Totschlag oder Religionsfreiheit?

Dürfen Eltern die Bluttransfusion bei ihrem Kind verweigern, weil sie Zeugen Jehovas sind?


Hausarbeit, 2009

19 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Grundlagen der Betrachtung
2.1 Geschichte der Zeugen Jehovas
2.2 Lehre der Zeugen Jehovas
2.2.1 Zur Interpretation und Übersetzung der Bibel durch die Zeugen Jehovas
2.3 Eid des Hippokrates
2.4 Rechtliche Aspekte
2.4.1 Mord, Totschlag, Aussetzung
2.4.2 Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland
2.4.3 Rechtsprechung
2.5 Ethische Aspekte

3. Konflikt und Lösungswege
3.1 Der Konflikt des behandelnden Teams
3.2 Lösungsmöglichkeiten

4. Diskussion und Fazit

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Immer wieder sind auch Zeugen Jehovas als Patienten in Kliniken. Dass ein erwachsener Mensch unabhängig von seiner Religion jederzeit die Wahl hat, Maßnahmen, also auch eine Bluttransfusion, abzulehnen, steht hier nicht zur Diskussion. Aber wie verhält es sich bei Kindern? Ist es wirklich vertretbar, dass Eltern ihrem Kind eine Transfusion verweigern, nur weil sie „Zeugen Jehovas“ sind, vor allem, wenn nur durch eine Transfusion das Überleben des Kindes eine Chance hat? In der Praxis kommt dieser Fall nicht besonders häufig vor, dennoch gibt es diese Situationen vereinzelt, und diese werden auch in der Presse entsprechend behandel. Solche Vorkommnisse stellen für das gesamte Behandlungsteam eine enorme Belastung dar, wie in der folgenden Arbeit erörtert wird. Deckt die Religionsfreiheit eine solche Entscheidung wirklich ab, oder ist es nicht eine Art von aktiver Sterbehilfe oder anders ausgedrückt beinahe Todschlag, der hier vollzogen wird? Tatsache ist, dass eine solche Entscheidung immer wieder auf Unverständnis und Ablehnung stößt. Daher soll mit dieser Arbeit der Versuch unternommen werden, diese Fragestellung und Problematik unter Berücksichtigung der religiösen, gesetzlichen und ethisch-moralischen Aspekte näher zu beleuchten. Ferner soll auch die Belastung des in die Behandlung involvierten Teams dargestellt werden und etwaige Lösungsansätze aufgezeigt werden.

2. Grundlagen der Betrachtung

2.1 Geschichte der Zeugen Jehovas

Die Gründung der Zeugen Jehovas geht auf Charles Taze Russell (1852-1916) zurück. Er ließ sich durch verschiedene Kirchen und Glaubensrichtungen inspirieren, insbesondere auch in Hinblick auf die Datierbarkeit und Berechenbarkeit des Weltendes. Dieses war zunächst für den Jahreswechsel 1872 / 1873 erwartet worden, als es dann 1874 immer noch nicht eintrat, gründete Russell einen eigenen Bibelstudienkreis. Dieser gab seit 1879 die Zeitschrift „Zion’s Watch Tower and Herald of Christ’s Presence“ heraus, die später durch den „Wachtturm“ abgelöst wurde. Zeitgleich entstanden Lesezirkel namens „Ernste Bibelforscher“. Russells Idee war überkonfessionell geprägt, eine Sekte gründen wollte er nicht. Dennoch war die Verheißung des Königreiches Gottes auf Erden im Jahre 1914 ein zentraler Aspekt dieser neuen Bewegung. Es sollte ein großes Friedensreich beginnen, was sich allerdings auch nicht bewahrheitete. Obwohl sich daher viele Tausende der Bewegung abwandten, und Russell 1916 starb, fand sich 1917 in Joseph Franklin Rutherford (1869-1942) ein Nachfolger, der diese Bewegung zu dem machte, was wir heute als Zeugen Jehovas kennen. Er führte die verschiedenen Lesezirkel über in eine straff organisierte Organisation, die „theokratische Organisation der Zeugen Jehovas“. Die demokratischen Strukturen wurden aufgegeben, und es wurden sogenannte „Dienstkomitees“ eingesetzt, die sich durch gegenseitige Kontrolle auszeichneten. Die „Bibelforscher“ wurden letztlich durch Rutherford zu „Wachtturmverkäufern“. Er organsierte ferner die „Haus-zu-Haus-Besuche“ und richtete Versammlungsräume namens „Königreichssäle“ ein. Die in Brooklyn ansässige Leitung der Organisation versteht sich als Offenbarungs- und Verbindungskanal Jehovas, so dass ihre Bibelinterpretationen und ihre Anweisungen als verbindlich anzusehen sind. 1942 starb Rutherford, sein Nachfolger wurde Nathan Horner Knorr (1905-1977). Während seiner Amtszeit wuchs die Zahl der Mitglieder der Zeugen Jehovas enorm, so dass sich zwischen 1933 und 1945 die Zahl der Aktiven, also der „Verkündiger“ verfünffachte. 1972 führte er das sogenannte „Ältestenamt“ ein, in welchem die besonders engagierten Mitglieder vertreten sind Auf Knorr folgten Frederic William Franz, Milton G. Henschel und aktuell Don Adams. (Vgl. Fincke, 2004, S.1 ff)

