Spinozas Tugendbegriff. Begründung, Reichweite und Grenzen


Hausarbeit, 2022

24 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe

1 Einleitung

2 Die Grundlagen für Spinozas Tugendbegriff

3 Spinozas Tugendbegriff

4 Ein tugendhaftes Leben nach Spinoza

5 Grenzen des Tugendbegriffs Spinozas

6 Schluss

Literaturverzeichnis


1 Einleitung

Baruch de Spinoza (1632-1677) gehörte trotz seines stillen, zurückgezogenen Lebens zu den am meisten angefeindeten Philosophen seiner Zeit. So wurde der schon in jungen Jahren eigenständige Denker bereits im Alter von 23 Jahren aus der Synagoge ausgeschlossen und mit einem Bannfluch belegt (s. h. de Vries 1970, 38 f). Sein erstes veröffentlichtes Werk, Descartes' Prinzipien der Philosophie auf geometrische Weise begründet (1663), sah man als einen Angriff auf die Grundlagen der religiösen Moral an. Das Werk und der Autor wurden daher harsch kritisiert. Mit der Veröffentlichung seiner Schrift Tractatus theologico-politicus (1670) wurde offenkundig, dass Spinoza in seiner Metaphysik jegliche göttliche Transzendenz und Schöpfungstheologie entschieden ablehnt. Dies hatte zur Folge, dass Spinoza massiven Angriffen ausgesetzt war (vgl. Hampe et al. 2006, 3f). Die Anfeindungen trugen maßgeblich dazu bei, dass sein philosophisches Hauptwerk, die Ethik, erst nach seinem Tod im Jahr 1677 veröffentlicht wurde. Auch dieses Werk wurde als profan, atheistisch und blasphemisch empfunden und bereits am 25. Juni 1678 verboten (vgl. de Vries 1970, 153). Dies ist nicht verwunderlich, begründet doch Spinoza in diesem Werk ausführlich und tiefsinnig ein Verständnis von Gott, aus dem die Verwerfung jeglicher Schöpfungstheologie folgt. Zudem definiert er einen Tugendbegriff, der sich nicht auf die als gültig angesehenen, religiösen Grundlagen der Moral bezieht. Seine Schrift, die Ethik, verwirklicht dadurch gerade das Kernanliegen der Philosophie Spinozas, das er sein ganzes philosophisches Leben lang verfolgte: Gott zu erkennen, daraus ein adäquates Weltverständnis zu erschließen und schließlich auf der so gewonnenen Grundlage abzuleiten, was ein tugendhaftes Leben ist. Um dieses Zweckes willen war er bereit, all die Anfeindungen geduldig zu ertragen.

In dieser Arbeit möchte ich vorrangig den Tugendbegriff Spinozas und die daraus von ihm abgeleiteten Erkenntnisse und Hilfestellungen für ein tugendhaftes Leben untersuchen. Da Spinozas Tugendbegriff aus seinem Gottes- und Weltbild folgt, muss aber dazu zunächst sein Verständnis von Gott und Welt skizziert werden. Auf dieser Grundlage können dann die Schlüsselfragen beantwortet werden, die die Tür zum Verständnis von Spinozas Tugendbegriff aufschließen. Die Fragen lauten: Was versteht Spinoza unter der Essenz eines Einzeldings? Welchen Existenzbedingungen ist der Menschen nach Spinoza unterworfen? Was versteht Spinoza unter dem Begriff ‚das Gute‘? Aus den Antworten wird ersichtlich, wie Spinoza folgerichtig zu seiner Uminterpretation des Tugendbegriffes gelangte. Danach wird erläutert, welche Lebensweise der Philosoph auf der Grundlage seines Tugendbegriffs für den Menschen entwickelte. Dabei wird deutlich, dass Spinoza ein tugendhaftes Leben zwar – wie man ihm vorwarf – aus neuen Grundlagen heraus entwickelte, dies aber keineswegs – wie ihm unterstellt – zu einer Auflösung der Moral führt. Es wird im Gegenteil verständlich, wie Spinoza aus seinem Tugendbegriff eine Lebensweise erschließt, die den Menschen befähigt, ein verlässlich moralisch handelnder Mensch und gerade dadurch auch ein freier und glücklicher Mensch zu werden. So sehen wir mit Spinozas Augen den Menschen in seiner ‚Best-Form‘. Wir sehen das Idealbild des Menschen, dem sich der Mensch nach Spinoza so weit wie möglich durch eigene Anstrengung annähern kann; und wir erkennen zugleich dessen Größe. Mit dem Erkennen der Größe werden aber auch dessen Grenzen sichtbar. Welche Aspekte der menschlichen Natur meines Erachtens jenseits der Grenzen dieses Idealbildes liegen und worauf dies zurückzuführen ist, werde ich danach aufzeigen. Zum Schluss der Arbeit werde ich die Leistung dieses eigenständig denkenden Philosophen und beeindruckenden Menschen würdigen.

