Die politische Sozialisation in der DDR am Beispiel der FDJ


Examensarbeit, 2007

83 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Erkenntnisinteresse und Fragestellung
1.2 Forschungsstand und verwendete Literatur
1.3 Aufbau der Arbeit

2. Die theoretischen Konzeptionen
2.1 Politische Kultur
2.2 Politischen Sozialisation

3. Analyse der offiziellen politischen Kultur
3.1 Das politisch-ideologische Erziehungsziel
3.2 Merkmale der sozialistischen Persönlichkeit
3.3 Das Bild des Jugendlichen in der DDR

4. Sozialisationsagenturen
4.1 Familie
4.2 Bildungssystem
4.3 Jugendorganisation FDJ

5. Der Jugendverband
5.1 Aufgaben der FDJ
5.1.1 Anbindung der FDJ an das Bildungswesen
5.1.2 Herausbildung des Kadernachwuchses
5.1.3 Betreiben massenwirksamer Politik un vormilitärische Erziehung
5.1.4 Ökonomische Aufgaben
5.1.5 Kontrolle des Freizeitbereiches
5.2 Organisationsstruktur

6. Geschichte der FDJ
6.1 Der Weg zur Freien Deutschen Jugend 1945 – 1947
6.2 Die Stalinisierung der FDJ 1948 – 1953
6.3 Revolutionäre Avantgarde oder Freizeitverband? 1954-1961
6.4 Jugendpolitik im Schatten der Mauer 1961-1976
6.5 Stagnation, Agonie und Untergang 1976-1989

7. Mitgliederstruktur der FDJ
7.1 Entwicklung der Mitgliederzahlen
7.2 Alters- und Sozialstruktur

8. Die Sozialisationsleistung der FDJ
8.1 Sozialisationserfolge
8.2 Beurteilung der Aufgabenerfüllung
8.3 Beurteilung der Struktur und Organisation der FDJ
8.4 Beurteilung der Mitgliedszahlen
8.5 Fazit

9. Schlussbemerkung

10. Abkürzungsverzeichnis

11. Tabelle zur Mitgliederstruktur

12. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Mit der Gründung der Freien Deutschen Jugend (FDJ) als Einheitsorganisation erfüllte sich im März 1946 die Idee der kommunistischen Exilanten, eine antifaschistische Jugendbewegung in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) zu gründen.[1] Durch eine frühzeitige organisatorische Erfassung der Heranwachsenden sollte Einfluss auf die Herausbildung konkreter politischer Leitbilder und grundlegender Handlungsorientierungen ausgeübt werden. In Abstimmung mit den jugendpolitischen Zielsetzungen der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) wurden dem Jugendverband bestimmte Aufgaben zugedacht und die Erziehungsziele unmittelbar aus den Aufbau-, Entwicklungs-, Stabilisierungs- und Sicherheitserfordernissen der Gesellschaft abgeleitet. Die FDJ verstand sich als sozialistischer Jugendverband an der Seite der SED, deren Führungsanspruch seit den frühen 1950er Jahren in den Statuten der Jugendorganisation festgeschrieben war. Im Politikverständnis der DDR wurde von der Vorstellung ausgegangen, dass bei einer objektiven Verbesserung der Lebensverhältnisse die Zustimmung der Jugend zur DDR und dem Jugendverband sicher sein würde.[2] Dabei setzte die SED mit ihren Konzeptionen auf die Unerfahrenheit der Kinder und Jugendlichen, die mit der frühzeitigen Verinnerlichung der staatstragenden Überzeugungen und Eigenschaften die für die jugendliche Altersphase typischen Verhaltensmuster, wie die Abgrenzung von der Erwachsenenwelt und die Erarbeitung eines eigenen Lebensentwurfs, gar nicht erst ausbilden können. Gleichzeitig sollte der Akt der Organisierung, gemeint ist hier das Organisiertwerden und nicht die Selbstorganisation, sowie die Zugehörigkeit zu verschiedenen Kollektiven zur sozialen Erfahrung werden.[3]

