Donald Judds unmittelbare Ästhetik und das Leben


Hausarbeit, 2006

13 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis:

A. Einleitung: Donald Judd und das Leben

B. 1. Die unmittelbare Ästhetik des spezifischen Objektes
2. Evidenz als Totenkult
3. Evidenz als Darstellung und Impuls des Denkens

C. Schluss

A. Einleitung: Donald Judd und das Leben

"Unser Leben ist sehr kurz, und unser Lebensraum jeweils sehr begrenzt. Im wesentlichen leben wir an einem winzigen Punkt irgendwo, aber alles ist unendlich in allen Richtungen. Man muss sich ein paar Gedanken darüber machen. Ich glaube, die Leute denken darüber nicht genügend nach."[1] Donald Judd, 1989

Dieses Zitat von Donald Judd greift, mit dem orthodoxen, transzendentalen Moment seiner spezifischen Ästhetik, in der vom Seminar geforderten Konfrontation mit dem Begriff des Lebens in einen Punkt hinein, der dem ihn gegenüberstehenden Leben eine gezielt tautologische Funktionalität hinsichtlich einer toten Sterilität, wie auch einer semiotisch, mimetisch-potenziellen Darstellung des Denkens als solches inhärent werden lässt. Donald Judds Bedeutung in der Kunstgeschichte ist unumstritten gefestigt und darin bereits nachgiebig reflektiert. Im Rahmen eines philosophisch visierten Seminars verbietet sich jedoch eine bloße werkanalytische Diskursivität.

In diesem Sinne stellt sich diese Seminararbeit zur Aufgabe, den theoretischen Unterbau von Donald Judds spezifischen Objekten hinsichtlich seiner Bedeutung für den Begriff des Lebens zu hinterfragen. Zunächst erscheint es unumgänglich seine Theorie der unmittelbaren Ästhetik in Hinblick auf den Fokus des Lebens zu beleuchten, was anhand seiner berühmten Schrift "Spezifische Objekte" erfolgen wird. Im Darauffolgenden wird das von mir kuratierte Interpretationssystem dem Leben in seinem grundlegenden Ambivalenzpotenzial im Extremen gerecht: die unmittelbare Erfahrung der Evidenz findet seine perspektivische Ausprägung im Totenkult der Grabgestaltung ebenso, wie in der Darstellung und Impulssetzung des Denkens als solches. Der Anspruch auf "absolute Präsenz" des spezifischen Objektes erschließt sich in Form des Todes und zugleich einer "lebensspendenden", bewusstseinsfördernden Ästhetisierung ohne jeden gegebenen Kontextbezug des Subjekts. Durch den ästhetischen Dialog zwischen Subjekt und Objekt entsteht eine potenzielle Möglichkeit der objektiven Bewusstseinsprägung für die Kunst, welche ihre finale Ausprägung im ewig von Neuem dialektisch denkbaren aufzeigt und sich auf diese Weise für die Erweiterung neuer Grenzsetzungen nutzbar macht.

"Mein Leben ist kurz, man sucht sich irgend etwas, aber der Hauptgrund dafür, dass man versuchen sollte, etwas Neues zu machen - und zwar so neu, wie man nur kann - ist, dass es das einzige ist, was man wirklich gut machen wird und wovon man etwas versteht, und deshalb muss man etwas Neues erfinden. Wenn man Formen benutzt, die von jemand anderen stammen, wird man sie letztlich nicht verstehen, man wird dieser Arbeit nicht entsprechen können, und man wird ewig hinterherhinken."[2] Donald Judd, 1989

1. Die unmittelbare Ästhetik des spezifischen Objektes

Das Prinzip der Avantgarde, sich mit Hilfe eines Minimierungsverfahrens vom Vorurteil des bereits geschaffenen Kunstwerkes zu befreien, findet in der minimalistischen Kunst von Donald Judd seine finale konzeptionelle Ausprägung. Die minimalistischen Arbeiten Judds verweisen in ihrer formalen Kälte auf nichts anderes als sich selbst, werden zu absoluten, ästhetischen Objekten ohne jeden Kontextbezug, weder zum Raum noch zur Zeit. Sie sollen das Volumen ohne Symptome und ohne Latenzen darstellen. In seinem bedeutenden Text "Spezifische Objekte" ging es Donald Judd vehement darum jede Illusion zu eliminieren um sogenannte spezifische Objekte zu propagieren - Objekte, die nicht mehr verlangen etwas darzustellen, sondern als das gesehen werden wollen was sie sind. In der Praxis funktioniert eine solche konsequent-radikale Haltung zur Ästhetik selbst bei Judd nicht absolut, worauf sein dynamisches Œuvre verweist.[3]

"Ein gewisses Unbehagen ist stets die Motivation für Veränderung; nichts treibt uns mehr zur Veränderung des Bestehenden oder zu neuer Aktion als leichtes Unbehagen."[4] Donald Judd, 1965

Die zentrale Frage dabei ist für Judd: Wie lässt sich ein visuelles Objekt herstellen, das von jeglichem räumlichen Illusionismus frei ist? Wie ein Artefakt, das uns über sein Volumen nicht belügen würde? Er beginnt seine Antwort darauf mit einer scharfen Kritik zum Diskurs der Skulptur, welcher genau betrachtet von den akademischen Bildtraditionen ausgeht und damit den wirklichen und spezifischen Parametern der Skulptur nicht gerecht wird. Weiter attackiert er ebenso die vordergründig als antiillusionistisch erscheinende Tendenzen der abstrakten Malerei auf radikale Weise: Für Judd genügt es bereits, wenn zwei unterschiedliche Farben nebeneinander gelegt werden damit eine illusionistische, raumerzeugende Verschiebung stattfindet! Er kritisiert vehement das Fehlen einer nicht illusionistischen Einheit.[5]

