Leseprobe
Inhalt
1. Einleitung
2.Theaitetos
2.1 Kurze Zusammenfassung
2.2 Das Ende - Ein letzter Definitionsversuch (Tht. 201d-210d)
3.Menon
3.1 Kurze Zusammenfassung
3.2 Die Geometriestunde des Sklaven
3.3 Das Ende des Menon
4. Sokrates Methodiken – Elenchos, Mäeutik, Aporie und Anamnesis
4.1 Die Methodiken Sokrates im Menon
4.2 Methodiken im Theaitetos
5. Menon und Theaitetos – Der Umgang mit der Methodik Sokrates anhand des Wissensbegriffs
5.1 Warum der Theaitetos aporetisch enden muss
6. Fazit
7. Zitatsammlung aus den Dialogen Platons
8. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„Als Leser fragt man sich, warum Platon seinem Lehrer hier am Ende des Dialogs nicht Gelegenheit gibt, seine Auffassung von logos, d.h. dem Wissen […] darzulegen. Wir müssen uns stattdessen mit einer äußerst knappen und dazu rein negativen Schlußbemerkung abfinden, die dem Inhalt des Dialogs in keiner Weise gerecht wird“ (Seeck (2001), Z.871).
Dieser Kommentar von Adolf Seeck macht deutlich welches Gefühl bei den Leser*innen entstehen kann, nachdem sie den Dialog „Theaitetos“ von Platon gelesen haben.
In dieser Arbeit wird untersucht, wieso der Dialog Theaitetos aporetisch endet. Es stellt sich die Frage, wieso Platon einen Dialog verfasst, der die Ausgangsfrage nicht beantwortet. Im Theaitetos wird zu Beginn die Frage „Was ist Erkenntnis (έπιστήμη = episteme)“ gestellt. Theaitetos ist ein junger Mathematiker, der versucht im Dialog mit dem literarischen Sokrates1 eine Antwort auf diese Frage zu finden. Es werden drei Definitionsversuche vorgeschlagen, wie auch analysiert und von Sokrates widerlegt. Der Dialog endet damit ohne eine Definition von Wissen, also aporetisch.
Um der Frage des aporetischen Ausgangs nachzugehen, wurden Antworten in einem anderen Dialog Platons gesucht: dem „Menon“. Der Menon handelt um die Frage „Was ist Tugend (arete)“. Die Tugendfrage wird von Sokrates Gesprächsteilnehmer Menon, einem adeligen Thessalier, zu Beginn des Dialogs gestellt. Der Menon endet für die Leser*innen eher unbefriedigend, da die Lösung der Frage was Tugend sei am Ende eher als eine ironische Antwort des Sokrates verstanden werden kann. Der Menon gilt als einer der früheren Dialoge, während der Theaitetos zu den späteren Dialogen Platons gehört.
Für einen besseren Überblick wurden beide Dialoge kurz zusammengefasst. Der Fokus beim Theaitetos liegt dabei auf dem aporetischen Ende, während im Menon der Schwerpunkt auf den dort angewendeten Methodiken des literarischen Sokrates liegen. Im Menon lernen wir etwas über die Aporie, der Mäeutik und der Anamnesis. Dies sind hermeneutische Verfahren Platons, die in einem eigenen Kapitel „Sokrates Methodiken“ genauer erklärt und untersucht werden. Sie sind in der Philosophie Platons essenziell für die Genese von Wissen. Im Anschluss werden auch kurz die im Theaitetos verwendeten Methodiken dargestellt.
Nach dem deskriptiven Teil sollen die Ergebnisse, Methodiken und die Verfahren, die wir aus dem Menon kennengelernt haben, genutzt werden, um das aporetische Ende des Theaitetos zu rechtfertigen. Das Ende des Theaitetos, welches Adolf Seeck im Zitat zu Beginn für die Leser*innen als unbefriedigend beschreibt, soll in ein neues Licht gerückt werden. Es wird versucht, die Intention Platons oder zumindest eine mögliche Erklärung für den aporetischen Ausgang des Dialogs zu gegeben. Diese Erklärung nutzt für seine Rechtfertigung die Inhalte des Menon in Anwendung auf den Theaitetos. Die Methodiken und hermeneutischen Verfahren die Platon seinen Sokrates in beiden Dialogen nutzen lässt spielen dabei eine wichtige Rolle. Anhand der eingeführten Methodiken und Verfahren von Platon, soll die Absicht des aporetischen Endes des Theaitetos gedeutet werden. Am Ende wird eine mögliche Erklärung gegeben, wieso eine Aporie und eine nicht beantwortete Ausgangsfrage gewollt sein könnte.
