Generation Y. Eine Analyse von Problemen, Herausforderungen und Werten und Ableitung möglicher Hilfestellungen


Bachelorarbeit, 2021

80 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Was ist eine Generation?
1.2. Gründe und Sinn der Generationeneinteilung
1.3. Kontext der Generation Y - Analyse der vorherigen Generationen
1.3.1 Babyboomer
1.3.2. Generation X

2. Besonderheiten und Merkmale der Generation Y in der Sozialisation
2.1 Gesellschaftliche Perspektive
2.1.1 Leben in der Krise
2.1.2 Politische Krise
2.1.3 Wirtschaftliche Krise
2.1.4 Bildungskrise
2.2. Veränderung der Lebenswelt - Individuelle Perspektive
2.2.1 Leben im digitalen Zeitalter
2.2.2 Entgrenzung und Verdichtung
2.2.3 Individualisierung in der Risikogesellschaft
2.2.4 Familienformen in Veränderung
2.2.5 Erziehungsstil

3. Werte und Einstellungen der Generation Y
3.1. Zentrale Werte nach Schulenburg
3.2 Vier Typen der Generation Y nach Hurrelmann und Albrecht

4. Psychische Herausforderungen der Generation Y
4.1 Gründe und Ursachen für die psychischen Erkrankungen
4.2 Lösungsstrategien gegen äußere Herausforderungen

5. Untersuchung von Werten, Herausforderungen und Lösungen
5.1 Theoretische Fundierung: Qualitative Sozialforschung
5.2 Gütekriterien qualitativer Forschung
5.3 Leitfadengestützte Interviews
5.3.1 Vor- und Nachteile des Forschungssetting
5.3.2 Auswahl der Interviewpartner
5.3.3 Art und Weise des Interviews
5.3.4 Durchführung der Interviews
5.4 Die Auswertungsmethode
5.5 Forschungsergebnisse
5.5.1 Gemeinsame Werte
5.5.2 Herausforderungen und Probleme
5.5.3 Lösungsansätze

6. Interpretation mit Schlussfolgerungen und Handlungsempfehlungen
6.1 Gegen den Leistungsdruck
6.2. Ausrichtung nach Innen und berufliche Praxis
6.3 Beratung und Begleitung
6.4 Fazit und Appell

7. Literaturverzeichnis
7.1 Weitere Quellen:
7.2 Anhangsverzeichnis

Anhang A: Kategorienbildung

Anhang B: Interviewleitfaden

Anhang C: Interviews P1 - P5

Abstract - Englisch

The world is constantly changing. On the one hand, new technologies, trends and major events ensure that society is shaped. The rising generation has different mindsets, values and attitu­des as they also faces new problems and challenges. Generation Y is a generation that has gone through a particularly large number of crises.

Social work, as well as society in general, lacks in knowledge of Generation Y and its problems, challenges, values and characteristics. In order to effectively shape the work on Generation Y, knowledge about them, as well as developments and trends, are fundamentally important. Even if Social work is primarily to be helped by this work, the results can undoubtedly also can be applied on other aspects of society and therefore are not only useful for social work.

The present work has set itself the task of analyzing and presenting the problems, challenges and properties more precisely. After a picture of the generation has been drawn, reference is made to psychological challenges and possible solutions for social work are derived from the findings.

In order to answer the research question, a detailed literatur search was used. However, in order not only to fall back on literatur, but also to question the generation itself, five qualitative interviews were carried out with the help of an interview guide. Through this values, challenges were revealed and possible solutions worked out.

The evaluation of the interviews indicated that social work must focus more on topics of per­sonality development, professional experience / internships and personal support. Specific ex­planations are listet at the end of the thesis and could look different.

Abstract - Deutsch

Die Welt befindet sich ständig im Wandel. Neue Technologien, Trends und Großereignisse sorgen dafür, dass eine Gesellschaft geprägt wird. Die aufkommenden Generationen haben unterschiedliche Denkweisen, Werte und Einstellungen, da sie auch mit neuen Problemen und Herausforderungen zu kämpfen haben. Eine Generation, die besonders viele Krisen durchlebt hat, ist die Generation Y.

Der Sozialen Arbeit, sowie der Gesellschaft allgemein, fehlt es grundlegend an Kenntnis über die Generation Y und ihre Probleme, Herausforderungen, Werte und Eigenschaften. Um die Arbeit an der Generation Y effektiv zu gestalten, ist eine Kenntnis über sie, sowie Entwicklun­gen und Trends, fundamental wichtig. Auch wenn mit dieser Arbeit primär der Sozialen Arbeit geholfen werden möchte, lassen sich die Ergebnisse zweifelsfrei auch auf weitere Aspekte der

Gesellschaft anwenden und sind aus diesem Grund nicht nur für die Soziale Arbeit nützlich.

Die vorliegende Arbeit hat sich zur Aufgabe gemacht, die Probleme, Herausforderungen und Werte genauer zu analysieren und darzustellen. Nachdem ein Bild der Generation gezeichnet wurde, wird verstärkt auf psychische Herausforderungen Bezug genommen und mögliche Lö­sungsansätze für die Soziale Arbeit aus den Erkenntnissen abgeleitet.

Um die Forschungsfrage zu beantworten ist eine ausführliche Literaturrecherche angewandt worden. Um jedoch nicht nur auf Literatur zurückzugreifen, sondern auch die Generation selbst zu befragen, wurden fünf qualitative Interviews mithilfe eines Interview-Leitfadens durchge­führt.

Dadurch wurden Werte, Herausforderungen und insbesondere mögliche Lösungsansätze her­ausgearbeitet. Die Auswertung der Interviews ergaben, dass sich die Soziale Arbeit stärker auf Themen der Persönlichkeitsentwicklung, beruflichen Erfahrung/Praktika und persönlichen Begleitung fokussieren muss. Konkrete Ausführungen sind an das Ende der Arbeit aufgeführt und könnten unterschiedlich aussehen.

1. Einleitung

„Generation Vielleicht... Wir teilen, wir liken, wir zeigen, wir reifen, wir leisten, wir zeigen. Ist sicher, wahrscheinlich! Ich glaub’ schon, ich weiß nicht.“ (Teesy feat. Megaloh - Generation Maybe)

Noch nie zuvor hatte ein Song so sehr mein Interesse geweckt und gleichzeitig mich direkt angesprochen. Als ich von einem Treffen mit einem Freund - was sich im Nachhinein als Seelsorgetreffen entpuppte - nach Hause fuhr und ich mich fragte, wie ich meinen Freundes­kreis doch helfen könnte, ertönte das Lied „Generation Maybe“ von Teesy und Megaloh im Radio. Dort beschreiben sie plakativ und humorvoll die „Generation Vielleicht“ mit unterschied­lichen - teils positiven, teils negativen - Eigenschaften. Es war nicht die Musikrichtung, die mich hier besonders reizte, sondern der Text, in dem ich andere und auch mich selbst schnell wiederfand.

Zum ersten Mal wurde mir bewusst, dass viele Problemstellungen, nicht nur Probleme auf individueller Ebene sind, sondern auf einer größeren Ebene - der gesellschaftlichen Ebene - und somit eine ganze Generation betreffen. Der Gedanke, dass bestimmte Problemstellungen nicht nur einen selbst betreffen, sondern eine gesamte Generation, hatte einen Paradigmen- wechsel zur Folge. Eine große Herausforderung besteht jedoch auch darin, die Generation als solche zu erfassen, da teilweise widersprüchliche Behauptungen über sie gemacht werden. Zusätzlich stelle ich fest, dass es, neben einigen beschreibenden Konzepten, in der Literatur an Lösungsansätzen mangelt, um der Generation Y bei der Problem- und Krisenbewältigung zu helfen, sowie deren Forderungen in sich aufnehmen.

Die vorliegende Arbeit hat sich zur Aufgabe gemacht die Generation Y zunächst in ihren Prob­lemen, Herausforderungen und Werten zu analysieren und mithilfe von qualitativen Interviews mögliche Lösungsansätze für die Soziale Arbeit abzuleiten.

Dabei lässt die Arbeit sich gedanklich in drei Bestandteile gliedern: 1) Herausforderungen und Krisen, 2) Werte und psychische Probleme, 3) Qualitative Interviews und daraus resultierende mögliche Lösungsansätze.