"Drei Dimensionen sind wirklicher Raum. Das befreit vom Problem des Illusionismus und des nur bezeichneten Raums - Raum in und um Markierungen und Farben-, es ist Befreiung von einem der hervorstechenden Relikten europäischer Kunst, einem, gegen das am meisten vorzubringen ist."[6] Donald Judd, 1965

Donald Judd sieht die einzige Möglichkeit im spezifisch drei dimensionalen Objekt, das sich in seiner absolut unmittelbaren Ästhetisierung weder zur Malerei, noch zur Skulptur zählen lässt. Seine einzige Funktion soll die Schöpfung eines eigenen spezifischen Raumes darstellen, der in seiner Materialität nicht auf einen Illusionismus verweist und damit kein virtuelles Gebilde zu erzeugen vermag. Es präsentiert nur sich selbst als Objekt und repräsentiert nichts.[7]

"Das Ding als Ganzes ist das Interessante. Die Hauptsachen stehen für sich allein und wirken intensiver, reiner und kraftvoller. Sie werden nicht durch ein überkommenes Format, Variationen einer Form, gedämpfte Kontraste, verbindende Teile und Gebiete verwässert."[8] Donald Judd, 1965

Das Gefühl der Ganzheit, beziehungsweise der Einheit eines Objektes, stellt für Judd „das große Problem“ des künstlerischen Schaffens dar. Die Lösung dieses Problems besteht für ihn darin, spezifische Objekte vollkommen autonom für sämtliche Zeit- und Raumkonstellationen zu schaffen. Judds Anspruch stellt den visuellen Traum vom Ding als solches dar.[9]

"Ganz offensichtlich kann in drei Dimensionen alles jede nur denkbare Form annehmen - regelmäßig oder unregelmäßig - und jede nur denkbare Beziehung haben: zu Wand, Boden, Decke, Raum, Räumen oder Außenwelt, zu nichts oder zu allem."[10] Donald Judd, 1965

Der Zeitgeist der aufkommenden Informationsexplosion, welche durch das Auftreten stark ästhetisierender Massenmedien, in Form von Kino, Fernseher und Computer, immer mehr den Lebensalltag prägte, forderte das evidente Ereignis in der Unmittelbarkeit des Objektes. Im Unterschied zur Vormoderne, wo künstlerische Zeitkonstruktionen, wie wir sie im folgenden Abschnitt dieser Arbeit am christlichen Grab vorfinden werden, den Menschen über ihre eigene Empirie hinaus Zeit gab, haben wir heutzutage in diesem Sinne keine Zeit mehr. Somit stellt sich in der direkten Ästhetik der Versuch ein, im spezifischen Objekt alle Zeitlichkeit zu eliminieren. Dies erreicht er durch die stringente Unmittelbarkeit, die stets exakt so zu sehen ist, wie sie ist, ganz gleich aus welcher Distanz oder welcher Zeitdetermination man sie betrachtet. Diese Objekte „sind“ nur deshalb in einem so präzisen Sinne, weil sie über die Präzision hinaus nur „sind“, um stabil zu sein. Sie sind stabil und beständig, weil sie sich den Spuren der Zeit gegenüber als unempfindlich erweisen und daher auch aus Industriewerkstoffen gefertigt sind: das heißt aus Materialien der Gegenwart – was auch eine interessante Weise darstellt, Kritik an den traditionellen „edlen“ Materialien der klassischen Skulptur zu üben – aber zugleich aus Materialien, die dafür geschaffen sind, der Zeit zu widerstehen. Der Verweis der Arbeiten auf ihre Materialien ist bei Judd absolut kein Zufall, sondern elementare Signifikanz.[11]

[...]


[1] zitiert nach Donald Judd: "Zurück zur Klarheit. Interview mit Donald Judd"; Seite 71

[2] zitiert nach Donald Judd: "Zurück zur Klarheit. Interview mit Donald Judd"; Seite 69

[3] vgl.: "Das einfachste Sehobjekt", Seite 34

[4] zitiert nach Donald Judd: "Spezifische Objekte", Seite 87

[5] vgl.: "Das einfachste Sehobjekt", Seite 35/36

[6] zitiert nach Donald Judd: "Spezifische Objekte", Seite 94

[7] vgl.: "Das einfachste Sehobjekt", Seite 37

[8] zitiert nach Donald Judd: "Spezifische Objekte", Seite 94

[9] vgl.: "Das einfachste Sehobjekt", Seite 40

[10] zitiert nach Donald Judd: "Spezifische Objekte", Seite 94

[11] vgl.: "Das einfachste Sehobjekt", Seite 40

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Donald Judds unmittelbare Ästhetik und das Leben
Hochschule
Staatliche Hochschule für Gestaltung Karlsruhe  (Philosophie und Ästhetik)
Veranstaltung
Der Begriff Leben
Note
1
Autor
Jahr
2006
Seiten
13
Katalognummer
V129693
ISBN (eBook)
9783640358663
ISBN (Buch)
9783640358205
Dateigröße
407 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Judd, Zeitgenössische Kunst, Minimalismus
Arbeit zitieren
Adam Rafinski (Autor:in), 2006, Donald Judds unmittelbare Ästhetik und das Leben, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/129693

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