2 Die Grundlagen für Spinozas Tugendbegriff

2.1 Spinozas Gottes- und Weltverständnis

Wie bereits in der Einleitung hingewiesen, entwickelt Spinoza seinen Tugendbegriff aus seinem Gottes- und Weltverständnis heraus. Sein Verständnis von Gott entfaltet er im ersten Teil der Ethik. Grundlegend dafür sind die Begriffe „Ursache seiner selbst“, „Substanz“, „Attribut“ und „Modus“. Sehen wir uns daher an, wie Spinoza diese Begriffe definiert:

„Unter Ursache seiner selbst verstehe ich das, dessen Wesen die Existenz einschließt, oder das, dessen Natur nur als existierend begriffen werden kann“ (1d1, 5).

„Unter Substanz verstehe ich das, was in sich ist und durch sich begriffen wird; d. h. das, dessen Begriff nicht den Begriff eines anderen Dinges nötig hat, um daraus gebildet zu werden“ (1d3, 5).

„Unter Attribut verstehe ich das an der Substanz, was der Verstand als zu ihrem Wesen gehörig erkennt“ (1d4, 5).

„Unter Modus verstehe ich die Affektionen der Substanz oder das, was in einem anderen ist, durch das es auch begriffen wird“ (1pd5, 5).

Spinozas Zentralbegriff ist die „Substanz“. Die Substanz – und allein die Substanz – kann nur durch sich selbst begriffen werden. Sie ist dadurch Ursache ihrer selbst (causa sui), denn anderenfalls müsste sie zumindest auch durch die sie bewirkende Ursache verstanden werden. Zudem kann ‚causa sui‘ nicht als Wirkursache verstanden werden, denn die Wirkursache geht dem Bewirkten voraus und bestimmt dieses. Demnach schließt die Essenz der Substanz notwendigerweise ihre Existenz ein; sie kann daher nur als existierend begriffen werden (vgl. Röd 2002, 179f). Die Substanz ist somit für Spinoza der Terminus, der für die Definition Gottes geeignet ist. Daher definiert er Gott mit Hilfe des Substanzbergriffs wie folgt:

„Unter Gott verstehe ich das absolut unendliche Seiende, d.h. die Substanz, die aus unendlichen Attributen besteht, von denen ein jedes ewiges und unendliches Wesen ausdrückt“ (1d6, 5).

Zudem kann es nach Spinoza außer Gott keine Substanz geben, folglich ist Gott einzig (vgl. 1p14dem, 33f).

Als Attribute Gottes (der einzigen Substanz) erkennen wir „Ausdehnung“ und „Denken“. Zwar hat Gott unendlich viele Attribute, aber wir sind mit unserem endlichen Verstand nur in der Lage, diese beiden zu erkennen.

Unter Modi versteht Spinoza die Einzeldinge. Im Attribut der Ausdehnung z.B. dieser menschliche Körper, dieser Stein, dieser Baum (also jedes Einzelding). Im Attribut des Denkens diese Idee, diese Denkweise. Sie sind nicht Ursache ihrer selbst, sondern eben Modi, durch die Gottes entsprechende Attribute auf bestimmte und geregelte Weise ausgedrückt werden und durch die Gott seine Macht auf gewisse und geordnete Weise ausdrückt (vgl. 3p6dem, 273).