In der DDR wurde die Funktion des Staates als Instanz der politischen Sozialisation nicht geleugnet, vielmehr diente die staatliche Sozialisation, die die Erziehung sozialistischer Persönlichkeiten zum Ergebnis haben sollte, der Integration des Individuums in das Gesellschaftssystem. Erziehung wurde demnach als ein „umfassender Prozeß der zielgerichteten Einwirkung auf die allseitige Entwicklung der sozialistischen Persönlichkeit“[4] verstanden.

Dem Werben der FDJ konnte sich kaum ein Jugendlicher in Schule, Hochschule oder Betrieb entziehen. Die Mitgliedschaft im Jugendverband entsprach angesichts des diktatorischen Systems eher einem Zwang, da diese zugleich das Kriterium für „gesellschaftliches Engagement“ darstellte, das eine wesentliche Voraussetzung für die berufliche Entwicklung war. Millionen junger Menschen wurden in den 40 Jahren des Bestehens der DDR Mitglied in der Massenorganisation, die als „Transmissionsriemen“ die Funktion der Verwirklichung der SED-Ziele innehatte, und durchliefen die politischen Schulungen, die auf den Erhalt des Systems ausgerichtet waren.

Bemerkenswert erscheint heute die Diskrepanz zwischen der positiven Beurteilung der Wirksamkeit der Arbeit des Jugendverbandes in den offiziellen Erklärungen von FDJ und SED und dem dramatischen Absinken der Mitgliederzahlen sowie dem Versagen der FDJ im Herbst 1989, als so viele Menschen der DDR die Gefolgschaft aufkündigten und das System zusammenbrach.

1.1 Erkenntnisinteresse und Fragestellung dieser Arbeit

Das Interesse am Gegenstand der politischen Sozialisation in der DDR durch die Einheitsorganisation FDJ ist vor allem dem sich kontinuierlich fortsetzenden Prozess der Auseinandersetzung mit der DDR-Vergangenheit geschuldet. Vor dem Hintergrund der wissenschaftlichen aber auch öffentlichen Debatte über die historische Einordnung und Bewertung der DDR konzentriert sich mein Interesse auf die Sozialisationsbedingungen, die Vorgaben der politischen Erziehung in der DDR und den Jugendverband FDJ.

Das Erkenntnis leitende Interesse dieser Arbeit liegt vor allem in der Betrachtung der SED-Herrschaft und ihrem Ziel der totalen Erziehung des Menschen zur sozialistischen Persönlichkeit. Erziehung beinhaltete hier die Beeinflussung der politischen Sozialisation Jugendlicher durch ideologische und machtpolitische Maßnahmen innerhalb der staatlich gelenkten Sozialisationsinstanzen. Ich gehe von einem generellen Scheitern der politischen Sozialisation aus, da die FDJ ihren von Partei und Staat vorgegebenen Auftrag der Systemstabilisierung nicht erfüllt hat. Die Verankerung der sozialistischen Persönlichkeit und Lebensweise im Bewusstsein der Menschen ist nicht gelungen, so dass das Herrschaftssystem, neben anderen Ursachen, auf Dauer nicht bestehen konnte. Dennoch nehme ich an, dass es in den 40 Jahren des Bestehens der DDR eine Identifikation mit dem Jugendverband gab, die zur zeitweisen Stabilisierung des Systems geführt hat. Es soll in dieser Arbeit der Frage nachgegangen werden, welches Ausmaß die politisch-ideologische Erziehung innerhalb des Jugendverbands FDJ annahm und wie die Sozialisationsleistung sowie die Erfüllung oder Nichterfüllung der von SED und FDJ formulierten Ziele beurteilt werden kann. Dabei werden insbesondere die Gründe für das Scheitern der politischen Sozialisation im achten Kapitel erläutert.

Folgende Annahmen und Hypothesen leiten diese Arbeit:

1. Die Führung der DDR orientierte sich bei ihren Vorgaben zur politischen Sozialisation an einer aus ihrer Sicht idealen politischen Kultur, die im Folgenden mit den Begriffen der politischen Zielkultur bzw. der offiziellen politischen Kultur bezeichnet werden soll. In dieser Untersuchung wird davon ausgegangen, dass trotz erheblicher Anstrengungen seitens der DDR-Führung zu keiner Zeit eine Übereinstimmung zwischen der offiziellen und der vorherrschenden (dominanten) politischen Kultur bei den Jugendlichen erreicht werden konnte.
2. Ich nehme weiter an, dass die offizielle politische Kultur dennoch zustimmungsfähige Elemente der dominanten politischen Kultur beinhaltete, die zu einer partiellen Stabilisierung des politischen Systems führten. Aus diesem Grund wurden Elemente der dominanten politischen Kultur immer dann in die offizielle politische Kultur aufgenommen, wenn eine Destabilisierung der Legitimation bzw. Unterstützung des politischen Systems der DDR drohte.
3. In ihrem Selbstverständnis als politische Führung eines Erziehungsstaates, versuchte die SED ihre politische Zielkultur in erster Linie mittels politischer Sozialisation zu verwirklichen. Diese interpretierten sie vorwiegend als einseitigen Prozess der Vermittlung der staatlich formulierten politischen Erziehungsinhalte. Dabei galt der Glaube an die Steuerbarkeit politischer Kulturen durch politische Sozialisation und die Annahme einer „kollektiven Formung“ und „ideologischen Stählung“ der jungen Generation durch eine strikt vorgegebene normative Erziehung und eine gleichgeschaltete politische Sozialisation. Das Individuum sollte gemäß einem Katalog von Sozialisationszielen sowie verbindlich und zentral vorgegebenen Erziehungsinhalten zur allseitig gebildeten sozialistischen Persönlichkeit umgeformt werden. Es ist anzunehmen, dass der Druck der Erfüllung der staatlich vorgegebenen Ziele und die fehlende Selbstbestimmung bei den Jugendlichen auf Ablehnung stießen und sie sich andere Formen und Orte der Selbstverwirklichung suchten.

1.2 Forschungsstand und verwendete Literatur

In der Bundesrepublik setzte die Beschäftigung mit der Jugend in der DDR bereits in den 1950er Jahren ein. Es wurden beispielsweise die Probleme betrachtet, die Aufschluss über die Stabilität bzw. Instabilität des politischen Systems des Nachbarstaates geben sollten.[5] Mitte der sechziger Jahre rückten die Jugend und die FDJ im politischen System der DDR zunehmend in den Mittelpunkt der westdeutschen Betrachtungen. Dennoch erscheint die Bearbeitung des Themas FDJ in den Publikationen dieser Zeit ausschnitthaft und auf einzelne Aspekte beschränkt.[6] In den achtziger Jahren entstanden trotz erschwerter Quellenlage weitere Arbeiten über die Beobachtung jugendlichen Verhaltens in der DDR. Arnold Freiburg und Christa Mahrad[7] beschäftigten sich mit der Situation und Organisation der Jugendlichen im Jugendverband der DDR. Anhand von öffentlich zugänglichen Dokumenten und Quellen gaben sie einen Überblick über die programmatisch-ideologische Zielsetzung und die Organisationsstruktur der FDJ. Für diese Arbeit sind die im Anhang beigefügten Statuten des Jugendverbands zentral.[8] Aufgrund der Quellenlage konnten die Autoren die Einstellungen der Jugend zu ihrem Verband nicht über repräsentative Meinungsäußerungen erschließen, sondern nur indirekte Vermutungen anhand von Publikationen beispielsweise des Zentralinstituts für Jugendforschung (ZIJ) und der Auswertung von Zeitungsberichten aussprechen.[9] Sie stellten in ihren Schlussbemerkungen fest, dass Ausweichmöglichkeiten für Jugendliche vor allem im Rückzug ins Private möglich waren.[10] Auch Barbara Hille[11] kam in ihrer Betrachtung der Sozialisation in der Familie in der DDR zu dem Schluss, dass die Familie einen Rückzugsort darstellte, der sich weitgehend den politischen Vorgaben entzog. Ihre Ausführungen zum Leitbild der „sozialistischen Familie“ werden im Kapitel zur Familie als Sozialisationsinstanz Eingang finden. Ebenfalls in den 1980er Jahren wurden die Strukturen und Aufgaben des Bildungswesens sowie dessen Entwicklung und Einbindung in das politische System betrachtet.[12] Für diese Arbeit werden die Ausführungen von Oskar Anweiler[13] und Andreas Fischer[14] zum Bildungssystem der DDR herangezogen.

