Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Aufgabe 1
Aufgabe 2
Aufgabe 3
Literaturverzeichnis
Mediensozialisation in der Sozialen Arbeit
Aufgabe 1
Medienkompetenz wird definiert als „integrierter Bestandteil von kommunikativer Kompetenz und von Handlungskompetenz“ (Schorb/Wagner 2013: 18). Ein medienkompetentes Individuum kennt die unterschiedlichen Mediensysteme und ihre wichtigsten Angebote und kann kritisch mit ihnen umgehen (vgl. Bax 2011: o.S.). Medienkompetent zu sein, ist essenziell für eine souveräne Lebensführung, da das heutige Leben immer mehr mit und über Medien gestaltet wird (vgl. Schorb/Wagner 2013: 18). Dies sieht man beispielsweise daran, dass 99% der 12-19-Jährigen ein Handy besitzen (vgl. Suter et al. 2018: 24). Allerdings ist der Begriff der Medienkompetenz zu wenig umfassend und sollte erweitert werden durch den Begriff der Medienbildung. Medienbildung umfasst zusätzlich die gesellschafts-politische Dimension der Mediatisierung. Medienkompetenz wird in der aktuellen Debatte oftmals in Verbindung mit defizitären Ansätzen gebracht. Der Begriff Kompetenz ist ausserdem unpassend, da er zu stark auf einen Leistungsaspekt verweist. Medienbildung bedient sich zuletzt einem prozessualen Verständnis und impliziert, dass Bildung ein Prozess, nicht ein Endzustand eines kompetenten Subjekts ist (vgl. Steiner 2021: 6). Nach dieser ersten Begriffsklärung stellt sich die Frage, wieso es überhaupt wichtig ist, dass Heranwachsende einen kompetenten Umgang mit Medien erlernen. Dies ist deshalb essenziell, weil Medien in vielfältiger Weise an der Sozialisation von Heranwachsenden beteiligt sind. In vielen Familien sind die Medien sogar der wichtigste Sozialisationsfaktor. Nicht selten füllen sie den Erziehungsraum der Eltern. Die Problematik verschärft sich vor dem Hintergrund, dass sozial schwächere Familien ihre Kinder oft unbeaufsichtigt Medien konsumieren lassen. Im Grundschulalter wird den Kindern eine vorhandene Medienkompetenz unterstellt und das zuvor von den Eltern geäusserte schlechte Gewissen nimmt ab. In dieser wichtigen Phase der Identitätsbildung spielen die Medien somit eine grosse Rolle bei der Bewältigung der Entwicklungsaufgaben. So beeinflussen sie beispielsweise die Geschlechterrollenidentifikation oder die Entwicklung des Selbstbewusstseins. Mit zunehmendem Alter werde die Medien auch in der Gestaltung von Freundschaften relevant. Ausserdem ermöglichen Medien den Heranwachsenden eine Projektionsfläche für ihre Wünsche und Emotionen. Sie strukturieren des Weiteren den Alltag, beinhalten attraktive Handlungsanleitungen sowie Informations- und Identifikationsangebote (vgl. Hasebrink 2009: 20ff.). Dies birgt aber gerade bei Menschen mit einem niedrigen Schultyp die Gefahr, Falschinformationen als Wahrheiten anzusehen. So geben nur 26% einer befragten Gruppe mit niedrigem Schultyp an, dass ihnen wahre Informationen im Internet wichtig seien (vgl. Iske, Klein& Kutscher 2004, o.S.). Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass Medien einen enormen Einfluss auf die Sozialisation von Heranwachsenden haben. Die Handhabung der Medien hängt jedoch stark vom sozioökologischen Hintergrund des Individuums ab. Studien haben gezeigt, dass gerade sozial schwächere Familien oft auf eine notwendige erzieherische Begleitung verzichten und dazu tendieren, ihre Kinder unbeaufsichtigt fernsehen zu lassen. Auch wird in diesen Familien Fernsehen oft als Ersatz für teure Hobbies angesehen. In Anbetracht der Grösse des Einflusses, den Medien auf die Sozialisation haben, ist es deshalb imperativ, dass diesen Familien mehr gesellschaftliche Aufmerksamkeit geschenkt wird. So könnten zum Beispiel sozialpädagogische Familienbegleiter:innen häufiger die Mediennutzung thematisieren, da dies heute noch nicht häufig geschieht. Auch sollten vermehrt Medienproduzent:innen in die Verantwortung genommen werden (vgl. Hasebrink 2009: 24f.).
