New Work in der Verwaltung. Psychologische Voraussetzungen von modernen Arbeits- und Organisationsformen für den öffentlichen Dienst in Bayern


Masterarbeit, 2022

140 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

Abstract

Abkürzungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Ziel und Aufbau der Arbeit

2. Theoretische Grundlagen
2.1 Moderne Denkansätze in einer modernen Gesellschaft
2.2 Hintergrund und Definition des Begriffs “New Work”
2.2.1 Home-Office
2.2.2 Virtuelle Zusammenarbeit
2.2.3 Team- und Projektarbeit
2.2.4 Weitere Arbeitsformen
2.3 Auswirkungen der Arbeitsform auf die Organisation
2.3.1 Mitarbeitergesundheit und –zufriedenheit
2.3.2 Betriebsklima und Organisationskultur
2.3.3 Personalgewinnung und –bindung
2.3.4 Weitere Problemfelder einer modernen Arbeitsweise
2.4 Gegebenheiten der öffentlichen Verwaltung
2.4.1 Rechtliche Grundlagen und Digitalisierungsstrategie
2.4.2 Psychologisches Grundwissen
2.4.3 Führung in einer von New Work geprägten Arbeitswelt
2.5 Zusammenfassung der Theorie

3. Methodik
3.1 Befragung zur Bestimmung des Ist-Zustandes
3.1.1 Herleitung der Befragungsgegenstände
3.1.2 Methodenauswahl
3.1.3 Bestimmung der Grundgesamtheit
3.1.4 Gestaltung des Fragebogens und Planung der Durchführung
3.1.5 Ergebnisse
3.2 Führungskräfte-Interviews zur Identifikation von Potenzialen und Hürden
3.2.1 Ableitung der Interviewinhalte
3.2.2 Methodenauswahl
3.2.3 Expertenauswahl und Erstellung des Interviewleitfadens
3.2.4 Herangehensweise
3.2.5 Ergebnisse

4. Diskussion
4.1 Psychologische Hürden und Strategien zur Bewältigung
4.2 Chancen und Risiken einer Modernisierung
4.3 Handlungsempfehlungen und größte Hürden
4.3.1 Wissensmanagement
4.3.2 Technische Umsetzung
4.3.3 Arbeits- und Ablauforganisation
4.3.4 Führung und Personal
4.3.5 Politisches Umdenken
4.3.6 Fazit
4.3.7 Potenzielle Lösungsansätze und positive Beispiele
4.4 Veranschaulichung des Vorgehens an fiktivem Beispiel
4.5 Methodenkritik
4.5.1 Auswahl der Erhebungsinstrumente und der Stichprobe
4.5.2 Methodengestaltung
4.5.3 Aussagekraft der Ergebnisse und Entsprechen der Gütekriterien

5. Ausblick

Anlagen

Literaturverzeichnis

Eidesstattliche Erklärung

Abstract

Im Rahmen einer sich stetig wandelnden Arbeitswelt erscheinen immer mehr moderne Arbeitsformen, die von Unternehmen angewendet werden können, um ihre Effizienz oder Gewinnspanne zu steigern und für mehr Mitarbeiterzufriedenheit sowie Arbeitgeberattraktivität zu sorgen. Von den Problemfeldern dieses unter dem Begriff New Work stehenden Wandels ist in gleicher Weise auch die Verwaltung im öffentlichen Dienst betroffen. Dennoch fällt es schwer, die bürokratischen Strukturen einer Behörde mit modernen Arbeitsweisen in Verbindung zu bringen, insbesondere auch weil die Praxis zeigt, dass es in der Verwaltung immer wieder zur Verschwendung von finanziellen oder personellen Ressourcen kommt.

Diese Arbeit zeigt, dass sich moderne Arbeitsweisen auf den Behördenalltag anwenden lassen, welche Entwicklungspotenziale dadurch aufgedeckt werden und wie die Verwaltung eine zielgerichtetere und zeitgemäßere Erledigung der gemeinschaftlich erforderlichen Aufgaben erzielen kann. Eine Befragung von Bediensteten im öffentlichen Dienst sowie zwei Experteninterviews ergeben, dass die Verwaltung an sich durchaus reaktiv und wandelbar ist. Da der Grundstein jeder Veränderung allerdings in der psychologischen Bereitschaft der Entscheidungsverantwortlichen liegt, muss ein besonderes Augenmerk auf kognitive Hürden und deren Bewältigung gelegt werden.

Jede Behörde sollte aufgrund der individuellen Gegebenheiten eigene Maßnahmen in der strukturellen und personellen Praxis ergreifen. Dabei müssen sowohl politisch als auch rechtlich die Grundlagen geschaffen und im Laufe des Prozesses persönliche Widerstände bei den Betroffenen – wie die Angst vor dem Neuen und Ungewissen – beseitigt werden. New Work hat viele Vorteile, von denen auch der öffentliche Dienst profitieren kann, sollte aber immer nur als organisationsübergreifende oder zum Teil sogar nationale Entwicklungsstrategie implementiert werden. Föderal bereits geltende Vereinbarungen wurden oder werden nicht konsequent umgesetzt. Deswegen braucht New Work mehr Aufmerksamkeit und muss von zentraler Stelle aus entwickelt werden. Der Schlüssel zu einer modernen Verwaltung liegt in den Fähigkeiten, der Motivation und dem Potenzial der Beschäftigten. Aus diesem Grund muss New Work mitarbeiterorientiert und auf Augenhöhe realisiert werden. In jedem Fall profitieren Behörden des öffentlichen Dienstes davon, bestehende Strukturen, Hierarchien und Prozesse zu überdenken, um so bürgerfreundlicher, flexibler und effizienter zu agieren.

Schlagworte: Neue Verwaltung, öffentlicher Dienst, New Work, Moderne Arbeitsformen, Verwaltungsreform, digitale Verwaltung, neue Arbeit, Wertewandel

Abkürzungsverzeichnis

DESI Digital Economy and Society Index

NPM New Public Management

OZG Online-Zugangs-Gesetz vom 14.08.2017 (BGBl. I S. 3122, 3138), zuletzt geändert durch Artikel 16 des Gesetzes vom 28. Juni 2021 (BGBl. I S.2250)

EGovG Gesetz zur Förderung der elektronischen Verwaltung (E-Government Gesetz) vom 25. Juli 2013 (BGBl. I S. 2749), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 16. Juli 2021 (BGBl. I S. 2941)

LHM Landeshauptstadt München

neoHR new Human Ressource-Management

DMS Dokumentenmanagementsystem

KI Künstliche Intelligenz

EfA Eins für Alles

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Das VUKA-Modell (Quelle: Eigene Darstellung)

Abbildung 2: Entstehungsprozess von New Work (Eigene Darstellung in Anlehnung an Schermuly/Koch (2019), S. 131)

Abbildung 3: Media Richness Theorie (Quelle: Eigene Darstellung)

Abbildung 4: Psychologischer Vorgang der Bedürfnisbefriedigung (Quelle: Eigene Darstellung)

Abbildung 5: Bedürfnispyramide nach Abraham Maslow (Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Hellmann/Hollmann (2017), S. 38-40)

Abbildung 6: Strukturbaum zum Konstrukt New Work (Quelle: Eigene Darstellung)

Abbildung 7: Reaktionen im Veränderungsprozess (Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an Kraus/Becker-Kolle/Fischer (2006), S. 116)

Abbildung 8: Schichtenmodell von Veränderungen in Organisationen (Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Krüger (1994))

Abbildung 9: Reihenfolge der New Work Bereiche (Quelle: Eigene Darstellung)

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Auflistung der Interview-Partner*innen

Tabelle 2: Vor- und Nachteile einer Modernisierung

1. Einleitung

1.1 Problemstellung

Kaum ein Arbeitgeber hat ein solch verfestigtes Image wie die Ämter des öffentlichen Dienstes: Behörden sind langsam und bürokratisch, verhindern Fortschritt und verkomplizieren selbst einfache Angelegenheiten, sodass niemand sich wirklich auskennt. Aus Sicht der Gesellschaft sind der Grund dafür oft die in der Verwaltung beschäftigten Angestellten1 und Beamten. Sie sind unmotiviert, faul und verschließen sich jeglicher Empathie oder Kundenfreundlichkeit.

Obwohl diese Beschreibung überspitzt dargestellt ist, so bildet sie zumindest zu Teilen auch die Realität ab. Viele Vorgänge in öffentlichen Ämtern sind tatsächlich unnötig bürokratisch, erfordern vieler überflüssiger Schritte und sind oft für den Anwender nicht nachvollziehbar. Nur in wenigen Behörden wird sich intensiv mit den Themen Arbeitsqualität und Effizienz beschäftigt und es wird oft an bestehenden Strukturen und Abläufen festgehalten, die schon seit Jahren so angewendet werden.2

Dabei lassen sich die Potenziale, die ein modernes und zeitgemäßeres Arbeiten mit sich bringt, nicht mehr leugnen. Start-Ups und Großkonzerne haben in den letzten Jahren gezeigt, dass eine offenere und mehr auf Vertrauen basierende Unternehmenskultur mit flachen Hierarchien und transparenter Kommunikation nicht nur erfolgreich sein kann, sondern auch einen echten Wettbewerbsvorteil gegenüber Konkurrenten bietet, die weniger fortschrittlich arbeiten und in der Entwicklung zurückliegen.3

Gerade die Corona-Krise seit März des Jahres 2020 hat deutlich gemacht, wie weit deutsche Unternehmen und Organisationen in Sachen Digitalisierung, Vernetzung und flexiblen Arbeitsformen in Verzug sind.4 Dass bisher wenig bis gar nichts in diesen Bereichen unternommen wurde, kann lediglich durch den geringen Veränderungsdruck der Gesellschaft und der Mitarbeiter erklärt werden. Durch die Lockdowns der Jahre 2020 und 2021 wurden Arbeitgeber jedoch zunehmend unter Zugzwang gesetzt: Mitarbeitende mussten nun ihre Arbeitsleistung ortsunabhängig und möglichst ohne Kontakt zu anderen Personen erbringen können. Gleichzeitig sollte das Alltagsgeschäft weiterlaufen, während Kunden abgingen und die Gegebenheiten des Arbeitens veränderten sich drastisch.

Auch die öffentliche Verwaltung wurde von diesem Arbeits- und Lebenswandel nicht verschont. Bürgeranliegen konnten nur ohne den persönlichen Kontakt oder mit starken Einschränkungen bearbeitet werden, Angestellte forderten Home-Office und in der Folge sahen sich viele Behörden gezwungen, ihre Arbeitsweise von Grund auf zu überdenken. Doch der Verwaltungsapparat hat sich während dieser von Umbrüchen geprägten Zeit sogar als vergleichsweise reaktionsfähig erwiesen.5 Was vorher Jahre gedauert hat und zahllosen Gegenargumenten die Stirn bieten musste, wurde mithilfe von Eilverfahren und kooperativer Zusammenarbeit in Politik und Behörden innerhalb kürzester Zeit praktikabel gemacht.

