Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Angaben zum Fall (Zu-Beratende Person bzw. Gruppe)
2. Beschreibung des Anlasses und der Problemsituation
3. Situationseinschätzende Maßnahmen
4. Einschätzung des Bedarfs an psychosozialer Unterstützung
5. Verwendete Beratungsmodelle, durchgeführte Verfahren und psychosoziale Maßnahmen
6. Einbeziehung der sozialen Systeme und der Bezugspersonen der Zu-Beratenden
7. Umfang, Dauer und Ergebnis der unterstützenden Beratung und psychosozialer Begleitung
8. Vorläufige Auswertung der durchgeführten psychosozialen Beratung und Begleitung
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Beratung und Vermittlung in der Suchthilfe, eigene Darstellung
Abbildung 2: Klinikbericht nach außerplanmäßiger Entlassung
Einleitung
Für meine Falldokumentation habe ich mir einen Fall aus meiner Tätigkeit als Suchtberaterin herausgesucht, den ich von 16.09.2021 bis 07.03.2022 und dann erneut vom 21.04.2022 bis aktuell betreut habe und betreue.
Der Klient spricht nur wenig Deutsch, sodass die Beratung in Polnisch stattgefunden hat.
Die Arbeit soll diesen spezifischen Beratungskontext in seinen Einzelheiten durchleuchten und analysieren, sodass ein übersichtlicher Gesamteindruck entstehen kann.
Wie bereits in vorhergegangene Arbeit behelfe ich mir durch die normative Handlungstheorie von Silvia Staub-Bernasconi, welche sich in drei Schritte zusammenfassen lässt:
1) Kenntnisnahme des Forschungsgegenstandes und hierzu möglicher ,,nomologischer Aussagen‘‘ zu einem sozialen Problem (1. Gegenstandswissen- oder Zustandswissen (Was ist los?) und 2. Erklärungswissen (Warum?)), 2) Formulierung ,,nomopragmatischer, handlungsorientierter Hypothesen‘‘ der zu erreichenden Zielzustände (3. Werte- oder Kriterienwissen (Woraufhin soll verändert werden?) und 3) Formulierung professioneller Handlungsregeln und ihrer abschließenden Wirkungsbewertung (4. Verfahrenswissen (Wie?) und 5. Evaluationswissen (Was ist geschehen?)).
1. Angaben zum Fall (Zu-Beratende Person bzw. Gruppe)
Zu beratende Person: Herr A.
Problemtitel: Alkoholkonsum
Fallrelevante Bezugspersonen: Tansila Raja (Suchtberaterin), Gesetzliche Betreuerin, Suchttherapeutin in Warstein und Suchttherapeutin beim Blauem Kreuz
Herr A. ist aktuell 53 Jahre alt. Aktiv begleite ich ihn seit 10 Monaten mit Unterbrechung. Er wohnt mit anderen Baustellenarbeitern in einer Wohnung in Südstormarn und teilt sich dort mit denen ein Zimmer. Die Suchtberatungsstelle liegt 30 Fahrminuten von seiner Wohnung entfernt. Herr A. arbeitete bis vor 6 Monaten vor seiner Aufnahme als Bauarbeiter im Bereich des Garten- und Landschaftsbaus.
Herr A. leidet sehr unter seiner Einsamkeit. Er berichtet, dass er wenig sozialen Anschluss hier in Deutschland gefunden habe und nur mit seinen Arbeitskollegen in Kontakt ist, welche alle sehr viel Alkohol konsumieren. Neben seinen Eltern, welche in Polen wohnen und seinen beiden jüngeren Schwester, hat er kaum soziale Kontakte, wobei er seine Familie überwiegend telefonisch kontaktiert und sie 2-mal im Jahr besuchen fährt.
Herr A. suchte den Kontakt nicht von selbst zur Beratungsstelle. Er hatte eine Operation und das Krankenhaus hat daraufhin die Meldung an das Beratungszentrum in R. getätigt, welche sich wegen der sprachlichen Barriere dann an uns wendeten. Daraufhin wurde der Kontakt telefonisch von mir gesucht.
2. Beschreibung des Anlasses und der Problemsituation
Gegenstandswissen
Problemsituation
Herr A. glaubt unteranderem, dass seine Einsamkeit mit ein Grund für seine Depression-ähnlichen Zustände ist. Er möchte in erster Linie den Alkoholkonsum therapieren, um dann anschließend gegebenenfalls bezüglich der Depressionen in Behandlung zu gehen. Er würde gerne wieder arbeiten und eine eigene Wohnung haben.
Der Arbeitsauftrag gliedert sich in der Beratung zu den möglichen Angeboten des Suchthilfesystems in Deutschland, sowie das Stellen der dafür benötigten Anträge.
Folgende Diagnosen nach ICD-10 liegen vor:
-F 10.2: Psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol: Abhängigkeitssyndrom
-F 43.0: Akute Belastungsreaktion
-F 17.2: Psychische und Verhaltensstörungen durch Tabak: Abhängigkeitssyndrom
-K 70.0: Alkoholische Fettleber
-N 28.1: Zyste der Niere
Psychosoziale Ebene
Herr A. brachte zum zweitem. Gespräch bereits seinen Berufs-, Lebens- und Suchtverlauf mit.
