Die Lust am Morden


Hausarbeit (Hauptseminar), 2002

16 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Forschungslage

3. Charakterisierung des „Tunnel“-Protagonisten

4. Charakterisierung Wörles

5. Zusammenfassender Vergleich der beiden Protagonisten

6. Literatur

1. Einleitung

Kann ein Spiel in einen Mord ausarten? Kann ein mehrfacher Mörder unentdeckt bleiben? Kann man die Unabhängigkeit eines Gerichtes manipulieren? Ist ein Mord der beste und schnellste Weg zur Konfliktlösung im zwischenmenschlichen Bereich? So abstrakt diese Gedanken klingen, so wahr wird es in den beiden Romanen „Das Napoleon-Spiel“ von Christoph Hein und „Tunnel oder Der Tag, als Mutter von mir ging“ von Frédéric Klein. Denn beide Protagonisten sind mörderisch.

Hier soll nun einmal ein Vergleich zwischen diesen beiden Figuren versucht werden. Ist der Zwang für diese Tat, von dem beide Erzähler sprechen, tatsächlich ein Rechtfertigungsgrund, wie beide es darzustellen versuchen? Oder anders: Kann man in beiden Figuren psychopathische Züge erkennen? Oder, um noch weiter zu gehen: Sind die beiden Figuren überhaupt vergleichbar?

Einleitend einige Worte, um den versuchten Vergleich zu rechtfertigen. Beide Erzähler zeigen einen gewissen Spieltrieb; Wörle aus dem „Napoleon-Spiel“ gibt es unumwunden zu und der namenlose Protagonist aus „Tunnel“ beschreibt gar seinen Selbstmord spielerisch. Des Weiteren sind beide Mörder, der eine einfach, der andere mehrfach. Die Geschichten beider Männer, von ihnen selbst in der Ich-Form erzählt, haben meiner Meinung nach für den Leser etwas Monströses an sich. Eiskalt wird von Morden berichtet, Verbrechen werden als nötig abgetan. Und doch weisen beide Protagonisten sonst kaum Ähnlichkeiten auf. Der eine scheitert an der Lebensaufgabe an sich, wird gar zum Misanthropen und der andere ist trotz durchschlagenden beruflichen Erfolgs nicht lange mit sich und den gesellschaftlichen Herausforderungen zufrieden und sucht Mittel und Wege, sich das allzu triste Alltagsleben interessanter zu gestalten. Auf all dies soll genauer eingegangen werden.

Wenn man die äußeren Gegebenheiten betrachtet, fällt auf, dass beide Werke Ende des 20. Jahrhunderts erschienen sind; „Das Napoleon-Spiel“ im März 1993, „Tunnel oder Der Tag, als Mutter von mir ging“ im Jahre 1996 in Frédéric Kleins Heimatland Frankreich und zwei Jahre später hier in Deutschland. Auch bildet das 20. Jahrhundert für beide Lebensberichte den historischen Hintergrund.

2. Forschungslage

Der französische Autor Frédéric Klein scheint in Deutschland nicht zu den Großen zu zählen. Denn es war mir unmöglich, mehr von ihm beziehungsweise über ihn zu finden außer einer Rezension zum Roman „Tunnel oder Der Tag, als Mutter von mir ging“ beim Buchanbieter „Amazon“ im Internet[1]. Trotz des Wissens, dass „Frédéric Klein“ ein Pseudonym ist[2], konnte ich seinen bürgerlichen Namen nicht herausfinden nach intensiver Recherche in einschlägigen Pseudonymlexika. Das Problem bestand hierbei darin, dass die in der SLUB am Zelleschen Weg zu erhaltenden Bücher zu französischen Decknamen zu alt sind. „Frédéric Klein“ war in keinem dieser Bücher aufgeführt.

Dahingegen ist Christoph Hein wesentlich bekannter. In der hiesigen Bibliothek sind mehrere Abhandlungen zu seinen Werken vorhanden. Allerdings spielt „Das Napoleon-Spiel“ hier wieder eine untergeordnete Rolle, da es ein für die Literaturwissenschaft noch relativ junges Werk ist und sich noch kein Germanist ausführlich mit diesem Roman beschäftigt zu haben scheint. Zumindest was den Bestand der SLUB Dresden betrifft. Doch es waren in einigen namhaften Tages- und Wochenzeitungen und -zeitschriften mehr oder weniger umfangreiche Rezensionen zu diesem im Jahre 1993 erschienenen Buch zu finden.

Diese Arbeit kann sich also nicht auf sehr ausführliche Fachlexika berufen; sie beruht zum größten Teil auf meinen eigenen Ansichten.