2.Theaitetos
Das Werk Theaitetos von Platon setzt sich systematisch mit erkenntnistheoretischen Fragen auseinander, indem er versucht zu klären, was ,Wissen‘ (έπιστήμη) ist. Der Dialog wird als erster Teil einer Trilogie verstanden, die mit dem Sophistes und dem Politikos seine Fortsetzung findet (vgl. Hardy (2001), S.11). Es folgt eine kurze Zusammenfassung des Dialogs.
2.1 Kurze Zusammenfassung
„So sage denn gerade und dreist heraus, was denkst du, was Erkenntnis ist?“ (Tht. 146c) fragt Sokrates den Schüler Theodoros Theaitetos. Die Definitionsvorschläge für Wissen lassen sich in „Wahrnehmung (αΐσθησις) „zutreffende Meinung" (άληθής δόξα) und „zutreffende Meinung mit Erklärung" (ή μετά λόγου άληθής δόξα)“ (Hardy (2001), S.11) zusammenfassen.
Noch bevor es jedoch zu den Definitionsvorschlägen von Theaitetos kommt, beginnt das Werk Platons mit einem Gespräch in Megara zwischen Eukleides und Terpsion (Tht.142a -143c) im Jahr 369 v.Chr. Diese beiden Männer lassen sich von einem Diener ein Gespräch vorlesen, welches Sokrates 30 Jahre zuvor geführt hatte (Tht. 143d – 210d) und welches von Eukleides aufgezeichnet wurde. Der Hauptteil des Theaitetos ist also ein aufgezeichnetes Gespräch (bei dem Eukleides nicht anwesend war), das circa 399 v. Chr. stattgefunden hatte. Der Dialog beginnt zwischen Sokrates und Theodoros, dem Lehrer des damals 15-jährigen Theaitetos. Sokrates kommt im Dialog zu der Frage, was ist „ epistéme “. Also je nach Übersetzung Erkenntnis oder Wissen. Diese Frage versucht, Theaitetos zu beantworten, indem er drei bzw. streng genommen vier Antwortmöglichkeiten gibt.
0) Wissen ist „Meßkunst (…) als auch auf der anderen Seite die Schuhmacherkunst und die Künste der übrigen Handwerke“ (Tht. 146c – 151d)
1) „Wissen ist Wahrnehmung“ (Tht. 151e – 186e)
2) „Wissen ist zutreffende Meinung“ (Tht. 187a – 201c)
3) „Wissen ist zutreffende Meinung mit Begründung“ (Tht. 201d – 210b).
Der erste hier aufgeführte Definitionsversuch wird meistens nicht mitgezählt, sodass von drei Definitionsversuchen gesprochen wird (vgl. Seeck (2010), S.1). Die Definitionsvorschläge scheitern alle, da die Antworten nicht akzeptabel oder ausreichend genug sind. Im ersten Definitionsversuch, also „Wissen ist Wahrnehmung“, behauptet Sokrates, dass Theaitetos dasselbe sage wie Protagoras in seiner Erkenntnistheorie (ebd. S.2). Bei der zweiten Definition findet ein Exkurs zu Gedächtnis und Wissen statt. Es werden Vergleiche wie der „Taubenschlag“ und der „Wachsabdruck“ angeführt (ebd.).