Dieser Trend beweist, dass der Grundstein für Veränderungen in den Köpfen der Entscheider gelegt werden muss. Sind die Betroffenen psychologisch auf den Wandel eingestellt, ist genügend Veränderungsdruck vorhanden und werden Modernisierungen allgemein toleriert, steht einer Verwaltungsoptimierung nichts mehr im Wege.

Eine derart grundlegende Veränderung, wie die mit dem Thema New Work einhergehende, begegnet einigen Hürden, die allerdings ebenso nicht unüberwindbar sind. Sind alle kognitiven Entwicklungsblockaden beseitigt, kann sich die Modernisierung auch im verhältnismäßig restriktiveren und öffentlichkeitswirksameren öffentlichen Dienst ungestört entfalten.

New Work stellt eine umfassende Bereicherung für jede Organisation dar. Demnach kann auch die Verwaltung durch eine modernere Grundeinstellung und schnellere, unkomplizierte Arbeitsweisen von dessen Vorteilen profitieren.

1.2 Ziel und Aufbau der Arbeit

Diese Arbeit bietet einen Einstieg in das Thema New Work, konkretisiert die Kernmerkmale und überträgt den wissenschaftlichen Ansatz auf die Gegebenheiten der öffentlichen Verwaltung. Es soll geprüft werden, inwiefern bayerische Behörden von einer Modernisierung Gebrauch machen können, welche Umstrukturierungen in Frage kommen und auf welche Problemfelder dabei geachtet werden sollte.

Hierfür werden in Kapitel 2 die theoretischen Grundlagen ausgeführt. Es wird beleuchtet, wo die New Work-Bewegung herkommt, was diese ausmacht und welchen Einfluss sie auf den Arbeitsalltag hat. Es ist dabei notwendig, auch auf die rechtlichen, sozialen und personalen Voraussetzungen der Verwaltung sowie das Anforderungsprofil einer modernen Führungskraft einzugehen.

Kapitel 3 beschreibt das methodische Vorgehen zur Erfassung des IST-Zustands und des möglichen Entwicklungspotenzials in bayerischen Behörden. Über eine Mitarbeiterbefragung wurden Daten zu der aktuellen Situation aus Sicht der Beschäftigten sowie deren Wünsche und Anregungen gesammelt. Im Anschluss wurden diese Daten in zwei Experteninterviews validiert und diskutiert, um in erster Linie psychologische Hürden im öffentlichen Dienst zu identifizieren und Lösungsansätze anzudeuten.

In Erweiterung hierzu wird in Kapitel 4 die im Theorieteil ausgeführte Basis mit den methodischen Erkenntnissen in Verbindung gebracht. Es werden Hürden einer Modernisierung genannt und Chancen wie auch Risiken einer Veränderung charakterisiert. Spezifische Handlungsempfehlungen werden analysiert und die praktische Anwendung anhand einer fiktiven Behörde aufgezeigt. Zuletzt wird das wissenschaftliche Vorgehen kritisch hinterfragt. Hier wird insbesondere auf die Aussagekraft und die Verwertbarkeit der Erkenntnisse eingegangen.

Den Abschluss bildet ein Blick in die Zukunft, auf kommende Entwicklungen, mögliche Potenziale und erfolgsentscheidende Meilensteine.

2. Theoretische Grundlagen

2.1 Moderne Denkansätze in einer modernen Gesellschaft

Den Einstieg in das Thema New Work zu finden, ist nicht schwer. Die Arbeitswelt ist heute mehr als je zuvor von Unsicherheit, Veränderungen der Umwelt und dem gesellschaftlichen Wandel betroffen. Fachkräfte werden weniger, Arbeitnehmer immer mehr zu Generalisten und der Generationswechsel sorgt dafür, dass viele Stellen aufgrund fehlender Nachfolger unbesetzt bleiben.6 Die Bevölkerung wird immer älter und arbeitet länger bis zum Renteneintritt, wodurch zudem gerade für die älteren Generationen neue Themen wie das altersgerechte Arbeiten relevant werden.7

Hinzu kommt, dass auch globale Phänomene einen erheblichen Einfluss auf das alltägliche Berufsleben und den Wettbewerb zwischen den Unternehmen nehmen, wie es die Corona-Krise in den letzten Jahren gezeigt hat. Eine Pandemie in derartig drastischem Ausmaß erfordert schnelle und effektive Lösungen, die von der Politik entschieden und umgesetzt, sowie von den Bürgern befolgt werden müssen.8 Nicht nur diese Notwendigkeit führte allerdings in den letzten Jahren auch dazu, dass die Menschen sich umfassender und intensiver informierten.9 Anordnungen oder Verordnungen der Regierung wurden nicht mehr blind befolgt, sondern kritisch hinterfragt, es wurden Demonstrationen organisiert und verschiedene Möglichkeiten geschaffen, wie Bürger ihre Meinung Kund tun können. Dieser zwar grundsätzlich positive Trend der allgemeinen und individuellen Meinungsbildung spaltete hingegen in vielen Themen die Gesellschaft. So konnten einige Beschlüsse nicht so schnell herausgebracht werden, wie es hätte sein müssen und Entscheidungen verzögerten sich. Durch diese Verschleppung oder auch im Affekt von der Politik falsch getroffene Entscheidungen wurde jedoch der Unmut in der Gesellschaft nur noch mehr geschürt.

Auf der anderen Seite zeigt sich vor allem in der Verwaltung die Tendenz zu einer mehr zuständigkeitsorientierten Organisation, die weniger auf die Bedürfnisse und Wünsche der Bürger achtet und sich in erster Linie auf die Erledigung der Aufgaben fokussiert.10 Dies liegt daran, dass die Behörden in den vorherrschenden Zeiten der Unsicherheit und des Wandels zuverlässig und standhaft bleiben müssen, selbiges wird aber von vielen Bürgern als Ignoranz oder Verantwortungslosigkeit des Staats wahrgenommen.

Diese Faktoren machen eine Veränderung nicht nur möglich, sondern unausweichlich. Der Veränderungsdruck trifft dabei primär den Verwaltungsapparat und die staatlichen Strukturen sowie dessen Beschäftigte als zentrale Institutionen der Gesellschaft.11 Vorher analoge und über Jahre unveränderte Verfahren mussten beschleunigt oder optimiert, sowie zum Teil entpersonalisiert werden12 und stellten viele Behörden vor neue Herausforderungen. Arbeit verändert sich stetig und passt sich in der Folge mittel- oder langfristig immer den Anforderungen der Gesellschaft und der Umwelt an. Um diesen Prozess und die momentan bestimmende Situation weiter zu veranschaulichen, wird im Folgenden das VUKA-Modell dargestellt13:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Das VUKA-Modell (Quelle: Eigene Darstellung)

Die Anfangsbuchstaben der Begriffe bilden dabei die Abkürzung VUKA, in der englischen Form VUCA.

Unter dem Begriff der Volatilität versteht man die Schwankung, oder auch Unbeständigkeit der Umwelt. Verwendet wird er vorwiegend, wenn es um Kapital- oder Anlagenmärkte geht, kann jedoch analog auch für Organisationsrahmenbedingungen übertragen werden. Das bedeutet, dass in der modernen Arbeitswelt langfristiger Erfolg nicht von gleichbleibenden Strategien abhängen kann, sondern immer auch Flexibilität und Dynamik fordert, weil Inhalte und Bestimmungen sich schnell ändern und eine Organisation dementsprechend auf die gegebenen Umstände reagieren muss.

Dieser Aspekt findet sich auch in dem Ausdruck der Unsicherheit wieder. Durch die kurzfristigen und teilweise schwerwiegenden Veränderungen der Markt- und Wettbewerbsbedingungen sehen sich immer mehr Unternehmen hilflos, weil es ihnen zunehmend schwerer fällt, zu planen und so ein fundiertes Unternehmenskonzept zu etablieren. Entscheider haben nicht die nötigen Informationen und stehen dennoch unter Zugzwang. Sie treffen Entscheidungen ins Ungewisse hinein und beeinflussen die Zukunft der Organisation, ohne die Konsequenzen abschätzen zu können.

“Uncertainty” (auf Deutsch übersetzt Ungenauigkeit) bedeutet zudem auch, dass bestimmte Dinge nicht genau und klar definiert sind. Zentrale Begriffe – wie auch “New Work” – sind nicht allgemeingültig bekannt oder abrufbar. Organisationen müssen Berater zu Rate ziehen oder eigene Definitionen entwickeln. Sie müssen proaktiv werden, Veränderungen frühzeitig erkennen und Probleme effektiv lösen, auch wenn Informationen noch fehlen.

Hinzu kommt, dass Sachverhalte immer komplexer werden. Themenbereiche verschwimmen oder vernetzen sich untereinander und es wird schwieriger, klare Aufgabenbereiche und Kompetenzen abzugrenzen. Fachkräfte und Spezialisten müssen sich neue Fähigkeiten aneignen, um weiterhin attraktiv zu bleiben. Arbeitnehmer müssen kooperativer und übergreifender arbeiten und die Organisation muss die Voraussetzungen hierfür schaffen. Das erhöhte Anforderungsprofil und die steigenden Ansprüche der Nachfrager zwingen Unternehmen außerdem dazu, sich intensiver mit ihrem Markt beschäftigen, um ihren Erfolg nachhaltig zu sichern.

Hinter dem letzten Begriff der Mehrdeutigkeit verbirgt sich, dass bestimmte Umstände zwei- oder mehrfach ausgelegt werden können. Wie auch bei dem Punkt der “Uncertainty” machen fehlende Abgrenzungen und Definitionen die Ursachen-Wirkungs-Zusammenhänge undurchsichtig und unverständlich. Diversität und gendergerechte Sprache müssen berücksichtigt und technische Fachprozesse entsprechend aufgegliedert oder bestimmt werden, sodass Unternehmen passgenaue Problemlösungen entwickeln und mit ihnen umgehen können.

Alles in allem bietet das VUKA-Modell eine Übersicht der durch die moderne Arbeitswelt bestehenden Herausforderungen, auch wenn diese Auflistung selbstverständlich nicht abschließend ist. Ausstehend ist hierfür ein zugehöriger Lösungsansatz. In der Praxis gibt es unzählige einzelne Maßnahmen, die gegen spezifische Probleme herangezogen werden können. Wichtig ist allerdings, dass eine Organisation sich von Grund auf neu aufstellt, um in der VUKA-Welt bestehen zu können. Im Zuge einer neuen Arbeitswelt müssen sich die Arbeitgeber auf dem Markt zukunftsorientierter verhalten und organisieren, um für Arbeitskräfte attraktiv zu bleiben und ihre Nachfrage hochzuhalten. Diese Veränderung der Haltung nennt man in der Literatur auch Anti-VUKA (aufgrund der englischen Begriffe im Deutschen nicht übertragbar).14

Dabei beginnt das Unternehmen unter dem Punkt Vision (englisch “vision”) damit, ihre Werte zu definieren und herauszuarbeiten, wofür es steht und arbeitet. Es soll ein übergeordnetes, gemeinschaftliches Ziel festgelegt werden, mit dem sich Arbeitnehmer und vor allem Personalverantwortliche sowie Entscheider identifizieren können. So wird eine gemeinsame Grundlage geschaffen, die Motivation und Zusammenhalt stiftet.

