Eine Analyse der Aspekte des humanitären Völkerrechts in der Wall-Opinion des IGH


Hausarbeit, 2006

15 Seiten

Manuel Andersch (Autor:in)


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

1 EINLEITUNG

2 ANWENDBARKEIT DER BEIDEN ZENTRALEN VERTRAGSWERKE DES HUMANITÄREN VÖLKERRECHTS
2.1 ANWENDBARKEIT DER HAAGER LANDKRIEGSORDNUNG
2.2 ANWENDBARKEIT DER IV. GENFER KONVENTION

3 PRÜFUNG DER RELEVANTEN NORMEN DES HUMANITÄREN VÖLKERRECHTS
3.1 ABSOLUTE NORMEN
3.1.1 Verletzung der Eigentumsrechte
3.1.2 Verschickung der eigenen Bevölkerung in besetztes Gebiet
3.2 DISPOSITIVE NORMEN
3.2.1 Umsiedlung der Bevölkerung im besetzten Gebiet
3.2.2 Verbot von Zerstörungen
3.3 RECHTFERTIGUNG DES BAUS DER SPERRANLAGE
3.3.1 Militärische Notwendigkeit
3.3.2 Verhältnismäßigkeit

4 ZUSAMMENFASSUNG

LITERATUR

1 Einleitung

Der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern hat viele Gesichter. Neben dem Streit um Jerusalem und der israelischen Siedlungspolitik wurde der Beginn des Baus einer kilometerlangen Sperranlage1 im Westjordanland durch Israel im Jahr 2003 zu einem weiteren Konfliktherd dieser jahrzehntelangen Auseinandersetzung. Nicht allein die dadurch entstehende verkehrstechnische Problematik sorgt für Unmut, sondern auch die Tatsache, dass die errichtete Sperranlage teilweise sehr tief in palästinensische Gebiete hineinragt oder auch palästinensische Landstriche zu Enklaven macht, da sie komplett von der Mauer umschlossen werden. Palästinensische Gebiete, die sich zwischen der israelischen Grenze und der Mauer befinden, sind dabei teilweise von wichtigen zivilen Infrastruktureinrichtungen wie z.B. Krankenhäuser abgeschnitten. Von israelischer Seite wird als Grund für den Mauerbau die Minderung der Terrorgefahr angeführt. Allerdings erscheint dieses Argument aufgrund der negativen Implikationen für die Palästinenser als unbefriedigend. Es drängt sich die juristische Frage nach der Legalität dieser Maßnahme auf. Im Rahmen dieser Arbeit soll spezifisch untersucht werden, ob der Bau der israelischen Mauer gegen Normen des humanitären Völkerrechts verstößt. Die Basis hierfür stellt die Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs (IGH) dar.2 Es werden zudem diverse Aufsätze zu diesem Gutachten des IGHs berücksichtigt. Die Arbeit ist dergestalt aufgebaut, dass zunächst die Anwendbarkeit der beiden großen Vertragswerke des humanitären Völkerrechts – der Haager Landkriegsordnung und den IV. Genfer Konventionen – geprüft wird. Im Anschluss daran werden die für den vorliegenden Sachverhalt zutreffenden Normen dieser Rechtstexte aufgegriffen und untersucht, ob sie für den vorliegenden Fall einschlägig sind und ob sie eventuell verletzt werden. Im Rahmen der Prüfung dieser Normen wird auch die Frage der militärischen Notwendigkeit und der Verhältnismäßigkeit aufkommen. Da dieser Prüfungsschritt den substanziellen Kern der vorliegenden Arbeit umfasst, wird dieser Untersuchung ein gesonderter Unterpunkt gewidmet.

2 Anwendbarkeit der beiden zentralen Vertragswerke des humanitären Völkerrechts

2.1 Anwendbarkeit der Haager Landkriegsordnung

Zwar ist Israel keine Vertragspartei des IV. Haager Abkommens von 1907, an welches die Haager Landkriegsordnung (HL) angehängt wurde. Allerdings können die Normen des Haager Abkommens als Völkergewohnheitsrecht angesehen werden. Diese Ansicht vertrat bereits das Nürnberger Kriegstribunal im Jahre 1946.3 Später hat der IGH diese Haltung in seinem Gutachten Legality of the Threat or Use of Nucleur Weapons bestätigt.4 Die Normen des IV. Haager Abkommens und damit auch der HL, welche für den vorliegenden Fall relevant ist, sind somit anwendbar.