Demnach kann Spinoza feststellen:

„Alles was ist, ist in Gott, und nichts kann ohne Gott sein noch begriffen werden“ (1p15, 35).

Die Gottesvorstellung Spinozas zeigt also folgende Charakteristika: Gott existiert, Gott ist unendlich (er zeigt sich in unendlich vielen Attributen), Gott ist einzig (es gibt keine andere Substanz). Gott ist ein alles umgreifendes Seiendes (alles ist in Gott und kann nur durch ihn begriffen werden). Diese Aussagen über Gott widersprechen dem christlich-jüdischen Gottesbild nicht. Zur Essenz Gottes gehört aber nach Spinoza unabdingbar ebenfalls, dass er die freie Ursache aller Dinge ist, die aus seiner unbedingten Natur notwendigerweise folgt (vgl. 1app, 91f). Somit lehnt Spinoza die Vorstellung entschieden ab, die Welt sei aus einem willentlichen, planvollen Schöpfungsakt Gottes entstanden, dem ein Ziel zugrunde läge. Alles was ist, ist dagegen Ausdruck der göttlichen Natur, aus der unendlich vieles auf unendlich viele Weisen folgen muss (vgl. 1p16, 45). Die Freiheit Gottes ist also keine Willkür oder Willensfreiheit, sondern sie ist identisch mit der aus seinem Wesen folgenden Notwendigkeit. Demnach konnte auch nichts auf eine andere Weise und in keiner anderen Ordnung hervorgebracht werden, als es hervorgebracht wurde (vgl. 1p33, 81). Die von uns wahrnehmbare Welt mit all den mannigfachen Objekten (Einzeldingen) sind also Ausdruckweisen Gottes, in den von uns wahrnehmbaren bzw. erkennbaren Attributen Ausdehnung und Denken. Diese Aussagen stehen im krassen Gegensatz zum im 17. Jahrhundert in Europa als absolut gültig angesehenen christlich-jüdischen Gottesbild. Der Ausschluss aus der Synagoge und der Vorwurf der Häresie seitens der christlichen Kirchen ist somit verständlich.

2.2 Das Conatusprinzip

Nachdem wir nun die wesentlichen Züge des Gottes- und Weltverständnisses Spinozas behandelt und dabei den Begriff „Einzelding“ kennengelernt haben, müssen wir nun die Frage beantworten, durch welches Prinzip ein „Einzelding“ grundsätzlich bestimmt wird. Spinoza beantwortet diese Frage in den Lehrsätzen 6 und 7 des dritten Teils der Ethik:

„Jedes Ding strebt, soviel an ihm liegt, in seinem Sein zu verharren“ (3p6, 273).

„Das Bestreben, womit jedes Ding in seinem Sein zu verharren strebt, ist nichts anderes als das wirkliche Wesen des Dinges selbst“ (3p7, 273).

Das in den o.g. Lehrsätzen festgelegte Streben wird als „Conatusprinzip“ bezeichnet. Aus der Formulierung Spinozas wird deutlich, dass das Conatusprinzip allgemeingültig ist. Es gilt für jedes Ding, also auch für jeden Menschen. Darüber hinaus gilt es absolut, denn es ist die wirkliche Essenz jedes Dings und „die Dinge vermögen nichts anderes, als was aus ihrer bestimmten Natur notwendig folgt“ (3p7dem, 275).

Das Streben jedes Einzeldings zeigt sich demnach abhängig von der Natur des betrachteten Objekts jeweils unterschiedlich. In der unbelebten Natur können wir es als Gesetz der Trägheit erkennen, in der belebten Natur grundsätzlich als Selbsterhaltungstrieb.