Verstehen (englisch “understanding”) meint, dass dem Unternehmen die jeweilige Herausforderung bewusst ist, das heißt dass sie anhand von auftretenden Umweltphänomenen erkannt oder mit der Erhebung von Kennzahlen festgestellt wird. Die Führungsetage eines Unternehmens muss Rücksicht auf unzählige Faktoren nehmen, um erfolgskritische Entscheidungen treffen zu können. In erster Linie muss sie daher ein Auge für die Probleme der Mitarbeiter, des Betriebs an sich, sowie auch für die externen Bedingungen haben. Werden diese Einflüsse bei Entscheidungen nicht berücksichtigt, können diese nur zufällig richtig sein. Effektive, nachhaltige und vor allem kontrollierte Problemlösung beginnt demnach damit, das Problem zu erkennen und zu verstehen.

Dieser Punkt hängt eng mit dem nächsten, der Klarheit (englisch “claritiy”), zusammen. Die Klarheit eines Unternehmens entscheidet in dieser von VUKA geprägten Arbeitswelt über Erfolg und Misserfolg. Im Grunde versteht man darunter das Ungetrübt sein, also trotz der widrigen Umstände Blockaden ausblenden und gezielte Maßnahmen ergreifen zu können. Auch wenn Informationen fehlen oder aufgrund komplexer, vernetzter Zusammenhänge verschleiert sind, so muss die Organisation anhand von fundiertem Controlling eine sichere Entscheidungsumgebung schaffen und den Teil der internen sowie externen Umweltbedingungen beeinflussen, der in ihrem Machtbereich liegt.

Ist dies nicht möglich, kommt der letzte Aspekt ins Spiel. Agilität (englisch “agility”) meint Flexibilität oder Anpassung an sich wandelnde Gegebenheiten. Die Fähigkeit, sich an stetig verändernde Rahmenbedingungen oder Anforderungen anzupassen, stellt eine zentrale Kompetenz in der VUKA-Welt dar. Kein Unternehmen kann auf alle Szenarien vorbereitet sein, dies hat gerade die Corona-Pandemie in den letzten Jahren gezeigt. Umso wichtiger ist es, resilient – also standhaft und widerstandsfähig gegenüber äußeren Einflüssen – zu bleiben und die eigenen Arbeitsabläufe an die aktuell geltenden Gegebenheiten anzupassen.

Anti-VUKA ist keine alleinstehende Maßnahme, die einmal umgesetzt wird und das Unternehmen dann vor den Einflüssen der VUKA-Umgebung schützt. Vielmehr ist darunter eine Denkhaltung zu verstehen, welche sich ein erfolgs- und zukunftsorientiertes Unternehmen aneignen sollte. Sie ist die Antwort auf die oben beschriebenen Herausforderungen unserer Zeit und legt in dieser oder ähnlicher Form den Grundstein für die in dieser Arbeit beschriebene New Work-Bewegung.

2.2 Hintergrund und Definition des Begriffs “New Work”

Digitalisierung, künstliche Intelligenz, Globalisierung, Wertewandel, Demographie, Klimaerwärmung und Pandemien sind globale Phänomen, die ein Unternehmen belasten, aus der gewohnten Umgebung herauswerfen und vor neue Aufgaben stellen. Dabei sind die offensichtlichen Auswirkungen der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklung, wie etwa das Bevölkerungswachstum oder die Verschiebung der demographischen Aufteilung hin zu einer älteren Gesellschaft, ebenso relevant wie der damit einhergehende Wertewandel und der Umschwung der allgemeinen Meinungsbildung.15 Hinzu kommt, dass insbesondere Globalisierung und Klimawandel Folgen hervorrufen, die noch nicht oder nicht ausreichend abzusehen sind.16

Wie in Kapitel 2.1 ausgeführt können Organisationen, die in der heutigen Zeit erfolgreich bleiben wollen, ihren Blick nicht von den Anforderungen dieser modernen Welt abwenden. Sie müssen die Dinge verändern, die in ihrem Machtbereich liegen, angefangen bei der kollektiven und individuellen Grundhaltung im Betrieb. New Work stellt dabei eine Bewegung dar, welche den bisher beleuchteten Entwicklungen entgegenwirkt. Doch es fällt schwer, diesen Begriff klar zu definieren oder für jedermann verständlich zu machen. In der Praxis hat ein Großteil der Bevölkerung noch nie davon gehört.17

Der Begriff New Work und seine Merkmale sind in jedem Fall schwer zu benennen, weil es sich um ein nicht greifbares Konzept einer Transformation handelt, welches sich lediglich im Arbeitsalltag beobachten lässt. Darüber hinaus gibt es nicht den einen New Work Ansatz, sondern eine Sammlung an Konzepten, Modellen und Erklärungs- beziehungsweise Erläuterungsversuchen.18

Im Wesentlichen meint New Work (auf Deutsch übersetzt “Neue Arbeit”), dass die Gesellschaft und damit auch die Arbeitswelt umdenken muss und dass vorher definierte Werte oder Grenzen neu gesetzt werden.19 Neu heißt dabei aber auch nicht nur, dass sich das Verständnis der Arbeitnehmer verändert, sondern dass die Arbeitsumgebung sich immer mehr an die Gegebenheiten der in Kapitel 2.1 ausgeführten VUKA-Welt angleicht und somit immer weniger kontrollierbar wird. In einer solchen, von Veränderung geprägten Arbeitswelt muss ein Unternehmen neu arbeiten, flexibel bleiben und mit dem Wandel gehen, anstatt an Bestehendem festzuhalten. Mit New Work lässt sich daher auch nicht nur erklären, was in Zukunft anders sein wird, sondern in erster Linie was nicht mehr sein wird. Eine Erneuerung geht bekanntermaßen immer damit einher, dass an alten Strukturen und Abläufen nicht weiter festgehalten wird und sich stattdessen für modernere Organisationsformen entschieden wird. Allein das Wort Entscheidung impliziert dabei, dass mit der notwendigen Festlegung auf eine moderne und zeitgemäße Aufstellung der Organisation der Status Quo obsolet wird.

New Work bildet daher eine Bewegung, die mit Wert- und Sinnstiftung, Flexibilität und mehr Vertrauen verbunden ist20 und stellt die Alternative dar, welche das Unternehmen benötigt, um in der aktuellen Arbeitswelt bestehen zu können. In dieser Weise kann der Begriff New Work als eine Art Ablösung der nicht mehr funktionsfähigen Arbeitsweisen gesehen werden und somit alle innovativen Maßnahmen zur Modernisierung eines Betriebs umfassen.

Einer der Mitbegründer von New Work war der Philosophieprofessor Frithjof Bergmann, der die neuen Gegebenheiten der Arbeitswelt im 20. Jahrhundert erkannt hatte und daraufhin ein neues, mehr auf Sinnhaftigkeit geprägtes Arbeitsbild entwickelte.21 Auslöser hierfür war wiederum die industrielle Evolution. Mitte des 20. Jahrhunderts begannen die ersten Konzerne damit, mechanische Abläufe zu automatisieren. Sie wollten den Wertschöpfungsprozess damit effizienter, zielgerichteter und schneller machen, um Ressourcen zu sparen und lukrativer zu wirtschaften. Dieses Bestreben führte dann in Verbindung mit der immer schneller fortschreitenden Digitalisierung gegen Ende des 20. Jahrhunderts zu einer verselbstständigten Vernetzung und Verarbeitung von Daten. Betriebe konnten sich nun besser austauschen und waren kürzer angebunden, was in der Folge dazu führte, dass sich das Wissen multiplizierte und so immer mehr Optimierungspotenziale freilegte. Durch das Aufkommen virtueller Arbeitsunterstützungen konnten ab der Jahrtausendwende und nach der Erscheinung des World Wide Webs im Jahr 1990 zudem digitale, vernetzte Arbeits- und Organisationsformen Fuß fassen.22

All diese Ereignisse führten nun dazu, dass es immer mehr Innovationen gab, die durch andere Reformen erst möglich gemacht wurden. Der Transfer und die Vervielfältigung von Wissen potenzieren sich seitdem und sorgen dafür, dass der Informationszuwachs und die korrelierende Vernetzung exponentiell wachsen.23 Durch steigende und vielfältigere Anforderungen wurde indessen ein Punkt erreicht, an dem die bisher angewandten Arbeitsweisen an ihre Grenzen stoßen. Unternehmen können ihre Wertschöpfungsprozesse nicht mehr profitabel gestalten oder die erforderlichen Arbeitsbelastungen durch eine Aufstockung der Ressourcen stemmen. Gefragt war und ist eine Veränderung hin zu einem anderen, neueren Arbeiten.24

New Work entsteht also, weil Hindernisse wie steile Hierarchien und differenzierte Machtverhältnisse komplexe, anspruchsvolle Problemlösungsprozesse behindern.25 Wichtig ist jedoch, dass der gesamte Bereich New Work in den letzten Jahren und gerade durch die gestiegene Notwendigkeit einer Veränderung in der Corona-Krise zwar erheblich an Bedeutung gewonnen hat, dies aber in keinem Fall nur einen kurzfristigen Trend darstellt.26 Auch wenn manche Arbeitnehmer sich gegen den Wandel wehren und alle Maßnahmen nur absitzen wollen, so stellt New Work keinen Modebegriff dar, sondern bewirkt tatsächlich nachhaltige Innovationen, welche die Arbeitswelt von Grunde auf umstrukturieren.27 Überhaupt ist der Begriff ”New Work” wie oben erläutert nur ein Platzhalter für alle Maßnahmen, die im Zuge einer Modernisierung der Arbeitsweisen folgen. Im Prozess der Erneuerung von Organisationen wird es dabei immer Mitarbeiter geben, die eine Veränderung ver- oder behindern wollen. Diese Widerstände können aber in keinem Fall dem Veränderungsdruck entgegenwirken, der durch die Globalisierung, die Digitalisierung sowie die übrigen Umweltphänomen aus Kapitel 2.1 entsteht.

Anstatt also diese Pflicht zum Handeln auszublenden, sollten Unternehmen sich proaktiv mit dem Thema New Work auseinandersetzen und entsprechende Maßnahmen einleiten.