2.2 Lehre der Zeugen Jehovas

Die Anschauungen der „Jehovas Zeugen“ veränderten sich zwar im Laufe der Zeit , dennoch gibt es einige Grundgedanken, die existieren und sozusagen die Rahmenbedingungen wiedergeben. Zum Beispiel seien die Pläne Gottes und die Wiederkunft Jesus Christus berechenbar. Weiter wird die Hingabe an eine von Gott besonders bevollmächtigte Person, die als fehlerfrei angesehen wird, verlangt. Auch darf die Bibel nur so verstanden werden, wie sie von den „Zeugen Jehovas“ ausgelegt wird. (Vgl. Haack 1985, S. 21) Die Wiederkunft Christus wurde von Rutherford unter anderem auf das Jahr 1925 datiert, so dass eigens für die dann ewig lebenden ein gesondertes Haus erbaut wurde. Dieses wurde durch millionenschwere Spenden von Anhängern finanziert. Als das erwartete Ereignis ausblieb, wandten sich viele Anhänger von den „Zeugen Jehovas“ ab. Allerdings bekannte sich Rutherford nicht zu dieser Fehleinschätzung, vielmehr wurde das Jahr 1925 als ein Jahr besonders schwerer Prüfungen dargestellt. (Vgl. Haack 1985, S. 24) Bis heute ist die Berechnung der Wiederkehr Christus‘ das größte Überbleibsel Russells, wobei über die sich bisher nicht erfüllten Berechnungen eher Stillschweigen herrscht. (Vgl. Haack 1985, S. 23 ff) In heutiger Zeit wird kein festes Datum genannt, vielmehr wird sich mit Umschreibungen wie „kurzfristig“ oder „in Kürze“ beholfen, wobei die genaue Bedeutung dieser Worte unklar bleibt. (Vgl. Rausch / Schüssler 1998, S. 12) Die anfangs erwähnte fehlerfreie, bevollmächtigte Person wird verkörpert durch die Wachtturm-Gesellschaft. Ihr Wille wird verstanden als der Wille Gottes, und somit ist jeglicher Widerstand als Rebellion aufzufassen. Die Leitung der „Zeugen Jehovas“ trifft alle Entscheidungen, denen bedingungslos Folge geleistet werden muss. So hat die Leitung auch das Blutgenussverbot der Bibel in Form des Transfusionsverbotes wiedergegeben, was zur Folge hat, dass die Bluttransfusion als „Sünde“ anzusehen ist. (Vgl. Haack 1985, S 30) Wer dennoch eine Bluttransfusion für sich in Anspruch nimmt, wird wegen Ungehorsams aus der Gemeinschaft ausgeschlossen und verliert das ewige Leben. (Vgl. Deppe 1997, S. 61) Das Vertrauen in die Leitung der „Zeugen Jehovas“ ist demnach wichtiger als die Gefühle gegenüber seinen Kindern. (Vgl. Haack 1985, S. 30) Allerdings scheint es aufgrund unterschiedlicher Standpunkte innerhalb der Leitung mittlerweile Zweifel am Umgang mit Bluttransfusionen zu geben, dennoch wird offiziell an diesem Verbot festgehalten, um Unruhen bei den Mitgliedern zu vermeiden. Denn wer durch die Verweigerung der Transfusion einen Angehörigen bereits verloren hat, müsste sich die Frage stellen, ob dieses Opfer dann nicht ganz umsonst erbracht worden wäre. (Vgl. Bergman 1994, S. 71) Allerdings ist die Organtransplantation durch die Leitung nicht verboten. Sie stellt eine Gewissensentscheidung eines jeden Einzelnen dar. (o.A. 1990, S. 16) Ebenso wird von der Leitung das Rauchen als Schädigung des Körpers angesehen, die Ausbildung zum Wehrdienst als Ausbildung zum Töten, so dass beides für den „Zeugen Jehovas“ nicht in Frage kommen darf. Auch die eigenen Kinder auf eine Klassenfahrt zu schicken, wird als schlechter Umgang gewertet. Die Leitung sieht ferner ein Verbot zur Teilnahme an Wahlen vor, weil dies eine „Vermischung mit der Welt“ bedeutete. Auch die Teilnahme an Geburtstagsfeiern wird abgelehnt, da hierbei der Mensch zu stark verehrt werde. Das Lesen in anderen als von der Wachtturm-Gesellschaft vorgesehenen religiösen Schriften wird als „Verschmutzung der Sinne“ bezeichnet und sollte unterbleiben. (Vgl. Deppe 1997, S. 56 f) Insgesamt gibt es eine Liste mit 62 Verboten, die von den Mitgliedern als Moralkodex übernommen wird, und der dazu führt, dass gegenseitige Bespitzelung und Kontrolle zum Alltag der „Zeugen Jehovas“ gehören. (Vgl. Deppe 1997, S. 59)