Sokrates nimmt die Definitionsvorschläge des Theaitetos, verbessert diese, indem er Beispiele anführt oder sie verfeinert, um sie daraufhin zu widerlegen (vgl. Schleiermacher (2020), S.439f.). Der Dialog endet damit, dass Sokrates zu Theaitetos sagt, dass alle Definitionen gescheitert seien. Theaitetos erwidert: „Ich (…) habe vermittels deiner Hilfe sogar mehr herausgesagt, als ich in mir hatte“ (Tht. 210b). Dies ist ein Hinweis auf die Mäeutik von Sokrates. Das Zitat zeigt auch, dass das Gespräch scheinbar nicht ergebnislos endet. Sokrates verabschiedet sich und schlägt vor, sich am nächsten Tage noch einmal zu treffen.2
2.2 Das Ende - Ein letzter Definitionsversuch (Tht. 201d-210d)
Der dritte und letzte Definitionsversuch der Begriffe `Wissen´ oder `Erkenntnis´ soll einer genaueren Betrachtung unterzogen werden, da das Ende des Dialogs im späteren Teil der Arbeit mit den Erkenntnissen im Menon analysiert werden soll. Es wird sich zeigen, dass dem Scheitern aller Definitionen auch etwas Positives abgewonnen werden kann.
Die dritte Definition sieht Wissen als `wahre Meinung´ bzw. `wahres Urteil´ mit einer `Erklärung´ (λόγος). Nach Stoelzel gibt die zweite Definition das genus proximum und durch die dritte Definition kommt die spezifische Differenz (differntia specifica) hinzu (vgl. Stoelzel (1908), S.115). Warum aber scheitert auch diese Definition? Sokrates gibt dafür dem Begriff `Erklärung‘ (logos - λόγος) drei unterschiedliche Definitionen. Diese drei Definitionen seien zu dieser Zeit die einzig Möglichen und werden der Reihe nach von Sokrates widerlegt (ebd.).
Als erstes setzt Theaitetos ` logos´ mit der „Rede“ gleich (Tht.206d-e). Demnach wäre Wissen und richtige Vorstellung jedoch dasselbe und jeder wäre ein Wissender, der eine richtige Meinung ausspricht. Taubstummen wäre demnach jegliches Wissen versagt (vgl. Stoelzel (1908), S.125).
Der zweite Versuch fasst logos im engeren Sinne, also der Aufzählung einzelner Bestandteile eines Ganzen (Tht. 207a-208b). Sokrates nennt zwei Beispiele, an denen er diese Ansicht widerlegen wird. Das erste Beispiel sagt aus, dass derjenige Wissen über einen Wagen habe, der dessen ganzen Bestandteile aufzählen könne. Dabei sind jedoch nicht die Dinge wie Räder, Achse, Obergestell etc. gemeint, da diese wieder nur aus anderen Teilen bestünden. Hier wird eine Ironie Sokrates ersichtlich, da er darauf anspielt, jedes Brett beschreiben zu müssen. Das zweite Beispiel wird mit dem Namen und der enthaltenen Buchstaben des „Theaitetos“ angeführt. Demnach habe derjenige Kenntnis über Theaitetos, der die Buchstaben von „Theaitetos“ kennt, also die einzelnen Bestandteile des Namens. Derjenige3 der ihn in Silben ausspricht, besäße demnach nur wahre Meinung (Tht. 207c). Am Beispiel des Verschreibens von Worten wird dann deutlich gemacht, dass eine Kenntnis über einzelne Buchstaben nicht ausreichen kann, da auch das „Wesen der Silben“ bekannt sein müsse. Theaitetos ist den Silben nach gleich zu „ Teaitetos“ (Tht. 207d/ Stoelzel (1908), S.126f.).
Der letzte Versuch sieht ` logos´ als Angabe unterschiedlicher Merkmale (Tht. 208c-210). Nach dieser Lesart handle es sich um Wissen, wenn neben der richtigen Vorstellung, die aus dem Gattungsbegriff besteht, auch der artbildende Unterschied bekannt sei. Als Beispiel dient die Sonne, die als der hellste Himmelkörper von allen beschrieben wird (Tht. 208c). Nach kurzem Überlegen findet Sokrates auch hier einen Widerspruch. Es wäre nicht möglich, eine richtige Vorstellung zu haben, ohne den artbildenden Unterschied von etwas zu kennen. Denkt er an Theaitetos, denke er bereits all seine artbildenden Unterschiede mit. Es wird nicht nur an die Gattung (Mensch) gedacht. Demnach wird sich der artbildende Unterschied entweder vorgestellt oder man besitze Wissen über ihn (Tht. 209d-e). Wenn dem so ist, gleicht richtige Vorstellung dem Wissen und ist im letzten Falle sogar zirkulär. Wissen ist damit eine Voraussetzung fürs Erklären, da Wissen zur Unterscheidung notwendig ist (vgl. Stoelzel (1908), S.126f.).