Zuletzt steht die Frage im Raum, was New Work-Instrumente bei der Anwendung ausmachen und wie diese erfolgreich sind. Grundlage für diese Überlegung bietet das folgende Modell nach Schermuly und Koch:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Entstehungsprozess von New Work (Eigene Darstellung in Anlehnung an Schermuly/Koch (2019), S. 131)

Zu sehen ist, dass der Prozess mit einer strukturellen Maßnahme, wie beispielsweise der Einführung kooperativer und agiler Projektarbeit, beginnt. Auslöser ist demnach das strukturelle Erfordernis, welches aus der Ineffektivität bestehender Abläufe entsteht. Die Organisation bemerkt in der Praxis durch Qualitätssicherung oder Kennzahlen-Controlling, dass der Wertschöpfungsprozess nicht mehr produktiv oder lukrativ genug ist. Daraus erwächst ein Motiv, Personen- oder Organisationsfaktoren zu verändern. Maßgebend ist nun jedoch der dritte Schritt des psychologischen Empowerments. Während bei klassischen Veränderungsmaßnahmen eine strukturelle Innovation implementiert und den Beschäftigten somit ohne Beteiligung vorgesetzt wird, so leben New Work-Methoden von der Mitarbeiterorientierung. Arbeitnehmer, die von dem Wandel betroffen sind, werden eingebunden und erhalten die Möglichkeit, selbstbestimmt auf den Veränderungsprozess Einfluss zu nehmen. Dadurch steigt nicht nur die Toleranz, sondern dies fördert auch die Effizienz und Nachhaltigkeit der Maßnahme. An dieser Stelle müssen übrigens auch die oben erwähnten Widerstände bei hartnäckigen Mitarbeitern aus dem Weg geräumt werden. Ohne in diesem Kapitel zu sehr ins Detail zu gehen (die Umsetzung konkreter New Work Maßnahmen ist Teil der Diskussion in Kapitel 4), wird die Veränderungsaktion so nicht von oben herab über die Belegschaft gestülpt, sondern erfolgt von innen heraus. Nur so können die im vierten Kapitel (4.2) aufgelisteten Wirkungen auch tatsächlich auftreten.

New Work hat viele positive Folgen, angefangen von der höheren Attraktivität der Organisation als Arbeitgeber, über die gesteigerte Wettbewerbsfähigkeit durch Innovationsförderung und Positionierung, bis hin zu einer besseren Arbeitsqualität und –umgebung für die Arbeitnehmer. Ein modern ausgerichteter Arbeitgeber ist nicht nur leistungsstärker und erzielt effektivere Arbeitsergebnisse, sondern ist auch krisensicher und resilient.28

Im Folgenden sollen einige einzelne Bereiche des New Work-Komplexes beleuchtet werden.

2.2.1 Home-Office

Der wohl bekannteste und am meisten diskutierteste New Work-Ansatz ist das Home-Office, der Remote-Arbeitsplatz oder das mobile Arbeiten. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass viele Unternehmen aufgrund der Hygiene-Bestimmungen nicht mehr alle Beschäftigten in physischen Büroräumen arbeiten lassen durften. Zudem forderten viele Arbeitnehmer, während der Pandemie risikofrei und ohne Kontakt zu anderen Menschen ihre Arbeitsleistung erbringen zu können. Arbeitgeber waren daher gezwungen, mobiles Arbeiten zu genehmigen und die Voraussetzungen hierfür zu schaffen.

Der Arbeitsplatz als physisch klar adressierbarer Ort der Arbeitserledigung ist nicht mehr eindeutig29, daher muss Arbeit an sich neu definiert werden. ”Arbeit” lässt sich herunterbrechen auf das Erbringen einer Arbeitsleistung gegen eine Entlohnung.30 Nach dieser Definition ist der Arbeitsbeitrag nicht an einen Ort gebunden, es muss lediglich gegeben sein, dass der Arbeitende ein Produkt erzeugt, welches zur Wertschöpfung des Arbeitgebers beiträgt. Home-Office (auf Deutsch übersetzt Heim-Büro) heißt demzufolge nur, dass die Arbeitsleistung nicht in den Büroräumen des Unternehmens, sondern am Wohnort des Beschäftigten erbracht wird. Dabei unterscheidet sich Home-Office von der Telearbeit und dem Remote-Arbeitsplatz durch den Umfang der ortsunabhängig geleisteten Arbeit. Remote bedeutet, dass der Mitarbeiter ausschließlich außerhalb des Unternehmens arbeiten. Ein Tele-Arbeitsplatz ist ein zeitweiser, aber regelmäßiger Wechsel zwischen der Arbeit inner- und außerhalb der Organisation. Hinter dem klassischen Home-Office-Prinzip versteht man, dass ein Beschäftigter optional vom Büro nach Hause pendeln kann, ohne dabei in seiner Arbeitserbringung eingeschränkt zu sein.31 Genau diese Art von mobilem Arbeiten war in Zeiten der stetig wechselnden Corona-Beschränkungen notwendig.

Nach aktuellem Stand können 56 % der deutschen Arbeitnehmer im Home-Office arbeiten32, während der Corona-Krise ist der Anteil der praktizierenden Unternehmen sogar von 51 auf 76 % gestiegen.33 Knapp 50 % der Arbeitnehmer sind – zumeist durch die Gegebenheiten der Arbeit an sich – nach wie vor an ihren physischen Arbeitsplatz gebunden, dort wo es die Tätigkeit jedoch erlaubt haben nun statt einem zwei Drittel der Beschäftigten die Möglichkeit, Home-Office in Anspruch zu nehmen.34 Dabei steigt die Chance, mobil arbeiten zu können, mit dem Bildungsstand des Beschäftigten.35

Was sich weniger gewandelt hat als die tatsächliche Umsetzung, ist die psychologische Akzeptanz von Home-Office. Ungefähr die Hälfte aller Unternehmen unterstützen den Einsatz von mobilem Arbeiten und haben dies auch vor der Corona-Krise getan, während die andere Hälfte Home-Office nach wie vor ablehnt oder trotz gelebter Praxis nicht gutheißt.36 Dies liegt in der Regel an dem Werteverständnis sowie der herrschenden Unternehmenspolitik und –kultur.

Zentral bei der Frage, ob Home-Office positiv oder negativ bewertet wird, ist das Thema Vertrauen. Ganz grundsätzlich wird darunter eine subjektive Überzeugung von der Richtigkeit und Wahrheit der Handlungen oder Aussagen eines Gegenübers verstanden.37 Im Berufskontext heißt das, dass der Mitarbeiter, wie auch der Führende davon ausgehen muss, dass der jeweils andere sich berechenbar verhält und sich an getroffene Vereinbarungen hält. Es gilt, vor allem das Mittelmaß zwischen blindem Vertrauen und allumfassender Kontrolle zu finden.38 Gerade in Zeiten von virtueller Zusammenarbeit und der fehlenden Erfahrung beider Seiten mit diesen Umständen gestaltet sich dies jedoch eher schwierig. Führende sind gezwungen, auf ihr soziales Bauchgefühl zu vertrauen und einzuschätzen, ob ein Mitarbeiter glaubwürdig ist oder nicht. Denn sie stehen gegenüber der Unternehmensleitung in der Pflicht, die Arbeitsleistung sowie auch die Zufriedenheit der Mitarbeiter zu gewährleisten und daraus resultierend die vorgebrachten Arbeitsbeiträge zu kontrollieren. Mitarbeiter hingegen haben neben ihren beruflichen auch psychologische und soziale Bedürfnisse, die zumindest teilweise durch die Arbeitsstätte abgedeckt werden sollen. In erster Linie wird durch den Beruf die Existenz gesichert, jedoch reiht sich dieses Begehren neben viele andere, wie etwa dem Wunsch nach Zugehörigkeit oder der Vermeidung von Stress, ein. Dabei verlassen sie sich in erster Linie auf ihren Arbeitgeber.39

Ist das gegenseitige Vertrauen gegeben, steht der Umsetzung vorerst nichts im Wege. Dennoch erfordert mobiles Arbeiten technische Voraussetzungen, wie eine stabile Internetverbindung, die nötige Hard- und Software wie Laptop und andere Büroausstattung, einen funktionierenden Dateizugriff, und entsprechende Kommunikationsmittel. Untersuchungen haben ergeben, dass diese nach wie vor lediglich bei der Hälfte aller Arbeitsplätze in Deutschland vorliegen (51 bis 57 % bei Mitarbeitern, 73-78 % bei Führungskräften).40 Dieses Praxisproblem ist zwar leicht zu beseitigen, jedoch muss für die Bereitstellung der zugehörigen Mittel die oben genannte positive psychologische Grundhaltung gegeben sein.

Viele Unternehmen stellen sich die Frage, warum sie virtuelle oder mobile Arbeit fördern sollten, insbesondere auch weil die Corona-Pandemie irgendwann überwunden ist und die Beschäftigten dann zu einem konventionellen Arbeitsstil zurückkehren können. Sie lassen dabei allerdings außer Acht, dass sich die Bedürfnisse und die Erwartungshaltung der Arbeitnehmer dahingehend erheblich verändert hat. Home-Office ist nicht länger ein Wettbewerbsvorteil, sondern vielmehr eine Grundvoraussetzung, um als moderner Arbeitgeber attraktiv zu bleiben.41 Darüber hinaus wird die Organisation reaktiver und ist weniger von örtlichen Problemen, wie dem Ausfall von Transportmitteln der Beschäftigten auf dem Arbeitsweg, betroffen.

2.2.2 Virtuelle Zusammenarbeit

In Ergänzung oder Erweiterung zu dem Bereich Home-Office ist im Rahmen der zunehmenden Digitalisierung und Technologisierung der Arbeitswelt auch das virtuelle (Zusammen-) Arbeiten nicht mehr wegzudenken. Moderne und agile Teams kooperieren nicht mehr rein physisch, sondern oft in einer Mischform aus persönlichem Kontakt und digitalen Kommunikations- und Arbeitsprozessen. In vielen globalen Organisationen gibt es sogar rein virtuelle Teams, die aus verschiedenen Mitgliedern an unterschiedlichen Orten bestehen und oft über interne Portalsysteme international und standortübergreifend zusammenarbeiten.

Diese Entwicklung ist selbstverständlich in erster Linie der technologischen und maschinistischen Entwicklung geschuldet, die seit Beginn der industriellen Revolution vor ungefähr 250 Jahren immer weiter voranschreitet und fast täglich neue Innovationen hervorbringt, welche ein moderneres Arbeiten für Betriebe überhaupt erst ermöglichen.42 Zur Konkretisierung der folgenden Ausführungen wird in dieser Arbeit die Digitalisierung als Umwandlung von analogen zu technologischen Arbeitsweisen verstanden. Darüber hinaus steckt in diesem Megatrend auch eine teilweise De-Materialisierung des Arbeitens, weil durch die vermehrte Anwendung von technischen Arbeitsmitteln und Interaktionswegen Daten nicht mehr direkt einsehbar sind, sondern über immaterielle Kanäle verarbeitet werden.43

Den Kernpunkt aller Überlegungen zum Wechsel von Analog auf Digital bildet die Frage, welchen Nutzen dieser Umstieg hat. Digitalisierungs- und dadurch Einsparungspotenziale bieten sich vor allem für große und wachsende Unternehmen, die ohne neue Methoden an ihre Grenzen kommen. Dies zeigt die Tatsache, dass bereits viele Vorgänge in Unternehmen – vor allem Personalangelegenheiten wie Urlaubsanträge und Arbeitszeiterfassung – digital verarbeitet werden.44 Gerade im Personalbereich war die Umstellung daher nach vielen rechtlichen Neuerungen notwendig, weil der zeitliche und finanzielle Aufwand, für jeden einzelnen Mitarbeiter eine eigene Akte in Papierform zu führen und alle Anträge per Post hin- und zurückzuschicken, sonst zu groß geworden und ein produktives Arbeiten nicht mehr möglich gewesen wäre.