2.2.1 Zur Interpretation und Übersetzung der Bibel durch die Zeugen Jehovas

Russell schaffte die Grundlage der „Zeugen Jehovas“, indem er in verschiedenen Werken die Bibel kommentierte und seine Werke als von Gott beglaubigt darstellt. (Vgl. Séguy 1967, S. 853) Im Verlauf wurden die Interpretationen mehr und mehr von Rutherford, der sich als treuen Knecht Gottes verstand, abgewandelt. Damit lässt sich bereits sicher feststellen, dass nicht die Bibel die alleinige Glaubensgrundlage ist, sondern die Interpretation durch einen Einzelnen bzw. letztlich durch die Leitung der „Zeugen Jehovas“ (Vgl. Séguy 1967, S. 854) Durch diese eigene Bibelinterpretation bzw. die eigene Bibelausgabe „Neue-Welt-Übersetzung“ werden ursprüngliche Bibelzitate häufig in einem ganz anderen Kontext wiedergegeben und umgedeutet. (Vgl. Haack 1985, S. 29) Der Name „Jehova“ kommt im Urtext überhaupt nicht vor; in der „Neue-Welt-Übersetzung“ dagegen an 237 Stellen. (Vgl. Fincke 1999, S. 159) Es ist ein Irrtum anzunehmen, der Gott Israels habe Jehova geheißen. (Langbein 2003, S. 177) Im Neuen Testament ist mit der Bezeichnung „Herr“ überwiegend Jesus Christus gemeint und der Name Gottes ist „Jahwe“. (Vgl. Rausch / Schüssler 1998, S. 29) Gerade in Hinblick auf die Bluttransfusionen berufen sich die „Zeugen Jehovas“ auf die Apostelgeschichte. (Vgl. Fincke 1999, S. 159)“In Apg 15, 28-29 heißt es: „Denn der Heilige Geist und wir haben beschlossen, euch keine weitere Last aufzuerlegen als diese notwendigen Dinge: Götzenopferfleisch, Blut, Ersticktes und Unzucht zu meiden. Wenn ihr euch davor hütet, handelt ihr richtig. Lebt wohl!“ (Die Bibel 1980, S.1239) Allerdings ist die Bluttransfusion hierbei nicht gemeint, zumal dem auch in Mt 12, 7 widersprochen wird: (Vgl. Fincke 1999, S. 159) “Wenn ihr begriffen hättet, was das heißt: Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer, dann hättet ihr nicht Unschuldige verurteilt“. (Die Bibel 1980, S. 1095) Eine weitere nicht unerhebliche Interpretation bezieht sich auf die Gerechtigkeit Gottes und das Abendmahl. Der Apostel Paulus sieht die Gerechtigkeit Gottes für alle Menschen vor, so wird es in Röm 3, 22 wiedergegeben. Die Wachtturm-Gesellschaft dagegen sieht die Gerechtigkeit Gottes nur für 144000 Mitglieder gegeben, die „Auserwählten“. Das bedeutet aber eigenartigerweise auch, dass die große Mehrheit der „Zeugen Jehovas“ von Gottes