Nun kann sich die Frage gestellt werden, warum Platon der Frage nach Erkenntnis einen ganzen Dialog widmet, obwohl dieser ohne Ergebnis endet. Zuvor werden die Inhalte des Menon kurz dargelegt.
3.Menon
Das Werk Menon, setzt sich oberflächlich mit der Frage des Gutseins, der Tugend (arete - ἀρετή) auseinander. Der Dialog spielt im Jahre 402 v. Chr. und wurde circa zwei Jahrzehnte danach von Platon schriftlich verfasst (vgl. Kranz (2010), S.95). Der Menon zählt damit zu den frühen Dialogen Platons. Der Dialog konnte nicht abschließend klären, was Tugend ausmacht und endet damit in einer Aporie (vgl. Merkelbach (1988), S.187). Der Menon steht in einem engen Zusammenhang zu Gorgias und Protagoras (vgl. Verning (2020), S.73).
3.1 Kurze Zusammenfassung
Die Gesprächsteilnehmer des platonischen Sokrates sind Menon, ein schöner Thessalier einer großen Adelsfamilie im Alter von circa 18-20 Jahren (vgl. Vering (2020), S. 73f.) Anytos, der Freund und Gastgeber des Menon und der Sklave des Menon.
Menon stellt zu Beginn die Frage an Sokrates, ob Tugend lehrbar sei (Tht. 70a). Daraufhin antwortet Sokrates, „Ich bin soweit entfernt davon zu wissen, ob man es lehren kann oder nicht, daß ich nicht einmal weiß, was Gutsein überhaupt ist.“ (Men. 71a). Sokrates bittet Menon, der nach eigenen Aussagen wisse, was Tugend sei, ihm eine Definition zu liefern. Menon beginnt mit einer Aufzählung verschiedener Tugenden, womit Sokrates nicht zufrieden ist. Denn er suche nach dem Wesen der Tugend, nicht nach Einzeltugenden (Men. 72a-73c).
Menon versucht daraufhin einen zweiten Definitionsversuch, bei dem er Tugend mit der Fähigkeit des Herrschens gleichsetzt. Sokrates weist daraufhin, dass dies nicht reichen könne, da Sklaven beispielsweise nicht herrschen könnten. Außerdem müsste Menon gerechtes Herrschen meinen. Dies umfasst wieder einzelne Tugenden, wie Tapferkeit und Gerechtigkeit, weswegen die zweite Definition nicht besser, als die erste zu sein scheint (Tht. 73c-74b).
Vor dem dritten Definitionsversuch Menons, erklärt Sokrates beispielhaft anhand des Begriffes „Figur“ wie eine Definition erstellt werden sollte (Men.75a-76a). Menon scheint dabei nicht zu verstehen, worauf Sokrates hinauswill, da er auf dessen Definition des Begriffs „Figur“ gar nicht eingeht. Daraufhin charakterisiert Sokrates ihn als arrogant. So versucht es Menon mit einer dritten Definition von arete; die Fähigkeit, sich an dem Schönen zu erfreuen und es sich zu beschaffen. Den ersten Teil der Definition widerlegt Sokrates dadurch, dass er sagt, jeder würde Gutes wollen und strebe auch danach. Demnach wäre jeder tugendhaft (Men. 74b-78b). Den zweiten Teil widerlegt Sokrates, da das Beschaffen der Güter an ein gerechtes Beschaffen geknüpft sei, da niemand tugendhaft zu sein scheint, der durch böswillige Mittel Güter beschaffe. Die Gerechtigkeit würde so ein Teil der Definition werden, womit auch diese Definition fehlschlägt (Men. 78b-80d). Menon verfällt in Verzweiflung und sagt: „Aber beim Zeus, Sokrates, ich weiß es einfach nicht.“ (Men. 84a).
3.2 Die Geometriestunde des Sklaven
Menon fragt sich, wie er Wissen über etwas Unbekanntes haben könne. Daraufhin führt Sokrates die Anamnesis (Wiedererinnern) ein. Diesem Konzept nach ist die Seele unsterblich und hat alles an Wissen bereits in sich. Das Wissen ist jedoch verloren gegangen und es muss sich erst wieder daran erinnert werden. Dieses Erinnern beschreibt die Anamnesis (Men. 81a-82b).
Um seine Hypothese der Anamnesis zu verdeutlichen, lässt Sokrates den Sklaven von Menon, der über keine Kenntnisse der Mathematik verfügt, eine Aufgabe lösen. Die mathematische Aufgabe wird nur durch das Nachfragen des Sokrates vom Sklaven selbst gelöst. Sokrates achtet stets darauf, dass er nichts lehrt und der Sklave alles Wissen aus sich selbst herausholt (Men. 82a-85b). Der Sklave löst die mathematische Aufgabe nur durch die Fragen des Sokrates, womit seine These der Anamnesis als bewiesen gilt (Men. 85c-d).
3.3 Das Ende des Menon
Nach dem Exkurs schlussfolgert Sokrates, dass Tugend und Wissen nicht voneinander zu trennen seien. Die Arete sei nicht von Natur aus gegeben, sondern müsse erlernt werden (Men.87d-89c). Sokrates wendet direkt nach dieser Aussage ein, dass es keine Lehrer für Tugendhaftigkeit geber außer der der Sophisten. Hier spricht Sokrates einen kurzen Teil mit Anythos, der die Sophisten ohne guten Grund schlecht redet. Sokrates weist daraufhin, dass er tugendhafter große Männer kennt, dessen Söhne keine Tugend besitzen. Anythos stimmt dem zwar zu, ärgert sich aber, da Sokrates schlecht über diese großen Männer redet. Auch Menon stimmt zu, keinen Tugendlehrer zu kennen, was gegen die These der Lehrbarkeit spricht (Men. 92a-96a).
Sokrates führt daraufhin das Konzept der „richtigen Vorstellung“ und des „gesicherten Wissen“ ein. Die richtige Vorstellung wir dabei als wage verstanden, da sie nicht durch eine Begründung fundiert wurde. Man könne eine richtige Vorstellung jedoch „Festbinden“, indem sie mit einer Begründung untermauert würde. Mit dem Festbinden würde die richtige Vorstellung dann zu Wissen. Die Tugend ist demanch nur eine richtige Vorstellung und tugendhafte Menschen handeln, ohne Erkenntnis über Tugend zu haben. Deswegen ist wäre Tugend auch nicht lehrbar, da nur Wissen lehrbar sei (Men.96d-100a).
Abschließend sagt Sokrates, müsse Tugend also eine göttliche Gabe sein, da sie nicht lehrbar zu sein scheint. Er weist nochmal daraufhin, dass die Vorgehensweise, die Menon erzwungen hat, nicht zielführend sei. Zunächst müsse das Wesen der Tugend bestimmt werden, bevor sich gefragt werden könne, ob sie lehrbar sei. Der Dialog endet somit aporetisch, da nicht gesagt werden kann, woraus die Arete besteht (Men.100a-c).
4. Sokrates Methodiken – Elenchos, Mäeutik, Aporie und Anamnesis
Die Tugendfrage im Menon scheint vielen nur als ein Scheinthema, welches vorangestellt wird. Platon nimmt im Menon das erste Mal die Frage der Erkenntnis auf, in dem er versucht, eine Grenze zwischen wahrer Meinung, echtem Wissen und gesicherter Vorstellung zu ziehen (vgl. Vering (2020), S.73). Das Herzstück des Menon bildet dabei die Einführung platonischer Methodik und Theorie. So wird die Anamnesis und Hypothesis eingeführt, die für Platons spätere Ideenlehre essenziell sein wird (ebd.S.74/ Erbse (1968), S.25). Auch die Elenchos Methode, die Mäuetik und die Aporie spielen in dem Dialog eine große Rolle, die auch für weitere Dialoge, wie dem Theaitetos, von Bedeutung sein werden (ebd.). Im folgenden Kapitel soll deshalb kurz auf diese Begrifflichkeiten eingegangen werden.