Auch die öffentliche Verwaltung profitiert von der Digitalisierung, weil sie durch die höhere Vernetzung mehr Bürgernähe schaffen kann und der interbehördliche, überregionale Wissensaustausch gefördert wird.45 In dieser Arbeit werden viele Entwicklungspotenziale für den öffentlichen Dienst aufgezeigt. Insbesondere digitale Arbeitsweise können dabei helfen, diese Lücken zu schließen und so ein zeitgemäßeres, moderneres Arbeiten zu gewährleisten.

Digitale Arbeitsweisen finden heutzutage in vielen Bereichen der Unternehmens- und Verwaltungspraxis ihre Anwendung, sind erprobt und anerkannt. Dennoch scheitern nach wie vor viele weitergehende Digitalisierungsprojekte und –strategien an fehlenden Mitteln und politischen Entscheidungen. Moderne Technologien finden immer noch keine Anwendung in der Verwaltung46, obwohl sie bereit und praxiserprobt zur Verfügung stehen.47 Der Antrag für eine Geburtsurkunde beispielsweise kann nur in Papierform erfolgen und die Bearbeitung dauert nach Eingang zwei bis drei Wochen, stellt aber gleichzeitig die Grundlage für andere Behördenformulare dar. Dies führt dazu, dass eine Familie mit Nachwuchs in Deutschland über 15 Anträge mit teilweise gleichen Daten bei verschiedenen Stellen einreichen muss, die untereinander nicht kommunizieren. Das solch bürokratische und antiquierte Vorgehensweisen beim Bürger auf Unverständnis stoßen, steht außer Frage. Andere Länder, wie zum Beispiel Estland, haben derart standardisierte Verfahren bereits digitalisiert, können somit Zeit und Verwaltungsaufwand sparen und sind sowohl effizienter als auch bürgerfreundlicher.48

Trotz der umfassenden Modernisierungen in Verwaltung und Dienstleistungsunternehmen durch die Corona-Krise und die fortschreitende Digitalisierung gibt ein Großteil der deutschen Bevölkerung bei Befragungen folglich an, unzufrieden mit dem flächendeckenden digitalen Angebot zu sein.49 Als Grund hierfür wird oft die sogenannte ”digitale Bruchlinie” erwähnt, worunter man versteht, dass ein Dokument per E-Mail versendet, ausgedruckt, bearbeitet und dann wieder eingescannt wird.50 Deutsches oder bayerisches E-Government ist unterdurchschnittlich ausgebildet sowie nicht nutzerfreundlich. Mangelnde Kompetenzen bei den Verantwortlichen, eine grundlegende restriktive Einstellung zur Technologie und die schlechte praktische Umsetzung von Modernisierungsprojekten führten in den letzten Jahren dazu, dass sich das digitale Angebot in Deutschland und im Speziellen in Bayern kaum fortentwickelt hat.51 Einer der zentralen Kritikpunkte ist dabei auch die fehlende Vernetzung zwischen den Behörden. Bürger müssen Ihre Stammdaten, wie unter anderem Namen, Anschrift und Geburtsdaten, immer wieder neu angeben, anstatt diese aus bestehenden Verfahren zu migrieren.

All diese Entwicklungspotenziale sind nicht nur für jeden Bürger offensichtlich, sondern auch durch Umfragen und Untersuchungen von Fachfirmen bestätigt. Selbstredend lässt sich der Digitalisierungsgrad eines Landes schwer messen. Aber die Europäische Kommission hat es mit dem sogenannten Digital Economy and Society Index (kurz DESI) geschafft, verschiedene Merkmale von Verwaltungsdienstleistungen flächendeckend zu codieren und durch Kennzahlen messbar zu machen. Der Wert eines Landes soll dabei helfen, die Defizite aufzudecken und ein Orientierungsäquivalent zu schaffen. Vergleicht man nun anhand des DESI europäische Länder, ist Deutschland im mittleren unteren Mittelfeld.52 Abgesehen von den vielen positiven Entwicklungen, wie beispielsweise der Konzeption umfassender und zielgerichteter Bildungsangebote zum Thema Digitalisierung, haben wir demnach noch viel zu tun.53 Die Grundvoraussetzung hierfür ist lediglich, dass wir die digitalen Kompetenzen der Betroffenen fördern und vor allem ein Verständnis für moderne Technologien und Arbeitsweisen entwickeln.

Gute virtuelle und analoge Zusammenarbeit beruht auf Struktur, Klarheit, Zuverlässigkeit und gegenseitigem Einfluss.54 Es stellt sich also auch die Frage, ob virtuelle Kooperation den gleichen Stellenwert und dieselbe Wirkung haben kann wie analoger, direkter und persönlicher Kontakt. Hierzu bildet die Media Richness Theorie eine Diskussionsgrundlage55:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Media Richness Theorie (Quelle: Eigene Darstellung)

Die x-Achse bildet die Komplexität der Aufgabe ab. Routinetätigkeit wie das Tagesgeschäft sind hier links, speziellere Fachaufgaben rechts angeordnet. An der y-Achse wird die Reichhaltigkeit des Mediums dargestellt. Kommunikationsmittel mit Interaktionsmöglichkeit, allen voran das persönliche Gespräch, aber auch Telefonate und Videokonferenzen, sind hier oben anzusiedeln, während unpersönliche, einseitige Kanäle, wie Fax, Brief oder E-Mail, unten verordnet werden. Mit dem Diagramm kann man nun verschiedene Kommunikationen kategorisieren. Sinn dabei ist es, die Effektivität in Bezug auf die zu bewältigende Aufgabe zu prüfen. Der große Balken in der Mitte zeigt eine effektive Kommunikation und verläuft proportional zu den beiden Achsen. Dies lässt die Schlussfolgerung zu, dass unpersönliche Kommunikationsmittel für einfache Aufgaben, jedoch nicht für komplexe Sachverhalte geeignet sind. Analog dazu bedarf es bei letztgenannten Aufgaben ein reichhaltigeres Kommunikationsmedium.

Bei der Darstellung erfolgt in erster Instanz keine Unterscheidung von digitalen und analogen Methoden, allerdings sind analoge, persönliche Interaktionen grundsätzlich als reichhaltiger zu bewerten, weil durch das tatsächliche Gegenüberstehen von zwei oder mehr Menschen auch die nonverbale Kommunikation in Erscheinung tritt. Selbst wenn es durch diese Signale auch zu einer Verzerrung kommen kann, weil sie falsch interpretiert werden, so ist darin grundsätzlich ein Gewinn zu sehen.

Der Initiator eines Gespräches muss das Medium entsprechend der Aufgabe beziehungsweise des Kommunikationsinhaltes wählen, denn er nimmt damit entscheidenden Einfluss, wie effektiv das Gespräch am Ende sein wird. Wählt er ein zu unpersönliches Medium bei einem komplexen Sachverhalt, kann dies dazu führen, dass der Empfänger nicht alle Faktoren der Nachricht erfasst und sie somit vereinfacht missinterpretiert. Bei Arbeitsaufträgen führt dies in der Praxis oft dazu, dass Aufgaben nicht wie gewünscht erledigt werden. Auf der anderen Seite kann ein zu interaktionsbasiertes Kommunikationsmittel die Nachricht unnötig verkomplizieren und somit Zeit und Mühen auf beiden Seiten verschwenden. Führungskräfte stehen hier regelmäßig vor der Frage, wie sie die Kommunikation zu ihren Mitarbeitern effektiv gestalten und den von ihnen angestrebten Zweck am besten verwirklichen können. Virtuelle Kommunikation erschwert diese Entscheidung zusätzlich, weil durch das Entfallen der persönlichen Medien eine große Auswahl an Alternativen unzugänglich werden.

Effektive digitale Zusammenarbeit kann nur funktionieren, wenn die Interaktion entsprechend der Aufgaben ausgesucht wird. Hierfür sind die Arbeitsplätze für eine digitale Arbeitsweise vorzubereiten und ein Vertrauensverhältnis aufzubauen (siehe hierzu in Kapitel 2.2.1).56

2.2.3 Team- und Projektarbeit

Spricht man über (virtuelle) Zusammenarbeit stellt sich immer auch die Frage der Organisationsform des jeweiligen Teams beziehungsweise der Abteilung. Die meisten klassischen Organisationen – gerade in der Verwaltung – weisen den typischen, hierarchischen Aufbau auf: Eine politische Ebene trifft unternehmensübergreifende Entscheidungen und legt die Ausrichtung sowie die Strategie fest. Führungskräfte vermitteln diese Vorgaben, teilweise über mehrere Hierarchieebenen, an ihre jeweiligen Abteilungen. Die Mitarbeiter stehen am Ende dieser Pyramide und erledigen die Ihnen delegierten Aufgaben.

Entgegen diesem Aufbau sind moderne Arbeitsformen vernetzter, holokratisch, agil und oft frei von Rollen oder Erwartungen.57 Das bedeutet, dass Mitarbeiter nicht mehr fest in starre Strukturen eingeordnet werden, sondern übergreifend arbeiten und flexibel zwischen Bereichen wechseln. Die Führungskräfte stehen dabei nicht zwingend über den Fachkräften, sondern arbeiten auf Augenhöhe. Auch die Entscheidungsebene ist entweder nicht vorhanden oder wirkt mehr in einer kooperativeren Form, gibt den Beschäftigten also mehr Freiheit, Verantwortung und Handlungsspielraum. Diese in der Praxis angewandte Organisationsform wird oft Teamarbeit genannt, weil die Belegschaft zwar in fachliche Schwerpunkte unterteilt sein kann, diese jedoch eher kollektiv arbeiten und sich gegenseitig austauschen. Anhand des Sinnbildes der Pyramide kann man also sagen, dass diese per se nicht mehr existiert, weil Hierarchieebenen verschwimmen und der individuelle Rang im Unternehmen an Bedeutung verliert.

Agilität ist ein gedankliches Manifest, welches auf Interaktion und Innovation beruht. Es gelten die Grundsätze der Kundenorientierung, der hohen Selbsterwartung, eines funktionierenden Umfeldes, der nachhaltigen Entwicklung, der Einfachheit und der Selbstorganisation.58 Ihren Ursprung hat agiles Arbeiten im IT-Bereich, weil dort erstmals in selbstorganisierten und eigenverantwortlichen Teams gearbeitet wurde, um die Bedürfnisse der Kunden bestmöglich zu bedienen.