Im ersten Teil der Arbeit wird zunächst näher auf den Begriff der Generation, sowie Generati­onseinteilung eingegangen. Zusätzlich wird argumentiert, weshalb eine solche Einteilung in Generationen überhaupt sinnvoll ist. Anschließend werden die prägenden Ereignisse und wei­tere Einflussfaktoren der Generation Y in ihrer Jugendphase analysiert und dargestellt. Diese werden inhaltlich in eine gesellschaftliche und individuelle Ebene unterteilt und geben den größten Aufschluss über den Charakter der Generation.

Im zweiten Teil der Arbeit werden die daraus resultierenden Werte und Fähigkeiten dargestellt und die Generation Y mit ihren Eigenschaften näher charakterisiert. Mögliche 1 Schlussfolgerungen über die Werte der Generation werden an dieser Stelle zusammenge­fasst. Hierzu gehören neben den Eigenschaften auch psychische Herausforderungen und Probleme, die in dieser Arbeit einen besonderen Stellenwert besitzen.

Im letzten Teil der Arbeit schließt sich der Forschungsteil an. Mithilfe von fünf qualitativen In­terviews sollen Werte, Herausforderungen und mögliche Lösungsansätze für die Soziale Ar­beit herausgearbeitet werden. Die Arbeit schließt mit einigen Lösungsmöglichkeiten und An­gebote, sowie einem Fazit/Appell und wirft einen Blick auf die nachfolgende Generation Z.

1.1 Was ist eine Generation?

Ob Generation „Why“, Generation Maybe, Generation What?, Generation Me, Generation Krise oder einfach Millennials - die Generation Y verfügt über eine Vielzahl von unterschiedli­chen Namensgebungen. Genauso vielfältig wie ihre Bezeichnungen sind auch ihre Eigen­schaftszuschreibungen. Einige von ihnen sind teils widersprüchlich, teils wilde Behauptungen.

Um zunächst ein grobes Verständnis von der Generation Y zu erhalten, ist es notwendig den Begriff der Generation klarer zu definieren. Der Begriff der Generation wird im alltäglichen Gebrauch häufig durch den Kontext definiert, sodass eine gewisse Vorstellung der Wortbe­deutung vorhanden ist, sich jedoch je nach Situation unterscheiden kann. Gleicherweise kann der Begriff in unterschiedlichen Disziplinen anders ausgelegt und interpretiert werden.

Im Kontext der Gesellschaft hingegen verwendet man den Begriff der Generation für Personen bzw. einer Personengruppe, die in einem bestimmten Zeitraum geboren wurden, sind und aus diesem Grund in ihrer Kindheit und Jugendphase durch ähnliche oder gleiche Ereignisse ge­prägt wurden. (Vgl. Hurrelmann & Albrecht, 2014 S. 15)

Die damit einhergehende Unterteilung der Gesellschaft in verschiedene Generationen ist um­stritten und lässt sich nicht so leicht vollziehen, wie zunächst auf den ersten Blick denkbar. Gründe dafür sind eine Vielzahl von möglichen Ursachen, die nicht auf eine Ursache allein isoliert werden können. (Vgl. Schulenberg, 2016, S. 7) Damit kann die Ursache für ein Verhal­ten oder eine Veränderung nicht eindeutig mit einem Ereignis in Verbindung gebracht werden, sondern nur geschätzt werden. Weitere Einflussfaktoren und Ursachen für Unterschiede kön­nen nach Schulenburg, neben den „Generationseffekten“ auch das Alter der Betrachteten sein, sowie auch gesellschaftliche Trends. (Schulenberg, 2016 S.7)

Schulenburg ergänzt in seinem Buch „Führung einer neuen Generation“ einen weiteren Punkt, der die Generationsforschung schwierig macht: Eine gleichzeitige Befragung von zwei ver­schiedenen jungen Mitgliedern einer Generation ist nicht möglich. So können beispielsweise „junge Mitglieder der Generation X und junge Mitglieder der Generation Y... nicht zeit­gleich... befragt oder beobachtet werden.“ (Schulenberg, 2016 S.7) Diese T atsache macht eine Beobachtung unter gleichen Umständen für eine andere Generation unmöglich. Demzufolge kann es sich bei der Generationsforschung um keine „Ceteris-Paribus-Betrachtung“ (also keine wiederholbare Betrachtung unter den gleichen Umständen) handeln, wie Schulenberg feststellt. (Schulenberg, 2016, S.7)

Zusätzlich ist bei der Definition einer Generation wichtig zu erwähnen, dass nicht nur Unter­schiede zwischen den Generationen (Kinder, Eltern, Großeltern) betrachtet werden, sondern vielmehr Unterschiede in dem Verhalten der Personen, während ihrer Jugendzeit. (Vgl. Oertel, 2014, S. 26) Es werden also keine Unterschiede zwischen Jungen und Alten herausgearbeitet, sondern deren Jugendzeit miteinander verglichen, um damit Veränderungen erklären zu kön­nen.

Die Gründe, warum insbesondere die Jugendphase so stark in den Blick genommen wird, hängt mit der Sozialisationstheorie nach Ronald Inglehart zusammen. (Inglehart, 1997 S.53ff) Diese betrachtet das Kindes- und Jugendalter als eine formative Phase, in welcher Werte und Einstellungen gebildet werden und sich langfristig in dem Individuum manifestieren. In dieser sensiblen Phase ihrer Entwicklung entfalten prägende Ereignisse die größte Wirkung und Ver­änderung.

Trotz der Schwierigkeiten der Generationsforschung ist die Beobachtung, dass eine Genera­tion sich von einer anderen Generation unterscheidet, nicht zu bezweifeln. Obwohl die metho­dische Trennung eine Herausforderung darstellt und die Einflussgrößen nicht eindeutig mess­bar sind, ist nach Schulenburg „die Existenz einer Generation Y nicht zu bezweifeln“, da Füh­rungskräfte und Praktiker tagtäglich „neue Herausforderungen im Umgang und Arbeiten mit einer bestimmten Altersgruppe“ erleben. Für die Praktiker und Führungskräfte sind die Ursa­chen und die Frage, wie diese sich methodisch erfasst werden können eher zweitrangig. (Schulenburg, 2016, S.8f)

Damit die Unterschiede zwischen den verschiedenen Generationen analysiert und herausge­arbeitet werden kann, begibt man sich auf die Suche nach „einheitlichen Faktoren der Prä­gung“ innerhalb einer Generation. (Schulenburg, 2016, S.8) Diese einheitlichen Faktoren der Prägung können prägende Ereignisse sein, wie zum Beispiel die Erfindung von Massenme­dien. Solche prägenden Ereignisse haben einen direkten Einfluss auf eine Generation, die unter dessen Wirkung „aufwächst und lebt“, sodass sie eine prägende Wirkung hinterlassen. (Schulenburg, 2016 S. 8; Hurrelmann & Albrecht, 2014, S.15)

Diese prägende Wirkung ist nicht bei jedem individuellen Mitglied der Generation gleich, son­dern unterliegt einer Verteilung, sodass einige Eigenschaften bei einigen stärker, bei anderen schwächer ausgeprägt sind. Wird nun eine Eigenschaft mit einer Vorgängergeneration vergli­chen, so nimmt man eine Normalverteilung der Eigenschaft in der Generation an. Das schließt nicht aus, dass einzelne Personen von der Gesamtheit abweichen. Grundsätzlich lässt sich jedoch eine Aussage über die Mehrheit machen, die einen „roten Faden der Generationen' aufzeigt, aber nicht auf alle Individuen gleich gilt. (Schulenburg, 2016, S.8ff)