4.1 Die Methodiken Sokrates im Menon
Die Elenchos Methode soll, so beschreibt es ein Fremder in Elea im Dialog Sophistes (Soph. 230b-d), den Gesprächsteilnehmer*innen von einer Überheblichkeit befreien. Das geschieht, indem den Teilnehmer*innen des Gesprächs aufgezeigt wird, dass sie von dem was sie geglaubt haben, zu wissen, nichts wirklich wissen (vgl. Erler (2007), S.49). Sie dient der Prüfung oder Widerlegung einer Aussage im Frage-Antwortstil, bei der der Lernende die Chance hat, seine Irrtümer selbst einzusehen.
Durch Sokrates Elenchos Methode verfallen die Gesprächspartner*innen oft in eine Aporie. Die Aporie bezeichnet einen Zustand, in der einem Problem gegenübergestanden wird, welches (zunächst) nicht gelöst werden kann. So entsteht eine Ausweglosigkeit oder kognitive Hilflosigkeit (vgl. Humar (2017), S. 52f.). Im Menon zeigt sich die Aporie als eine demütige Situation, die mit einer hohen Frustration und Aggression einhergeht (vgl. Men. 84a-b und 79b). Im Menon 80a wird die Aporie von Menon mit einer Lähmung durch einen Zitterrochen verglichen. Diese Lähmung entstünde dadurch, dass Sokrates selbst nichts wisse und dies durch seine Rhetorik auf seinen Gegenüber übertrage. Menon sagt: „Du behexest mich, gibst mir Zaubermittel und sagst deine Sprüche, daß ich überhaupt nicht mehr weiterweiß“ (Men. 80a). Ein paar Zeilen später erklärt Sokrates, dass er selbst nichts wisse und dadurch bewirke, dass andere nichts wissen (Men. 80c). Dies ist ein Hinweis dafür, dass er durch seine Methodik seinem Gegenüber in eine Aporie führt.
Die Aporie, als Resultat der Elenchos Methode, ist eine essenzielle Zwischenstufe zur Einsicht und eine Vorstufe eines reflektierten Neuanfangs (vgl. Erler (2007), S.49). Es heißt im Menon, dass „unser <Argument von der Wiedererinnerung> bewirkt, daß wir rege sind und auf der Suche bleiben.“ (Men. 81d). Damit spielt Sokrates darauf an, nicht aufzuhören nach der Lösung zu suchen, wenn eine Aporie entsteht. Folgend führt er das „Argument der Wiedererinnerung“, die Anamnesis ein. Sokrates erklärt die Anamnesis nicht, sondern gibt ein Beispiel. Dazu lässt er den Sklaven das Geometrie Problem lösen, ohne dass dieser irgendwelche Kenntnisse von Mathematik beherrscht (Men.81a-85b). Das Wissen, welches der Sklave benötigte, um die Aufgabe zu lösen, steckte in seiner Seele, die sich nur noch daran erinnern müsse. Der Sklave hat innerhalb seines Nichtwissens bereits einen Fortschritt gemacht, wenn er sein Nichtwissen anerkennt. Dies sei eine Voraussetzung für weiteren Fortschritt (vgl. Ebert (1974), S.88f.). Sokrates stellt fest, nachdem der Sklave die Lösung des Problems hervorbrachte: „Das Betäubtsein hat ihm also genutzt.“ (Men. 84c) , was Menon bejaht. Das Betäubt sein bezieht sich auf den Zustand der Aporie, welches dem Sklaven insofern genutzt hat, dass er sich daraufhin an die Lösung der Matheaufgabe „erinnern“ konnte.
[...]
1 Im Folgenden wird, wenn von Sokrates die Rede ist, immer vom literarischen Sokrates ausgegangen. Der historische Sokrates spielt in dieser Arbeit keine Rolle.
2 Dies ist ein Hinweis auf die Fortsetzung des Gespräches in Sophistes.
3 Hinweis zur Genderthematik: Es soll darauf hingewiesen werden, dass bei der Widergabe der Dialoge nicht gegendert wird, da die beiden behandelten Dialoge nur mit Männern stattfinden. Weiterhin verwendet Platon selbst nur das generische Maskulinum. Im Analyseteil und in den Teilen, die vom Verfasser dieser Arbeit stammen, wird selbstverständlich gegendert.