Gerechtigkeit ausgespart werden. (Vgl. Twisselmann 2002, S.22) Es gibt in der „Neue-Welt-Übersetzung“ massenhaft Beispiele für fragwürdige Formulierungen, so dass hier lediglich eine Auswahl angesprochen werden kann. Im Einzelfall findet man aber durchaus auch gelungene Übersetzungen. Dennoch muss man festhalten, dass der überwiegende Teil der Übersetzungen so durchgeführt wurde, dass der einfache „Zeuge Jehova“ nicht auf Widersprüche stößt. (Vgl. Hellmund 2006, S. 20) So entstand eine „frisierte“ Bibel mit dem Ziel der Indoktrination. (Hellmund 2006, S.20) Für die „Zeugen Jehovas“ ist ihre Bibel die „richtige“ Bibel. Allerdings muss dem entgegengehalten werden, dass es sich weder um eine Übersetzung aus dem Urtext, noch um eine richtige Bibel handelt. Die christlichen Bibeln kommen dem Urtext am nahesten, die Bibel der „Zeugen Jehovas“ dagegen ist stets nur eine Übersetzung der englischen Wachtturmbibel. (Vgl. Haack 1985, S. 47) Und diese Wachtturmbibel geht am Kern der Bibel vorbei. Ihre Bibel stellt nicht das Zeugnis von Christus dar, sondern vielmehr eine Prophezeiungsschrift des Tausendjährigen Reiches. Zwar wird von Jesus als Erlöser gesprochen, allerdings meint „Erlöser“ in der Wachtturm-Version, dass nur diejenigen ein verheißungsvolles Leben nach dem Tod erwarten dürfen, die stets gehorsam waren, während die anderen vernichtet werden. Diese Interpretation widerspricht gänzlich dem Inhalt der Heiligen Schrift. Gerade die dort immer wieder auftretenden Inhalte von Barmherzigkeit, Liebe und Gnade werden einfach gestrichen. (Vgl. Hutten 1950, S. 2f)

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Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Totschlag oder Religionsfreiheit?
Untertitel
Dürfen Eltern die Bluttransfusion bei ihrem Kind verweigern, weil sie Zeugen Jehovas sind?
Hochschule
Hochschule Ludwigshafen am Rhein  (Sozial- und Gesundheitswesen)
Veranstaltung
Ethik
Note
1,3
Autor
Jahr
2009
Seiten
19
Katalognummer
V130575
ISBN (eBook)
9783640364022
ISBN (Buch)
9783640364374
Dateigröße
428 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Totschlag, Religionsfreiheit, Dürfen, Eltern, Bluttransfusion, Kind, Zeugen, Jehovas
Arbeit zitieren
Andreas Kuebler (Autor:in), 2009, Totschlag oder Religionsfreiheit? , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/130575

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