Medienpolitische Kommissionen des Deutschen Bundestages

Aktuelles Kommissionsrecht und historische Analyse


Hausarbeit (Hauptseminar), 2007

55 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Gegenstand medienpolitischer Kommissionen

3 Spezifika des Politikfeldes Medienpolitik

4 Bundestag und Medienpolitik
4.1 Medienpolitische Zustandigkeiten des Bundes
4.2 Bundestagsausschtisse als zentrale Arbeitsinstanzen
4.3 Parlamentsreform und Politikberatung
4.4 Enquete-Kommissionen als Mittel der Politikberatung
4.4.1 Hintergrund und Wesen
4.4.2 Einsetzung durch den Bundestag
4.4.3 Mitglieder
4.4.4 Arbeitsorganisation
4.4.5 Berichte

5 Bewertung medienpolitischer Kommissionen
5.1 Bedingungen einer Gegentiberstellung
5.2 Analyse von Kommissionsfunktionen
5.2.1 Der Ansatz
5.2.2 Gesetzgebungsfunktion
5.2.3 Kontrollfunktion
5.2.4 Kommunikationsfunktion

6 Kommissionsanalyse
6.1 Michel-Kommission
6.1.1 Einsetzung
6.1.2 Mitgliederstruktur
6.1.3 Auftrag
6.1.4 Rahmenbedingungen
6.1.5 Ergebnisse
6.1.6 Funktionsanalyse
6.1.6.1 Gesetzgebungsfunktion
6.1.6.2 Kontrollfunktion
6.1.6.3 Kommunikationsfunktion
6.2 Giinther-Kommission
6.2.1 Einsetzung
6.2.2 Mitgliederstruktur
6.2.3 Auftrag
6.2.4 Rahmenbedingungen
6.2.5 Ergebnisse
6.2.6 Funktionsanalyse
6.2.6.1 Gesetzgebungsfunktion
6.2.6.2 Kontrollfunktion
6.2.6.3 Kommunikationsfunktion
6.3 Enquete „Neue Informations- und Kommunikationstechniken"
6.3.1 Einsetzung
6.3.2 Mitgliederstruktur
6.3.3 Auftrag
6.3.4 Rahmenbedingungen
6.3.5 Ergebnisse
6.3.6 Funktionsanalyse
6.3.6.1 Gesetzgebungsfunktion
6.3.6.2 Kontrollfunktion
6.3.6.3 Kommunikationsfunktion
6.4 Enquete „Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft"
6.4.1 Einsetzung
6.4.2 Mitgliederstruktur
6.4.3 Auftrag
6.4.4 Rahmenbedingungen
6.4.5 Ergebnisse
6.4.6 Funktionsanalyse
6.4.6.1 Gesetzgebungsfunktion
6.4.6.2 Kontrollfunktion
6.4.6.3 Kommunikationsfunktion

7. Zusammenfassung

Quellenverzeichnis

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Medienpolitik soll als ein „elementares Stlck Verfassungspolitik"1 die Entwicklung von Gesamtperspektiven flr die Gewährleistung und Erhaltung von Meinungs- Informati­ons- und Medienvielfalt leisten.2 Auf Ebene der Arbeit des Deutschen Bundestages können medienpolitisch ausgerichtete Kommissionen ein konstruktives Mittel zur Verfolgung eines solchen Ziels sein. Mehrfach wurde in der Geschichte der bundes-deutschen Medienpolitik auf das Mittel der Kommission zurlckgegriffen. Nicht nur aus Sicht von Kommunikationswissenschaftlern sind bestimmte Kommissionen dabei untrennbar mit Einschnitten in der Geschichte des deutschen Mediensystems verbun-den. Die aufzufindende Bewertung der Arbeit einzelner Kommissionen reicht dabei von anerkennender Bezeichnung als „Zäsur"3 bis zur Attestierung von „Scheitern auf ganzer Linie".4 Als Institution, die ihre Mitglieder zumindest teilweise auBerhalb der Reihen politischer Amtsträger rekrutiert, gehört die Kommission zu den Instanzen von Politik-beratung.5 Es gilt zu untersuchen, was die konkreten Funktionen solcher Kommissionen im Geflge von Verfahren der Medienpolitik sein können und anhand welcher Indikato-ren Erfolg oder Misserfolg von Kommissionen bewertet werden kann. Anzunehmen ist, dass dabei flr verschiedene Kommissionen unterschiedlich geartete, zuweilen auch abweichend bewertbare Anhaltspunkte gefunden werden können. Es sollen medienpoli-tische Kommissionen untersucht werden, die, was den gesellschaftlichen Widerhall und die politische Reichweite ihrer Arbeit angeht, höchst unterschiedlich bewertet werden. Die unbestritten reichweitenstarken Kommissionen der 1960er Jahre, die Michel- und die Glnther-Kommission, sollen neben die allgemein als wenig erfolgreich eingeschätz-ten Enquete-Kommissionen „Neue Informations- und Kommunikationstechniken" und „Zukunft der Medien in Wirtschaft und Gesellschaft — Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft" gestellt werden.

