurfstola“. Das Gedicht appelliert daran, dass sich „die Berlinerin“ wieder auf die alten Werte zurückbesinnen und die „mondäne Geste“ lassen solle.20
Ähnliches wird im Text Anspruchsvolle Mädchen von Gabriele Tergit aus der damaligen Zeit angesprochen, doch wird der Lebensstil der jungen Fra uen darin verteidigt. Tergit schreibt über den Generationskonflikt zwischen ‚alten’ und ‚neuen’ Frauen und dem, was sie vom Leben erwarten. Die ‚neuen’ Frauen investierten nicht mehr in materielle Werte wie ein
großes Büfett und sonstige Gegenstände für die Aussteuer, die gebraucht werden, um einen Haushalt auszustatten.21 Stattdessen sei für sie das „Hübschaussehen“ wichtiger denn je geworden. „Seidene Strümpfe und gewellte Haare“ seien allerdings nicht nur dazu da, um einen „reichen Mann zu finden“, sondern dienten als „Waffen im Lebenskampf“, denn„[ü]berall haben es die Hübschen und Gepflegten leichter“.22
[...]
1 Musil, Robert: Die Frau gestern und morgen, in: Die Frau von Morgen wie wir sie wünschen, Hrsg. von Friedrich M. Huebner, Leipzig 1929, S. 91.
2 Grossmann, Atina: Mythos ‚neue Frau’, in: Fräulein vom Amt, Hrsg. von Helmut Gold und Annette Koch, München 1993, S. 136.
3 Barndt, Kerstin: Sentiment und Sachlichkeit – Der Roman der Neuen Frau in der Weimarer Republik, Köln 2003, S. 12.
4 Ebd.
5 Ebd., S. 208.
6 Keun, Irmgard: System des Männerfangs, in: Der Querschnitt. Junge Mädchen heute, XII. Jg., Heft 4, Berlin 1932.
7 Eifert, Christiane: Die Neue Frau. Bewegung und Alltag, in: Manfred Görtemaker und Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz (Hg.), Weimar in Berlin. Porträt einer Epoche, Berlin 2002, S. 82.
8 Ebd., S. 84.
9 Gold, Helmut: ‚Fräulein vom Amt’ – Eine Einführung zum Thema, in: Fräulein vom Amt, Hrsg. von Helmut Gold und Annette Koch, München 1993, S. 30.
10 Eifert: Bewegung und Alltag, S. 82.
11 Ebd.
12 Ebd.
13 Gold: Fräulein vom Amt, S. 30.
14 Ebd., S. 28.
15 Grossmann: Mythos ‚neue Frau’, S. 144.- 6 -
16 Eifert: Bewegung und Alltag, S. 89.
17 Ebd.
18 Gold: Fräulein vom Amt, S. 27.
19 Ebd., S. 28.
20 Tucholsky, Kurt: An die Berlinerin, in: Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke, Bd. 3, Hrsg. von Mary-Gerold Tucholsky und Fritz J. Raddatz, Reinbek bei Hamburg 1975 (1960), S. 148-149.- 7 -
21 Tergit, Gabriele: Anspruchsvolle Mädchen, in: Gabriele Tergit: Atem einer anderen Welt. Berliner Reportagen, Hrsg. und mit einem Nachwort versehen von Jens Brüning, Frankfurt am M. 1994, S. 45.
22 Ebd., S. 46.
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