Aufgabe 2
Die Förderung der Medienkompetenzen und die Medienbildung kann die gesellschaftliche Teilhabe erweitern, da die reflektierte Nutzung von Medien viele Chancen bietet. Medien ermöglichen einen unlimitierten Informationszugang, von dem Kinder- und Jugendliche beispielsweise für Schularbeiten oder Hausaufgaben profitieren können. Sie bieten ein kostengünstiges mobiles Hobby, das fast immer verfügbar ist. Speziell für Kinder mit einer Behinderung, erweitern Medien die gesellschaftliche Teilhabe enorm (vgl. Steiner 2017: 8f.). In der heilpädagogischen Schule beispielsweise werden iPads eingesetzt, sodass Kinder und Jugendliche ohne (verständliche) Lautsprache mit Hilfe von Apps kommunizieren können. Durch diese medial unterstützte Kommunikation können sie ihre Bedürfnisse und Gedanken äussern, was vorher nicht beziehungsweise nur erschwert möglich war (vgl. Stiftung Barrierefrei Kommunizieren, o.J.). Gerade auch durch die Covid-19-Pandemie wurden mir die Chancen von digitalen Möglichkeiten vermehrt bewusst. Durch virtual learning konnte ich mein Studium weiterführen und Kinder auf der ganzen Welt weiterhin am Schulunterricht teilnehmen. Auch in meiner Freizeit erkannte ich die Chancen der Medien. Ich leiste beim Jugendrotkreuz Freiwilligenarbeit mit Flüchtlingskinder, welche aber Corona-bedingt nicht mehr vor Ort stattfinden durfte. Dadurch fielen unsere regelmässig veranstalteten Spielabende aus, die vielen Kindern eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung ermöglichen. Anstatt unser Angebot komplett zu pausieren, nutzten wir die Medien, um die Freizeit der Kinder auf Distanz weiterhin mitzugestalten. Wir produzierten und verschickten Videos mit Spielanleitungen, Bastelideen, Backrezepten und ähnlichem. Die Kinder nutzten dieses digitale Angebot rege und waren sehr dankbar. Viele von ihnen benützen die Medien ausserdem als Mittel, um an anderen Gesellschaften teilzuhaben und zum Beispiel mit ihrem Herkunftsland in Kontakt zu bleiben. Ohne Medien hätten sie kaum Kontakt zu ihren Verwandten.
Im Umgang mit Medien sehe ich aber auch viele Herausforderungen. Eine grosse Problematik sehe ich im Konsumdruck, der von den Medien ausgeht. Dem standzuhalten ist nicht einfach, auch weil die Aufforderung zu konsumieren oft in Verbindung mit einem Konformitätsdruck auftritt. Schauen alle Gleichaltrigen eine bestimmte Fernsehserie oder spielen ein spezifisches Videospiel, muss dies auch getan werden, da sonst nicht an der Anschlusskommunikation teilgenommen werden kann. Durch die ständige Aufforderung zu konsumieren, wie sie von den Medien ausgeht, suchen Heranwachsende Befriedigung oft primär durch Konsum (vgl. Süss 2006: 3371f.). Dies merke ich auch in meiner Arbeit mit Flüchtlingskinder, bei denen sich die Konversationen oft um die neusten Produkte und das grosse Bedürfnis, diese zu besitzen, drehen. Eine weitere Herausforderung sehe ich im zeitlichen Aspekt der Medien: Digitale Medien sind heutzutage ununterbrochen verfügbar, was unsere Alltagskommunikation verändert. So werden immer kürzere Reaktionszeiten erwartet und das Potential zu einer suchtmässigen Nutzung der Medien steigt (vgl. Steiner 2017: 9). Dieses Potential der übermässigen Nutzung lässt sich auch in Studien erkennen, die angeben, dass der durchschnittliche Mensch etwa 12 Jahre seines Lebens vor dem Fernseher sitzt (vgl. P.M. Magazin 2014: o.S.). Besonders hervorzuheben sind in meinen Augen zuletzt die Folgen, die der Konsum von gewalthaltigen Medien mit sich bringt. Das häufige Anschauen von gewalttätigen Medien vermittelt den Eindruck, dass Gewalt etwas normales sei. Der Konsum stumpft Heranwachsende ab und die Gefahr, solche Verhaltensmuster im Alltag nachzuahmen, steigt (vgl. MFPS 2016: o.S.).
Die Gegensätzlichkeit der Chancen und Herausforderungen von Medien ist in meinen Augen ein unauflösbares Dilemma. Medien zu verteufeln oder sie vollumfänglich gut zu heissen, wird der Komplexität des Gegenstandes nicht gerecht. Ich finde es wichtig, dass Professionellen der Sozialen Arbeit die Vor- und Nachteile von Medien bewusst sind, sodass sie ihren Medienumgang und derjenige ihrer Klient:innen kritisch hinterfragen können. Ich sehe eine kontinuierliche Selbstreflexion als einzige Antwort auf dieses unauflösbare Dilemma der Mediennutzung.