Eine Neubewertung der Kommissionsarbeit kann dabei nicht das Ziel sein - jedoch gilt es, den Kommissionen durch die Analyse auch eventuell weniger offensichtliche und unmittelbar politisch relevante Erträge zuordnen zu können.

2 Gegenstand medienpolitischer Kommissionen

Um den Gegenstandsbereich der in vorliegender Arbeit zu untersuchenden Kommissio-nen des Bundestages darzustellen erscheint es notwendig, die Regelungsfelder staatli-cher Medienpolitik zu umgrenzen. Dabei soll in Rechnung gestellt werden, dass Medienpolitik einen Teilaspekt umfassender staatlicher Kommunikationspolitik darstellt.6 Die zu betrachtenden Kommissionen des Bundestages gehen teilweise in ihrem inhaltlichen Bezug iiber den allgemein anerkannten Kernbereich der Medienpoli-tik als Teilbereich der Kommunikationspolitik hinaus. Dieser Kern besteht in der rechts-und sozialverbindlichen Durchsetzung von MaBnahmen, die den Massenmedien die Ausiibung ihrer aus dem Grundgesetz abzuleitenden Funktion zu ermöglichen und zu erhalten in der Lage sind.7 Die Sicherung von Informations- und Meinungsvielfalt und inhaltlich pluralistischem Angebot der Massenmedien steht damit im Zentrum des medienpolitischen Interesses.8 Medienpolitik bezieht sich mithin lediglich auf mediale Kommunikation, auf einzelne Medien und Medienbereiche bzw. -märkte, und deckt den Bereich der Individualkommunikation nicht ab.9 Dennoch können die zu betrachtenden Kommissionen als per Definition medienpolitisch bezeichnet werden, weil ihr Handeln aus den definitorisch belegten Kernzielen von Medienpolitik heraus erklärbar ist. Die Motivation zur Einsetzung einer Kommission, ihr politisch erwarteter Ertrag, bestimmt letztlich auch ihre Rolle als Akteur innerhalb des politischen Systems. Dabei sollte es unerheblich sein, inwiefern sich eine Kommission beispielsweise auch mit Fragen der Individualkommunikation beschäftigt, sofern dieser Teil der Arbeit nicht der vorder-griindige Beweggrund der Einsetzung ist.

3 Spezifika des Politikfeldes Medienpolitik

Eine herausragende Besonderheit des Politikfeldes Medienpolitik besteht in seiner Funktion fiir das kulturelle und politische Selbstverständnis der deutschen Gesell-schaft.10 Diese besondere Funktion griindet auf den genannten Kernelementen des Wesens von Medienpolitik und wird insbesondere gespeist durch die Bestimmungen von Artikel 5 des Grundgesetzes.11

Neben dieser immanent vorhandenen Besonderheit existieren jedoch einige Eigenschaf-ten des Politikfeldes, welche es auf politisch-rationaler, praktischer Ebene von anderen Politikfeldern abgrenzen. Hier lassen sich zwei Typen von besonderen Eigenschaften unterscheiden: Zum einen die von der spezifischen Gestaltung politischer Zuständigkei-ten unabhängigen, zum anderen solche, die Folge dieser Zuständigkeitsverteilung sind. Zu ersterem Typ gehört der Umstand, dass sich der Gegenstandsbereich von Medienpo-litik als oft ungeeignet darstellt, Risiken und Folgen bestimmter Entscheidungen rational und empirisch begründet darzustellen.12 Prognostische wissenschaftlich-empirische Aussagen lassen sich in vielen Bereichen nur enorm problematisch ermit-teln. Insbesondere die enge Knüpfung an kulturelle und normativ-soziale Werte, welche per definitionem subjektiv-interpretatorisch geleitete Bewertungen mit sich bringen,13 kann sich hier als Problem entpuppen. Beispielsweise ist die Regulierung von Gewalt-darstellung im Fernsehen immer wieder Gegenstand medienpolitischer Diskussionen - die praktisch-handlungsleitende Aussagekraft der umfangreichen Untersuchungen zu den Folgen solcher Darstellungen ist für eine politische Standortbestimmung jedoch eher gering, so dass sich hier verstärkt auf normativ-individuelle Bewertungen zurück-gezogen wird.14

Ein zweiter Punkt, der die Institutionalisierung vom Medienpolitik nicht direkt tangiert, ist die Tatsache, dass das Gegenstandsfeld eine enorme Abhängigkeit von technologi-scher Entwicklung aufweist. Prognostische Aussagen zur Entwicklung bestimmter Medienbereiche werden oft von der Realität überholt, was nicht zuletzt an unvorherge-sehenen technischen Innovationen liegen kann.15 Medienpolitik hat oftmals nicht mit langfristigen, schleichenden Entwicklungen, sondern mit politisch schwer zu begleiten-den regelrechten „Technologiesprüngen"16 zu tun, die ihre Regelungskraft auf die Probe stellen.17

Die fehlende Institutionalisierung von Medienpolitik in Form von etwaigen Ministerien und entsprechenden Ressorts sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene stellt den Kern des zweiten Typs von Besonderheiten dar.18 Die zunehmende Zahl an eigenen medienpolitischen Teilressorts in Staatskanzleien, Senaten und Wirtschafts-, Technolo-gie- und Kulturministerien sowie eine zunehmende Anzahl von Medienbeauftragten19 können nur unterstreichen, welches Problem diese Besonderheit darstellt. Letztlich führt die Konstruktion der verteilten Zuständigkeiten dazu, dass Kompetenzen zwar einerseits funktional ineinander greifen, andererseits jedoch Reibeflächen und Kompetenzstreitig-keiten vorprogrammiert erscheinen und Zuständigkeiten gar konkurrieren können.20 Es kann konstatiert werden, dass ein abgestimmtes und planerisch ausgearbeitetes Hand-lungskonzept zwischen Bund und Ländern für die Medienpolitik nur schwach ausge-prägt ist.21

Bereits Anfang der 80er Jahre schreibt Ulrich Saxer, dass weder von einer „systemati-schen, nicht nur reaktiven"22 Medienpolitik, noch von einem selbstständigen „Gestal-tungszusammenhang"23 für Medien die Rede sein könne.24 Saxer zielt hier auf die Darstellung einer „Oberfremdung"25 von Medienpolitik durch maximale Einwirkung der Interessensphären anderer Politikfelder ab, wodurch die Selbstständigkeit medienpoliti-scher Vorgänge untergraben würde.26

Die Grundprobleme, welche zu dieser Situation führen, liegen nach Ansicht etlicher Autoren in den beschriebenen Eigenschaften der Kompetenzverteilung sowie der mangelhaft ausgeprägten Institutionalisierung von Medienpolitik.27

Die dargestellten Besonderheiten des Politikfeldes verdichten sich unter den Bedingun-gen der Informationsgesellschaft in einer zunehmend inadäquaten Konstitution der medienpolitischen Akteurslandschaft.28 Bedingt insbesondere durch technische Konver-genz im Zuge der Digitalisierung, einer damit einhergehenden Verschmelzung von Individual- und Massenkommunikation und der steigenden gesamtgesellschaftlichen Bedeutung von Medienkommunikation steigt der Bedarf für integrierende, umfassende medienpolitische Strategien.29 Dass ein solcher Bedarf höherer Integrationskraft keineswegs durch die Digitalisierung allein begriindet wird, zeigt sich daran, dass entsprechende Forderungen bereits in den 70er Jahren, im Zuge der Diskussion um die Verkabelung, aufkamen.30 Auch die Wiederveröffentlichung der Kritik Ulrich Saxers aus dem Jahr 1981 im Jahr 200531 lässt erkennen, wie tief das Problem verwurzelt ist und wie wenig Veränderung die letzten dreiBig Jahre bezüglich der Grundprobleme deutscher Medienpolitik insgesamt gebracht haben.

4 Bundestag und Medienpolitik

4.1 Medienpolitische Zuständigkeiten des Bundes

Die Zuständigkeit fir Medienpolitik als Politikfeld ist in Deutschland zum einen auf Bund und Länder, zum anderen auf der jeweiligen Ebene auch auf verschiedene Ressorts verteilt. Die Zuständigkeiten des Bundestages fir Medienpolitik zu analysieren erfordert zunächst eine Betrachtung von Zuständigkeiten der Bundesebene generell.