In der DDR gab es weitestgehend keine veröffentlichten kritischen Untersuchungen zur FDJ. Die Darstellungen und die Auswahl der Dokumente waren von der politischen Zielsetzung bestimmt. Soziologie und empirische Sozialforschung unterlagen bis zum Tode Stalins einem Verbot, da die bürgerlichen „Pseudowissenschaften“ unvereinbar mit dem Marxismus-Leninismus galten. In den fünfziger Jahren wurde dieses Verbot schrittweise aufgehoben und Pädagogen und Psychologen konnten erste Befragungen und Tests unter Jugendlichen durchführen, die „der Bestätigung des offiziellen Fortschrittsoptimismus dienten“[15]. Mit der Einrichtung des ZIJ beim Ministerrat der DDR verfügte diese seit den 1960er Jahren über eine eigenständige Institution, die mit dem Ziel der Datenerhebung wissenschaftliche Erkenntnisse über die verschiedenen Lebensbereiche, vorherrschenden Einstellungen, Interessen, Verhaltensweisen, Ansprüche und Probleme der DDR-Jugend liefern sollte. Langjähriger Leiter des ZIJ war der Psychologe Walter Friedrich.[16]

Seit den 1980er Jahren sind auch in der DDR Teile der Sozialwissenschaften unter dem Aspekt der politischen Sozialisation an entsprechenden Fragestellungen interessiert gewesen. Unter der Prämisse einer marxistisch-leninistischen Soziologie wurden zahlreiche gesellschafts- und politiktheoretische Studien zu einzelnen Problemen und Problemfeldern der politischen Sozialisation angefertigt.[17] Ein Großteil der in dieser Arbeit verwendeten Autoren beziehen einige dieser Ergebnisse in ihre Publikationen ein.

Um der Jugend der DDR die Geschichte der Arbeiterbewegung näher zu bringen und das gewünschte politische Bewusstsein zu wecken und zu schulen, wurde die Jugend-geschichtsschreibung institutionell verankert.[18] Es entstanden in diesem Rahmen propagandistische Darstellungen zur Geschichte des Jugendverbandes[19], die in dieser Arbeit herangezogen werden, um die politischen Zielsetzungen darzustellen. Als Quellenmaterial werden auch die gesammelten Dokumente der SED verwendet. Diese wurden in Abständen von der Partei herausgegeben und enthalten „Beschlüsse und Erklärungen des Zentral-komitees sowie seines Politbüros und seines Sekretariats“[20].