Aufgabe 3:
Es ist von grosser Wichtigkeit, dass Professionelle der Sozialen Arbeit medienkompetent sind, was im Folgenden am Beispiel von „Tiktok“ aufgezeigt werden soll. Die App ist momentan von Heranwachsenden extrem beliebt, wird aber auch oft kritisiert, da sie unterschiedliche Gefahren birgt (vgl. Gollmer 2021: o.S.). Dass nun Professionelle oder Eltern ihren Heranwachsenden diese App aufgrund der Risiken verbieten, sehe ich aber nicht als zielführend. Dies würde das Medium nur attraktiver machen, womit Medienbewertungen auch kontraproduktiv sein können. So könnte die Verbotsliste der Erwachsenen zur Hitliste der Heranwachsenden werden. Dies ist besonders vor dem Hintergrund der Verschiebung der Gewichte der Sozialisatoren zu sehen. Es konnte gezeigt werden, dass der Einfluss von Eltern zwischen der frühen Kindheit und dem Jugendalter drastisch sinkt (vgl. Süss 2006: 287). Anstatt den Heranwachsenden Tiktok zu verbieten und ihnen auf dieser Asymmetrie zu begegnen, erscheint es mir sinnvoller, dass sich Professionelle strukturiert dem Medium zu wenden, um so die Lebenswelt der Klient:innen zu verstehen und nachzuvollziehen, was sie bewegt. Eine Analysemethode für Medien ist das Modell von Moser. Moser unterteilt den Prozess der Mediensozialisation in drei Teilschritte. Im ersten Schritt der präkommunikativen Phase setzt sich das Individuum fremd- und selbstgesteuert mit einem Medium auseinander. Dieser Medienzugang kann aktiv gesucht, angeboten oder aufgedrängt werden (vgl. Süss 2016: 274f.). Im Falle von Tiktok könnte der Zugang zur App aufgedrängt werden durch „Peer Pressure“ oder die Nutzung kann mit einem freiwilligen Herunterladen beginnen. Es ist auch möglich, dass das Medium über Werbung auf Instagram angeboten wurde. In der kommunikativen Phase erfolgt die Nutzung der App bedürfnisorientiert, ist aber immer auch beeinflusst von externen und internen Erwartungen. Erstere könnte zum Beispiel der Druck sein, dass man bei Gleichaltrigen über die angesagten Themen auf Tiktok mitreden kann. Interne Erwartungen könnten das Nacheifern von Vorbildern beinhalten. Zuletzt erfolgt die postkommunikative Phase und der Prozess der Mediensozialisation endet in einer erarbeiteten Identität, welche durch den Medienalltag mitgeformt und laufend erweitert wird. Medien führen in allen Lebensbereichen zu Sozialisationseffekten und können sowohl Belastung als auch Ressource darstellen. Somit beeinflusst Tiktok die Identitätsentwicklung der Heranwachsenden, was die Wichtigkeit eines reflektierten Umgangs mit der App unterstreicht (vgl Süss 2016: 274-277). Professionelle sollen demnach Heranwachsende in einer reflektierten Mediennutzung unterstützen und sie in der Entwicklung ihrer Medienkompetenz fördern. Die Medienkompetenz umfasst laut dem Modell von Moser technische, kulturelle, soziale und reflexive Kompetenzen. Bezogen auf Tiktok müssen die Heranwachsenden beispielsweise lernen, die App zu downloaden, sich auf ihr zu orientieren und kreativ und gestaltend damit umzugehen, sich kompetent in den virtuellen Beziehungsmuster und Kommunikationsverhalten zurechtzufinden und das Medium kritisch zu beurteilen.
Wenn sich Professionelle mit den Medien der Heranwachsenden auseinander setzen, gewinnen sie ein besseres Verständnis für deren Lebenswelten. Ich plädiere deshalb dafür, dass Professionelle über ein teilnehmendes Verständnis, echtes Interesse an den Medien zeigen und zum Beispiel mit den Heranwachsenden selber Tiktok Videos produzieren oder zumindest mit ihnen in einen Dialog über die App kommen. Denn die Medienkompetenz von PSAs bietet viele Chancen: Durch Modelllernen können Heranwachsende einen gesunden Umgang erlernen, sie fühlen sich verstanden, da die Erwachsenen an ihrer subjektiven Realität anknüpfen und die PSAs können ausgehend von den Medien die vermittelten Bilder kritisch reflektieren. Den Medienkonsum zu unterstützen ist gerade im Jugendalter eine wichtige Aufgabe, da kritische Lebensereignisse, wie sie auch im Jugendalter auftreten, einen grossen Einfluss auf den Medienkonsum haben (vgl. Süss 2016: 277).
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