Durch die im Grundgesetz verankerte Hoheit der Länder in Kulturfragen, in die der Bereich Medien allgemein gezählt wird,32 ergibt sich, dass medienpolitische Fragen in erster Linie auf Zuständigkeitsebene der Bundesländer zu suchen sind. Der Bund zeichnet fir den Bereich der Telekommunikation, vormals als Post- und Fernmeldewe-sen umrissen, ausschlieBlich zuständig und sorgt damit insbesondere fir die Regelungen hinsichtlich der technischen Verteilung von Rundfunk durch Infrastruktur.33 Das ehemals bestehende Recht zur jeweiligen Rahmengesetzgebung im Presse- und Filmwesen ist seit Inkrafttreten der Föderalismusreform im September 2006 hinfällig.34 Dem Bund fällt jedoch weiterhin die Kompetenz zur politischen Einflussnahme auf den Medienbereich durch indirekt Einfluss nehmende Rechtssprechung beispielsweise im Wirtschafts-, Arbeits- und Urheberrecht, Jugendschutz, Straf- und Steuerrecht zu. Diese tangierenden Bereiche besitzen im Einzelnen teilweise erheblichen Einfluss auf Konstitution und Entwicklung bestimmter Medienbereiche und massen daher als potentiell bedeutsames Instrumentarium der Medienpolitik gesehen werden. Insbeson-dere in der Regulierung des Pressemarktes kommt dem Bund durch die spezifische Pressefusionskontrolle eine steuernde Rolle zu. Im Bereich der elektronischen Medien, der auf digitaler Basis arbeitenden Online- und Multimediadienste, besitzt der Bund seit 1997 durch Gestaltung des Informations- und Kommunikationsdienstegesetzes die Kompetenz für gesetzliche Regelungen hinsichtlich individuell genutzter so genannter „Teledienste" wie Internet-Zugänge. Die spezifische Gesetzgebung für Bestimmungen die digitalen Informationsangebote − also insbesondere auch die öffentlich zugängli-chen Inhalte publizistischen Charakters − betreffend, fällt dagegen den Ländern zu.35

4.2 Bundestagsausschüsse als zentrale Arbeitsinstanzen

Die Komplexität und die Vielfalt, die den Hauptaufgaben des Bundestages, nämlich den Gesetzgebungs- und Kontrollverfahren, innewohnt, ist bedingt durch seine Zuständig-keit für alle Politikfelder mit Bundeskompetenz.36 Derartig komplexe und vielfältige Anforderungen erfordern strikt arbeitsteilige Strukturen. Deshalb besteht im Deutschen Bundestag ein System von spezialisierten ständigen Ausschüssen, die, abgesehen von einigen der Verwaltung und Verfahrensfragen dienenden Ausschüssen, auf Arbeitsbe-reiche analog der Ressortverteilung im Bundeskabinett ausgerichtet sind.37 Ausschüsse dienen formal der Vorbereitung von Entscheidungen des Plenums. Oftmals kommen die Beschlüsse von Ausschüssen jedoch bereits faktischen Entscheidungen gleich, basiert ihre Arbeit doch auch auf Aushandelungsprozessen zwischen Mitgliedern, die als Vertreter der Bundestagsfraktionen fungieren.38

Ein eigenes Ressort „Medien" und mithin ein eigener Bundestagsausschuss existieren bis dato weder bei der Bundesregierung noch im Ausschusswesen des Bundestages, jedoch kann in der 1998 vollzogenen Einrichtung eines Ausschusses für „Kultur und Medien" ein Novum gesehen werden. Dem Ausschuss gehören derzeit 20 Bundestags-abgeordnete an, die den medienpolitischen Teil ihres Arbeitsfeldes als „von Fragen der Pressekonzentration bis zur Neugestaltung der Medien- und Kommunikationsord-nung"39 reichend sehen.

Ausschasse können zur weiterführenden Vertiefung und Spezialisierung ihrer Arbeit Unterausschasse als Arbeitsgremien bilden. Im Ausschuss fir Kultur und Medien existiert so beispielsweise ein ständiger Unterausschuss „Neue Medien" mit neun Mitgliedern. Der Unterausschuss beschäftigt sich mit den „technischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aspekten"40 der Neuen Medien und betrachtet sich dabei thematisch als „Querschnittsausschuss",41 der ressortilbergreifend Aspekte der „Neuen Medien" thematisiert — beispielsweise bei der Beschäftigung mit dem Urheberrecht oder dem Datenschutz speziell im Bereich der Neuen Medien.