Dementsprechend wird eine Generation von wesentlich mehr verbunden als nur die gleichzei­tige Geburt in einem ähnlichen Raum. Der Soziologie Karl Mannheim, der die Klassifikation der Generation nach Generationserlebnissen maßgeblich geprägt hat, spricht hier von einem Generationszusammenhang und einer Generationseinheit. Während der Generationszusam­menhang die Teilhabe an gemeinsamen Schicksalen/Ereignissen meint, (zum Beispiel der Mauerfall) sind Generationseinheiten durch „geistige Strömungen, sowie Grundintentionen und Gestaltungsprinzipien“, miteinander verbunden. (Mannheim, 1964, S. 541 - 555) Dieses Generationsverständnis nach Mannheim, welches die geistigen Bewegungen stärker in den Fokus nimmt, ist dabei nicht neu, sondern orientiert sich verstärkt an der Epocheneinteilung der Kunstgeschichte. (Vgl. Mannheim, 1964, S. 508 - 520) Aus diesem Grund wird eher nach einer gemeinsamen Mentalität einer Generation gesucht. Man stellt sich dementsprechend die Frage: „Wie tickt die junge Generation von heute?“ (IG Metall Jugend, 2017, S. 1)

1.2. Gründe und Sinn der Generationeneinteilung

Warum ist eine Klassifikation in Generationen überhaupt sinnvoll? Eine Klassifikation ist aus diesem Grund sinnvoll, da die Gesellschaft sich stets in einem Wandel befindet und neue Mit­glieder anderen Einflüssen ausgesetzt sind als die Vorgängergeneration. Insbesondere die sensible, prägende Phase der Jugendzeit spielt hierbei eine erhebliche Rolle, weshalb sie be­reits im vorherigen Kapitel als Ausgangspunkt der Definition verwendet wurde. Der prägende Einfluss und die Erfahrungen der Jugendzeit können dabei genutzt werden, um Ursachen für Probleme zu erkennen und aktuelle Probleme letztlich auch zu lösen.

Aber nicht nur die Jugendzeit gilt es zu analysieren, um eine Generation zu verstehen, sondern auch gesellschaftliche Trends, sodass ein ganzheitlicher Blick entworfen werden kann und Probleme und geistige Strömungen verstanden werden können. Demzufolge bedient sich die Generationsforschung nicht nur der Jugendforschung, sondern auch der Trendforschung.

Insbesondere mögliche Schlussfolgerungen für die Zukunft und für die zukünftige gesellschaft­liche Entwicklung sind Zielsetzungen der Generationsforschung. Bei der Jugendphase handelt es sich um einen Zeitabschnitt, in welchem Jugendliche besonders empfänglich für Ereignisse und ihren Veränderungen sind. Hierzu ist der Prozess der Sozialisation verantwortlich und die einhergehende Reifung der Persönlichkeit, weshalb Ereignisse stärkere Auswirkungen auf die Persönlichkeit haben als für andere Altersklassen. Der besondere Prozess der Persönlich­keitsbildung wird von Hurrelmann als „produktive Realitätsverarbeitung“ bezeichnet und ver­weist auf die „Verarbeitung der inneren und äußeren Realität“. (Bauer & Hurrelmann, 2015, S. 157) Ein weiteres Spannungsfeld der Sozialisation liegt in der sozialen Integration und der persönlichen Individuation. (Bauer & Hurrelmann, 2015, S. 111) Darauf soll nicht näher eingegangen werden, sondern nur ein Verständnis dafür geschaffen werden, dass die Sozia­lisationsphase besonders prägend wirkt.

Außerdem führen das ähnliche Alter und gleiche Ereignisse in der Kinder- und Jugendphase zu einer gleichen Prägung. Hurrelmann und Albrecht sprechen dabei von einem „einheitlichen Sozialcharakter der Generation.“ (2014, S. 15) Trotzdem ist an dieser Stelle anzumerken, dass die Intensität der Ausprägung bei jeder Person unterschiedlich ausfällt. (Vgl. Otto & Remdisch, 2015, S. 55)

Neben den prägenden Ereignissen während der Kinder- und Jugendzeit nehmen auch Trends eine entscheidende Rolle ein. Die Wirkungen von Trends werden vermutlich gleichermaßen aufgenommen, wie prägende Ereignisse, weshalb ihnen eine Wirkungsmacht zuzuschreiben ist. (Vgl. Hurrelmann & Albrecht 2014, S. 13) Trends können näher als Wandlungsprozesse definiert werden, die auf verschiedenen Ebenen des Lebens stattfinden und somit nur schwer messbar sind.1

Hurrelmann und Albrecht bedienen sich der Metapher des Seismografen und bezeichnen die Jugend als „Seismograf für gesellschaftliche Entwicklungen“, welche eine gewisse Idee und Vorstellung der zukünftigen Gesellschaft erahnen lässt.2 (2014, S. 13)

Zusammenfassend ist also zu sagen, dass die Klassifikation einer Generation wichtig ist, um Ableitungen und Hilfestellungen für die Zukunft herauszuarbeiten und sich auf mögliche Her­ausforderungen vorzubereiten. Dabei bedient sich die Generationsforschung der Trend- und Jugendforschung und versucht ein Porträt der Generation und ihren Merkmalen aufzuzeich­nen. Diese Arbeit verfolgt jedoch nicht nur das Ziel Kernherausforderungen der Generation Y herauszuarbeiten, sondern auch mögliche Hilfestellungen darzubieten. Stigmatisierungen o­der Rivalitäten sind ausdrücklich keine Ziele der Generationsforschung.3

1.3. Kontext der Generation Y - Analyse der vorherigen Generationen

Um die Generation Y nun mehr zu verstehen, erscheint es mehr als sinnvoll, sich die voraus­gehenden Generationen näher zu betrachten. Somit kann die Generation Y besser verglichen werden und Eigenarten, sowie Merkmale stärker herauskristallisiert werden. Die Generation der „Babyboomer“ wurde von der „Generation X“ abgelöst, dessen Platz schließlich die Gene­ration Y einnahm. Von beiden Generationen soll hier ein knappes Porträt aufgezeichnet werden, um auch mögliche Megatrends möglicherweise verstehen zu können und Unter­schiede zur Generation Y erkennen zu können.

Wie bereits aus der vorherigen Definition von Generationen hervorgeht, werden Generationen nach Ereignissen und geistigen Bewegungen kategorisiert. (Vgl. Mannheim, 1964, S. 541 - 555) Eine zeitliche Einteilung stellt aus diesem Grund eine Herausforderung dar. In der Litera­tur lassen sich aus diesem Grund unterschiedliche Zeitangaben zu verschiedenen Generatio­nen finden. Der herkömmlichen Einteilung in Zeitabschnitten von 30 Jahren widerspricht Hur­relmann und Albrecht, da die Geschwindigkeit von Veränderungen zugenommen hat. Aus die­sem Grund empfiehlt Hurrelmann und Albrecht einen Zeitabschnitt von 15 Jahren für die Ein­teilung der Geburtsjahrgänge vorzunehmen. (Vgl. Hurrelmann & Albrecht, 2014, S. 16f) Dieser Empfehlung wird in den nachfolgenden Kapiteln nachgegangen.

1.3.1 Babyboomer

Die Generation der Babyboomer liegen ungefähr zwischen den Geburtenjahre 1955 und 1970. (Vgl. Hurrelmann & Albrecht, 2014, S. 21) Sie lösten die vorherige Stille Generation ab, die hauptsächlich durch den Krieg geprägt ist. Aus diesem Grund ist die Generation Babyboo­mer in die Nachkriegszeit zu zählen, welche sich von den Auswirkungen des Krieges langsam erholte.

Ihr Name verdeutlicht den hohen Anstieg der Geburtenrate, welcher vermutlich durch den Frie­den, sowie die Heimkehr von Soldaten begründet ist. Die hohe Geburtenrate ging durch die Einführung der Pille radikal zurück, weshalb in der Statistik von einem Pillenknick die Rede ist. (Ruthus, 2014, S. 8)

In der formativen Jugendphase erlebten die Generation Babyboomer die Ölkrise, sowie den Terror durch die Rote-Armee-Fraktion (RAF). Außerdem war die Jugendphase einerseits durch eine hohe Arbeitslosigkeit nach dem Krieg geprägt. Andererseits wurde die Jugend­phase auch von einem Wirtschaftsaufschwung begleitet. Weitere einflussreiche Entwicklun­gen der Generation sind Frauenbewegungen und die Anti-Atomkraftbewegung. (Hurrelmann & Albrecht, 2014, S. 22f)

Unter den technologischen Errungenschaften ist die Mondladung, wie auch die Entwicklung des Computers zu nennen. (Ruthus, 2014, S.8) Aufgrund ihrer Lokalisierung in der Nach­kriegszeit ist davon auszugehen, dass sich materiell-existenzielle Güter stärker in den Fokus drängten und der Konsum - im Sinne von Luxus - eher schwach gelebt wurde. (Parment, 2013, S.9)

Die Generation Babyboomer ist heute ca. 50 Jahre und älter. Im Zentrum der Bedürfnisse stehen Sicherheit und Stabilität. (Vgl. Ruthus, 2014, S. 7) Ruthus charakterisiert diese Gene­ration als leistungsorientiert und beständig, die über eine hohe Loyalität gegenüber dem Arbeitnehmer verfügt und die geringste Wechselneigung im Beruf/Arbeitsstelle hat. (Vgl. Ru- thus, 2014, S. 7) Das Arbeitsverhältnis findet in einem hierarchischen Denken statt. (Otto & Remdisch, 2015, S. 54) Zusätzlich werden Hierarchien und klare strukturierte Aufgaben als positiv empfunden, sowie die Arbeit als Pflicht wahrgenommen. (Vgl. Parment, 2013, S.9) Ru- thus geht noch einen Schritt weiter und definiert „Arbeit als das Leben“ für diese Generation. (2014 S.7)

Durchschnittlich sind sie seit 15 Jahren bei demselben Arbeitgeber beschäftigt und arbeiten dort circa 35 h pro Woche. Aus dieser langfristigen Beschäftigung ergab sich für 89 % ein unbefristetes Arbeitsverhältnis. (Otto & Remdisch, 2015, S. 58) Zeitgleich besitzen die Baby­boomer größtenteils eine geringere Qualifikation: 66 % haben eine Lehre oder eine Berufs­ausbildung als höchsten Abschluss, während nur 9 % einen Meisterabschluss absolviert ha­ben. (Otto & Remdisch, 2015, S. 58) Eine Vereinbarkeit von Beruf und Familienleben wird nicht unbedingt angestrebt. (Ruthus, 2014, S. 7)

Abschließend charakterisiert Ruthus diese Generation mit den Eigenschaften; „idealistisch, anspruchsvoll, umweltbewusst, teamfähig.“ (2014, S. 7)

1.3.2. Generation X

Die Babyboomer Generation wurde durch die Generation X abgelöst, welche auf den unge­fähren Zeitraum von 1970 bis 1985 datiert werden, kann. (Hurrelmann & Albrecht, 2014, S. 22) Die Bezeichnung Generation X stammt von dem gleichnamigen Roman von Douglas Cou­pland, in welchem Douglas Coupland die Situation der jungen Erwachsenen beschreibt. Die explizite Entstehung der Namensgebung „X“ ist dabei umstritten und es existieren verschie­dene Entstehungsgeschichten.

Während die „Babyboomer“ Generation den Wirtschaftsaufschwung erlebten, werden die Mit­glieder der Generation X im Wohlstand geboren. Womöglich ist das ein Grund, weshalb das eigene mental-psychische Wohlbefinden stärker im Vordergrund steht. (Hurrelmann & Alb­recht, 2014, S. 22f.) Das Geld, was in der vorherigen Generation noch von Bedeutung war, wird von der Generation X der persönlichen Freiheit untergeordnet. (Ruthus, 2014, S.7)

Möglicherweise könnte der größte Mangel der Generation X eine Orientierungslosigkeit sein. (Hurrelmann & Albrecht, 2014, S. 22f) Gestützt wird diese Annahme durch das Bild der Schlüs­selkinder. Wegen der Berufstätigkeit beider Elternteile verbrachten Kinder nach Unter­richtsende oft mehrere Stunden allein ohne Aufsicht. Aus diesem Grund wurde dem Kind die Schlüssel übergeben, da es noch vor den beiden Eltern nach Hause kommt. Einerseits könnte dies zu einer Eigenständigkeit geführt haben, andererseits verbildlicht es eine gewisse Orien- tierungslosigkeit/Hilflosigkeit der Generation.4

In Bezug auf die Arbeitswelt wird ein Jobwechsel gezielt verwendet, um Karrieresprünge zu machen. Aufgrund der verstärkten Leistungs- und Karriereorientierung wird die Entscheidung zur Familiengründung oftmals nach hinten hin verlagert. (Vgl. Ruthus, 2014, S.8)

Ein prägendes Ereignis der Generation X ist der Mauerfall 1989. Aber auch die zunehmende Globalisierung und der internationale Wettbewerb nehmen an Bedeutung zu. Auf technologi­scher Ebene sind Massenmedien zu nennen, sowie die Erfindung des Handys. (Vgl. Ruthus, 2014, S. 7)

Ruthus charakterisiert die Generation X als „individualistisch, karriereorientiert und pragma­tisch.“ (2014, S. 7)

2. Besonderheiten und Merkmale der Generation Y in der Sozialisation

Um im weiteren Schritt mögliche Kernherausforderungen der Generation Y und mögliche Hil­festellungen herausarbeiten zu können, wird zunächst ein detaillierter Blick auf die Phase der Sozialisation geworfen.

Der Grund, weshalb insbesondere diese Phase für die Analyse wichtig ist, wird durch Ronald Inglehart erklärt. Es handelt sich bei der Kinder- und Jugendzeit um eine „formative Phase“, welche einen großen Einfluss auf die später-gebildeten Werte und Einstellungen nimmt. (Inglehart, 1997, S. 53ff) Geht man von einer zeitlichen Einteilung der Geburtenjahre von 1985 bis 1999 aus, ist die Jugendzeit dementsprechend auf maximal 2015 zu schätzen.

Hierzu werden die Besonderheiten und Merkmale versucht auf zwei verschiedenen Ebenen einzuordnen: auf gesellschaftlicher Perspektive und individueller Perspektive. Eine klare Tren­nung der beiden Perspektiven ist nur bedingt möglich und soll nur der Versuch einer ungefäh­ren Gliederung sein. Nach den einprägsamen Krisen werden weitere mögliche Einflussfakto­ren veranschaulicht. Anschließend werden hieraus die Werte und Besonderheiten der Gene­ration Y herausgearbeitet.

2.1 Gesellschaftliche Perspektive

Die Einteilung in eine gesellschaftliche und individuelle Perspektive dient nur dazu, verschie­dene Einflüsse zu kategorisieren. Dabei werden gesellschaftlichen Ereignissen etc. eine eher indirekte - und individuellen Einflüssen - eine eher direkte Wirkung, unterstellt. Die Grenzen sind fließend und sollen nur die Darstellung erleichtern.

2.1.1 Leben in der Krise

Die Kinder- und Jugendzeit der Generation Y wurde von einer Vielzahl von Krisen und Große­reignissen geprägt. Kerstin Bund bezeichnet die Generation Y einerseits als „materiell ver­wöhnte Generation“, die dennoch Krisenkinder sind, da ihr Leben maßgeblich von Krisen be­einflusst worden ist. (Bund, 2014, S. 39)

Basierend auf der Ausarbeitung von Andreas Dahlmann in „Generation Y und Personalma­nagement“, (Dahlmann, 2013, S. 18) wurde das Leben in drei Phasen „Jugend, Erwerbsleben und Ruhestand“ eingeteilt. Die Jahreszahlen wurden jeweils um fünf Jahre nach Hinten ver­schoben, um der anfänglichen Einordnung treu zu bleiben.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

2.1.2 Politische Krise

Als besonders-prägendes und zeitgleich politisches Ereignis ist der Terroranschlag auf das World Trade Center am 11. September 2001 zu nennen. Anders Parment betont die Reich­weite der Auswirkung des Terroranschlags am 11. September und spricht bei diesem Ereignis sogar von dem prägendsten Ereignis der Generation Y. (Parment, 2013, S. 18) Dem stimmt Kerstin Bund zu und zählt, neben dem Terroranschlag, die Ermordung von John F. Kennedy und den Mauerfall als weitere prägende Großereignisse auf. (Bund, 2014, S. 40)

