'Die Klavierspielerin' in der Adaption Michael Hanekes und ihr Verhältnis zur literarischen Vorlage Elfriede Jelineks


Hausarbeit, 2009

18 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Mutter und Vater in Die Klavierspielerin – ein Versuch Leben und Werk Elfriede Jelineks in Zusammenhang zu bringen

3. „Aber warum sind die Ohren verstopft und die Augen verklebt?“ – Michael Haneke über Antworten, die man nicht geben kann

4. Die Klavierspielerin
4.1 Inhalt des Romans, Vorstellung der Protagonisten, ihre Konstellation
4.2 Der Film
4.2.1 Innen/Tag, Innen/Nacht und geschlossene Türen – (kein) Raum für Erika Kohut
4.2.2 „ ... da nicht einfach ein Arschloch hinzustellen“ – Walter Klemmer
4.2.3 „ ... letztlich wieder automatisch ein Liebesfilm“ – Erika und Walter
4.2.4 Schubert und der Fernseher – die „Filmmusik“

5. Ausblick

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Im Jahre 2001 wird Michael Hanekes Film DIE KLAVIERSPIELERIN in Cannes mehrfach ausgezeichnet: Der Regisseur bekommt den großen Preis der Jury, Isabelle Huppert eine Auszeichnung als beste Darstellerin, Benoît Magimel als bester Darsteller.1 Autorin Elfriede Jelinek wird 2004 Literaturnobelpreisträgerin „for her musical flow of voices and counter-voices in novels and plays that with extraordinary linguistic zeal reveal the absurdity of society's clichés and their subjugating power“.2

In der vorliegenden Arbeit soll zu Beginn Die Klavierspielerin in Jelineks Leben und Werk eingeordnet werden und im Falle des Regisseurs anhand eines Gespräches, das Franz Grabner mit ihm führte, erarbeitet werden, was er mit seinen Filmen erreichen will, was er umzusetzen versucht. In einem nächsten Schritt wird genauer auf den Roman einzugehen sein. Es ist wichtig, nicht nur seinen Inhalt darzustellen; vielmehr noch sind es die Charaktere der Protagonisten Erika Kohut, Walter Klemmer, Mutter Kohut und deren vielschichtige Beziehungen untereinander, die es aufzuzeigen gilt.

Im Anschluss daran soll Michael Hanekes Zugang zum Roman bzw. seine filmische Interpretation genauer betrachtet werden. Einen wichtigen Teil wird hierbei die Beschreibung der Charaktere Erika Kohut und Walter Klemmer bilden sowie deren Beziehung zueinander, in deren Darstellung sich der Film deutlich von der Romanvorlage entfernt. Abschließend sollen einige Überlegungen zur Umsetzung des zentralen Themas Musik angestellt werden.

2. Mutter und Vater in Die Klavierspielerin – ein Versuch Leben und Werk Elfriede Jelineks in Zusammenhang zu bringen

So ist Michael Haneke in die kleine, überschaubare (eigentlich recht enge) Welt der Erika Kohut eingedrungen, die ich mir selber ausgedacht habe, und die ich sogar selber zum Teil gewesen bin3 schreibt Elfriede Jelinek in ihrem Essay Im Lauf der Zeit. Der Roman Die Klavierspielerin erscheint im Jahre 1983. Oft wurde er autobiographisch gedeutet, denn es finden sich unübersehbare Parallelen zwischen Elfriede Jelinek und Erika Kohut.

Mayer/Koberg4 bringen die Biographie der Schriftstellerin mit ihrem Roman in Zusammenhang. Mutter- und Vaterfigur(en) bedürfen einer genauen Betrachtung.

„Im Haushalt hat Erika nie schuften müssen, weil er die Hände des Pianisten mittels Putzmittel vernichtet“ (EJ DK 9).

Mutter Kohut hält Erika den Rücken frei, was Arbeiten im Haushalt betrifft, damit die Tochter sich ganz der Kunst widmen kann. Ilona Jelinek hat es ihr gleichgetan. Sie kümmerte sich nicht nur um all das, was der Haushalt beinhaltet, sondern war gleichzeitig eine Art PR-Managerin ihrer Tochter.5 In fast jedem Lebensbereich Elfriedes war ihre Mutter präsent, „Außenstehende beschreiben das Verhältnis als eine Mischung aus totaler Vereinnahmung und bedingungsloser Verehrung“.6

„Unter einer gläsernen Käseglocke sind sie miteinander eingeschlossen“ (EJ DK 17), Erika und ihre Mutter – wie Erika auch als erwachsene Frau noch mit ihrer Mutter zusammen lebt, lebte Elfriede Jelinek mit ihrer Mutter über Jahrzehnte in einem Haushalt.