Bei der Scrum-Methode treffen sich die Teammitglieder in regelmäßigen Abständen zu einem Meeting, bei dem ein Vertreter des jeweiligen Kunden (dem Product Owner) dessen Interessen vertritt. Die Fachkräfte stellen den Fortschritt seit dem letzten Treffen vor und der Product Owner nimmt entsprechende Anpassungen vor. Durch diese kundennahe Entwicklung eines Ergebnisses mit dem repetitiven Setzen neuer Ziele wird eine sehr individuelle Lösung produziert, die den Kunden bestmöglich befriedigen soll. Eine klassische Führungskraft gibt es bei der Scrum-Methode nicht, allerdings begleitet ein sogenannter Scrum-Master den Prozess. Er nimmt die Rolle eines Coaches oder Betreuers ein, der zwischenmenschliche Konflikte löst und für das soziale Wohlbefinden sorgt. Er hat in erster Linie keine fachliche Aufgabe, sondern arbeitet direkt mit den Teammitgliedern, um eine reibungslose Arbeitserledigung sicherzustellen.59

Eine weitere Variante von agilem Arbeiten ist Kanban. Bei dieser aus Japan stammenden Arbeitsweise dreht sich alles um ein den sogenannten Kanban-Desk, eine Übersichtstafel, auf der alle zu erledigenden Aufgaben festgehalten werden. Erledigt man nun eine Aufgabe, wird der zugehörige Vermerk auf der Tafel entfernt, wurden alle Aufgaben erledigt, wird das Board neu gefüllt.60 Kanban soll garantieren, dass Aufgaben zuverlässig erledigt werden, visualisiert die einzelnen Arbeitsschritte und schafft so Struktur und Übersicht. Arbeitsabläufe werden sichtbar und somit für die Beteiligten nachvollziehbar, Produktionsphasen können sequenziell abgearbeitet und gezielt geplant werden. Kanban-Boards werden außerdem in sehr vielen Unternehmen genutzt, weil sie eine einfache Methode für Führungskräfte darstellen, sich Orientierung zu verschaffen und zweckgerichtete Optimierungsmaßnahmen anzuwenden.

Mittels dieser zwei Organisations- und Arbeitsformen wird deutlich, dass agiles Arbeiten oft in Zyklen abläuft. Entwicklungsschritte werden geplant, durchgeführt und stetig überprüft sowie angepasst.61 Dies hat wie beschrieben den Vorteil, dass Fehler frühzeitig erkannt und beseitigt werden, es ist aber auch an einige Voraussetzungen geknüpft. Der IT-Bereich eignet sich sehr gut für agiles Arbeiten, weil die Fachkräfte zumeist alleine Arbeiten und sich Projekte in kleinteilige Unterprojekte aufteilen lassen. Mit der öffentlichen Verwaltung erscheint agiles Arbeiten schwer vereinbar, weil sie weniger auf Innovation oder Schnelllebigkeit angewiesen ist und primär für Stabilität sorgen soll. Dennoch verläuft ein Bürgeranliegen selten linear (beispielsweise erfolgen bei einem Bauvorhaben viele Schritte bei unterschiedlichen Behörden), daher braucht man auch hier eine hohe Flexibilität und Vernetzung.62 Agiles Arbeiten kann hier die nötigen Instrumente bieten, um Bürgeranliegen in Zukunft schneller und individueller zu bearbeiten.

Neben der rein agilen Arbeit ist auch die Projektarbeit eine weit verbreitete moderne Arbeitsform.63 Im Grunde verbirgt sich dahinter lediglich das befristete Arbeit an einmaligen, fachlich übergreifenden oder speziellen Aufgaben, die über das reine Tagesgeschäft hinausgehen. Zwischenschritte, Ziele, Ressourcen und Ablauf werden im Voraus geplant und legen von vornherein den Rahmen fest.64 Projekte werden – auch in der Verwaltung – bereits in vielen Bereichen angewandt, beispielsweise um Teile der Organisation umzustrukturieren oder eine neue Software zu implementieren.

2.2.4 Weitere Arbeitsformen

Unter anderem agile Methoden– und Projektarbeit sind verbreitete Arbeitsformen, die in vielen freiwirtschaftlichen Unternehmen ihre Anwendung finden. In der Regel wird auch nicht nur eine Arbeitsweise genutzt, sondern ein Baukasten aus verschiedenen Instrumenten eingesetzt, um die jeweilige Organisation anhand des konkreten Unternehmenszwecks individuell am besten auszurichten. Ein in der Verwaltung bekanntes Organisationsinstrument ist die Gleitzeit, bei der zwar ein festes Stunden-Soll vorgegeben wird, Arbeitsbeginn und -ende aber frei gewählt werden können. Überstunden werden zudem in der Regel aufgerechnet und können somit von den Beschäftigten wieder ausgeglichen werden können. Mit der Gleitzeit gewinnen die Arbeitnehmer also an Entscheidungsfreiheit in Ihrer Arbeitsgestaltung. Auch die Teilzeit und das Arbeiten im Home-Office sind spätestens nach den letzten zwei Jahren anerkannte Methoden, um flexibler und handlungsfähiger zu werden.

In der Privatwirtschaft und vor allem in neu gegründeten Start-Ups gibt es dementgegen Ansätze, deren positiver Effekt (noch) nicht in der Weise erprobt ist, wie es bei den vorgenannten Maßnahmen der Fall ist. So gibt es Unternehmen, die übergreifend lediglich vier Tage pro Woche oder auch nur sechs Stunden pro Arbeitstag arbeiten. Welchen Effekt diese Umstellung auf den Unternehmenserfolg und die Mitarbeiterzufriedenheit hat, bleibt vorerst abzuwarten. Fakt ist allerdings, dass sich das moderne Arbeiten immer mehr davon abgrenzt, bestehende Strukturen anzuerkennen und sich stattdessen einen eigenen Rahmen schafft.65

Die Management- und Unternehmenspraxis hat gerade in den letzten Jahren unzählige Formen moderner Arbeit hervorgebracht, deren Ausführung den Umfang dieser Arbeit sprengen würde. Was sich jedoch aus einer Modernisierung jedweder Art ergibt, ist ein rein physisches Problem: Virtuelle Teams brauchen keine Büroräumlichkeiten. Geht man mit den aktuellen Trends, müssten viele Büroräume aufgelöst werden. Dadurch würde jedoch der persönliche Kontakt zwischen den Mitarbeitern komplett verloren gehen. Die Lösung dieser Problematik bieten die sogenannten Co-Working-Spaces.

Im Grunde kann man darunter eine meist sehr offene Räumlichkeit verstehen, die von mehreren Organisationen genutzt wird und den jeweiligen Beschäftigten zur Verfügung steht, sie aber per se nicht dazu verpflichtet, dort zu erscheinen. Entsprechend der deutschen Übersetzung des Namens, “Zusammen Arbeiten”, können sich in diesen Gemeinschaftsflächen Beschäftigte treffen, um persönliche Kontakte zu knüpfen sowie wichtige Besprechungen oder Termine durchzuführen. Durch die Vernetzung mit anderen Unternehmen im selben Co-Working-Space entsteht außerdem eine organisationsübergreifende Synergie, die Kundennähe und Effizienz fördert. Da die Ausstattung und die notwendigen Arbeitsmittel vor Ort sind, kann diese Alternative auch genutzt werden, wenn man in der eigenen Wohnung keinen Heimarbeitsplatz hat oder die erforderliche Ausstattung fehlt. Co-Working-Spaces haben sich in Zeiten der Corona-Pandemie einer steigenden Beliebtheit erfreut, weil sie ein Weg waren, soziale Kontakte zu pflegen und die Arbeitsleistung physisch vom Wohnort zu trennen. Sie sind zumeist auch für die Organisation sinnvoll und wirtschaftlich.66

2.3 Auswirkungen der Arbeitsform auf die Organisation

Zweifellos wirken sich die bisher beschriebenen Veränderungen der Arbeitswelt auf die Organisation aus. Der gesellschaftliche sowie technische Wandel bringt einerseits neue Produkte, beeinflusst dabei auch in erheblicher Weise die Produktion.67 Neue Maschinen werden entwickelt, Software optimiert und Arbeitsabläufe angepasst. Inwieweit sich diese Transformation auf die Attribute des Unternehmens auswirkt, zeigen die folgenden Abschnitte.

2.3.1 Mitarbeitergesundheit und –zufriedenheit

Die Mitarbeiter sind der Motor der Verwaltung in jeder Organisation.68 Sie sind zentraler Bestandteil der Wertschöpfung, sorgen für die Existenzberechtigung des Unternehmens und werden trotz vieler technischer Innovationen wohl nie komplett aus dem Unternehmensalltag wegzudenken sein. In dieser Schlüsselrolle sind sie jedoch auch in direkter Abhängigkeit von betrieblichen Veränderungen betroffen, nicht zuletzt, auch weil Personalkosten in der Regel den größten Kostenfaktor darstellen und somit eine der kritischen Finanzposten sind. Investitionen, die die Belegschaft betreffen, werden sorgsam ausgewählt, während Kürzungen in diesem Bereich oft eine schnelle und einfache Lösung sind, um Geld einzusparen.

Will eine Organisation jedoch tatsächlich effektiver und lukrativer arbeiten, muss sie Rücksicht auf die Bedürfnisse des Personals nehmen. Gerade in einer Zeit, in der viele ältere Mitarbeiter ausscheiden, wird der Arbeitsmarkt jünger, diverser und hat andere Vorstellungen und Erwartungen vom Arbeitsleben, wie das vor zehn oder mehr Jahren noch der Fall war. Aktuell geht der Trend unter anderem hin zu digitalem Nomadentum.69 Darunter versteht man, dass man Arbeit und Reisen verbindet, indem man orts- und zeitunabhängig arbeitet, während man um die Welt reist und in der freien Zeit neue Erfahrungen sammelt. Für viele junge Arbeitnehmer ist dies ein großer Faktor zu einem glücklichen Leben im Einklang mit dem Beruf.70 Abzulesen ist dies auch an der steigenden Nachfrage nach Home-Office und Remote-Arbeit.

Doch die Auswirkungen durch ein New Work basiertes Arbeiten erstrecken sich auch auf psychologische Bereiche. Wird in Unternehmen an bestehenden Strukturen festgehalten und Innovation kaum gefördert, führt das bei vielen Mitarbeitern zu Frustration und Resignation. Arbeitnehmer erwarten, dass eine Organisation offen, tolerant und zukunftsorientiert ist, die Beschäftigten in Entscheidungen mit einbezieht und an sich eine homogenere, flachere Hierarchie anstrebt.71

Eine mitarbeiterorientierte Organisation schafft aber im Gegenzug nicht nur Zufriedenheit, sondern fördert durch das psychologische Empowerment beziehungsweise die individuelle Unterstützung auch die Gesundheit.72 Vor allem mental gibt der Betrieb der Belegschaft durch New Work Maßnahmen das Gefühl, sichtbar zu sein, Hilfe bei Problemen zu bekommen und wertgeschätzt zu werden. Zudem werden Wünsche und Anregungen nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern auch berücksichtigt und an passender Stelle umgesetzt. New Work ist daher auch ein Teil fundierter Gesundheitsförderung.73 Die ist wiederum so wichtig, weil die Arbeit im Büro auch eine besondere physische Belastung für den Körper darstellt.74 Stundenlanges Sitzen und Arbeiten an einem Bildschirm widerspricht der Natur des menschlichen Körpers und ruft Probleme hervor, die durch altersgerechte und mitarbeiterfreundliche Arbeitsorganisation sowie ergonomische Gegenmaßnahmen, wie höhenverstellbare Schreibtische, vorgebeugt werden sollten.75

2.3.2 Betriebsklima und Organisationskultur

In der Folge des vorherigen Abschnitts begünstigt New Work auch die gelebte Organisationskultur. Gerade bei diesem Punkt hat das Unternehmen die Gelegenheit, grundlegende Werte festzusetzen und Einfluss auf die gesamte Belegschaft zu nehmen. Ein gesundes Betriebsklima lebt von einer sicherheitsschaffenden Organisationsstruktur, einer weitestgehend homogenen Kultur, einer gemeinsamen Strategie oder Vision sowie von der Attraktivität und dem Mut des Arbeitgebers.76 Mitarbeiter fühlen sich wohl, wenn sie gerne arbeiten, soziale Bindungen am Arbeitsplatz aufbauen (können) und sich als Mensch und Arbeitskraft anerkannt fühlen. Der Arbeitnehmer muss intrinsisch, also von innen heraus, motiviert sein, seinen Beitrag zu einem großen Ganzen zu leisten.77 Dafür sollte er sich mit der Organisation und deren Werten identifizieren können und seine Bedürfnisse sollten gestillt werden.