In Polen habe er bereits zwei Mal eine stationäre Suchtrehabilitation durchlaufen. Er berichtet, dass er mit 18 Jahre das erste Mal Alkohol konsumiert habe. Dadurch wurde er ,,lockerer‘‘, sodass er mit 20 auch unter der Woche mit seinen Freunden trank. Selbst 1991 während seines Wehrdienstes trank er zwischenzeitlich 6 Bier und 1l Wodka abends, obwohl er wusste, das dies verboten war. Der Bierkonsum stieg weiter an. 1996 habe er für 6 Monate zusätzlich Schmerzmittel genommen. Darauf folgte die erste Entgiftung in Polen. Er brach den Kontakt zu den Freunden ab und hatte dennoch 2000 einen Rückfall und konsumierte allein, worauf hin 2001 die zweite Entgiftung folgte. Laut Herrn A. war er damals fremdmotiviert durch seine Eltern und wollte diese Maßnahmen nicht. Die nächsten Jahre bis 2006 bleib Herr A. abstinent. 2007 erlitt er erneut einen Rückfall und das Verhalten von früher schlich sich wieder ein, sodass er täglich 6 Bier und 0,5l Wodka trank. Von 2017-2021 trank er nach dem Feierabend mit seinen Arbeitskollegen ca. 10 Bier und 0,5l Wodka täglich.
Körperliche und Psychische Auffälligkeiten durch den Alkoholkonsum waren unter anderem
-Krampfanfälle
-Ohnmachtsanfälle
-Depressionen
-keine Suizidversuche, aber Gedanken in diese Richtung
Soziale Ebene
Herr A. tritt als ein sehr freundlicher Mann auf, der jedoch sehr unsicher wirkt und Schwierigkeiten besitzt sich selbst zu reflektieren. Das Alleine-Sein fällt ihm sehr schwer. Besonders die aktuelle Wohnsituation erscheint ihm selbst sehr schwierig, da er keinen eigenen Rückzugsort für sich hat. Er habe weder eine Partnerin noch Kinder. Seine Eltern waren auch alkoholkrank. Herr A. ist eher bei seiner Oma aufgewachsen. Aktuell hat er einen guten Kontakt zu seinen Eltern, die seit ca. 15 Jahren abstinent leben. Seine beiden jüngeren Schwestern trinken beide keinen Alkohol.
Auf die Frage welche Verhaltensänderungen der Alkohol in ihm auslöste, antwortet er, dass er die Gefühle habe in seiner Entwicklung durch den Alkoholkonsum verzögert zu sein. Aufgrund seiner depressiven Stimmung trinkt er, was ihn noch trauriger und einsamer macht. Er sagt, dass er Schwierigkeiten habe soziale Beziehungen einzugehen.
Finanzielle Ebene
Die finanzielle Situation von Herrn A. scheint sich im unteren Bereich zu befinden. Er berichtet, er habe als Bauarbeiter genug verdient, jedoch könnte er sich nicht eine eigene Wohnung leisten und durch den Alkoholkonsum auch nichts ansparen.
Beim zweiten Beratungsgespräch war es ein wichtiges Anliegen das Übergangsgeld abzuklären. Auch aktuell bezieht Herr A. noch Krankheitsgeld von der deutschen Rentenversicherung, da er durch seine Nieren-Operation seit 6 Monaten krankgeschrieben ist.
3. Situationseinschätzende Maßnahmen
Herr A. äußert sich in seinen Erzählungen stets kurz angebunden. Es fällt ihm schwer längere aneinanderhängende Sätze zu formulieren. Er berichtet wiederholt von Situationen, die ihn geärgert haben. Häufiger betont er gar nichts für seine aktuelle Situation zu können. Seine Werte und Normen sind ihm sehr wichtig und er neigt dazu verurteilende Bemerkungen zu äußern, wenn andere dies nicht so ausleben, wie er es für richtig hält. Des Weiteren möchte er auf der einen Seite unbedingt auf Therapie, lehnte jedoch beide Male Überbrückungsgespräche bis zum Beginn der stationären Suchtrehabilitation ab und meldete sich auch nicht, um mir mitzuteilen, dass die Kostenzusage der Rentenversicherung da ist. Auch scheint er öfters Termine zu vergessen oder zumindest nicht wahrzunehmen und hat Schwierigkeiten in der Organisation seines Alltages.
Bereits durch das erste Gespräch mit Herrn A. hat er sich dazu entschlossen auf stationäre Therapie zu gehen. Diese würde bei einem Alkohol-Promille-Gehalt über 0,0 seinerseits um eine 7-10-tägige Entgiftungsmaßnahme vor Ort verlängert werden. Gemeinsam stellten wir am 25.11.2021 den Antrag an die Deutsche Rentenversicherung für eine 3-4-monatige stationäre Suchtrehabilitation in der Fachklinik. Danach empfahl ich ein nahtloses Verfahren in die bei uns ansässige Nachsorge, sowie in eine ambulante Psychotherapie und die Teilnahme an polnisch-sprachigen Selbsthilfegruppen in Hamburg.
Neben dem Sozialbericht wurden auch weitere Unterlagen, wie Antrag auf stationäre Rehabilitation, ärztlicher Befundbericht etc. gestellt.
Die Ziele, die Herr A. für sich genannt hat sind:
-sich selbst spüren können
-Selbstreflexion
-Selbstfindung
-Erlernen von Alternativen
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