2.2 Anwendbarkeit der IV. Genfer Konvention

Die Heranziehung der IV. Genfer Konvention (IV. GK) als eine relevante Rechtsgrundlage zur Beurteilung der Legalität der israelischen Wallerrichtung rührt daher, dass diese Konvention als „the principal international treaty governing the law of belligerent occupation“ gilt.5 Zunächst sei erwähnt, dass sowohl Israel als auch Jordanien (zwischen welchen der hier relevante Krieg von 1967 statt fand) Vertragsparteien der IV. GK sind. Bezüglich der Anwendbarkeit der IV. Genfer Konvention stellt sich konkret die Frage, ob es sich bei den Palästinensergebieten im Westjordanland um besetze Gebiete im Sinne des Art. 2 IV. GK handelt. Die Israelis lehnen es ab, die Palästinensergebiete als besetztes Gebiet zu bezeichnen, weshalb die IV. GK laut Israel keine Anwendung finden. Die Regelungen greifen bei den besetzten palästinensischen Gebieten aus israelischer Sicht deshalb nicht, da sich die Konvention nur auf die Besetzung solcher Gebiete bezieht, die zuvor unter der Souveränität einer Vertragspartei standen. Die palästinensischen Gebiete unterstanden vor dem Krieg von 1967 aber keiner solchen Vertragspartei (hier Jordanien).6 Diese Sicht ist das Resultat einer eher unkonventionellen Auslegung von Art. 2 Abs. 2 IV. GK. Dem kann zunächst entgegnet werden, dass sogar die israelischen Behörden selbst die Anwendbarkeit der IV. GK als gegeben ansehen.7 Entscheidender ist allerdings die Argumentation über den Sinn und Zweck der Konvention, der gerade darin besteht, Zivilisten den größtmöglichen Schutz zuteil kommen zu lassen. Der zweite Abschnitt von Art. 2 IV. GK soll nicht den Anwendungsbereich der Konvention einschränken, indem die Anwendbarkeit der Konvention nur gegeben ist, wenn das relevante Gebiet, das besetzt wird, zuvor einer Vertragspartei unterstand. In diesem Teil der IV. GK soll lediglich verdeutlicht werden, dass die Konvention auch bei einer Besetzung ohne militanten Widerstand ihre Gültigkeit behält.8 Diese Sicht wird auch von mehreren wichtigen internationalen Akteuren geteilt.9

Ferner stellt sich nun die Frage, welche konkreten Bestimmungen der IV. GK anwendbar sind. Der IGH argumentiert hier auf der Basis von Art. 6 IV. GK, dass die gesamten Bestimmungen der IV. GK ein Jahr nach Einstellung der Kampfhandlungen, die zur Besatzung führten, ihre Geltungskraft verlieren und nur die in Art. 6 IV. GK explizit aufgeführten Artikel10 anwendbar sind. Da der hier relevante Konflikt der Sechstagekrieg von 1967 ist, ist diese zeitliche Frist somit längst abgelaufen.11 Imseis kritisiert diese Deutung des Art. 6 IV. GK.12 Er sieht die Hauptproblematik darin, dass der IGH den Fokus auf „military operations leading to occupation“ legt, anstatt lediglich auf den Begriff der „Einstellung der Kampfhandlungen“ (im Englischen „general close of military operations“) zu rekurrieren, wie er im Text der IV. GK zu finden ist.13 Artikel 6 beschäftigt sich – wenn man ausschließlich den Wortlaut in Betracht zieht – lediglich mit dem Vorliegen oder Nichtvorliegen militärischer Aktivitäten ohne zusätzliche Merkmale wie „zur Besatzung führend“. Diese Sicht der IV. GK entspricht dabei den allgemeinen Prinzipien des humanitären Völkerrechts, insbesondere der Unterscheidung des Besatzers in eine zivile (bspw. für den Straßenbau zuständige Behörde) und militärische Macht.14 Im Sinne dieser Unterscheidung zielt Artikel 6 der IV. GK darauf ab „to ensure that insofar as the occupying power ceases to function in its capacity as the military authority, it shall still be bound by the enumerated provisions in its capacity as civil authority”15. Dabei zeigt die Forderung, dass die explizit aufgezählten Bestimmungen des Artikels 6 die Besatzungsmacht nur bei der Ausübung der Regierungsfunktion binden, auf, dass den Verfassern der IV. GK die Unterscheidung in zivile und militärische Macht bewusst war. Sofern die Besatzungsmacht lediglich als zivile Macht in Erscheinung tritt und 1 Jahr nach dem letzten Schuss vergangen ist, reduziert sich der Anwendungsbereich des Art. 6 IV. GK auf die aufgezählten Bestimmungen. Sofern die Besatzungsmacht allerdings wieder als militärische Macht auftritt, erweitert sich der Anwendungsbereich der Konvention wieder auf den vollen Umfang.16 Man kann sich dies bildhaft als einen Luftballon, dem Luft entzogen und wieder zugeführt wird, vorstellen.