Beide Mütter, die fiktive und die echte, wünschen sich, dass die Tochter zu einer bekannten Musikerin werde. Elfriede nimmt schon als Kind Musikunterricht und wird später ans Konservatorium der Stadt Wien aufgenommen, sie durchlief gewissermaßen den gleichen Prozess wie ihre Romanfigur Erika Kohut.

So gut es Mutter Kohut mit Erika bzw. Ilona Jelinek mit Elfriede auch meint, beschreiben Mayer/Koberg doch treffend, was die Folge einer solchen Mutter-Tochter-Beziehung sein muss: „dass eine Mutter ihr Kind vernichtet, wenn sie ihm das Leben abnehmen will“.7 Die Klavierspielerin bildet Elfriede Jelineks Versuch, sich mit ihrer problematischen Beziehung zur Mutter auseinanderzusetzen.

Ebenso schwierig ist das Verhältnis zu ihrem Vater. Erikas Vater wird im Roman nur am Rande erwähnt (Kapitel 4.1 wird genauer auf diese Tatsache eingehen). Können Parallelen zu Friedrich Jelinek, Elfriedes Vater, gezogen werden? Zweifelsohne.

Erschwerende Umstände oder Kindlicher Bericht über einen Verwandten ist ein Aufsatz Elfriede Jelineks aus dem Jahre 1977, in dem sie über ihren Vater in Worten spricht, in denen ein Kind diesen für gewöhnlich nicht beschreibt.

Ausgerechnet 15 Jahre später (er hat übrigens, als es gefahrlos wieder möglich war, nach dem Krieg, einen kleinen Mischling fabriziert, ein ganz schönes Risiko, wenn man das Alter von Mutter und Vater bedenkt. Wie leicht hätte nicht ein kleiner Mischling, sondern ein kleiner Krüppel, ein kleines Mongölchen draus werden können! Aber nein, das Kind war soweit ganz o. k.), ausgerechnet dann also muß der Trottel wahnsinnig werden. [...] Einfach plemplem. Total regrediert. Verrückt.

Verblödet.8

Im Jahre 1969 starb Friedrich Jelinek, aufgrund seiner Alzheimer-Krankheit mittlerweile geistig völlig umnachtet, in einer psychiatrischen Klinik. Erikas Vater ereilt dasselbe Schicksal. „So lange er wollte! Ganz wie gewünscht“ – genauer gesagt bis zu seinem Tode – bleibt er in der Klinik, die „zu dem guten menschlichen Zweck der Irrenverwahrung und pekuniären Irrenverwertung eingerichtet wurde“ (EJ DK 96). Es sollte Jahre dauern, bis Elfriede Jelinek in einem Ton über ihren Vater sprechen konnte, der nicht beißenden Sarkasmus beinhaltete. Die Klavierspielerin erschien (nur) sechs Jahre nach dem oben zitierten Aufsatz, zu einer Zeit, in der dies noch nicht der Fall war. Erikas Vater wird nur beiläufig erwähnt, er scheint im Leben von Mutter und Tochter keine Rolle (mehr) zu spielen. Elfriede Jelinek mied eine Auseinandersetzung mit ihrem Vater ebenso: In einem Interview wird sie es damit begründen, dass er „von einem unglaublich klugen Menschen zum völligen Idioten geworden“ war, „das verzeiht eine Tochter dem Vater nicht.“9

3. „Aber warum sind die Ohren verstopft und die Augen verklebt?“ – Michael Haneke über Antworten, die man nicht geben kann

Ein im Jahre 2008 veröffentlichtes Gespräch, das Franz Grabner10 mit Michael Haneke führte und aus dem das o.g. Zitat stammt, enthält aufschlussreiche Aussagen des Regisseurs, gewissermaßen das „Evangelium“ seines Films.

Weil wir vor dem Grauen der Realität die Augen schließen, um sie überhaupt auszuhalten. Verdrängung heißt die Erbsünde Numero eins, im gesellschaftlichen wie im individuellen Bereich – gegen sie sind wir alle ziemlich machtlos lautet Hanekes Antwort auf die Frage, warum er „weitere grauenhafte Geschichten“ (12) produziert. Er hat es sich zum Ziel gemacht, „dass sich der Zuschauer provoziert und gezwungen fühlt, etwas gegen das, was [er] ihm zeig[t], zu unternehmen“, etwas in ihm zu erregen: „Wut, Energie, den Wunsch, im großen Kompromissbetrug nicht mitzumachen, unzufrieden zu sein, sich selbst an der Nase zu fassen. Erkenntnis ist immer ein Schrecken!“ Mehr kann nicht getan werden, denn „wenn es Lösungen gäbe, sähe die Welt nicht so aus, wie sie ausschaut“ (13). Das Mainstreamkino, in dem Gewalt stets in legitimierter Form gezeigt wird, ermöglicht es dem Zuschauer, „den Fall als für ihn nicht zutreffend zur Seite schieben“ zu können, entlässt ihn jeglicher Verantwortung. Haneke möchte dies in seinen Filmen verhindern, indem er „den Zuschauer selbst mit seinen Ängsten und Aggressionen ins Zentrum der Geschichte stellt“ (14), ihn zur Verantwortung zwingt. Im Gegensatz zur Gewalt in Umsatz sichernden Actionfilmen, durch die „man die Gewalt konsumierbar gemacht hat“, weist Haneke den Zuschauer darauf hin, „dass er Voyeur ist“ und stellt so sicher, dass eine persönliche Beteiligung erfolgt, dass es nicht möglich ist „die Gewalt zu genießen bzw. sich schuldlos an ihrer Ausübung zu beteiligen“ (15). Ein Haneke-Film endet so „nicht mehr auf der Leinwand“, sondern im Gehirn des Zuschauers und „manchmal hoffentlich auch im Herzen“ (16).