Seit dem Zugang zu den Archiven der DDR in der Folge der Wiedervereinigung stellt die Jugendpolitik eines der am intensivsten bearbeiteten Forschungsgebiete dar. Die Protokolle, Weisungen, Berichte und Schriftwechsel geben Erkenntnisse über Auseinandersetzungen, Fragen und Probleme der politischen Sozialisation und ideologischen Erziehung der Jugend wieder. Bereits in den achtziger Jahren rückte das Aufkommen politischer Gegenkulturen und neuer Gruppierungen in der DDR, die sich im Zuge der sich verändernden Weltpolitik und Umweltsituation gebildet hatten, ins Blickfeld westlicher Forschungen. Es wurden darin Beweise für den stattfindenden Zerfall der ideologischen Hegemonie der SED in der DDR gesehen. Christiane Lemke[21] schloss sich diesen Ausführungen an und untersuchte die Jugend hinsichtlich ihrer Beteiligung am Zusammenbruch der DDR. Die Bildung oppositioneller Gruppen und die Beteiligung einer großen Anzahl von Jugendlichen an den Demonstrationen sowie die hohe Zahl jugendlicher Flüchtlinge in den letzten Monaten des Bestehens der DDR sind ihrer Meinung nach Initiatoren für den Systemzusammenbruch.

Martin Michalzik[22] stellte hingegen fest, dass die oppositionellen Bürgerbewegungen weitestgehend von älteren Jahrgängen ausgingen. Aus diesem Grund analysierte er die Sozialisation und das offizielle Jugendbild der DDR von den 1960er Jahren an. Untersuchungen zur Sozialisation in der DDR im Zusammenhang mit den „Lebens-bedingungen in der DDR im Umbruch“ sind im Sammelband der Zeitschrift für Sozialisationsforschung[23] bereits 1990 herausgegeben worden. Darin sind auch Beiträge von Sozialwissenschaftlern der DDR enthalten sowie zahlreiche – in der Umbruchsphase – entstandene Beiträge zu den Sozialisationsinstanzen. Zur Definition von politischer Sozialisation und politischer Kultur wurden die Arbeiten von Wolfgang Bergem[24], Dirk Berg-Schlosser und Jakob Schissler[25] sowie die Ausführungen von Christiane Lemke verwendet. Die vergleichende Arbeit von Sabine Dengel[26] gibt einen Überblick über die Sozialisation und politisch-ideologische Erziehung in der DDR an ausgewählten Sozialisationsinstanzen. Sie dient der Ergänzung der bereits vorgestellten Publikationen.

Grundlegend für die „Neuschreibung“ der Geschichte der FDJ sind die Studien von Ulrich Mählert[27], der die Phase des Aufbaus und des Transformationsprozesses des Jugendverbandes untersuchte. Zusammen mit Gerd-Rüdiger Stephan veröffentlichte Mählert eine mit zahlreichen Quellen und Bildern ausgestatte Überblicksdarstellung.[28] Mittlerweile finden sich vielfältige Untersuchungen zu Teilaspekten in verschiedenen Sammelbänden[29] und weitere Publikationen mit dem Fokus der Geschichte der FDJ.[30]

Der Deutsche Bundestag hat in seiner 12. Wahlperiode die Reihe „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“ von der Enquete-Kommission mit insgesamt neun Bänden in 18 Teilbänden herausgegeben. Die darin enthaltenen Protokolle, Zeitzeugenberichte und Aufsätze bilden eine essentielle Grundlage der DDR-Forschung. In dieser Arbeit sind die Bände II „Macht, Entscheidung, Verantwortung“ und III „Ideologie, Integration und Disziplinierung“ herangezogen worden.

1.3 Aufbau der Arbeit

Die politischen Führungen eines jeden Landes sind an der Stabilisierung des politischen Systems interessiert. Dabei ist das Fundament eine Gesellschaft, „die in hohem Maße bereit ist, diejenigen Normen und Werte zu teilen und zu unterstützen, die für den Fortbestand des politischen Gemeinwesens konstitutiv sind“[31]. Die Grundlage ist ein Konsens über die politische Grundordnung, wie sie sich in der Verfassung eines politischen Systems widerspiegelt, also die „Kongruenz von politischem System und politischer Kultur“[32]. Die Erklärungsansätze und Diskussionen um die Begriffsbestimmung zur „politischen Kultur“ sind mittlerweile vielfach dokumentiert.[33] Im auf die Einleitung folgenden zweiten Kapitel werden die für diese Arbeit erforderlichen Definitionen sowie die Unterscheidung zwischen offizieller und dominanter (vorherrschender) politischer Kultur vorgenommen. Die Ausführungen zur politischen Sozialisation schließen sich diesen Darstellungen an, da die politische Kultur nur durch Vermittlung der Werte und Normen der betreffenden Gesellschaft ausgebildet werden können. Es wird hier auch der Gegensatz zwischen politischer Sozialisation und staatlich-ideologischer Erziehung erläutert.