Die Interpretation des IGHs würde implizieren, dass während des arabisch-israelischen Krieges von 1973 und weniger weit zurückliegenden Konflikten der Zivilbevölkerung kein vollständiger Schutz zuteil gekommen wäre, da die militärischen Operationen, die zur Besetzung führten, im Jahre 1967 statt fanden. Die meisten militärischen Aktivitäten mit Panzern, Helikoptern und schwerer Artillerie fanden allerdings nach 1967 statt. Bis heute dauern militärische Einsätze im Westjordanland an, auch wenn sie an Umfang und Intensität nicht mit den großen Kriegen vergleichbar sind. Nach der IGH-Auslegung hätte keine dieser schweren militärischen Operationen die Wiederanwenbarkeit der vollen völkerrechtlichen Bandbreite der IV. GK ausgelöst.17 Die Problematik bei der Interpretation des Artikels 6 liegt darin, dass die IV. GK keine solchen sich immer wieder verlängernde Konflikte vor Augen hatten, sondern lediglich Konflikte, bei denen es ein eindeutiges Ende der Kampfhandlungen gibt und quasi ein letzter Schuss stattfindet.18 Beim Schreiben des Artikels hatte man wohl die Beispiele Deutschland und Japan nach dem 2. Weltkrieg vor Augen.19 Die Fokussierung des IGHs auf den Zeitpunkt der Kampfhandlungen, die als Ergebnis die heutigen besetzten Gebiete ergaben, schafft somit die unbefriedigende Lage, dass wichtige Artikel der IV. Genfer Konvention auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar wären. In Anlehnung an den Art. 31 der Wiener Vertragsrechtskonvention, wonach ein Vertrag „im Lichte seines Zieles und Zweckes auszulegen“ ist, würde die Interpretation des IGHs diesem Grundsatz nicht gerecht, da dem zentralen Zweck der Konvention in Form des Schutzes der Zivilbevölkerung in Zeiten des Krieges nicht in vollem Umfang entsprochen würde. Es stellt sich nun die Frage, ob Israel zum vorliegenden Zeitraum des Mauerbaus im Jahr 2003 noch als militärische Besatzungsmacht aufgetreten war oder nicht, und ob die letzte militärische Aktivität bereits mindestens ein Jahr zurück gelegen hatte. Dies zu prüfen würde allerdings den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Es werden deshalb im Weiteren die explizit erwähnten Bestimmungen des Artikels 6 der IV. GK als in jedem Fall anwendbare Rechtsnormen zur Analyse herangezogen, um Rechtsverletzungen durch Israel feststellen zu können. Es sollte in diesem Abschnitt aber verdeutlichtet werden, dass der Umfang der anwendbaren Normen der IV. GK keinesfalls so eindeutig ist, wie es das Gutachten des IGHs nahelegt.

[...]


1 Das IGH-Gutachten übernimmt den palästinensischen Begriff „Mauer“, obwohl dieser nur auf wenige Teile des Bauwerkes zutrifft. Der weitaus längste Abschnitt besteht allerdings aus einer Konstruktion aus Zäunen, Patrouillenweg und Spurenpfad. Es wird im Folgenden deshalb der Begriff Sperranlage benutzt, da diese sowohl eine Mauer als auch ein Zaun sein kann. Vgl. Perthes 2006, S. 123.

2 Vgl. Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory (Advisory Opinion), 9. Juli 2004, 43 I.L.M. (2004) 1009. Im Folgenden IGH-Gutachten.

3 Vgl. IGH-Gutachten, § 89.

4 Vgl. Legality of the Threat or Use of Nucleur Weapons (Advisory Opinion) , I.C.J. Reports 1996, § 75.

5 Imseis 2005, S. 103.

6 Vgl. IGH-Gutachten, § 90.

7 Vgl. IGH-Gutachten, § 94.

8 Vgl. IGH-Gutachten, § 95.

9 Hierzu gehören der UN-Sicherheitsrat, die UN-Generalversammlung, die UN-Kommission für Menschenrechte und das internationale Komitee des Roten Kreuzes. Vgl. Imseis 2005, S. 104.

10 Art. 1 bis 12, 27, 29 bis 34, 47, 49, 51, 52, 53, 59, 61 bis 77 und 143 IV. GK.

11 Vgl. IGH-Gutachten, § 125.

12 Vgl. Imseis 2005.

13 Vgl. Imseis 2005, S. 106.

14 Vgl. Imseis 2005, S. 106 f.

15 Imseis 2005, S. 107.

16 Vgl. Imseis 2005, S. 107.

17 Vgl. Imseis 2005, S. 108.

18 Vgl. Imseis 2005, S. 108.

19 Vgl. Imseis 2005, S. 108.

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Details

Titel
Eine Analyse der Aspekte des humanitären Völkerrechts in der Wall-Opinion des IGH
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München
Autor
Jahr
2006
Seiten
15
Katalognummer
V130099
ISBN (eBook)
9783640414239
Dateigröße
436 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Eine, Analyse, Aspekte, Völkerrechts, Wall-Opinion
Arbeit zitieren
Manuel Andersch (Autor:in), 2006, Eine Analyse der Aspekte des humanitären Völkerrechts in der Wall-Opinion des IGH, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/130099

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