Die Mitgliedschaft in bestimmten Ausschassen ist in aller Regel mit einer gewissen Affinität des Abgeordneten dem Gegenstand gegenüber verbunden. Oft spielen hier berufliche Werdegänge eine Rolle, die eine gewisse Fachkompetenz mit sich bringen42. In ihrer Fraktion und Partei nehmen Ausschussmitglieder meist thematisch korrespon-dierende Aufgaben und Rollen wahr. So sind zum Beispiel die meisten der Abgeordne-ten des Ausschusses fir Kultur und Medien in ihren Parteien als medienpolitische Sprecher und bzw. oder Mitglieder von medienpolitischen Arbeitsgruppen aktiv.43

Vertreter thematisch korrespondierender Bundesministerien nehmen, ohne Stimmrecht, an Ausschusssitzungen teil und bringen Standpunkte, aber auch Sachkompetenz aus der Ministerialebene ein. Die Möglichkeit von öffentlichen Anhörungen, bei denen externe Sachverständige oder Interessenvertreter zu speziellen Themen gehört werden, wird heute stetig zunehmend genutzt.44 Medienpolitisch bedeutungsvoll erscheint zudem die Auswertung der Medienberichte der Bundesregierung, die auf Anforderung des Bundestages per Beschluss und auf Anregung der Ausschasse herausgegeben werden.45 Der Medienbericht bietet inhaltlich eine jeweils aktuelle Darstellung struktureller und wirtschaftlicher Entwicklung der Massenmedien. Im Medienbericht 1998 werden erstmals „elektronische Informations- und Kommunikationsdienste"46 in die Darstellung eingeschlossen.47 Neben der allgemeinen, fortgeschriebenen Entwicklungsbeschreibung werden, wie 1998 mit den neuen digitalen Diensten und 1994 mit den medienspezifi- schen Folgen der Deutschen Einheit geschehen, Schwerpunktthemen gezielt behandelt.48 Auf spezifischen Beschluss des Bundestages hin einmalig aufgelegt wurde der „Bericht der Bundesregierung ilber die Erfahrungen mit der Fusionskontrolle bei Presseunter-nehmen" von 1978, dessen Herausgabe 1976 im Voraus beschlossen wurde, um die Folgen der damals neu geschaffenen spezifischen Pressefusionskontrolle anlässlich einer anstehenden Novellierung des Kartellgesetzes im Jahr 1978 ilberblicken zu können.49

Berichte von Enquete-Kommissionen werden in erster Linie im jeweils zuständigen Ausschuss ausgewertet und dort inhaltlich in politische Aushandelungsprozesse eingefilhrt.50

Insgesamt trägt die Spezialisierung in der Arbeit der Ausschilsse maBgeblich dazu bei, dass Abgeordnete im Laufe ihrer Amtszeit ein fundiertes Fachwissen, verbunden mit spezialisiertem Kompetenzprofil, erwerben. Ausschussarbeit fordert so die Herausbil-dung des Typus eines spezialisierten Abgeordneten.51 Gleichzeitig leistet sie so bis zu einem gewissen Grad die filr eine fundierte, demokratisch legitimierte Gesetzgebungs-und Kontrollleistung wichtige Einbringung von Sachkompetenz in den parlamentari-schen Raum.

4.3 Parlamentsreform und Politikberatung

Die Geschäftsordnung des Bundestages (GOBT) regelt seit Grilndung der Bundesrepu­blik spezifische Verfahrensfragen der Arbeit des Bundesparlaments und stellt damit neben bestimmten Artikeln des Grundgesetzes die wichtigste Arbeitsgrundlage des Bundestages dar. Die GOBT unterliegt dabei der Gestaltungshoheit durch den Bundes-tag selbst.52 Am 18. Juni 1969 verabschiedete das Parlament vier Monate vor Ende der 5. Legislaturperiode insgesamt 24 Beschlilsse53 zur Anderung einzelner Paragraphen der GOBT und setzte damit ein Vorhaben um, das gemeinhin als „Kleine Parlamentsre-form" bezeichnet wird.54 Die Reform stellt die erste Reformbemilhung bezilglich der parlamentarischen Ordnung nach 1949 dar.55 Hintergrund waren vor allem zwei parallel verlaufende Entwicklungen: Zum einen war zunehmend die nur schwach ausgeprägte öffentliche Wahrnehmung und Wertschätzung der parlamentarischen Arbeit kritisiert worden, zum zweiten galten die technische Ausstattung sowie insbesondere die Form der Institutionalisierung parlamentarischer Arbeit als den jeweils aktuellen Anforde-rungen immer weniger gewachsen.56 Flr beide Punkte gilt, dass sie als Gefahr flr die Funktionsfähigkeit des Parlaments und seine Rolle innerhalb des politischen Systems angesehen werden können.

Hinsichtlich des ersten genannten Punktes wurden hauptsächlich Neuerungen bezlglich der Verfahrensweise bei Bundestagsdebatten und Antragsverfahren, insbesondere in Form einer Stärkung von Minderheitsrechten, realisiert.57 Im Rahmen vorliegender Arbeit rlcken insbesondere die Neuregelungen im Bereich des zweiten genannten Punktes in das Blickfeld.

Bedingt durch eine ständig wachsende Vielfalt und Komplexität staatlicher Gesetzge-bungs- und Kontrollaufgaben sowie der sie betreffenden gesellschaftlichen Prozesse selbst,58 konnte eine Erweiterung des sachlichen Zuständigkeitsbereiches des Staates, und damit auch des Parlamentes, festgestellt werden.59 Eine Meinungsbildung im Rahmen von Gesetzgebungsprozessen, die auf Grundlage tiefgehender und umfassender Analysen zustande kommt, erforderte einen immer höheren Arbeitsaufwand. In Reaktion auf diese Entwicklung gewann, insbesondere flr die Bundesregierung, in den 1950er- und verstärkt ab Mitte der 1960er Jahre die wissenschaftliche Politikberatung erheblich an Stellenwert.60 So konnte die Bundesregierung ihren Beamtenapparat in den Fachministerien den Erfordernissen entsprechend erheblich erweitern und fachlich spezialisierter aufstellen sowie den Umfang der extern durch Forschungsinstitute, Gutachter und Berater erbrachten Zuarbeit stark ausweiten.61 Von einer ähnlich gearteten Entwicklung blieb die Arbeit des Bundestages jedoch vorerst ausgeschlossen. Im Zuge der Parlamentsreform erhielt der Bundestag erstmals die Möglichkeit, Formen der Politikberatung institutionalisiert zu nutzen.62 Die zuvor sich erweiternde Diskre-panz in dieser Frage zwischen der Regierung und ihrem Kontrollorgan, dem Parlament, war ein Grund für die Reforminitiativen, die insbesondere von den im fünften Deut-schen Bundestag (1965-1969) zahlreich vertretenen Parlamentsneulingen unter den Abgeordneten getragen wurden.63 Die Initiative für eine Reform der parlamentarischen Arbeit ging damit von einer Minderheit der Abgeordneten aus,64 wobei diese bereits Mitte der 1960er Jahre in Form von parlamentarischen Anträgen im Bundestag Eingang fand.65

Far das Thema der vorliegenden Arbeit relevante Inhalte der Reform beziehen sich zum einen auf Anderungen in der Arbeitsweise von Ausschassen. So miissen seit 1969 Entscheidungen zu ilberwiesenen Anträgen im Ausschuss innerhalb eines definierten Zeitraums ergehen und erlangen Ausschasse seitdem wesentlich friiher Einsicht in Referentenentwarfe der Bundesministerien. Zudem wird die Autonomie der Ausschasse bei der Definition von Arbeitsthemen erweitert. Die wichtigste Neuerung auf dieser Seite ist jedoch die Einführung des Rechts auf Durchführung von Anhörungen, welche innerhalb des Ausschusses eine Befragung externer Sachverständiger und Interessenver-treter in öffentlicher oder nicht-öffentlicher Form ermöglichen. Die Arbeitsbedingungen des einzelnen Parlamentariers wurden durch den ebenfalls 1969 beschlossenen und 1971 realisierten Aufbau einer Abteilung „Wissenschaftlicher Fachdienst" bei der Bundestagsverwaltung verbessert, der als fachlich gegliederte Stelle fortan auf Abruf fundierte Informations- und Analysearbeit individuell fur Abgeordnete leisten sollte.66 Dem Abgeordneten wurde durch die Reform erstmals auch ein eigenes Biro am Sitz des Bundestages bereitgestellt und eine begrenzte Kosteniibernahme für die Anstellung persönlicher Mitarbeiter zugebilligt.67 Die Möglichkeit der Einrichtung von Enquete-Kommissionen als Instanz für Politikberatung und parlamentarische Arbeit stellt, wie zu zeigen sein wird, ein besonderes Ergebnis der Parlamentsreform von 1969 dar, 68 indem sie die beiden Grundziele der Parlamentsreform — Transparenz und Sachkompetenz - in einer Instanz zu verfolgen suchte.

4.4 Enquete-Kommissionen als Mittel der Politikberatung

4.4.1 Hintergrund und Wesen

Die SPD69 brachte 1969 einen Antrag auf iFinderung der GOBT hinsichtlich einer Ermöglichung von Enquete-Kommissionen im Bundestag ein. Dieser stand als Reaktion auf das Erstarken der Ministerialbilrokratie ganz im Zeichen einer Förderung der Politikberatung filr Parlamentarier.70 Bereits seit 1964 waren Ideen bezilglich einer solchen Institution öffentlich diskutiert und dahin gehende Forderungen präzisiert worden.71 Bis zur Konstituierung dieses neuen Rechts war es dem Bundestag praktisch unmöglich, institutionalisierte Politikberatung parteiilbergreifend, fern der Parteistiftun-gen, zu initiieren. Die Bildung von temporär arbeitenden Kommissionen zur beratenden, planenden Untersuchung eines bestimmten Themas konnte bis dahin lediglich der Bundesregierung ilbertragen werden.72 Das bestehende Recht, „Untersuchungskommis-sionen" einzusetzen, enthielt dagegen lediglich die Möglichkeit, nachträglich insbeson-dere parlamentarische Vorgänge zu untersuchen. Eine zur Einfilhrung von Enquete-Kommissionen alternative Ausweitung der Befugnisse dieser Untersuchungskommissi-onen wäre politisch, insbesondere aufgrund besonderer sonstiger Rechte von Untersu-chungsausschilssen, nicht möglich gewesen.73

Enqueten stellen als „Beratungseinrichtungen"74 filr den Bundestag eine Schnittstelle zwischen der parlamentarischen Arbeit und der Wissenschaft bzw. externen Experten her. Ihr rechtlicher Status und mithin der Umfang besonderer Rechte sind insgesamt umstritten, jedoch können Bundestagsenqueten nach allgemeiner Auffassung als Spezialfall eines Ausschusses gesehen werden.75

Dabei werden in dieser temporären Einrichtung, den ständigen Ausschilssen entgegen, „Querschnittsprobleme"76 behandelt, die als „umfangreiche und bedeutsame Sachkom-plexe"77 einer interdisziplinär angelegten und analytisch tief greifenden Untersuchung bedilrfen. Ziel dieses Prozesses ist es, mit der Vorlage eines Schlussberichts Bundes- tagsentscheidungen vorzubereiten,78 welche mit dem jeweils behandelten Sachkomplex direkt oder indirekt verknüpft sind. Diese vorbereitende Funktion zielt dabei, anders als urspriinglich von der SPD gefordert,79 nicht etwa auf eine direkte Erarbeitung von Gesetzesvorlagen ab, sondern soll Themenfelder im Vorfeld strukturieren, informativ erörtern und Handlungsalternativen gegenüberstellen, die auch mit Handlungsempfeh-lungen verbunden sein können.80

Far ein Politikfeld „ohne bundesparlamentarische Tradition"81 wie die Medienpolitik, flr das eine bundesparlamentarische Institutionalisierung nur miihsam und lackenhaft umgesetzt wird, kann das Mittel der Enquete-Kommission somit eine besondere Strahlkraft entwickeln — steht doch anzunehmen, dass es in besonderer Weise auf Informationsbeschaffung und Themenaufbereitung durch zusätzliche Instanzen angewiesen ist.82

Die Themen von Enqueten sind seit Ende der 1970er Jahre vorwiegend technologische und technologiepolitische Fragen, bei denen insbesondere neue Technologien und ihre ökonomischen, sozialen und ökologischen Auswirkungen behandelt werden. 83 Bis zum Jahr 2006 haben insgesamt 35 Enqueten 26 Themen84 behandelt, wobei die Anzahl von Kommissionen je Legislaturperiode tendenziell zunimmt.85

[...]


1 Wilhelm 1977: 95f. zit. nach Saxer 2005: 72.

2 Vgl. Faulstich 1998: 65.

3 Ronneberger 1980: 141.

4 Vowe 1995.

5 Vgl. Euchner 1993: 9.

6 Vgl. Kutsch 1996: 65, Kopper 1992: 50.

7 Vgl. Wilhelm 1977: 95f. zit. nach Saxer 2005: 72.

8 Vgl. Wilhelm 1977: 95f. zit. nach Saxer 2005: 72.

9 Vgl. Jarren 1994: 109f., Tonnemacher 2003: 21.

10 Vgl. Mai 2005: 96.

11 Vgl. Kutsch 1996: 71.

12 Vgl. Mai 2005: 96.

13 Vgl. Mai 2005: 96.

14 Vgl. Hausmanninger 2002: 37ff.

15 Vgl. Mai 2005: 87, 99.

16 Mai 2005: 99.

17 Vgl. Mai 2005: 87, 99.

18 Vgl. Jarren 1994: 108.

19 Vgl. Mai 2005: 83, Jarren 1994: 113.

20 Vgl. Kutsch 1996: 72.

21 Vgl. Jarren 116: 166f., Kutsch 1996: 72.

22 Saxer 2005: 72.

23 Saxer 2005: 72.

24 Vgl. Saxer 2005.

25 Saxer 2005: 72.

26 Vgl. Saxer 2005: 72ff.

27 Vgl. Saxer 2005: 72ff., Mai 2005: 81ff., Ronneberger 1978: 136ff., Kutsch 1996: 68ff., Jarren 1994: 116f.

28 Vgl. Mai 2005: 81.

29 Vgl. Mai 2005: 81, Jarren 1994: 116.

30 Vgl. Mai 2005: 81, Menke-Gliickert 1978: 26f.

31 Vgl. Saxer 2005: 72ff.

32 Vgl. Mai 2005: 80, Tonnemacher 2003: 81.

33 Vgl. Kutsch 1996: 73.

34 Vgl. BT-Drucks. 16/813: 8.

35 Wilke 1999: 764f., Tonnemacher 68ff.

36 Vgl. Ismayr 2001: 99.

37 Vgl. Sontheimer 2002: 293f.

38 Vgl. Ismayr 2001: 167.

39 Quelle: http://www.bundestag.de/ausschuesse/a22/aufgaben.html [13.12.2006]

40 Quelle: http://www.bundestag.de/ausschuesse/a22/a22_nm/index.html [13.12.2006]

41 Quelle: http://www.bundestag.de/ausschuesse/a22/a22_nm/index.html [13.12.2006]

42 Vgl. Ismayr 2001: 176.

43 Quelle: http://www.bundestag.de/ausschuesse/a22/fotoliste.html [13.12.2006], Eigene Recherche.

44 Vgl. Sontheimer 2002: 295.

45 Vgl. Tonnemacher 2003: 129.

46 BT-Drucks. 13/10650: 25.

47 Vgl. BT-Drucks. 13/10650: 25.

48 Vgl. BT-Drucks. 12/8587, BT-Drucks. 13/10650.

49 Vgl. BT-Drucks. 8/2265: 2.

50 Vgl. Ismayr 2001: 426.

51 Vgl. Sontheimer 2002: 294.

52 Vgl. Ismayr 2001: 147.

53 Vgl. Liesegang 1974: 21.

54 Vgl. Thaysen 1972: 182.

55 Vgl. Sontheimer 2002: 300.

56 Vgl. Altenhof 2002: 67f., Rudloff 2004: 191, Liesegang 1974: 2, Vowe 1991: 167, Ismayr 1999: 500.

57 Vgl. Ismayr 1999.

58 Vgl. Ismayr 1999, Rudloff 2004: 179.

59 Vgl. Thaysen 1972: 25.

60 Vgl. Rudloff 2004: 190.

61 Vgl. Ismayr 1992: 266, Altenhof 2002: 67, Rudloff 2004: 189f.

62 Vgl. Altenhof 2002: 68.

63 Vgl. Altenhof 2002: 67f., Thaysen 1972: 182f.

64 Vgl. Thaysen 1972: 183.

65 Vgl. Thaysen 1972: 118.

66 Vgl. Ismayr 1992: 221f., Scholz 1981: 162.

67 Vgl. Ismayr 1999.

68 Vgl. Ismayr 1999, Rudloff 1994: 192, Scholz 1981: 162ff., Arnim 1970: 31, Thaysen 1972: 118, 206.

69 Vgl. Altenhof 2002: 66.

70 Vgl. Bundestag 2004: 8.

71 Vgl. Altenhof 2002: 61ff., Bundestag 2004: 8.

72 Ismayr 2001: 420f., Altenhof 2002: 68.

73 Vgl. Vowe 1991: 167, Euchner 1993: 5f., Altenhof 2002: 94f..

74 Bundestag 2004: 3.

75 Vgl. Altenhof 2002: 50, Ismayr 2001: 418.

76 Ismayr 2001: 413.

77 GOBT §56 Abs.1.

78 GOBT §56 Abs.1.

79 Vgl. Metzger 1995: 23f.

80 Vgl. Bundestag 2004: 6, Altenhof 2002: 20ff.

81 Vowe 1995.

82 Vgl. Jarren 1994: 116, Vowe 1995.

83 Vgl. Ismayr 2001: 413, Rudloff 1994: 192.

84 Vgl. Bundestag 2004: 25ff. (eigene Zählung).

85 Vgl. Ismayr 2001: 413.

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Details

Titel
Medienpolitische Kommissionen des Deutschen Bundestages
Untertitel
Aktuelles Kommissionsrecht und historische Analyse
Hochschule
Technische Universität Dresden  (Institut für Kommunikationswissenschaft)
Veranstaltung
Aktuelle Entwicklungen der Medienpolitik
Autor
Jahr
2007
Seiten
55
Katalognummer
V130570
ISBN (eBook)
9783640363988
ISBN (Buch)
9783640364343
Dateigröße
826 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Medienpolitische, Kommissionen, Deutschen, Bundestages, Aktuelles, Kommissionsrecht, Analyse
Arbeit zitieren
Maik Roßmann (Autor:in), 2007, Medienpolitische Kommissionen des Deutschen Bundestages, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/130570

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Titel: Medienpolitische Kommissionen des Deutschen Bundestages



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