Außerdem führte das Aufkommen der Terrormiliz „Islamischer Staat (IS)“ zu einer stärkeren Anwesenheit von Gefahr und Terror. Die Gefahr durch Terroristen fand seinen Höhepunkt in den Anschlägen von Paris 2015. Die Anschlagserie sorgte für eine erneute Konfrontation mit der Angst vor dem Terror. Möglicherweise könnte die Konfrontation in diesem Fall stärker aus­gefallen sein, da der Anschlag nicht in einem fernen Land stattfand, sondern nun auch in Eu­ropa vorgedrungen ist. (Vgl. Hurrelmann & Albrecht, 2014, S. 15 + 25) Die Auswirkungen der politischen Krisen könnten Geburtsstunde „der Unsicherheit“ sein, weshalb Kerstin Bund da­von ausgeht, dass Generation Y auch die „Generation 9/11“ ist. (2014, S. 41)

Ebenfalls sorgte die Nuklearkatastrophe von Fukushima 2011 dafür, dass die Klimadebatte wieder an Pfad aufgenommen hatte. Ganz nach dem Vorbild der Generation X, welche mithilfe der Anti-Atomkraft-Bewegung versuchte, eine klimafreundlichere Richtung in der Politik anzu­regen, streikte die Generation Y in der sozialen Bewegung „Fridays for Future“, um eine Ver­änderung zu erzielen. In der nachfolgenden Generation Z haben bereits ein Fünftel schon an einer „Fridays for Future“ Demonstration teilgenommen. (JIM-Studie, 2019, S. 33)

Insgesamt scheint das politische Interesse der Generation Y, aufgrund der vielen politischen Krisen, jedoch begrenzt zu sein: So fand die Shell Jugendstudie 2010 heraus, dass nur 40 % der Jugendlichen sich als „politisch interessiert“ bezeichnen würden. (Hurrelmann & Albrecht, 2014, S. 122) Besonders deutlich wird dies in der Parteienzugehörigkeit: Nur noch etwa ein Prozent der Jugendlichen ist ein Parteimitglied. Gleicherweise sank die Wahlbeteiligung: Wäh­rend sie bei der Vorgängergeneration noch bei 70 bis 80 % lag, sank sie in der Generation Y auf 50 bis 60 %. (Hurrelmann & Albrecht, 2014, S. 133) Es herrscht ein gewisses Misstrauen gegenüber der Politik. Für die Generation Y wirken Parteisysteme wie „starre bürokratische Apparate.. .in denen für sie kein Platz ist, sich zu entfalten.“ (Hurrelmann & Albrecht, 2014, S.133ff)

Eine weitere wichtige politische Entwicklung, die einen direkten Einfluss auf die Generation Y hat, ist die Globalisierung. Die Globalisierung hat auf politischer Ebene dazu geführt, dass multilaterale Beziehungen an Bedeutung zugenommen haben und dementsprechend auch die Europäische Union stärker in den Fokus rückte. (Global Governance) Besonders veranschau­licht wird dies unter anderem durch den Beitritt von Griechenland, Portugal und Spanien, dem Maastrichter Vertrag und letztendlich dem Schengener Übereinkommen von 1995, welche Passkontrollen innerhalb der EU aufhoben. (Vgl. Dahlmann, 2013, S. 22f) Die gemeinsame Entwicklung wurde in der Währungspolitik durch die Einführung des Euros 2002 weitergeführt. Der neuen Freiheit der simplen Auslandsreise steht jedoch der neue Wettbewerbsdruck ge­genüber. (Vgl. Dahlmann, 2014 S. 22) Die Grenze zwischen direktem und indirektem Einfluss sind hierbei sehr schwammig. Aus der 16. Shell Jugendstudie 2010 geht hervor, dass die Glo­balisierung von der Generation Y grundsätzlich positiv bewertet wird, sowie ihre neue Mög­lichkeit der „Weltweiten Freizügigkeit“. (Dahlmann, 2014, S. 19f)

2.1.3 Wirtschaftliche Krise

Das Internet hat nicht nur die Globalisierung vorangeschritten, sondern auch an den Aktien­märkten für Aufbruchsstimmung gesorgt. Schließlich platzte die Investmentblase im Jahr 2000 und löste eine kleine Kettenreaktion der globalen Wirtschaftskrise aus. Nach einer kleinen Zwischenzweit löste das Platzen der Immobilienblase in Amerika zwischen 2007 - 2009 eine globale Wirtschaftskrise aus und übte einen direkten Einfluss auf die Generation Y aus. (Bund, 2014, S. 42)

Die wirtschaftlich-schwierige Situation wirkte sich auf direkte Art und Weise auf die Arbeits­marktsituation aus: Im Jahr 2005 waren „über 4,8 Millionen Menschen in Deutschland ohne Arbeit“. (Hurrelmann & Albrecht, 2014, S. 49) Dies führte zu einem erschwerten Berufseinstieg für die neuen Jahrgänge. Außerdem entstanden neue Formen des Beschäftigungsverhältnis­ses wie zum Beispiel Minijobs und Leiharbeit. Die größten Verlierer der wirtschaftlichen Krise sind Personen mit einem mäßigen Schulabschluss. Die Erfahrung, dass Bildung selbst in Krisen ein Garant für einen Job ist, könnte sich in der Generation Y eingeprägt haben. Mit der Wichtigkeit von Bildung als zentrale Ressource und Absicherung, um nicht zu den „Bildungs­verlierern“ zu gehören, setzen sich Klaus Hurrelmann und Gudrun Quenzel in ihrem Buch „Bil­dungsverlierer“ intensiv auseinander.5

Nachdem die wirtschaftliche Lage sich wieder erholt hatte, verzeichnen Hurrelmann und Alb­recht, dass aus dem „Lehrstellenmangel ein Lehrlingsmangel geworden“ ist. (2014, S.60) Ins­besondere Berufsgruppen, die mehrheitlich einen Haupt- oder Realschulabschluss erfordern, melden einen hohen Fachkräftemangel. Der Mangel an Fachkräften führt gleichzeitig zu einem kreativen Wettbewerb, um Lehrlinge anzuwerben. (Hurrelmann & Albrecht, 2014 S. 62) Somit befinden sich nicht nur die Mitglieder der Generation Y unter dem Druck des globalen Wettbe­werbs, sondern auch die Unternehmen verspüren den Druck des Wettbewerbs.

Des Weiteren wird der Fachkräftemangel zusätzlich durch den demografischen Wandel be­stärkt. Die IHK führte für jedes Bundesland das Fachkräftemonitoring ein, mithilfe der Fach­kräftemangel für jede Region im Jahr 2030 prognostiziert werden kann.6 Steffi Burkhart prog­nostiziert einen Fachkräftemangel von „8-10 Millionen Fachkräften“ im Jahr 2030 und einen stärkeren „War of talents“ um die knappe Ressource „Talent.“ (Burkhardt, 2019, S. 7+ 10) Auf wirtschaftlicher Ebene hebt Kerstin Bund die Rentenproblematik hervor und das daraus resul­tierende „Krisengefühl“ für die Generation Y. Demzufolge wird „Unsicherheit“ als ein Dauer­zustand erlebt und der Glaube an die Gesellschaft geschmälert. (Bund, 2014, S. 46f)

2.1.4 Bildungskrise

Die durchlebten Krisen der Generation Y lassen sich jedoch nicht nur auf der globalen Ebene verorten, sondern spielen sich auch innerhalb Deutschlands ab. Dort ist es insbesondere die Bildungskrise, die zu Veränderung und Umbruch führte und die Generation formte. Auslöser der Bildungskrise waren Ergebnisse aus der PISA-Studie, in welcher das Bildungssystem in Deutschland im internationalen Vergleich schlecht abschnitt. (Bund, 2014, S. 41) Dieses Er­gebnis wird in der Literatur auch „PISA-Schock“ genannt. Aber nicht nur Defizite im Lesen und Schreiben wurden ans Licht gebracht. Die PISA-Studie offenbarte auch, dass der Erfolg in Deutschland stark vom jeweiligen Elternhaus abhängig war, sodass eine Chancengerechtig­keit nicht vorhanden war. (Vgl. Hurrelmann & Albrecht, 2014, S. 51)

Reaktionen auf die Bildungskrise waren grundlegende Veränderungen: Das Gymnasium wurde um ein Jahr verkürzt (G8), sowie die Studienabschlüsse mithilfe der Bologna-Reform auf Bachelor und Master umgestellt. Kerstin Bund veranschaulicht den Verlauf der Bildungskrise und kritisiert, dass „aus einem gebührenfreien ein gebührenpflichtiges und dann wieder ein gebührenfreies Studium“ wurde. (Bund, 2014, S. 41f)

Nach Hurrelmann und Albrecht hat die Generation Y mithilfe der Krise die Wichtigkeit von Bildung erkannt und verfolgt deshalb das Ziel „nicht zu den Leistungsschwachen zu gehören“, da dies das „sichere gesellschaftliche Aus“ bedeutet. (2014, S. 53) Die starke Leistungsorien­tierung schlägt sich in der Shell Studie nieder: Im Jahr 2010 gaben 55 % der 12- 25-Jährige an, das Abitur machen zu wollen. Im Zentrum des Lernens stehen jedoch Ergebnisse und Zertifikate - also primär Noten. Die eigentliche Lernsubstanz tritt mehr in den Hintergrund. (Hurrelmann & Albrecht, 2014, S. 53ff)

Kaum ein Thema wurde und wird bis heute so brisant diskutiert wie die G8-Reform. Die psy­chischen Auswirkungen werden im Laufe der Arbeit näher thematisiert.