2.3.3 Personalgewinnung und –bindung

Eine höhere Mitarbeiterzufriedenheit und –gesundheit sowie ein angenehmeres Betriebsklima in einer gemeinsamen Unternehmenskultur sind nicht nur relevant für das bestehende Personal, diese Faktoren wirken sich auch auf die externe Attraktivität des Arbeitgebers aus. Potenzielle Arbeitskräfte wählen ihr Unternehmen vorwiegend nach diesen Kriterien aus, insbesondere auch, weil viele rein fachliche und praktische Eigenschaften von außen nicht einsehbar sind.78 Es sollte also im Interesse der Organisation stehen, mitarbeiterorientierter zu arbeiten und somit beliebter bei Fachkräften zu sein, um zum einen Personal zu binden, zum anderen aber auch erfolgreiches Personalmarketing betreiben zu können.

Gerade auch die (moderne) Ausrichtung eines Unternehmens legt die Grundlage für das von der Gesellschaft wahrgenommene Arbeitgeberimage. Der öffentliche Dienst beispielsweise wird als krisensicher, gemeinwohlorientiert und familienfreundlich dargestellt. Als Schwächen werden ihm die fehlenden Karriere- und Aufstiegschancen sowie die niedrigere Bezahlung zugeschrieben.79 In erster Linie ist dieses Bild einer öffentlichen Verwaltung in den Köpfen der Menschen verfestigt, beruht aber auf in der Praxis auftretenden Phänomenen und Verhaltensweisen. Tatsächlich werden Entscheidungen in der Verwaltung oft auf den Werten Sicherheit, Gemeinwohl und auf der Basis des jeweils vorliegenden Bürgeranliegens getroffen.

Die Organisation entscheidet also mit der internen Arbeitsstruktur, den gelebten informellen und formellen sozialen Regeln und Werten, dem Ablauf des Wertschöpfungsprozesses sowie der allgemeinen Unternehmensausrichtung, wie sie sich auf dem Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft positioniert und präsentiert.

2.3.4 Weitere Problemfelder einer modernen Arbeitsweise

Modernes Arbeiten betrifft in erster Linie die Mitarbeiter. Vor allem die Verwaltung als zentrales Organ der Gesellschaft spiegelt den Querschnitt der Gesellschaft wider.80 Aus diesem Grund stehen Themen wie Inklusion, Diversität, Gleichstellung und Gerechtigkeit täglich in der Diskussion.81 Beschäftigt man sich mit Mitarbeiterorientierung betrifft dies selbstredend alle Mitglieder der Gesellschaft. Die Anstellung von körperlich oder geistig behinderten Menschen stellt dabei in erster Linie praktische Herausforderungen, während eine ethnisch heterogene Belegschaft eher soziale, zwischenmenschliche Konfliktpotenziale mit sich bringt. Auch das Thema der Geschlechtergleichheit ist sowohl in der Personalauswahl, aber auch bei der Führung von verwaltungsinternen Teams von größter Bedeutung. Allein aufgrund der Tatsache, dass die hier genannten Handlungsfelder in den letzten Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen haben und dies auch weiterhin tun werden, ist eine Modernisierung der Verwaltung hin zu einer zukunftsorientierten Organisation und hin zu einem für Jeden identifizierbarem Arbeitgeber angezeigt und geboten.

2.4 Gegebenheiten der öffentlichen Verwaltung

Dass sich die Verwaltung als öffentliches Organ von dem durchschnittlichen Unternehmen der Privatwirtschaft unterscheidet ist offensichtlich. In diesem Kapitel sollen jedoch der Begriff Verwaltung weiter ein- und abgegrenzt sowie einige Kernelemente skizziert werden, die eine (effektive) Verwaltung ausmachen.

Allem voran ist zu definieren, was man unter einer Organisation an sich versteht. Dabei gibt es im Grunde drei Ansätze82:

- Institutionell oder aus klassischer Sicht meint der Ausdruck ein zielgerichtetes, offenes, soziales System mit festgelegten formalen Strukturen. Das bedeutet, dass gewisse Regeln sowie der fundamentale Aufbau fixiert sind und mehrere Beteiligte innerhalb dieses Rahmens miteinander interagieren, um einen gemeinsamen Zweck zu verfolgen (Die Behörde ist eine Organisation).
- Nach instrumentalem Verständnis ist die Organisation hingegen selbst ein Mittel zur Erreichung eines bestimmten Ziels. In diesem Fall wäre eine Behörde beispielsweise das Instrument, um die Wahrung der öffentlichen Sicherheit sowie der Bürgerbefriedigung zu gewährleisten (Die Behörde hat eine Organisation).
- Aus funktionaler Sicht verkörpert die Organisation den Gestaltungsprozess der im ersten Punkt genannten Rahmenbedingungen. Dabei ist sie in erster Linie die Prävention vor Chaos und Unordnung, gibt Struktur und ordnet die verschiedenen Teilbereiche der Aufgaben und Abläufe in Bereiche und Zwischenschritte (Die Behörde wird organisiert).

Die Literatur ergibt zu diesem Thema noch viele weitere Ansätze, jedoch sind diese drei die meist verbreitetsten, welche sich am besten auf die Praxis transferieren lassen. So ist auch die öffentliche Verwaltung ein solches soziales Gebilde, weil sie einerseits eine feste Architektur aufweist, aber auch durch die Erledigung der im zweiten Punkt genannten Aufgaben Struktur gibt und die Verwaltungsaufgaben zugleich sinnvoll gliedert, sodass ein Kooperieren in Gruppen überhaupt erst möglich wird.83

Definiert man Verwaltung mit einer wissenschaftlichen Herangehensweise kommt man am Bürokratie-Modell nach Max Weber nicht vorbei. Der deutsche Soziologe definiert Ende des 19. Jahrhundert folgende Maßstäbe für eine bürokratische Verwaltung: Feste Hierarchie, strikte Trennung zwischen Amt und Individualität der Person, spezialisierte Arbeitsteilung, linearer Aufstieg anhand von Laufbahnbeförderungen, unausweichliche Regelgebundenheit, planbare Schriftlichkeit und Aktenmäßigkeit.84 Verwaltung ist nach Weber ideal, wenn alle Verwaltungsorgane pflichtbewusst und unter fixen Kompetenzzuschreibungen arbeiten und dabei die disziplinären Vorgaben befolgen. Auf diese Weise wäre Bürokratie die Idealform einer legalen rationalen Herrschaft.85 Durch Webers Grundsätze soll sichergestellt werden, dass eine Behörde den ihr gesetzten Zweck erfüllt: Die Aufrechterhaltung der Sicherheit sowie der Stillung aller Grundbedürfnisse der Gesellschaft. Dies bedeutet, dass der öffentliche Dienst zuverlässig und krisensicher sein muss.

Gerade globale Ausnahmezustände wie die Corona-Pandemie zeigen, dass die Verwaltung nicht an dem Punkt steht, wo sie stehen könnte oder sollte. Die in kürzester Zeit entwickelte Corona-Warn-App funktionierte nicht störungsfrei, die ganze Organisation rund um die Impfzentren war nicht belastungsfähig und allgemein gesellschaftlich gültige sowie gesetzliche Normen mussten teilweise ohne Vorüberlegung umgesetzt werden.86 Dies hat gezeigt, dass der deutsche Staat, ähnlich wie andere Länder, nicht auf eine solche Krise vorbereitet waren. Die vergleichsweise rasche und doch zielführende Bewältigung der Herausforderungen hat allerdings auch hervorgebracht, dass die Verwaltung als so großer Apparat reaktionsfähig ist und den Weckruf nutzen konnte, um Themen wie die Digitalisierung voranzutreiben. Durch den höheren Innovationsdruck von innen und außen konnte beispielsweise Home-Office als Chance für den ländlichen Raum etabliert werden.87

Bei dem Ansatz von Max Weber muss man berücksichtigen, dass dieser fast ein Jahrhundert alt und damit zum Teil überholt ist. Arbeit wird zunehmend entgrenzt, weil verschiedene Bereiche verschwimmen und Sachverhalte vernetzt werden.88 Außerdem ist Arbeit an sich wesentlich emotionaler geworden.89 Dies führt dazu, dass ein neues Verwaltungsverständnis nötig ist. Zwar ist Verwaltung reformfähig, aber dennoch in vielen Bereichen eher auf Beständigkeit als auf Effektivität oder Bürgernähe getrimmt.90 Die Verwaltung als Rückgrat der Gesellschaft arbeitet überwiegend administrativ91 und nach einem festen Grundschema: Eingang eines Antrags – Festlegung der Zuständigkeit – Prüfung des Anliegens – Absegnung durch verantwortliche Entscheider – endgültige Entscheidung – Zuleitung des Ergebnisses an den Antragsteller.92

Durch dieses Vorgehen ist die bearbeitende Behörde an sich weniger agil oder flexibel, bildet aber die Grundvoraussetzung der Gesellschaft, indem sie zuverlässig sicherstellt, dass die Aufgaben erledigt werden. Aus dieser Gebundenheit an Vorgaben und Erwartungen ergibt sich allerdings auch die zentrale Kompetenz der Verwaltung, auf Veränderungen zu regieren und handlungsfähig zu bleiben.93

Unabhängig davon zeigen aktuelle Entwicklungen auch, dass der öffentliche Dienst sich auf die in Kapitel 2.1 ausgeführte VUKA-Welt94 und insbesondere auf den demographischen Wandel sowie den Generationswechsel einstellen muss.95 In vielen Teilbereichen hat der Gedanke von Beständigkeit zu einer festgefahrenen und veränderungsresistenten Grundeinstellung geführt, in der Bürokratie selbstverständlich und unumgänglich ist.96 Ressourcen (auch personale) werden nicht effizient genug eingesetzt, die mittel- und langfristige Organisationsausrichtung lässt zu wünschen übrig, eine Leistungsverbesserung findet kaum statt und Behörden werden als Arbeitgeber zunehmend unattraktiver.97

Das soziale Gebilde des öffentlichen Dienstes mitsamt seinen einzelnen Behörden und Gremien bezieht die Gesamtheit des staatlich beschäftigten Personals ein.98 Der Deutsche Beamtenbund hat im Monitor für den öffentlichen Dienst 2022 erhoben, dass sich derzeit 808.535 Beschäftigte im öffentlichen Dienst befinden, wovon 461.065 Frauen (57,2 %) und 314.065 Beamte (38,8 %) sind.99 Die Prognose ergibt, dass diese Zahl weiterhin steigt, sich jedoch die Altersverteilung gravierend verschiebt. Das vorhandene Personal ist zu großen Teilen über 50 Jahre alt, während die Zahlen für Auszubildende sinken.100 Vor allem dieses oft durch fehlende Aufstiegschancen, eine demotivierende Grundhaltung und ein niedriges Gehalt begründete Defizit bei dem Nachwuchs ist besorgniserregend.101 Junge Arbeitnehmer, die den Generationswechsel in der Verwaltung einläuten sollten, kommen nicht in ausreichender Menge nach und stellen die Personalentwicklung vor zwingende, zukunftsweisende Entscheidungen.