3. Charakterisierung des „Tunnel“-Protagonisten

Die Hauptfigur in „Tunnel oder Der Tag, als Mutter von mir ging“ von Frédéric Klein, im ganzen Roman namenlos, stellt den Leser schon auf der ersten Seite vor vollendete Tatsachen: „Ich bin ein widerlicher Mensch […], einer der gemeinsten Verbrecher, die es jemals gab.“[3] Ungewöhnlich, der Roman beginnt mit dem Ende. Nach der Ankündigung seines baldigen Todes beginnt der Erzähler, seine Lebensgeschichte mitzuteilen, beginnend mit der Kindheit. Schon hier erreicht er, dass der Leser immerzu schwankt zwischen völliger Abneigung eines solchen Monsters gegenüber und Zuneigung für einen Jungen, aufgewachsen in einem lieblosen Elternhaus, zugeschüttet mit Vorwürfen und Verboten. Doch wie zeigt sich das? Fast ein Viertel der Geschichte steht im Zeichen der Kindheitsbeschreibung. Beide Eltern berufstätig, ist der Sohn oftmals auf sich gestellt. Er darf nicht mit den anderen Kindern im Hause spielen[4], einen Fernseher gibt es nicht[5]. Der Junge soll sich den ganzen Tag über auf das Lernen konzentrieren[6]. Seine Mutter wird immer wieder äußerst lieblos beschrieben von ihrem Sohn. Zum Beispiel: „Ich begutachte ganz fasziniert ihre hängenden Brüste, ihren schlaffen Bauch, ihre varikösen Schenkel […].“[7] Oder: „Meine Mutter, deren Badeanzug ihre ganze Hässlichkeit aufs grausamste offenbart […].“[8] Im ganzen Buch ist keine liebevolle Anrede für die Mutter zu finden. Es geht noch weiter. So weit, dass der Protagonist seine eigene Mutter ermordet. Im Roman finden sich sogar mehrere Textstellen mit Beschreibungen ihres Todes. Im ersten der drei Teile des Buches, der Kindheitserzählung, stolpert die Mutter über einen von ihrem Sohn gespannten Draht auf der Treppe und bricht sich beim Sturz das Genick.[9] Das alles wird völlig emotionslos berichtet. Die Beschreibung der anderen Morde ist nicht weniger grausam[10].

Die Abneigung scheint jedoch gegenseitig zu sein. Auch die Mutter lässt den Berichten nach kein gutes Haar an ihrem Sohn. Er muss sich von ihr ständige Beleidigungen anhören wie zum Beispiel „Der Bengel hat nicht mehr alle Tassen im Schrank“[11], oder sie beschreibt ihn als „kleine[n] Dummkopf“[12]. Dies sind meiner Meinung nach die Momente, in denen der Leser mit dem Jungen fühlt. Aber, wie schon oben erwähnt, auf der anderen Seite steht das Entsetzen, dass es für den Protagonisten keine andere Möglichkeit zur Konfliktlösung zu geben scheint als Mord. Auffällig ist, dass die Mutter nach dem Kapitel ihres Todes wieder in dem Roman auftaucht. Hier zeigt sich der Zweifel an dem Realitätsgehalt der Erzählung. Hierauf wird aber später noch einzugehen sein.

Schon in früher Kindheit üben Eisenbahnen auf den Jungen eine große Faszination aus. Vom Fenster der Wohnung aus hat er Sicht auf einen Viadukt, über den täglich viele Züge fahren. Er malt immer nur Bilder von Zügen, Lokomotiven und Tunneln.[13] Sein größter Traum ist es, später „Lokomotivführer“[14] oder „Bahnhofsvorsteher“[15] zu werden. Seine Eltern allerdings, vor allem die Mutter, tun dieses Ansinnen mit einem Kopfschütteln ab und verweigern ihm sogar die ersehnte Zugfahrt. Nur sein Großvater unterstützt ihn und geht oftmals mit ihm zu einem Landbahnhof, wo er das Signal für die Abfahrt geben darf.[16] Überhaupt scheint der Großvater die erste Person in der Erzählung zu sein, die der Protagonist wirklich liebt und achtet. Ihm ist gar ein eigenes Kapitel gewidmet.[17] Dies ist daher erwähnenswert, weil der Grundtenor des ganzen Romans sehr auf die Hauptfigur bezogen ist. Es soll hier anscheinend ausschließlich um ihn gehen. Dies wird vor allem im zweiten der drei Teile deutlich. Hier nun ist der Erzähler nach eigenen Angaben erwachsen[18] und berichtet ausschließlich von sich. Es erfolgen hier sogar mehrere Versuche, sich in die Gesellschaft zu integrieren – er heiratet sogar -, aber sämtliche Bemühungen sind zum Scheitern verurteilt. Meiner Ansicht nach sieht es so aus, dass er dadurch immer wieder in seinen misanthropischen Ansichten bestätigt wird und der Mord als schnellste und einfachste Lösung immer attraktiver für ihn wird, um sich den belastenden und Angst und Beklemmung einjagenden Menschen zu entledigen. In diesem Teil des Buches erfolgt auch kein wahlloser Mord wie in der Kindheitsgeschichte an den unbekannten Bahnreisenden.[19] Zielgerichtet werden wieder zwei Mordvarianten an der Mutter geschildert und an dem Geliebten der Ehefrau. Dies wird auch im dritten Teil beibehalten; hier spricht der Protagonist von der Ermordung seiner Ex-Frau und deren neuem Liebhaber.[20]