2.2. Veränderung der Lebenswelt - Individuelle Perspektive

Nachdem die gesellschaftliche Perspektive erläutert wurde, werden nun direkte Einflüsse auf individueller Ebene näher beschrieben. Der 15. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregie­rung beschreibt drei Kernherausforderungen und Aufgaben für die Mitglieder der Generation Y.7

Eine Kernherausforderung ist die Qualifizierung. Sie meint, dass die Jugend „umfassende Handlungsfähigkeiten erwirbt, um sich selbst und die Gesellschaft reproduzieren zu können.“ (15. Kinder- und Jugendbericht, 2017, S. 49) Verbunden wird die Qualifizierung mit der Ver­selbstständigung. Sie verweist auf das unabhängige Verhältnis zur Herkunftsfamilie und an­deren pädagogischen Institutionen oder sozialen Diensten. Aus den Kernherausforderungen Qualifizierung und Verselbstständigung bildet sich die Aufgabe der Selbstpositionierung. Sie meint die Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit, die mit einer Balance zwischen „subjektiver Freiheit und sozialer Zugehörigkeit“ einhergeht. (15. Kinder- und Ju­gendbericht, 2017, S. 49)

Diese drei Kernherausforderungen werden durch gesellschaftliche Entwicklungen beeinflusst und erschwert. Die unterschiedlichen Einflüsse und Wirkungen, sowie Trends, werden in den nächsten Kapiteln vorgestellt.

2.2.1 Leben im digitalen Zeitalter

Die Generation Y wird in die Welt der Medien hineingeboren. Sie sind somit keine „digital im- migrants“, sondern „ digital natives “ und Experten in Sachen Medien, weshalb die Bundesre­gierung ihnen auch den Namen „Generation Internet“ verleiht.8 Das Leben der Kinder und Jugendlichen wird maßgeblich durch das Internet beeinflusst und ist ihr ständiger Begleiter. (Vgl. Hurrelmann & Albrecht, 2014, S. 147) Dabei wird das Internet nicht nur zur Unterhaltung genutzt, sondern ist zur „wichtigsten Kommunikationsplattform überhaupt geworden.“ (Hurrel­mann & Albrecht, 2014, S. 151) Ein Leben ohne Smartphone ist kaum vorzustellen, weshalb die Ausstattung mit einem Smartphone bei 13-Jährigen bereits bei 62 % liegt und 95 % der 18-19-Jährigen ein eigenes Smartphone besitzt.9 (JIM-Studie, 2015, S. 46f)

Gleichzeitig veränderte die Digitalisierung die Geschwindigkeit gesellschaftlicher Prozesse. Hartmut Rosa beschreibt in seinem Modell des Beschleunigungszirkels die verschiedenen Di­mensionen der Beschleunigung (Rosa, 2016, S. 44) Am Anfang des Zirkels steht die techni­sche Beschleunigung zum Beispiel durch schnelle „Kommunikations- und Produktionspro­zesse“. Diese wiederum leiten eine Beschleunigung des sozialen Wandels ein, in welcher Le­bensstile, Werte, Moden, Einstellungen sich mit zunehmender Geschwindigkeit verändern und wandeln.

Letztendlich entsteht daraus eine Beschleunigung des Lebenstempos für die Generation Y. Zeit wird zum wertvollen Gut und sehr knapp. Immerhin wird die Generation Y angetrieben von der „Verheißung der Ewigkeit“, also dem ständigen Erfahrungshunger nach Erlebnissen und neuen Erfahrungen. (Rosa 2016, S. 39ff) Kein Wunder, dass das Auslandsjahr zu einem Kli­scheemerkmal für die Generation Y wurde. (Vgl. Würzburger S. 10) Die allgemeine Beschleu­nigung des Lebens hat jedoch nicht nur positive Konsequenzen, sondern ist Auslöser für stän­digen Leistungsdruck und psychischen Erkrankungen, die im späteren Verlauf der Arbeit de­taillierter vorgestellt werden.

Aus der Digitalisierung entstehen weitere Herausforderungen. So fürchten sich nach Umfrage der Bundesregierung zwei Drittel der Befragten vor Mobbing im Internet. Die „Beleidigungskul­tur“ verweist auf die enorme Herausforderung für den richtigen Umgang mit Medien. Eine adä­quate Medienkompetenz und ein reflexiver Umgang mit den Medien versuchen eine negative Nutzung einzudämmen.10 Aber auch der Schutz und die Sicherheit sensibler Daten spielen in den virtuellen Welten wichtige Rollen. Durch einen präventiven Ansatz versucht man hier die negativen Entwicklungen abzumildern. (Vgl. Würzburger S. 63) Neben der Sorge vor Kontroll­verlust der eigenen Daten und die Gefahr vor Mobbing nimmt auch die Verbreitung von Fake News in den sozialen Medien zu und stellt eine weitere Herausforderung für die Generation Y dar.11

2.2.2 Entgrenzung und Verdichtung

Die Vorstellung einer entspannten Jugend mit viel Freizeit und Zeit sich selbst auszuprobieren und zu entwickeln unterliegt einer ständigen Veränderung. Das Bildungsmoratorium - also die Zeit, in welcher der Jugendliche sich durch verschiedene Aktivitäten entwickelt und sich auch Zeit für seine Entwicklung nimmt, befindet sich im Umbruch. Die zwei widersprüchliche und herausfordernden Entwicklungstrends „Entgrenzung und Verdichtung“ tauchen das erste Mal im 15. Kinder- und Jugendbericht 2015 auf und wurden dort ausführlich dargestellt.

Das Ziel des psychosozialen Moratoriums ist der Übergang vom Kindesalter über die Jugend­zeit hin zum Erwachsen-sein.12 Dieser Prozess wird als Sozialisation definiert, da sie den Über­gang und Eingliederung in die Gesellschaft als zentrales Ziel verfolgt. Dabei zeichnet sich die Jugendphase dadurch aus, dass bestimmte Verpflichtungen noch nicht vollständig auferlegt werden, sondern Jugendliche stattdessen eine Identität hervorbringen können. Vier Merkmale sind hier ausschlaggebend:

1) Jugendliche sind von reproduktiven Aufgaben befreit. Die Befreiung treten durch Verbote und Gesetze in Kraft und umfassen das eingeschränkte Arbeiten, Heiratsalter, Sexualität und weitere Schutzbestimmungen. (zum Beispiel Alkoholkonsum etc.)
2) Die Sozialisation hat wie bereits an anderer Stelle angeführt, die Aufgabe, Jugendliche zu qualifizieren. Die Qualifizierung wird auf politischer Ebene durch eine Schulpflicht und deren Kontrolle. Hierzu gehört auch die Professionalisierung der pädagogischen Berufe, um die Ent­wicklung der Jugendlichen optimal fördern zu können.
3) Um die Integration von Jugendlichen am Rand der Gesellschaft zu ermöglichen, werden „spezifische Institutionen damit beauftragt“, „besondere Inklusionsräume bereitzuhalten.“
4) Das „Moratorium des Aufwachsens“ ist befristet und dauert nicht ewig an.13 (15. Kinder- und Jugendbericht, 2015, S. 90ff)

Die formative Jugendphase und zeitgleich auch der Prozess der Sozialisation befindet sich durch die zwei Entwicklungstrends „Entgrenzung und Verdichtung“ in einem Wandel. Entgren­zung meint dabei, dass einerseits die Grenze zwischen dem Jugendalter und dem Erwachse­nenalter nicht mehr eindeutig gezogen werden kann. Außerdem bedeutet die Entgrenzung, dass verschiedene Kontextbezüge ineinander übergehen und keine klaren Grenzen mehr be­sitzen. Besonders deutlich wird das im Bereich Bildung und Freizeit. Durch das steigende Angebot der Ganztagsschulen gehen die Bereiche Bildung und Freizeit ineinander über, so­dass eine klare Grenze nicht mehr vorhanden ist.