Den theoretischen Darstellungen der Konzepte folgt im dritten Kapitel die Beschreibung der offiziellen politischen Kultur der DDR. Mithilfe von Verfassungs- und Gesetzestexten sowie Richtlinien und wissenschaftlichen Publikationen wird eine Analyse der programmatisch formulierten Erziehungsziele vorgenommen, die an die Institutionen der staatlichen Erziehung, die FDJ und an die Jugend adressiert waren. Das erklärte Ziel der Staatsführung war die Herausbildung „allseitig gebildeter sozialistischer Persönlichkeiten“, die für die Ziele des Sozialismus kämpfen, sich an seinem Aufbau beteiligen und die Führungsrolle der SED anerkennen sollten. Da die Sozialisation der Jugend in der DDR den Gegenstandsbereich dieser Arbeit bildet, ist es notwendig, das Jugendbild in der DDR anhand von Jugendgesetzten und den Vorstellungen der SED zu betrachten. Dieses Verständnis von Jugend als Zukunfts- und Hoffnungsträger wird im weiteren Verlauf immer wieder aufgegriffen werden.

Die Führung der SED bemühte sich um die Entwicklung von Herrschaftsstrategien und –instrumenten, die die Stabilität des politischen Systems befördern sollten. In der DDR wurde die politische Sozialisation vom Staat reguliert und die Aufgaben der Mitglieder der Gesellschaft in der Verfassung und in Gesetzen verankert. Das vierte Kapitel beschäftigt sich mit drei ausgewählten Sozialisationsinstanzen: der Familie, dem Bildungssystem und der FDJ als Massenorganisation. Die Familie wird generell als Ort der primären Sozialisation betrachtet. In der DDR wurden im Familiengesetz 1965 grundlegende Anweisungen für eine „sozialistische Familie“ getroffen. Somit wurde die Familie als informelle Sozialisationsinstanz in das Herrschaftsgefüge der SED integriert und der Versuch unternommen, die hier vermittelten Werte und Normen festzusetzen, um ungeplante Einwirkungen auf die Persönlichkeitsbildung auszuschließen. Das Interesse dieser Arbeit richtet sich vor allen auf die Einrichtung der Sozialisationsinstanzen und ihre Rolle als Vermittler bzw. Erzieher zur sozialistischen Persönlichkeit. Die staatlich organisierte politische Sozialisation von Kindern und Jugendlichen vollzog sich vor allem im Bildungssystem. Die Geschichte, die Struktur und der Aufgabenbereich der Schule werden in Kapitel 4.2 erläutert. Im Anschluss daran wird die Jugendorganisation FDJ als Massen-organisation betrachtet. Auf eine eingehende Darstellung der Kinderorganisation „Junge Pioniere“ soll aufgrund seiner eigenständigen Geschichte, Regelungen und Aufgaben in dieser Arbeit verzichtet werden.