Um noch einmal die Fakten zusammenzufassen: Der Protagonist wächst mit einer lieblos gestalteten Kindheit auf. Die Eltern ermöglichen sich und ihm keinerlei Luxus, es herrschen viele Verbote und Zwänge vor. Besonders der Mutter gegenüber scheint der Erzähler keinerlei Liebe und Zuneigung zu empfinden. Durch die fehlenden Kontakte zu anderen Kindern beispielsweise lernte er nie ein angemessenes soziales Verhalten. So scheint für ihn der Mord der beste und einfachste Weg der Konfliktlösung zu sein. Dies bestätigt sich auch im weiteren Verlauf seines Lebens immer wieder. Insgesamt ermordet er zehn genannte Personen und noch einige Namenlose.[21] Dies sind alles Personen, die ihm in seinen Augen Unrecht taten und eine Rache verdient hatten beziehungsweise als Mittel zur Rache dienen sollten. Erst am Ende des Romans ist der Protagonist fähig, eine Person als „Freund“ zu bezeichnen. Nämlich den Ingenieur, der die Umbauten an seinem lieb gewonnenen Domizil leitet.[22]

[...]


[1] Vgl. im Internet: http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3100396030/qid=1039445593/sr=1-26/ref=sr_1_2_26/028-5823637-6596537

[2] Ebd.

[3] Klein: Tunnel. S. 9.

[4] Vgl. Klein: Tunnel. S. 16.

[5] Vgl. Klein: Tunnel. S. 13.

[6] Ebd.

[7] Klein: Tunnel. S. 25.

[8] Klein: Tunnel. S. 59.

[9] Vgl. Klein: Tunnel. S. 27f.

[10] Vgl. S. 80ff., S. 94.

[11] Klein: Tunnel. S. 29.

[12] Klein: Tunnel. S. 37.

[13] Vgl. Klein: Tunnel. S. 40.

[14] Klein: Tunnel. S. 37.

[15] Ebd.

[16] Vgl. Klein: Tunnel. S. 54ff.

[17] Vgl. Klein: Tunnel. S. 48ff.

[18] Vgl. Klein: Tunnel. S. 75.

[19] Vgl. Klein: Tunnel. S. 30ff. Im Kapitel „Katastrophen“ manipuliert der Erzähler nach eigener Aussage die Schienen und bringt somit einen Zug zum Entgleisen, wobei mehrere Menschen sterben. Er beobachtet das Unglück vom Balkon aus und ist fasziniert.

[20] Vgl. Klein: Tunnel. S. 183ff.

[21] Diese Personen sind: seine Mutter, seine Ex-Frau, deren zwei Liebhaber, ihren kleinen Sohn, seine Kollegen H., R., M. und T., der Dekan der Universität und als ungenaue Zahl die Insassen der entgleisten Eisenbahn und die Arbeiter der neuen Bahnstrecke.

[22] Vgl. Klein: Tunnel. S. 209.

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Die Lust am Morden
Hochschule
Technische Universität Dresden  (Institut für Germanistik)
Note
2,0
Autor
Jahr
2002
Seiten
16
Katalognummer
V13071
ISBN (eBook)
9783638188197
Dateigröße
689 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Ein Vergleich der Protagonisten von 'Tunnel oder Der Tag, als Mutter von mir ging' von Frédéric Klein und 'Das Napoleon-Spiel' von Christoph Hein. 472 KB
Schlagworte
Lust, Morden
Arbeit zitieren
Jenny Ebert (Autor:in), 2002, Die Lust am Morden, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/13071

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Die Lust am Morden



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden