Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Körper und seine Bedeutung in der Gesellschaf
2.1 Körper und Leib im Prozess der gesellschaftlichen Distanzierung
2.2 Bedeutung des Geschlechts in der Gesellschaft: die Trennung zwischen biologischem und sozialem Geschlecht
2.3 Die Macht der Geschlechternormen
3 Identität im gesellschaftlichen Kontext
3.1 Identität und Geschlechterdifferenzierung
3.2 Wechselseitigkeit von Körper, Geschlecht, Identität: Bedeutung des Geschlechtskörpers für Identität
4 Fazit
Literaturverzeichnis
Ehrenwörtliche Erklärung
1 Einleitung
Das aktuelle Thema Körper mit Verbindung zu Geschlecht und Identität befindet sich in einem Transformationsprozess, nämlich erlebt eine Renaissance (vgl. Martiny/Rohr 2003, S. 5). Es stellt nichts ungewöhnliches dar, die durch chirurgische Eingriffe veränderten Körper in den Medien zu sehen, aber auch schon öfters im Alltag. Manipulative Techniken und Beeinflussungen auf den Körper sind somit in das Zentrum des Interesses nicht nur in der Medizin und in den Medien, sondern auch in der Wissenschaft gerückt (vgl. Martiny/Rohr 2003, S. 5).
Der Kategorie „Geschlecht“ ist im Kontext dieses Transformationsprozesses eine besondere Rolle zugewiesen. Seit einigen Jahrzehnten scheint sich die Gesellschaft in einer Reihe an entstandenen Infragestellungen zu befinden, nämlich über die Tatsachen, die vormals als selbstverständlich zu sein schien. Dies betrifft nicht nur die Kategorie „Geschlecht“ und Mann und Frau zu sein, sondern auch „Subjekt“, „Identität“ und die Zweigeschlechtlichkeit wird kritisch betrachtet (vgl. Maihofer 1995, S. 11). Die Trennung zwischen biologischem und sozialem Geschlecht steht zur Diskussion, aber auch deren Auswirkungen auf die anderen Kategorien wie beispielsweise „Rasse“ und „Klasse“, welche strukturellen Differenzen und bedeutsamen Konsequenzen dadurch entstehen können (vgl. Maihofer 1995, S. 11). Das Thema Geschlecht scheint also Bedeutsamkeit in der Gesellschaft zu erlangen. Interessant ist deswegen, ob eine Zunahme der Bedeutung des Geschlechtes in der Gesellschaft stattfindet und auf welchen Kriterien beruht diese Zunahme?
Es ist offensichtlich, dass sich das Verhältnis der Geschlechter und mit diesen verbundenen Geschlechternormen, aber auch Geschlechterrollen wandeln (vgl. Maihofer 1995, S. 13). Als Beispiel dienen Medien, in denen mit Überschreitung der gewöhnlichen Normen und Geschlechtergrenzen experimentiert wird, es handelt oft von Geschlechtsumwandlung und Darstellung eigener Erfahrung als „neuer“ Mann oder „neue“ Frau zu sein. In diesem Kontext lässt sich die Frage entstehen, warum sich Individuen für diese extremen körperlichen Veränderungen entscheiden und inwiefern spielt die Trennung zwischen biologischem und sozialem Geschlecht eine Rolle. Wie wird diese Entscheidung in dem gesellschaftlichen Kontext beeinflusst beziehungsweise wie hängen diese körperlichen Transformationsprozesse mit der Gesellschaft zusammen? Durch die Vertiefung des Interesses anhand der gestellten Fragen wird es verdeutlicht, dass der Körper im Zusammenhang mit seiner geschlechtlichen Dimension auch als „Geschlechtskörper“ (vgl. Maihofer 1995, S 13) zu definieren ist. Vermutlich kann der Versuch sich als Frau oder als Mann, aber auch als „drittgeschlechtliche“ Person zu definieren, laut Seibring (2012, S. 2) auch als „anderes“ Geschlecht, von der Gesellschaft durch entstandene Normen beeinflusst werden. Im Hintergrund dieser Gedanken und entstandenen Fragestellungen besteht das Ziel dieser Arbeit darin, es herauszufinden, inwiefern Körper, hinsichtlich seiner geschlechtlichen Dimension, eine Rolle für Identität eines Individuums in der Gesellschaft spielt. So steht im Mittelpunkt der Analyse Körper und Geschlecht in Bezug auf persönliche Identität.
Bezüglich des Themas werden in dieser Arbeit drei wichtige Punkte aufgegriffen, die eine Erklärungsgrundlage für die Forschungsfrage bilden. Im ersten Teil dieser Arbeit wird die Bedeutung des Körpers in der Gesellschaft beleuchtet. Bei Betrachtung des Körpers wird Leib als ein Teil des Körpers mit seinen sinnlichen Aspekten berücksichtigt. Das Geschlecht als ein wesentliches körperliches Merkmal, aber auch als ein mögliches Kriterium für die Identitätsbildung stellt die Einführung in das Hauptteil dar. Im zweiten Teil der Arbeit wird der Frage nachgegangen, ob das Geschlecht ein wesentliches Kriterium für Identität sein kann und seine Rolle im sozialen Raum wird verdeutlicht. Im Fazit werden die Ergebnisse der durchgeführten Arbeit vorgestellt.
2 Körper und seine Bedeutung in der Gesellschaft
„Den Körper haben wir immer dabei“ (vgl. Goffman 1994, S. 152), doch der Körper ist keine Sache, die man wie eine Tasche mitnehmen oder wie ein Kleidungsstück ausziehen kann. Es ist aber möglich, ihn dadurch zu manipulieren, dass er bekleidet, mit Make-up bemalen oder durch Sport umgeformt wird, denn nach Villa (2007, S. 19) ist der Körper ein zentrales Handlungsinstrument, mit dem auch bestimmte Geste und Körperhaltungen angewendet werden. Auf diese Weise unterliegt der Körper unterschiedlichen äußeren Verbesserungen. An dieser Stelle entsteht die Frage, warum es für Individuen so wichtig ist, an dem eigenen Körper Veränderungen vorzunehmen? Es ist offensichtlich, dass in unserer modernen Gesellschaft die jungen, gesunden und schlanken Körper den alten faltigen und kranken bevorzugt werden. Die Schönheitsnormen sind aber veränderbar und kultur- und epochenspezifisch (vgl. Feldmann 2006, S.316). In diesem Zusammenhang spricht Feldmann (2006, S.316) von dem Körperkapital als Basis für gesellschaftlichen Unternehmungen des Individuums und deswegen werden in den Körper Zeit- und Geldressourcen investiert. Von Geburt an sind menschliche Körper individuell gestaltet, beruhend auf dieser Annahme ist es möglich zu behaupten, dass der physische Kapital von Natur aus, aber auch abhängig von der Gesellschaft (Feldmann 2006, S.316), ungleich verteilt ist. So werden Körper als bedeutsame soziale Ressourcen angesehen, die einen „Gebrauchs- und Tauschwert haben“ (vgl. Feldmann 2006, S.316).
Eine zunehmende Bedeutung des Körpers ist in den Medien zu beobachten – schöne schlanke , aber auch kurvige weibliche Körper und durchtrainierte männliche. Feldmann (2006, S.316) spricht im Bezug auf mediale Gestaltungen und Messungen von dem Seltenheitseffekt, der sich dadurch äußert, dass je seltener der makellose der jeweiligen Mode entsprechende Körper auftritt, desto mehr ist er Wert. Wie es schon erwähnt wurde, sind die menschlichen Körper von Natur aus individuell und deshalb können nur wenige den idealen der perfekten mediatisierten Körper entsprechen, weshalb auch der durch das Seltenheitseffekt niedriges Wert eines „normalen“ Körpers auftritt. Was passiert, wenn der Körper nicht den Schönheitsidealen entspricht? Leiden die Individuen darunter, dass sie nicht in die gesellschaftlichen Normen für ideale Körper herein passen? Und tatsächlich steigt der soziale Druck durch Manipulierung der Körper, was aber sehr profitabel für Kosmetikinstitute oder Schönheitschirurgie ist, weil mehr Individuen nach einem perfekten Körper träumen und sich unter die chirurgische Klinge legen, beziehungsweise nehmen die unterschiedlichen Präparate zur Körperveränderung (vgl. Feldmann 2006, S.316). Die Gründe für Körpermanipulierungen sind genauso individuell als die Körper selbst und sind nur in den gesellschaftlichen Rahmen zu verstehen, da jeweilige Gesellschaft mit eigenen Problemen zu kämpfen hat, die durch die eigenen Normen entstehen können. So werden die Umformungen am Körper beispielsweise wegen dem Statuskampf, steigendem medialen Einfluss oder steigendem Wunsch nach Individualisierung, aber auch als „Quasi-Psychotherapie“ (vgl. Feldmann 2006, S.316) vorgenommen. Aus diesem Kontext ist es zu sehen, wie enorm die Bedeutung des Körpers in modernen Gesellschaften ist und wie diese Bedeutung zunimmt. Doch mit dem Körper hängen noch viele weitere Aspekte zusammen, die wichtig für die weitere Analyse im Rahmen dieser Arbeit sind. Alle zusammenhängende Aspekte müssen in Betracht genommen werden, um des weiteren die Forschungsfrage angehen zu können.
2.1 Körper und Leib im Prozess der gesellschaftlichen Distanzierung
Zusammen mit dem Begriff Körper wird oft das Wort Leib verwendet, da ein Subjekt nicht nur auf der rein körperlichen Ebene existiert, sondern sich auch auf der Ebene des Gefühlten befindet und somit ein Leib darstellt (vgl. Villa 2007, S. 19). Der Leib ist eine Dimension des inneren Erlebens, das individuelle Fühlen, das rein subjektiv ist, individuelle Wahrnehmungen, die durch Sprache unter den Subjekten mitgeteilt werden können und erst dann den leiblichen Modus verlassen (vgl. Villa 2006, S. 203 - 252 ). Körper und Leib kann man differenzieren, doch im Alltag „sind wir beides gleichzeitig: ein Körperleib“ (vgl. Villa 2007, S. 20). Obwohl der Leib eine subjektive Wahrnehmung darstellt und somit scheint er sich jenseits der Wirklichkeit zu positionieren, ist das leibliche Spüren von Sozialisationsprozessen geprägt, denn in der Gesellschaft zu leben bedeutet „soziale Erfahrungen zu machen“ (vgl. Villa 2007, S. 19). Die Gesellschaft kann beispielsweise unsere persönlichen Merkmale und Eigenschaften wie Kreativität durch unsere Sinneswahrnehmungen – Augen oder Ohren beeinflussen. So wird ein Subjekt mit seinem Körper und leiblichen Empfindungen in kulturelle und politische Dimensionen der Gesellschaft miteinbezogen und von diesen auch beeinflusst. Auf diese Weise werden Körper und Leib oder, wie es ohne Differenzierung als „Körperleib“ (vgl. Villa 2007, S. 19) bezeichnet wird, nur im gesellschaftlichen Rahmen betrachtet.
Wie es schon erwähnt wurde, spielt der Körper eine immer mehr zunehmende Rolle in der Gesellschaft, so spricht Villa (2007, S. 20) von „Körperbesessenheit und Leibvergessenheit“. Dies kommt dadurch Zustande, dass der Körper unabhängig von seinen leiblichen Wahrnehmungen wie eine Sache behandelt wird. Als Beispiel dafür gilt nicht nur die Schönheitschirurgie, sondern auch zunehmende Popularisierung von Piercing und Tattoos, aber auch vom permanenten Make-up.
Warum wird eigentlich der Körper wie eine Sache behandelt? Ist das ein immer mehr in der Gesellschaft fortschreitender Individualisierungsprozess? Und wenn es tatsächlich stimmt, wie kann in diesem Fall ein normaler Alterungsprozess betrachtet werden, in dem sich Körper individuell verändert und die Spuren eigener Erfahrungen am Körper hinterlassen werden?
Die „intensivierende kulturelle Verdinglichungstendenz“ (vgl. Villa 2007, S. 20) scheint den Körper manipuliert zu haben. Der menschliche Körper wird als zu optimierende Materie betrachtet und nicht als lebendiger Leib, der die Spuren einer individuellen Biographie trägt (vgl. Villa 2007, S. 20). Die "Leibvergessenheit" (vgl. Villa 2007, S. 20) kann folglich als ein Teil eines gesellschaftlichen Prozesses betrachtet werden, der den Bezug zu eigenem Körper als zu einem Objekt wahrnimmt und somit sich von eigenem Körper distanziert. Zu vermuten ist, dass durch Distanzierung zu eigenem Körper auch andere Prozesse hervorgerufen werden können. Die von Karl Marx erwähnte „Distanzierung der Menschen von Natur“ (vgl. Marx 2009, S. 78) und „Verdinglichung der Natur“ (vgl. Marx 2009, S. 81f.) kann in diesem Fall auf das Thema Körper und Leib übertragen werden. Mit der Kritik der Verdinglichung der Natur wird eine Kritik der Naturvergessenheit des Sozialen formuliert. So schreibt Adorno (1961, S. 221) „Der gesellschaftliche Prozess ist weder bloß Gesellschaft noch bloß Natur, sondern Stoffwechsel der Menschen mit dieser, die permanente Vermittlung beider Momente“. Ausgehend davon ist alles, was im gesellschaftlichen Prozess angeeignet wird, ist keine von Natur gegebene soziale Sphäre, was aber von Natur gegeben wird, stellt gleichzeitig eine Unvollständigkeit im gesellschaftlichen Prozess dar. Dies kann auf den menschlichen Körper übertragen werden, denn von Natur gegebene Körper in der Gesellschaft als nicht vollständig wahrgenommen und deswegen permanenten Veränderungen unterliegen werden können. Es wird hier aber auf keinen Fall über Naturbeherrschung gesprochen, denn laut Görg (2008, S. 131) ist es nicht möglich, „angesichts des Ansichseins des Naturstoffs“, Natur zu beherrschen, was das gesellschaftliche Verhältnis zur Natur neu reflektiert.
Distanz zum eigenen Körper ermöglicht die Manipulation des Körpers entsprechend sozialer Werte, individuellen Wünschen oder kommerziellen Notwendigkeiten (vgl. Schuchardt 2009, S. 12). Auf diese Weise können Veränderungen unterschiedlicher Art am Körper durchgeführt werden, die eventuell medizinisch oder für therapeutische Zwecke nicht notwendig sind, die aber für einen bestimmten gesellschaftlichen Wert sorgen können. An dieser Stelle wird es möglich zu unterstreichen, dass die gesellschaftliche Tendenz in die Richtung verläuft, wo Leib ignoriert, ausgeblendet oder, anders ausgedrückt, in die Vergessenheit gerät (vgl. Villa 2007, S. 20). Der Körper wird gleichzeitig zu einer einer Sache, die es Individuen ermöglicht, sich in der Gesellschaft auf eigene Art zu präsentieren und dadurch einen subjektiven Wert von eigener Person zu erschaffen. So spricht Lukács (1988, S. 170 ff.) von Dinghaftigkeit in den Menschenbeziehungen, die zu einem Warenfetischismus in der kapitalistischen Gesellschaft wird. Damit wird gemeint, dass die Tätigkeit des Menschen sowie seine zwischenmenschlichen Beziehungen zur Ware werden. Übertragen auf menschliche Körper und deren Verdinglichung (vgl. Villa 2007, S. 20) kann es bedeuten, dass die Körper in der Gesellschaft wie Ware behandelt werden. Der kapitalistische Betrieb beruht auf rationaler Kalkulation und festen Normen und alles wird in Einheiten zerlegt sowie Arbeiter, wenn sie ihre Arbeitskraft verkaufen, sind ersetzbar, denn Kapitalismus macht alle dadurch gleich, dass alle verdinglicht und in Klassen eingeteilt sind (vgl. Lukács 1988, 172 ff.). Der menschliche Körper eines Individuums kann in dem Sinne ersetzt werden, dass es den Veränderungen und medizinischen Eingriffen jeder Art unterliegt. Auf diese Weise lässt die Verdinglichung nach Lukács (1988, 170 ff.) jeden ersetzbar machen, folglich auch seine Teile zu austauschbaren Dingen werden.
In diesem Kapitel wurde es deutlich, welcher Entwicklungstendenz der Leib und Körper unterlaufen und, dass der Körper verdinglicht und wie Ware behandelt wird. Da aber geschlechtliche Dimension eine wichtige Rolle in der Fragestellung dieser Arbeit und ein Teil des menschlichen Körpers darstellt, wird im nächsten Unterkapitel Geschlecht als ein Teil des Körpers betrachtet. Es wird außerdem versucht herauszufinden, ob es nur ein Körperteil ist oder eine bedeutendere Rolle für ein Individuum und seine Identität einnimmt.
2.2 Bedeutung des Geschlechts in der Gesellschaft: die Trennung zwischen biologischem und sozialem Geschlecht
Als erstes ist es wichtig, zwei Aspekte zu differenzieren, nämlich biologisches und soziales Geschlecht. „Das soziale Geschlecht ist Ausdruck und Konsequenz des biologisch-anatomischen Geschlechtskörpers“ (vgl. Maihofer 1995, S. 19). Das „soziale Geschlecht“ wird meist in der Bedeutung von dem Begriff Gender (vgl. Küppers 2012, S. 4) verwendet. Mit anderen Worten besteht das gesellschaftliche Verhältnis der Geschlechter und ihre Rollen in der unterschiedlichen körperlichen Beschaffenheit der Geschlechter. Demzufolge entsteht die Frage, ob es mit der Trennung zwischen biologischem und sozialem Geschlecht einen gegenseitig abhängigen Zusammenhang besteht. Laut Lerner (1986, S. 301) stellt das sexuelle Geschlecht für Männer und Frauen eine biologische Gegebenheit dar und die Rollenerwartungen an diese beiden Geschlechter sind abhängig von der Kultur des Verhaltens einer bestimmten Gesellschaft zu einer bestimmten Zeit. Aus diesem Grund ist die Bestimmung der Geschlechtsrollen „ein historisch bedingtes, kulturspezifisches Produkt“ (vgl. Lerner 1986, S. 301). Deswegen ist es an dieser Stelle wichtig zu unterstreichen, dass die Geschlechtsrollen, aber auch Geschlechtsidentitäten historisch und kulturell bedingt und spezifisch für die jeweilige Gesellschaft sind (vgl. Maihofer 1995, S. 19). Demzufolge können sie nicht durch biologische Geschlechterdifferenz definiert werden. „Ob sich jemand als Frau, als Mann, als zwischen den Geschlechtern oder als ein drittes Geschlecht fühlt, geht nicht immer mit den biologischen Prädispositionen einher“ (vgl. Seibring 2012, S. 2). In diesem Zusammenhang kommt das Thema Natur und Kultur in Betracht, denn die Argumentation von Lerner (1986, S. 301) eine Dichotomie aufzeigt, nämlich die Trennung zwischen biologischem, anders gesagt naturgegebenem, und sozialem Geschlecht, das kulturell und historisch in der Gesellschaft bedingt ist. Es erscheint für selbstverständlich, dass zwei deutlich voneinander unterschiedenen Geschlechter existieren. Zwar ist es im Alltag öfters zu sehen, dass geschlechtsspezifische stereotypische Rollen an Wirksamkeit verlieren, wie es beispielsweise in den Familien, in denen Frauen arbeiten und Männer sich um den Haushalt und Kindererziehung kümmern, deutlich wird, trotzdem sind diese Rollen nach wie vor überall präsent. Die Benutzung der Toilette nach Geschlechtszuordnung ist ein guter Beispiel dafür, sowie viele anderen alltäglichen Dinge. Doch wie wirklich eindeutig ist diese Einteilung und Trennung der Geschlechter? Nach Küppers (2012, S. 3) stellt die Biologie kein „eindeutiges, objektives Kriterium“ bereit, das die Geschlechter jenseits der sozialen Kontexte differenzieren kann, da die Ausdifferenzierung auf einer chromosomalen, hormonellen und morphologischen Ebene stattfindet, wobei die letzte das Genitalienbereich unter sich versteht. Schon auf dieser Ebene fällt die Feststellung eines Geschlechtes bei Menschen sehr komplex aus und wird „mehr als ein Kontinuum denn als zwei klar zu unterscheidende Pole betrachtet“ (vgl. Christiansen 1995, S. 17). Die Biologie scheint also mehrere Schritte durchführen müssen, um feststellen zu können, ob ein Individuum im Durchschnitt eher als weiblich oder als männlich einzustufen ist. Die Aussage von Hagemann-White (1998, S. 227) darüber, dass die Menschen nicht zweigeschlechtlich geboren werden, bietet eine gute Grundlage für die weitere Frage, nämlich, wie die Individuen sonst zu Mann und Frau werden, wenn sie biologisch nicht so einfach und auch nicht eindeutig bestimmbar sind und mehreren Untersuchungen unterliegen, bevor das Hauptergebnis feststellbar wird. In den Fokus rückt daher anstelle der Frage nach Möglichkeiten der Geschlechterunterscheidung die Frage, wie Geschlechter in der Gesellschaft gebildet werden und die Frage nach Reproduktion sozialer Geschlechternormen. Dies wird im folgenden Kapitel verdeutlicht und Bezug auf Auseinandersetzung mit dem Einfluss des Geschlechtskörpers auf Identität im sozialen Raum hergestellt.
2.3 Die Macht der Geschlechternormen
Eine Norm bezüglich der Geschlechtszuschreibung wird im folgenden näher ausgeführt. Eine Norm ist nicht Dasselbe wie eine Regel oder ein Gesetz und sie wirkt „innerhalb sozialer Praktiken als impliziter Standard der Normalisierung“ (vgl. Butler 2009, S. 73). Folglich ist es festzusetzen, dass eine Norm eine Art Parameter definiert, die das Bereich des Sozialen in dem Sinne eingrenzen, sodass bestimmte Dinge in diesem Sozialen erscheinen werden oder eben nicht. Alles, was sich außerhalb der Normen befindet, erweist sich als „gedankliches Paradoxon“ (vgl. Butler 2009, S. 73). Denn durch die Eingrenzung eines bestimmten Bereiches durch eine Norm, muss ein Außerhalb definiert werden. Wenn es angenommen wird, dass die Feststellung von Geschlechtsunterschieden einer Norm unterworfen wird, dann müssen Geschlechter nach bestimmten Kriterien feststellbar sein. Es wurde schon angedeutet, dass ein Geschlecht erst durch mehrere Schritte mit mehreren Kriterien, nämlich ineinander verschränkten hormonellen, chromosomalen, psychischen und performativen Formen (vgl. Christiansen 1995, S. 17) in der Biologie feststellbar ist. Die Biologie selbst schließt nach Hirschauer (1989, S. 104) an ein kulturell etabliertes Alltagswissen von Binarität der Geschlechtlichkeit an und nutzt Alltagsmethoden der Geschlechtszuschreibung für die Identifikation ihres Untersuchungsgegenstandes. Daraus kann geschlossen werden, dass durch die Hinnahme der Binarität der Geschlechtlichkeit diejenige Subjekte aus den Normen ausgeschlossen werden, die in dieses binäre Muster nicht passen.
[...]