2.2.1 Das Conatusprinzip im Menschen

Wie sich dieses Prinzip im Menschen ausdifferenziert und ihn bestimmt, ergibt sich aus der Natur des Menschen. Für Spinoza steht fest, „daß der Mensch aus Geist und Körper besteht und daß der menschliche Körper so, wie wir ihn empfinden, existiert“ (2p13c, 141). Dabei sieht Spinoza Körper und Geist des Menschen nicht grundsätzlich getrennt und einander gegenübergestellt. Dies wird einsichtig, da nach Spinoza der Körper zwar ein Modus des Attributs Ausdehnung und der Geist ein Modus des Attributs Denken ist, beide Attribute aber Ausdrucksweisen der einen Substanz sind. Den Menschen erkennen wir somit als Körper, wenn wir ihn unter dem Aspekt der Ausdehnung betrachten; und wir erkennen ihn als Geist, wenn wir ihn unter dem Aspekt des Denkens betrachten. So ist für Spinoza der Körper eines Menschen das Objekt der Idee, die seinen Geist ausmacht und wir erkennen „daß der menschliche Geist mit dem menschlichen Körper vereinigt ist“ (2p13s, 143). Dadurch wird ohne zusätzliche Erklärungsmodelle einsichtig, dass Körper und Geist interagieren können. Das Wesen des Geistes bestimmt Spinoza wie folgt: „Das Wesen des Geistes besteht aus adäquaten und inadäquaten Ideen“ (3p9d, 277). Richtige Erkenntnisse sind mit adäquaten Ideen verbunden, falsche Erkenntnisse mit inadäquaten Ideen. Daher kann Spinoza feststellen:

„Die Handlungen des Geistes rühren allein von adäquaten Ideen her; die Leiden aber hängen allein von inadäquaten Ideen ab“ (3p3, 269).

Zudem ist der Geist, also auch der Mensch, sich seiner selbst bewusst.

„Denn sobald jemand etwas weiß, weiß er eben damit, dass er dieses weiß; und zugleich weiß er, daß er weiß, was er weiß“ (2p21s, 175).

Demnach ist der Mensch fähig zur Selbstreflexion.

Das Conatusprinzip differenziert nun Spinoza in Bezug auf den Menschen wie folgt aus:
bezieht sich das Streben allein auf den Geist, nennt er es Wille (voluntas), bezieht es sich sowohl auf den Geist als auch auf den Körper, bezeichnet er es als Trieb (appetitus). Diesen Trieb nennt er Begierde (cupiditas), wenn sich der Mensch des Triebes bewusst ist (vgl. 3p9s, 277). Darüber hinaus definiert Spinoza die Begierde im Teil III im Abschnitt Definitionen der Affekte wie folgt:

„1. Begierde ist des Menschen Wesen selbst, insofern es als durch irgendeine gegebene Affektion desselben zu einem Handeln bestimmt begriffen wird“ (3.d1, 395).

2.3 Die Grundsituation des Menschen in der Welt

Die Grundbedingungen, denen jedes Einzelding und damit auch der Mensch unausweichlich unterworfen ist, beschreibt Spinoza im IV. Teil der Ethik wie folgt:

„Es ist unmöglich, daß der Mensch nicht Teil der Natur ist und daß er nur Veränderungen erleiden kann, die aus seiner Natur allein begriffen werden können und deren adäquate Ursache er ist“ (4p4, 451).

„Hieraus folgt, daß der Mensch notwendig immer den Leiden unterworfen ist und der gemeinsamen Ordnung der Natur folgt und ihr gehorcht und sich ihr, soweit es die Natur der Dinge erfordert, anpaßt“ (4p4c, 455).

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Spinozas Tugendbegriff. Begründung, Reichweite und Grenzen
Hochschule
FernUniversität Hagen  (Philosophie)
Note
1,7
Autor
Jahr
2022
Seiten
24
Katalognummer
V1302358
ISBN (eBook)
9783346774637
ISBN (eBook)
9783346774637
ISBN (Buch)
9783346774644
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Spinoza, Tugegendbegriff
Arbeit zitieren
Hans-Jörg Rewitzer (Autor:in), 2022, Spinozas Tugendbegriff. Begründung, Reichweite und Grenzen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1302358

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