Dabei spielt es auch eine Rolle, dass sich der Verwaltungsapparat durch die politische und nichtmonetäre Ausrichtung grundlegend von privatwirtschaftlichen Unternehmen unterscheidet. Finanzielle Mittel werden nahezu ausschließlich auf der “unversiegbaren” Quelle der Steuern bezogen, die Einfluss- und Entscheidungsreichweite ist wesentlich geringer, Entscheidungsprozesse werden durch die enge Verbundenheit zu politischen Gremien erheblich verlangsamt und eine operative, taktische und strategische Planung mithilfe von angepassten Zielgrößen ist kaum möglich, da die Verwaltungsziele schwerer messbar sind.102

Nicht nur in Krisenzeiten ist eine richtungsweisende Politik in der bei uns funktionierenden Demokratie der Schlüssel zu einer nachhaltigen und gemeinschaftlichen Lösung, da die Verwaltung in Abhängigkeit zu ihr steht und für die Aufrechterhaltung des Systems zuständig ist.103 Entscheidungen werden anhand vorliegender Informationen von Bürgervertreter für die Allgemeinheit getroffen. Daraus ergibt sich, dass die Kunden- oder Bürgerorientierung in der Verwaltung der Schlüssel zu einer Modernisierung ist.104 Um also innovationsfähiger, produktiver und näher am Bedürfnis des Bürgers zu arbeiten, muss die Verwaltung individuelle Interessen aus der Gesellschaft kennen und berücksichtigen.105 Ein von vielen Verwaltungswissenschaftlern angestrebtes Idealbild für das Jahr 2030 ist daher, dass ein zentrales digitales Bürgerportal entsteht, in welchem 95% der Dienstleistungen abgedeckt sind und welches mit anderen Programmen interagieren kann, sodass der Bürger seine Anliegen schnell und unkompliziert anbringen und zur Bearbeitung geben kann. Dies erleichtert auch die Arbeit innerhalb der Verwaltung, da Arbeitsprozesse leichter überwacht und viele Schritte vereinfacht oder automatisiert werden können. Kommunikationswege werden kürzer und Behörden werden freier in der Gestaltung der Arbeitspolitik. Ein Portal dieser Güte kann zudem dem demographischen Wandel entgegenwirken, weil viele Stellen ersetzt werden, die ansonsten leer stehen würden.106

Was für eine solche Vorstellung indes noch fehlt, ist eine sichere und papierlose Datenverarbeitung sowie technisch saubere Formular-Systeme und eine übergreifende föderale Zusammenarbeit zwischen nationalen Verwaltungsstellen.107 Auch ist nicht abzusehen, ob die prognostizierten positiven Effekte tatsächlich eintreten würden. In jedem Fall ist es nötig, die Verwaltung zeitgemäßer und moderner zu gestalten, dabei das interne Rollenverständnis zu wandeln und Strukturen sowie operative Abläufe zu optimieren.108

[...]


1 Zur Vereinfachung und besseren Lesbarkeit wird in dieser Arbeit die männliche Schreibweise verwendet. Die Ausführungen gelten dennoch für alle Geschlechter, außer es wird explizit auf geschlechterspezifische Unterschiede hingewiesen.

2 Vgl. u.a. Dbb Dialog (2021)

3 Vgl. Hasselmann (2021), S. 1-3

4 Vgl. Capgemini (2021)

5 Vgl. Siegel et. al. (2020), S. 280

6 Vgl. Bornschein (2020), S. 12-22

7 Vgl. Landes/Steiner/Wittmann/Utz (2020), S. 4-6

8 Vgl. Blum/Loer/Reiter/Töller (2021), S. 247

9 Vgl. Hill (2014), S. 29

10 Vgl. Hill (2014), S. 30-31

11 Vgl. Siegel et.al. (2020), S. 279

12 Vgl. Blum/Loer/Reiter/Töller (2021), S. 248

13 hierzu Vgl. Ciesielski/Schutz (2021), S. 1-8

14 Vgl. Ciesielski/Schutz (2021), S. 9-14

15 Vgl. INQA (2014), S. 15-18

16 Vgl. Meyer (2020), S. 20-23

17 Vgl. Appinio (2022)

18 Vgl. Dauth (2020)

19 Vgl. Kühn/Niedermeier/Babic (2019), S. 162-171

20 Vgl. Bitkom (2019)

21 Vgl. Schermuly/Koch (2019), S. 129

22 Vgl. Lohmann (2021), S. 7

23 Vgl. Schermuly/Koch (2019), S. 128

24 Vgl. Bartonitz et. Al. (2018), S. 46-50

25 Vgl. Schermuly/Koch (2019), S. 130

26 Vgl. Schermuly (2020), S. 23

27 Vgl. D’Arnese (2021), S. 10

28 Vgl. u.a. Hasselmann (2021)

29 Vgl. Herget (2021), S. 1

30 Vgl. D’Arnese (2021), S. 41

31 Vgl. Hasselmann (2021), S. 3

32 zu berücksichtigen ist, dass in dieser Statistik zum Teil auch nicht für Home-Office geeignete Berufe, wie beispielsweise Handwerker, mit einbezogen wurden.

33 Vgl. Herget (2021), S. 5

34 Vgl. Hasselmann (2021), S. 5

35 Vgl. Hasselmann (2021), S. 6

36 Vgl. Packwitz (2021), S. 3

37 Vgl. Rump/Eilers (2020), S. 66

38 Vgl. Rump/Eilers (2020), S. 6-7

39 Vgl. Rump/Eilers (2020), S. 69-72

40 Vgl. Hasselmann (2021), S. 3-4

41 Vgl. Hasselmann (2021), S. 2

42 Vgl. Herget (2021), S. 2-3

43 Vgl. Herget (2021), S. 3-4

44 Vgl. Packwitz (2021), S. 4-5

45 Vgl. INQA (2014), S. 126

46 Vgl. Freytag (2021)

47 Vgl. Meyer (2020), S. 50-53

48 Vgl. Döring (2021)

49 Vgl. Bitkom (2020)

50 Vgl. Streicher (2020), S. 41

51 Vgl. Pfaffl et. Al. (2022), S.7

52 Vgl. Dbb (2022), S. 36-37

53 Vgl. Zimmermann/Kese (2022), S. 61

54 Vgl. Landes/Steiner/Wittmann/Utz (2020), S. 51

55 Vgl. Herget (2021), S. 12-14

56 Vgl. Packwitz (2021), S. 7

57 Vgl. D’Arnese (2021), S. 49-51

58 Vgl. Bartonitz et. Al. (2018), S. 1-12

59 Vgl. Bartonitz et. Al. (2018), S. 65-74

60 Vgl. Bartonitz et. Al. (2018), S. 55-64

61 Vgl. Schermuly/Koch (2019), S. 134-135

62 Vgl. Bartonitz et. Al. (2018), S. 16-18

63 Vgl. Schermuly (2020), S. 28

64 Vgl. Meyer/Reher (2020), S. 2 und 11

65 Vgl. Rump/Eilers (2020), S. 228-234

66 Vgl. Miller/Kiesel (2018)

67 Vgl. D’Arnese (2021), S. 20-21

68 Vgl. Weber (1922)

69 Vgl. Landes/Steiner/Wittmann/Utz (2020), S. 3-4

70 Vgl. Bornschein (2020), S. 33

71 Vgl. D’Arnese (2021), u.a. S. 45-46

72 Vgl. Schermuly/Koch (2019), S. 133

73 Vgl. Landes/Steiner/Wittmann/Utz (2020), S. 49-50

74 Vgl. INQA (2014), S. 94

75 Vgl. INQA (2014), S. 29

76 Vgl. D’Arnese (2021), S. 26-28

77 Vgl. Landes/Steiner/Wittmann/Utz (2020), S. 15-18

78 Vgl. Landes/Steiner/Wittmann/Utz (2020), S. 3

79 Vgl. Bornschein (2020), S. 27-32

80 Vgl. INQA (2014), S. 67

81 Vgl. Landes/Steiner/Wittmann/Utz (2020), S. 18-23

82 Vgl. Germer (2021), S. 126

83 Vgl. Germer (2021), S. 59-60

84 Vgl. Germer (2021), S. 78-79

85 Vgl. Weber (1922)

86 Vgl. Freytag (2021)

87 Vgl. Siegel et.al. (2020), S. 280

88 Vgl. Jooß-Mayer (2010), S. 28-36

89 Vgl. Jooß-Mayer (2010), S. 19-28

90 Vgl. INQA (2014), S. 31

91 Vgl. Bald (2021), S. 18

92 Vgl. Bartonitz et. Al. (2018), S. 28

93 Vgl. Bald (2021), S. 19-20

94 Vgl. Germer (2021), S. 51

95 Vgl. Bornschein (2020), S. 7-8

96 Vgl. Meyer (2020), S. 6

97 Vgl. Germer (2021), S. 39

98 Vgl. Bornschein (2020), S. 8

99 Vgl. Dbb (2022), S. 12-13

100 Vgl. Dbb (2022), S. 24-25

101 Vgl. Drammeh (2019)

102 Vgl. Germer (2021), S. 25-29 und 117

103 Vgl. Blum/Loer/Reiter/Töller (2021), S. 248

104 Vgl. Döring (2021)

105 Vgl. Papenfuß/Schäfer (2012), S. 27

106 Vgl. Lohmann (2021), S. 21-22

107 Vgl. Lohmann (2021), S. 23

108 Vgl. Papenfuß/Schäfer (2012), S. 30

Ende der Leseprobe aus 140 Seiten

Details

Titel
New Work in der Verwaltung. Psychologische Voraussetzungen von modernen Arbeits- und Organisationsformen für den öffentlichen Dienst in Bayern
Hochschule
SRH Hochschule Riedlingen
Note
1,7
Autor
Jahr
2022
Seiten
140
Katalognummer
V1297436
ISBN (Buch)
9783346791252
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Neue Verwaltung, öffentlicher Dienst, New Work, Moderne Arbeitsformen, Verwaltungsreform, digitale Verwaltung, neue Arbeit, Wertewandel
Arbeit zitieren
Valentin Rübensal (Autor:in), 2022, New Work in der Verwaltung. Psychologische Voraussetzungen von modernen Arbeits- und Organisationsformen für den öffentlichen Dienst in Bayern, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1297436

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