Begleitet wird der Prozess der Entgrenzung durch eine Verlängerung des Jugendmoratoriums bis sogar in das dritte Lebensjahrzehnt hinein. Sichtbar wird diese Entwicklung durch den Ver­gleich des Heiratsalters von 1970 bis 2010. Während 1970 das durchschnittliche Heiratsalter durchschnittlich bei 24,3 (Männer) und 22,4 (Frauen) Jahren lag, verschob sich es sich 2010 durchschnittlich auf 33,2 (Männer) und 30,3 (Frauen) Jahren. Zusätzlich lässt sich diese Ent­wicklung auch an der Erwerbstätigkeit beobachten: Laut dem Kinder- und Jugendbericht ist eine spätere Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zu beobachten. Die Entwicklung reicht bereits in die 1970er Jahre und setzt sich in der Generation Y fort. Gründe dafür liegen vermutlich in der Bildungsexpansion und dem Ziel eine höhere Qualifikation zu erreichen. (15. Kinder- und Jugendbericht, 2015, S. 92) Zusätzlich wird diese These dadurch bekräftigt, dass die Haupt­schulen drastisch geschrumpft sind. (Vgl. 15. Kinder- und Jugendbericht, 2015, S. 92f)

Der Entwicklungstendenz der Entgrenzung steht einer Verdichtung gegenüber. Als pragmati­sche Reaktion auf die späte Aufnahme der Erwerbstätigkeit und den PISA-Schock wurde die Gymnasialzeit um ein Jahr verkürzt. (G8) Des Weiteren versucht die Verkürzung den demo­grafischen Wandel entgegenzuwirken, in dem Jugendliche früher in das Berufsleben einstei­gen und später in die Rente eintreten.14

Die Verdichtung geht zeitgleich mit zunehmenden Erwartungen und einem größeren Leis­tungsdruck einher, in welcher Erprobungsräume und Rückzugsorte für Jugendliche fehlen. (Vgl. 15. Kinder- und Jugendbericht, 2015, S. 109) Außerdem ist eine Institutionalisierung der Jugendphase zu beobachten: Kinder und Jugendliche verbringen teilweise mehr Zeit in päda­gogischen Institutionen als in ihrer Familie. Der 15. Kinder- und Jugendbericht greift eine Aus­sage eines Jugendlichen auf, die die Vielfalt der Bezugspersonen auf den Punkt bringt:

„Ich wurde ja nicht nur von den Eltern erzogen, sondern von der ganzen Welt, Freunden, Lehrern.“ (15. Kinder- und Jugendbericht, 2015, S. 120)

Schließlich führt die zunehmende Verdichtung von gesellschaftlichen Prozessen dazu, dass Jugendliche unter einem Selbstoptimierungszwang stehen und immer die Sorge tragen, „ab­gehängt zu werden.“ (15. Kinder- und Jugendbericht, 2015, S.109)

Auf der Suche nach der bestmöglichen Förderung sind bereits Kinder im Kindergarten einem gewissen Druck ausgesetzt. Dabei unterliegt das Kind, meiner Beobachtung nach, mehreren Belastungen: montags das Frühschwimmer Training, Mittwoch die Sport AG, Donnerstag die Klavierstunden, Freitag die Frühförderung und am Wochenende der Besuch der Großeltern. Im Wettbewerb um die Talente kann nicht früh genug damit angefangen werden die eigenen Kinder zu fördern. Sendungen wie „Klein gegen Groß“ wollen einerseits Talente von Kindern ehren, befeuern diesen Wettbewerb jedoch indirekt.15 Die Auswirkungen des Wettbewerbs für die psychosoziale Entwicklung sind dabei meistens erst später erkennbar. Insgesamt lernen Kinder und Jugendliche lernen, dass es wichtig ist viel zu leisten.

2.2.3 Individualisierung in der Risikogesellschaft

Die Auflösung tradierter Rollenbilder zieht eine zunehmende Individualisierung mit sich. Rol­lenbilder, an denen man sich festhalten konnte und die eine gewisse Identität versprachen, verlieren an Bedeutung. Der Prozess der Individualisierung rückt das Leben des Einzelnen stärker in den Mittelpunkt und rückt gleichzeitig das Denken im Kollektiv in den Hintergrund. Beispielhaft kann hier die Erwerbsbiografie genannt werden, die sehr individuell und einzigartig sind.16 Die vielen Entscheidungsmöglichkeiten könnten für eine Unsicherheit bei Jugendlichen sorgen, da es schwieriger sein kann Stabilität aufzubauen.

Die Shell Jugendstudie 2015 untersuchte die Prioritäten junger Menschen und kam auf das Ergebnis, dass 97 % der Befragten jungen Menschen, „Gute Freunde zu haben, die einen anerkennen“ als ihre höchste Priorität angegeben haben. (IG Metall Jugend, 2012, S.5) Die Unsicherheit durch die Individualisierung könnte unter anderem auch den hohen Drang nach Sicherheit erklären: Hier gaben 77 % der jungen Menschen an, dass Sicherheit ihnen wichtig ist. (IG Metall Jugend, 2012, S. 6)

Die Lösungsstrategie der Generation Y auf die verschiedenen Herausforderungen wird von Hurrelmann und Albrecht als „Egotaktik“ bezeichnet. (2014, S. 178) Entscheidungen werden vornehmend aus einer „selbstbezogenen Grundhaltung heraus“ getroffen, nachdem Vor- und Nachteile analysierend gegenübergestellt wurden. Man könnte mit Vorsicht sagen, dass der Entwicklungstrend der Individualisierung sich in der Generation Y manifestiert hat, sodass ihre eigenen „persönlichen Bedürfnisse“ im Mittelpunkt stehen. (Hurrelmann & Albrecht, 2014, S. 178) Aufgrund der „Multioptionsgesellschaft“17 und den nahezu unendlich vielen Wahlmöglich­keiten werden Entscheidungen vermieden und es wird versucht sich Optionen offenzuhalten. (Hurrelmann & Albrecht, 2014, S. 178ff)

Die vorherrschende Egotaktik bedeutet jedoch nicht, dass die Generation Y sich nicht ehren­amtlich engagieren würde. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) verzeichnet einen Anstieg des Engagements, insbesondere bei Jüngeren und Schülern.18 (Ebenfalls bei Rentnern) Jedoch ist ihr bürgerschaftliches Engagement anscheinend an Erwartungen ge­knüpft, sodass sie als Ehrenamtler „Spaß und Erfüllung“ und schließlich einen „Gewinn an Wohlbefinden und Selbstbewusstsein“ sehen wollen. (Hurrelmann & Albrecht, 2014, S. 127) Da diese Kriterien in den meisten traditionellen Vereinen und Verbänden nicht gegeben sind, wird von einer Mitarbeit abgesehen. Interessanterweise stellt das Deutsche Institut für Wirt­schaftsforschung heraus, dass die Kirche oftmals der Ort des regelmäßigen Ehrenamts ist. Möglicherweise hängt dies wiederum mit dem Wunsch nach Stabilität zusammen. Wirft man einen Blick auf den Nutzen des Kirchenbesuches, könnte dies für die Generation Y eine mög­liche Rückzugsoase sein, in welcher die Beschleunigung und Verdichtung nicht spürbar ist, sondern von welchem für einen Moment entflohen werden kann. In einem Artikel von Deutsch­landfunk beschreibt Annette Clara Unkelhäußer ihre Erfahrung mit dem kontemplativen Ange­bot:

„Mal zu spüren, wie es sich anfühlt, einen Raum zu haben, wo ich einfach sein darf, so wie es jetzt ist, unabhängig von Ergebnissen, und dass ich in diesem Raum der Freiheit und Stille mich manchmal ganz neu entdecke und spüre, wer ich im tiefsten eigentlich bin oder wer ich sein will, was mich ausmacht, was mir zusetzt.“19 (Burkhardt & Schupp, 2014, DIW)

Auch an dieser Stelle ist der individuelle Trieb sichtbar, sodass es nicht darum geht, denselben Glauben im Kollektiv zu erleben. Hurrelmann und Albrecht fassen zusammen, dass es der Generation Y schwerfällt „für etwas einzutreten, das über die eigene Individualität hinausgeht.“ (2014, S. 127) Die 18. Shell Jugendstudie hingegen stellt einen leichten Rücklauf des persön­lichen Engagements fest und fand heraus, dass die Bildungsposition und Erfahrung in der Familie eine große Rolle bei dem Engagement spielen.20

Anders Parment veranschaulicht in seiner Literatur den Zusammenhang zwischen der wirt­schaftlichen Entwicklung und den Aufstieg des Individualismus. Fundamentale Ursache des Individualismus bzw. seine Stärkung sieht Anders Parment in den neuen Wahlmöglichkeiten der Generation Y. Die Globalisierung und die damit einhergehende größere Auswahl an Lie­feranten ändert das Verhalten des Konsumenten: Es wird „entscheidungsbewusster und an­spruchsvoller.“ (Anders Parment, 2013, S. 34) Für die Generation Y ist es eine Selbstverständ­lichkeit eine Vielzahl an Handlungsmöglichkeiten zu besitzen, sodass verschiedene Angebote verglichen werden und sich dann individuell entschieden wird. Dieses Konsumverhalten scheint sich ebenfalls auf die Mentalität auszuweiten. Hurrelmann und Albrecht fassen diese neue Mentalität folgendermaßen zusammen: „So wird die Mehrheit der Generation Y zu Nut- zenkalkulierern, die sich so verhalten, wie am meisten Gewinn für sie ganz persönlich ent­steht.“ (2014, S. 56)

2.2.4 Familienformen in Veränderung

Die Generation Y wurde maßgeblich von der Öffnung und Umgestaltung fester Familienformen beeinflusst. Von zentraler Bedeutung ist neben der Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare, auch die stärkere Gleichstellung der Frau. Die Strategie des Gender Mainstreaming sorgte dabei nicht nur für die Gleichstellung und Teilhabe der Frau, sondern ergänzte die zwei typischen Geschlechterrollen Mann und Frau mit weiteren Geschlechtern mit dem Allgemein­begriff „divers.“21

Hurrelmann und Albrecht halten fest, dass „feste Familienmodelle.. .massiv an Bedeutung ver­loren haben.“ Abgelöst werden diese durch Patchworkfamilien und weiteren Möglichkeiten, wie zum Beispiel der Regenbogenfamilie.22 (2014, S.94)

Schulenburg sieht den zentralen Grund für den Bedeutungsverlust in dem zunehmenden Wohlstand der jungen Menschen. Dadurch ist die „Notwendigkeit in der eigenen Familie zu verbleiben gesunken“, da das Elternhaus schon früh verlassen werden kann. Zusätzlich resul­tiert aus dem Wohlstand, dass „das Konstrukt des Freundeskreises“ mit Leben gefüllt werden kann, da dieses nicht nur Zeit, „sondern auch Geld kostet.“ (Schulenburg, 2016, S. 13)

Die neuen Wahlmöglichkeiten und verschiedene Varianten könnten den Eindruck erwecken, dass das System Familie nicht mehr relevant für die Generation Y sei. Dem ist jedoch nicht so, sondern Familie wird als Notwendigkeit zum Glücklichsein gesehen und in der Shell Ju­gendstudie 2010 von fast 70 % ausdrücklich gewünscht. (Hurrelmann & Albrecht, 2014, S.86) Aufgrund der verlängerten Ausbildungszeiten und der Ausweitung des Bildungsmoratorium, bleibt für die Partnersuche und Sexualität „kaum noch Zeit.“ (Hurrelmann & Albrecht, 2014, S. 87)

[...]


1 https://www.zukunftsinstitut.de/artikel/trends-grundlagenwissen/

2 Der Seismograf ist ein Gerät, welches seismische Wellen von Erdbeben und Erschütterungen anzeigen kann. Es wird verwendet, um auf mögliche Entwicklungen in der Zukunft angemessen reagieren zu können.

3 Einige Zeitungsartikel verwenden plakative Stigmatisierungen, um für Spannung in ihrem Artikel zu sorgen. Wie zum Beispiel: Alle aus der Generation Y wollen nicht arbeiten! Solche Äußerungen säen Rivalität und verur­sachen Stigmatisierungen.

4 https://www.wortbedeutung.info/Schl%C3%BCsselkind/

5 Vgl. Hurrelmann & Quenzel, (2020) Bildungsverlierer, Neue Ungleichheiten, Springer Fachmedien

6 So zum Beispiel für Rheinland-Pfalz: http://www.fachkraeftemonitor-rlp.de/

7 https://www.bmfsfj.de/blob/115438/d7ed644e1b7fac4f9266191459903c62/15-kinder-und-jugendbericht- bundestagsdrucksache-data.pdf

8 https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/so-denkt-die-generation-internet--1551750

9 https://www.mpfs.de/fileadmin/files/Studien/JIM/2015/JIM_Studie_2015.pdf

10 https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/so-denkt-die-generation-internet--1551750

11 “Exemplarisch sichtbar an falschen Behauptungen zur Präsidentenschafswahl: https://www.sta- tista.com/chart/6795/fake-news-is-a-real-problem/

12 https://lexikon.stangl.eu/16344/psychosoziales-moratorium/

13 https://www.bmfsfj.de/blob/115438/d7ed644e1b7fac4f9266191459903c62/15-kinder-und-jugendbericht- bundestagsdrucksache-data.pdf

14 https://www.diw.de/de/diw_01.c.502914.de/presse/diw_glossar/g8_reform.html

15 Eine Sendung von ARD, Das Erste, in welcher ein Kind gegen einen Erwachsenen antritt und in frühen Jahren schon ein außergewöhnliches Talent hat.

16 Während in der Generation Baby Boomer ein Arbeitswechsel eher unüblich war, wird er heute eher als Nor­malität betrachtet.

17 Der Begriff der Multioptionsgesellschaft wurde von dem Soziologen Peter Gross mithilfe seines gleichnami­gen Buches „Multioptionsgesellschaft" (1994) geprägt.

18 https://www.diw.de/de/diw_01.c.683556.de/publikationen/wochenberichte/2019_42/wachsendes_ehren-amtliches_engagement_generation_der_68er_haeufiger_auch_nach_dem_renteneintritt_aktiv.html#section1

19 https://www.deutschlandfunk.de/die-religion-der-millenials-wenn-gott-wie-mein-handy.2540.de.html?dram:article_id=455005

20 https://www.shell.de/ueber-uns/shell-jugendstudie/_jcr_con-tent/par/toptasks.stream/1570708341213/4a002dff58a7a9540cb9e83ee0a37a0ed8a0fd55/shell-youth-study-summary-2019-de.pdf

21 https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/gleichstellung/gleichstellung-und-teilhabe/strategie-gender- mainstreaming

22 Eine Regenbogenfamilie meint eine Familie, bei denen Kinder bei zwei gleichgeschlechtlichen Partnern als eine Familie zusammen leben.

Ende der Leseprobe aus 80 Seiten

Details

Titel
Generation Y. Eine Analyse von Problemen, Herausforderungen und Werten und Ableitung möglicher Hilfestellungen
Hochschule
Internationale Fachhochschule Bad Honnef - Bonn
Note
1,0
Autor
Jahr
2021
Seiten
80
Katalognummer
V1296771
ISBN (Buch)
9783346758675
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Generation Y, Soziale Arbeit, Neue Generation, Herausforderungen, Werte, Probleme, Analyse
Arbeit zitieren
Drs. Soziale Arbeit Sora (Hans) Pazer (Autor:in), 2021, Generation Y. Eine Analyse von Problemen, Herausforderungen und Werten und Ableitung möglicher Hilfestellungen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1296771

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