Der Jugendverband mit seinen Aufgaben und seiner Organisationsstruktur ist Gegenstand des fünften Kapitels. Für eine sachgerechte Analyse der politischen Sozialisation Jugendlicher in der DDR, speziell in der FDJ, ist eine Betrachtung dieser Rahmenbedingungen notwendig, um in der Analyse der Sozialisationsleistung Rückschlüsse für das Scheitern der politischen Sozialisation ziehen zu können. Die Jugend sollte entscheidend bei der Erfüllung und Übererfüllung der Pläne und Vorgaben der SED mitwirken. Doch nicht nur als wirtschaftlicher Faktor wurde die FDJ gesehen, sondern aus ihr sollte der systemkonforme Nachwuchs hervorgehen. In die Jugend wurde die Hoffnung gesetzt, die sozialistische Gesellschaft zu gestalten und den Sozialismus zu vollenden.

Die Geschichte der FDJ wird im sechsten Kapitel dieser Arbeit betrachtet. Bereits vor der Kapitulation 1945 wurden die als strategisch wichtig eingeschätzten Ressorts der Bildung und Erziehung Jugendlicher in der SBZ durch die Kommunisten unter Führung der „Gruppe Ulbricht“ besetzt. Die Bestrebungen der KPD um eine Vereinigung mit der SPD, um ihre mit der Besatzungsmacht errungene Hegemonie nicht zu verlieren, betraf auch die gemeinsame Jugendarbeit. Die Jugendpolitik orientierte sich anfangs an den unmittelbaren Interessen der Jugendlichen, reduzierte sich dann auf die optimale Einbindung der Heranwachsenden bei der Verwirklichung der allgemeinen politischen Linie. Der jugendpolitische Frühling der frühen sechziger Jahre war das Ergebnis eines neuerlichen Versuchs, die sich der ideologischen Normierung widersetzende junge Generation mit einer Lockerung der Vorgaben wieder für die Verbandsarbeit zu gewinnen. Damit wurde erneut das Dilemma zwischen staatlicher Jugendpolitik und dem eigentlichen Interesse der Heranwachsenden deutlich: Die Lage stabilisierte sich, sobald die SED die Jugend gewähren ließ. Doch diese definierte ihre Freiräume und Interessen selbst und blieb nicht in den gesteckten Grenzen, womit sie den Herrschaftsanspruch der Partei in Frage stellte und eine Gegenreaktion in Form einer repressiveren Politik auslöste. Das ständige Schwanken der SED und FDJ zwischen ideologischer Indoktrination und Flexibilität ist kennzeichnend für die Geschichte der FDJ.

Dies wird auch an der Mitgliederstruktur der FDJ deutlich, die Gegenstand des siebten Kapitels ist. Es werden hier die Entwicklung der Mitgliederzahl und eine Analyse der Alters- und Sozialstruktur anhand der von Dorle Zilch[34] ermittelten Daten dargestellt. Mit diesem Kapitel ist die Betrachtung der Rahmenbedingungen abgeschlossen.

Im achten Kapitel werden diese Ausführungen verwendet, um die Sozialisationsleistung der FDJ zu bestimmen. Es werden einerseits Erfolge und andererseits Gründe für das Scheitern der FDJ zu zeigen sein. Dabei wird eine Unterteilung in drei Bereiche vorgenommen, die der Beurteilung der politischen Sozialisation im Jugendverband der DDR dienen. Im Schlusskapitel werden die wichtigsten Erkenntnisse zusammengefasst und die leitenden Annahmen evaluiert.

Im Anhang dieser Arbeit finden sich eine Zusammenstellung der Mitgliederzahlen und des Organisationsgrades der FDJler sowie ein Abkürzungsverzeichnis.