Gewalt und Gefühlskälte sind dominante Eigenschaften unserer neoliberalen Haifischgesellschaft – ist es einseitig, sie modellhaft darstellen zu wollen? Wir leben in einer gewalttätigen Welt (17)

– ein Modell will er zeigen, ein Modell, das „die Kälte des zwischenmenschlichen Umgangs in unserer Konsumgesellschaft“ schonungslos offenlegt. Haneke sieht es als im Menschen angelegt und somit als nicht zu ändernde Tatsache, „permanent an der Kommunikation zu scheitern“ (20). Eine Antwort zu geben auf die Frage, warum das so ist, ist unmöglich, denn „wenn man bestimmte Grundkonstellationen anrührt, kommt man automatisch zu religiösen und existentiellen Fragestellungen“ (21).

„Ich versuche schlackenlose Bilder zu machen, so viel wie möglich wegzulassen“ (23) sagt Haneke weiter, woran ich gleich ein Beispiel anschließen möchte, um zu zeigen, was dies für die Praxis bedeutet. DIE KLAVIERSPIELERIN wirkt fast zeitlos. Wir befinden uns in Wien, an den Filmplakaten im Autokino „erkennt man den stattgehabten Aufbruch ins neue Jahrtausend: vorwiegend Action- und Fantasykost“11, doch fehlen jegliche Hinweise, anhand derer wir auf eine bestimmte Jahreszahl, auf ein aktuelles Geschehen schließen könnten (etwa Wahlplakate, die auf eine in K$rze stattfindende Wahl verweisen). Es wird so gew!hrleistet,dass es nichts gibt, das ablenkt, denn angesichts des immer undurchdringlicheren, jeden freien Blick verstellenden Wusts hochglanzpolierter Talmischönheit scheint gerade im Bereich medialer Kunstproduktion Notwehr nicht unangebracht (24).

[...]


1 http://www.festival-cannes.com/en/archives/ficheFilm/id/1100085/year/2001.html

2 http://www.svenskaakademien.se/web/Laureates.aspx

3 Jelinek, Die Klavierspielerin, S. 288. Im Folgenden werden Zitate unter Verwendung der Sigle „EJ DK“ im Text nachgewiesen.

4 Mayer/Koberg, Elfriede Jelinek. Ein Porträt, S. 111-129. Dieses Kapitel folgt deren Darstellung.

5 Vgl. ebd., S. 111.

6 Ebd., S. 112.

7 Ebd., S. 115.

8 Jelinek, Erschwerende Umstände oder Kindlicher Bericht über einen Verwandten, S. 110.

9 Zitiert nach Mayer/Koberg, Elfriede Jelinek. Ein Porträt, S. 125.

10 Grabner, „Der Name der Erbsünde ist Verdrängung“. Ein Gespräch mit Michael Haneke, S. 20. In diesem Kapitel werden Zitate unter Angabe der Seitenzahl im Text nachgewiesen.

11 Haneke, Die Klavierspielerin. Das Drehbuch, S.66.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
'Die Klavierspielerin' in der Adaption Michael Hanekes und ihr Verhältnis zur literarischen Vorlage Elfriede Jelineks
Hochschule
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
Veranstaltung
Literaturverfilmung
Note
1,7
Autor
Jahr
2009
Seiten
18
Katalognummer
V130393
ISBN (eBook)
9783640363803
ISBN (Buch)
9783640364206
Dateigröße
494 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Klavierspielerin, Adaption, Michael, Hanekes, Verhältnis, Vorlage, Elfriede, Jelineks
Arbeit zitieren
Melissa di Maina (Autor:in), 2009, 'Die Klavierspielerin' in der Adaption Michael Hanekes und ihr Verhältnis zur literarischen Vorlage Elfriede Jelineks, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/130393

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