2. Die theoretischen Konzeptionen

In den folgenden zwei Kapiteln werden die theoretischen Grundlagen der politischen Kultur und der politischen Sozialisation betrachtet, die den theoretischen Rahmen dieser Arbeit bilden. Da sich die vorliegende Arbeit aufgrund ihres Gegenstandsbereiches mit der Betrachtung der staatlich gelenkten politischen Sozialisation in der Einheits-jugendorganisation der DDR befasst, beschränkt sich die theoretische Ausführung des Gegenstandes der politischen Kultur im ersten Teil auf die für die formulierten Annahmen und die Fragestellung wesentlichen Aspekte. Einführend werde ich die Entstehung der politischen Kulturforschung beschreiben und anschließend die Differenzierung zwischen offizieller und dominanter politischer Kultur aufzeigen. Das Konzept der politischen Sozialisation hat einen festen Platz innerhalb der Erforschung politischer Kultur staatssozialistischer Systeme, um zu prüfen, inwiefern die Durchsetzung der politischen Ziele – vor allem die Herrschaftslegitimierung und Systemstabilisierung – erfolgreich war.[35] Nach der Definition des Begriffs Sozialisation erfolgt die Darstellung der in der DDR vorgenommenen Abgrenzung der politisch-ideologischen Erziehung vom Konzept der Sozialisation.

[...]


[1] Obwohl es die FDJ zeitweise auch in Westdeutschland gab, beschränken sich die Darstellungen und Analysen der vorliegenden Arbeit auf die Entwicklung in der SBZ und der DDR.

[2] Vgl. Mählert 1995, S. 168.

[3] Vgl. Ansorg 1997, S. 20.

[4] KPW 1973, Begriff Bildung und Erziehung, S. 117.

[5] Vgl. die Auflistung der Forschungen aus den 1950er Jahren in Skyba 2000, S. 16ff.

[6] Vgl. die Auswertung des Forschungsstands und der Publikationen in Freiburg/ Mahrad 1982, S. 17ff.

[7] Freiburg/ Mahrad 1982.

[8] Vgl. Statuten der FDJ, in: Ebd., S. 280ff.

[9] Vgl. ebd., S. 14-16.

[10] Vgl. ebd., S. 265.

[11] Hille 1985.

[12] Vgl. Publikationen über das Bildungswesen der DDR, in: Fischer 1992, S. X.

[13] Anweiler 1988.

[14] Fischer 1992.

[15] Michalzik 1994, S. 137.

[16] Vgl. ebd., S. 138ff.

[17] Vgl. Claußen 1989a, S. 14ff.

[18] Vgl. Skyba/ Mählert 1996.

[19] Geschichte der FDJ 1982 und Chronik der FDJ 1978.

[20] Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, versch. Jahrgänge.

[21] Lemke 1991.

[22] Michalzik 1994.

[23] Burkart 1990.

[24] Bergem 1993.

[25] Berg-Schlosser/ Schissler 1987b.

[26] Dengel 2005.

[27] Mählert 1995.

[28] Mählert/ Stephan 1996.

[29] Gotschlich 1994, Burkart 1990 und Timmermann 1996.

[30] Skyba 2000.

[31] Dengel 2005, S. 9.

[32] Bergem 1993, S. 89.

[33] Vgl. ebd., S. 17-45 und Berg-Schlosser/ Schissler 1987a, S. 11ff.

[34] Zilch 1996.

[35] Vgl. Lemke 1991, S. 14.

Ende der Leseprobe aus 83 Seiten

Details

Titel
Die politische Sozialisation in der DDR am Beispiel der FDJ
Hochschule
Freie Universität Berlin
Note
1,7
Autor
Jahr
2007
Seiten
83
Katalognummer
V130568
ISBN (eBook)
9783640362073
ISBN (Buch)
9783640361823
Dateigröße
733 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Diese Examensarbeit befasst sich mit der politischen Sozialisation in der DDR am Beispiel der FDJ. Die Jugendlichen sollten zur "sozialistischen Persönlichkeit" herangezogen werden. Der Herrschaftsanspruch und die Führungsrolle der SED wurde in den Statuten der FDJ verankert und in der Geschichte des Jugendverbandes zeigen sich deutlich die Bemühungen der SED, diesen Anspruch durchzusetzen.
Schlagworte
Sozialisation, Beispiel
Arbeit zitieren
Anke Herrmann (Autor:in), 2007, Die politische Sozialisation in der DDR am Beispiel der FDJ, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/130568

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