Möglichkeiten der Einbeziehung von Schülerinnen und Schülern in die Bewertung und Zensierung von Schülerleistungen im Sportunterricht


Examensarbeit, 2009

108 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Verzeichnis der Abbildungen

Verzeichnis der Tabellen

Verzeichnis der Exkurse

Verzeichnis der Abkürzungen

1 Einleitung

2 Bewertung und Zensierung im Sportunterricht
2.1 Bildungs- und Erziehungsaspekte des Sportunterrichtes
2.2 Relevanz der Notengebung für das Fach Sport
2.3 Leistungsnote oder pädagogische Sportnote

3 Gegenstand der Zensierung und Bewertung im Sportunterricht
3.1 Definition von Leisten und Leistung im Sportunterricht
3.2 Bezugsebenen der Bewertung und Zensierung
3.2.1 Absolute und relative sportliche Leistung
3.2.2 Individuelle Lernvoraussetzungen und Lernfortschritte
3.2.3 Leistungswillen und Verhalten im Sportunterricht
3.3 Kritische Betrachtung der bezugsorientierten Notenfindung

4 Schülerpartizipation als Perspektive für Schule und Unterricht
4.1 Allgemeine Ziele der Schülermitbestimmung
4.1.1 Selbstständigkeit
4.1.2 Soziale Handlungsfähigkeit
4.1.3 Fächerübergreifende Kompetenzen
4.2 Schülermitbestimmung im Sportunterricht
4.2.1 Gemeinsame Planung
4.2.2 Kooperative Unterrichtsdurchführung
4.2.3 Gemeinsame Auswertung von Unterrichtseinheiten

5 Schülerpartizipation am Bewertungs- und Zensierungsprozess
5.1 Differenzierung zwischen Bewertungs- und Zensierungsmitbestimmung
5.2 Schülermitbestimmung bei der Zensierung von Schülerleistungen
5.2.1 Auswahl der Kriterien für die Beurteilung
5.2.2 Schülerinnen und Schüler geben Noten
5.2.3 Notenvergabe als gemeinsame „Verhandlungssache“
5.3 Schülermitbestimmung in der Bewertung
5.3.1 Selbstbewertung durch Schülerinnen und Schüler
5.3.2 Fremdbewertung durch Schülerinnen und Schüler

6 Praxis der Schülerpartizipation am Bewertungs- und Benotungsprozess
6.1 Publizierte fachdidaktische Beiträge
6.2 Erfahrungsbericht des Verfassers
6.3 Zusammenfassung
6.4 Studien zur Schülermitbestimmung am Bewertungs- und Benotungsprozess

7 Fazit

8 Anhang

9 Literatur

Verzeichnis der Abbildungen

Abb. 1: Erhaltene Schulnoten im Sportunterricht (differenziert nach Klassenstufe und Geschlecht)

Abb. 2: Kompetenzmodell der Leistung im Sportunterricht

Abb. 3: Didaktisches Dreieck

Abb. 4: Bezugsebenen der Bewertung und Zensierung im Sportunterricht

Abb. 5: Unterschiedl. Kriterien für die Benotung in ihrer Bedeutung für den Schulsport

Abb. 6: Ziele und Bedingungen der Schülerpartizipation im Sportunterricht

Abb. 7: Soll-Ist-Vergleich am Beispiel eines beliebigen Technikelementes am Reck

Abb. 8: Interne und externe Bedingungen für das selbstgesteuerte Lernen

Abb. 9: Grundlegende Fragestellungen für eine Lernsituation

Abb. 10: Beurteilungsbogen Sport

Abb. 11: Leistungsfortschrittsnote in der Leichtathletik

Abb. 12: Leistungstabelle Grundkurs Schwimmen Sekundarstufe

Abb. 13: Wahlmöglichkeit für die Bewertung koordinativer Fähigkeiten - Klassenstufe

Abb. 14: Erarbeitung eines Kriterienkataloges für die Beurteilung von Schülerleistungen in der Akrobatik

Abb. 15: Gestalteter Technik-Parcours eines Schülers

Abb. 16: Technik-Parcours im Unihockey

Abb. 17: Selbstbeurteilungsbogen für das Fach Sport

Abb. 18: Beobachtungsbogen Rolle vorwärts

Abb. 19: Riegen-Protokoll zur Selbst- und Fremdbewertung von Schülerleistungen

Abb. 20: Plakat mit Übungsaufgaben und -anweisungen

Abb. 21: Praxis der Partizipation im Unterricht

Abb. 22: Mitsprache bei der Notengebung

Abb. 23 Elemente des Fragebogen zum pädagogischen Handeln im Sportunterricht

Abb. 24: Generelle Einschätzung des pädagogischen Handelns im Schulsport

Abb. 25: Pädagogisches Handeln im Schulsport aus Sicht der Schülerschaft und Lehrkräfte

Verzeichnis der Tabellen

Tab. 1: Einflussfaktoren auf die Leistung bzw. Leistungsfähigkeit

Tab. 2: Kriterienkatalog für die Beurteilung des Schülerverhaltens im Sportunterricht

Tab. 3: Beteiligte Lernstrategien am selbstgesteuerten Lernen

Tab. 4: Fragen für die Bestimmung von Leistungskriterien

Tab. 5: Zusammenfassung der Schülerpartizipation in der Bewertung und Zensierung

von Schülerleistungen

Tab. 6: Fragebogen zur selbstständigen Ermittlung der Sportstunde

Tab. 7: Selbstbewertungs-Plakat im Gerätturnen - Klassenstufe

Verzeichnis der Exkurse

Exkurs 1: Mitbestimmung der Beurteilungskriterien in der Akrobatik..

Exkurs 2: Mitbestimmung des Anforderungsniveaus im Basketball

Exkurs 3: Prüfungsstunde mit der Turn-Jury...

Exkurs 4: Mitbestimmung der Prüfkriterien für ein komplexes Spielgeschehen.

Exkurs 5: Selbstständige Bewertung des Könnens, Wissens und Handelns.

Exkurs 6: Kann-Buch...

Exkurs 7: Beobachtungsbogen für die Fremdbewertung von Schülerleistungen

Exkurs 8: Selbst- und Fremdbewertung der Schülerleistung im Gerätturnen.

Verzeichnis der Abkürzungen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

In der Schule im Allgemeinen und im Schulfach Sport im Besonderen finden Bewertungen und Zensierungen von Schülerleistungen in vielen Unterrichts-situationen statt. Sie beeinflussen damit sowohl das Lehrer/innen-Schüler/innen-Verhältnis als auch die Planung und Durchführung des Schulfaches Sport. Eigene Erfahrungen des Verfassers und verschiedene Beiträge aus sport-wissenschaftlichen Veröffentlichungen geben den Sportunterricht aus Sicht der Schülerinnen und Schüler als reinen Übungsprozess „von Note zu Note“ wieder. In der Bewertung und Zensierung von Schülerleistungen werden dabei in der Regel fremdbestimmte Normen und Maßstäbe als Grundlage der Beurteilung verwendet. Diese Bewertungskriterien werden von den Schülerinnen und Schülern meist hingenommen, aber nur selten vollständig akzeptiert oder verstanden. Durch diesen Umstand kann das vielseitige Leisten im Sportunterricht zum bloßen „Noten-Machen“ degradiert werden und das Schüler/innen/interesse am Sporttreiben sowie die damit verbundenen Sinnperspektiven können verloren gehen.

Seit vielen Jahrzehnten werden die Verbindlichkeit und der Zweck einer Notenvergabe im Schulsport aus fachdidaktischer und fachpädagogischer Sichtweise kontrovers diskutiert. Dabei stehen sowohl die Inhalte und Formen der Notenvergabe als auch die Lehrerinnen und Lehrer als Zensierende im Fokus der Debatte. Der Verfasser möchte in dieser Arbeit die Aufmerksamkeit im Bewertungs-und Zensierungsprozess auf die Schülerinnen und Schüler lenken. Kann es nicht möglich sein, dass durch die aktive Einbeziehung der Lernenden eine höhere Transparenz der Notenvergabe, eine stärkere Identifikation mit dem vermittelten Unterrichtstoff und ein Zuwachs an sozialen und kognitiven Kompetenzen einhergehen?

In der Arbeit wird einerseits auf die allgemeingültigen Zielstellungen und Bedingungen der Schülerpartizipation für die Gesamtentwicklung von Schule, Unterricht und Schulsport eingegangen. Andererseits bezieht sich der Verfasser zudem auf die damit zusammenhängenden Kompetenzen und Fähigkeiten, die als Grundlage den Lehrerinnen und Lehrern bekannt sein müssen, damit die Schülerinnen und Schüler in gleicher Weise gefordert sowie gefördert werden. Der Transfer von institutionellen und personellen Voraussetzungen in die Praxis des Sportunterrichtes wird in dieser Arbeit in einen darstellenden Theorieteil und einen konkretisierenden Übungsteil gegliedert. Nach einer hypothetischen Vorstellung der umsetzbaren Schülerpartizipationsmöglichkeiten in den Prozessen der Bewertung und Zensierung von Schülerleistungen im Schulsport werden im weiteren Verlauf vielfältige Anwendungsbeispiele aus unterschiedlichen Sportarten aufgezeigt. Inwiefern jedoch die Mitbestimmung der Schülerinnen und Schüler in der Realität des Sportunterrichtes und bei der tatsächlichen Notenvergabe Berücksichtigung findet, wird mit Hilfe einer fachaffinen sowie einer fachfremden wissenschaftlichen Erhebung näher betrachtet.1

Beim Lesen dieser Arbeit sollen die nachstehenden Fragen als Leitideen verstanden werden, welche in den einzelnen Kapiteln erörtert und im Sinne des Verfassers beantwortet werden:

- Müssen Schülerleistungen im Sportunterricht bewertet oder zensiert werden?
- Wie können Lehrerinnen und Lehrer eine „gerechte“ Notenvergabe im Sportunterricht realisieren?
- Welche Bedingungen müssen für eine Schülerpartizipation erfüllt sein?
- Was für Zielstellungen sind damit verbunden?
- Wie können konkrete Umsetzungsmöglichkeiten im Schulsport aussehen?
- In was für einem Umfang und mit welcher Absicht können Schülerinnen und Schüler in den Bewertungs- und Zensierungsprozess eingebunden werden?
- Sind das Interesse und die Akzeptanz für mit- und selbstbestimmende Unterrichtsprozesse auf Schüler/innen- und Lehrer/innen/seite vorhanden?

Um die in der folgenden Arbeit verwendeten Begriffe Bewertung und Zensierung eindeutig voneinander abzugrenzen, werden an dieser Stelle die Parallelen und Unterschiede im Sinne des Verfassers kurz vorgestellt.

Die Sportzensur (Synonym für Sportnote) setzt sich aus der sportlichen Leistung, dem individuellen Lernfortschritt und dem sportlichen Leistungsverhalten zusammen. Sie wird in einer Ziffernnote angegeben und muss in ihrer Rückmeldefunktion für Transparenz sorgen. Sie dient dem System Schule als Selektionsfunktion und gibt den Schülerinnen und Schülern eine Information über ihren aktuellen Leistungsstand beziehungsweise ihr Leistungsvermögen. Dieses wird bemessen an Kriterien und Bewertungsmaßstäben, die ihnen bekannt sein müssen und nachvollziehbar zu gestalten sind. Die Sportzensur besitzt damit Kontroll- und Steuerungsfunktion.2 Des Weiteren enthält die Ziffernnote eine bestimmte Aussagekraft über die Qualität des Unterrichtes und darin ein-geschlossen die fachlichen und pädagogischen Kompetenzen der Lehrerinnen und Lehrer.

Die Lernerfolgskontrolle ist im Bewertungs- und Zensierungsprozess verankert, da sie in einem auf die Leistung bezogenen Soll-Ist-Vergleich die gestellten Anforderungen und erreichten Ziele dokumentiert. Für die Sportlehrkräfte (und alle anderen Fachlehrerinnen und Fachlehrer) stellt die Zensur ein praktikables sowie einfach anwendbares und übersichtliches Mittel dar, um die Beurteilungen der Schülerleistungen zu kommunizieren. Die Zensierung soll dem Anspruch gerecht werden die Gesamtheit der differenzierten Beobachtungen, die pädagogischen Überlegungen sowie alle lern- und leistungsfördernden Bewertungen, die meist in besonderen Situationen ermittelt werden, auf einen Nenner zu bringen.3

Die Bewertung definiert sich nach Ansicht des Verfassers über die reine Rückmeldefunktion, die nicht unbedingt an eine Zensierung gebunden ist und deswegen in verschiedener Art und Weise im Unterricht durchgeführt werden kann. In der Arbeit wird zudem der Begriff der Beurteilung verwendet. Da die Abgrenzung zur Bewertung nicht ganz eindeutig durchzuführen ist, soll an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass der Verfasser die Beurteilung einer Schülerleistung als eher subjektive Wahrnehmung und die Bewertung einer Schülerleistung in objektivem beziehungsweise kriterien- oder normgebundenem Sinn verwendet. In psychologischer Definition ist die Bewertung ein fester Bestandteil der Informationsverarbeitung und findet in Form von Selbst- und Fremdbewertungs-prozessen statt. Die Bewertung kann sowohl unbewusst, als auch bewusst auftreten. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass in der Selbstbewertung die eigenen Kompetenzen anhand von Erfolgen und Misserfolgen intraindividuell überprüft und gemessen werden. Die Fremdbewertung beruht meist auf interindividuellen Vergleichen oder einem Vergleich anhand von fremdgesetzten Normen und Maßstäben. Im Sport erfolgen Bewertungen in Folge von erbrachten Leistungen während des gesamten Trainings- und Übungszeitraumes, im Wettkampf und natürlich gleichfalls im Sportunterricht. Im Gegensatz zur Zensierung, die durch die feste Rollenverteilung in der Unterrichtssituation der Lehrerin oder dem Lehrer zugewiesen ist, erhalten die Schülerinnen und Schüler mit dem Bewertungs- oder Beurteilungsprozess die Chance, eine qualitative Rückmeldung über ihre sportliche Leistung zu erhalten oder ihr eigenes Handeln selbst zu reflektieren.

2.1 Bildungs- und Erziehungsaspekte des Sportunterrichtes

Der Sport gilt als gleichwertiges Unterrichtsfach im Fächerkanon und trägt seinen Teil zur allumfassenden und weitgefächerten Entwicklungsaufgabe der Bildungsinstitution Schule bei. Dazu zählen die Herausbildung von übergreifenden Kompetenzen, Einstellungen und Fähigkeiten wie Kritikbereitschaft und -fähigkeit, ästhetische Gestaltungs- und Wahrnehmungsfähigkeit, ethische und politische Urteilsfähigkeit, Kooperationsfähigkeit und viele andere mehr.4 Da der

Sportunterricht ein versetzungsrelevantes, gleichberechtigtes und
ausgleichsfähiges Fach ist, wird er zu einem nicht austauschbaren und eigen-ständigen Schulbestandteil, der für alle Schülerinnen und Schüler in Deutschland verpflichtend ist. Eine Zielstellung des Faches ist die körperlich-sportliche Grundlagenbildung, welche die Schülerschaft dazu befähigen soll, das Sporttreiben unter dem Gesundheitsaspekt zu erfahren und ein lebenslanges Interesse an der sportlichen Tätigkeit zu wecken.5 Die Differenzierung der Zielstellungen wird dabei in drei Lern- beziehungsweise Kompetenzbereiche geteilt: In die motorischen, kognitiven und sozial-affektiven. Die Vermittlung von sporttheoretischen Inhalten, also dem grundlegenden Wissen über Zusammenhänge und Wirkungskreise in Bewegung, Spiel und Sport gehört ebenfalls zum Gegenstand des Sportunterrichtes und wird vielfältig in diesen eingebunden.

Die zu lehrenden Inhalte sind im Bundesland Sachsen-Anhalt mit dem ‚Könnenskonzept‘ formuliert, das durch die Entwicklung von konditionellen und koordinativen Fähigkeiten sowie der belastungswirksamen und bewegungs-intensiven Unterrichtsgestaltung charakterisiert wird. Dazu zählen (1) das „Bewegen, Spielen und Erleben“ als sportartenunspezifische Bewegungen mit entsprechendem Freiraum für die Handlungen der Schülerinnen und Schüler, (2) die Vermittlung von sportartenspezifischen oder sportartenübergreifenden technischen und taktischen Bewegungshandlungen im „Erlernen, Üben und Anwenden“, (3) die unterrichtsbegleitende „Wissensvermittlung“ sowie (4) die Darbietung von „Angeboten für das Sporttreiben in der Freizeit“, als Grundlage für die aktive Selbstgestaltung und individuelle Sozialisation der Schülerinnen und Schüler. Die mit diesen Rubriken verbundene Entwicklung der körperlichen Fertig-und Fähigkeiten6 sowie das Ermöglichen beziehungsweise Zulassen vielfältiger Erfahrungsfelder im Unterricht dient als Voraussetzung für die mehrdimensionale Sinnerschließung. Diese hebt aus Sicht des Verfassers den Schulsport, mit seinen Möglichkeiten die Schülerinnen und Schüler in verschiedenen Sinnes- und Sinnbereichen7 anzusprechen und so fast allen Lerntypen gerecht werden zu können, aus dem Fächerkanon hervor und unterstreicht damit den hohen Stellenwert des Faches Sport für die Schule.

Durch die Gestaltung des Bildungs- und Erziehungsprozesses ergeben sich im Sportunterricht verschiedene pädagogische Sinnperspektiven, welche die Ganz-heitlichkeit des Faches Sport unterstreichen und die Fülle der Erfahrungs-dimensionen zum Ausdruck bringen. Die grundlegende Perspektive ist die persönliche Verbesserung der Schülerin oder des Schülers. Die Erfahrung, die eigene Leistungsfähigkeit durch bewusstes Üben und Trainieren steigern zu können, trägt der Identitätsfindung und der Herausbildung eines positiven Selbstbildes bei. Die Schülerinnen und Schüler können ihr eigenes Leisten selbst erfahren und sind in der Lage den Leistungsprozess oder das Leistungsprodukt reflektierend zu betrachten. Anschließend lernen sie ihre Leistung im Vergleich zu Mitschülern oder selbstgewählten Zielen einzuschätzen. Die damit verbundene Entwicklung und Förderung der sportlichen Handlungsfähigkeit muss mit der Komponente der ästhetischen Leistung verbunden werden. Die Wahr-nehmungsfähigkeit der Lernenden wird in vielen Bereichen verbessert und die Bewegungserfahrungen werden im Sportunterricht erweitert. Die Schülerinnen und Schüler lernen sich körperlich auszudrücken sowie ihre Bewegungen zu gestalten. Die erlebte Originalität von Bewegungen und das bewusste Gestalten von Choreographien oder Phantasieübungen erweitern den Horizont der individuellen Körpererfahrungen.8 Das Sozialverhalten wird durch die Mitgestaltung des Unterrichtes sowie durch das Helfen und sich helfen lassen in sehr unterschiedlicher Weise angesprochen. Die Lernenden erleben das Wagnis bei gleichzeitiger Verantwortungsübernahme und sind dazu angehalten im Unterrichtsgeschehen miteinander zu kooperieren, sich zu verständigen und sich dem Vergleich in Wettkämpfen zu stellen. Die richtige Dosierung von Belastungen und der sichere Umgang mit Sportgeräten und sportbezogenen Unterrichtsmethoden dienen der Herausbildung des Gesundheitsbewusstseins und sollen den Schülerinnen und Schülern die Gefahr von Verletzungen und möglichen Schäden des menschlichen Organismus verdeutlichen.9 Diese Sinnperspektiven müssen als Schlüssel für ein lebenslanges Sporttreiben verstanden und dementsprechend im Sportunterricht behandelt und thematisiert werden.

Als didaktischer Grundsatz versteht es sich, unterschiedliche integrative und kooperative Unterrichtskonzepte mit der Ausrichtung an Interessen und Neigungen der Schülerinnen und Schüler sinnvoll und zielorientiert einzusetzen. Neben der vordergründigen sportlichen Handlung rücken zusehends die Beachtung sowie Förderung von individuellen Fähigkeiten und von sozialen Handlungskompetenzen der Schülerinnen und Schüler als Gegenstand des Unterrichtes in das Blickfeld der Lehrerinnen und Lehrer. Das Prinzip der Differenzierung und die Praktizierung offener Unterrichtsformen soll so den Zugang zu allen Leistungsträgern/ebenen auf der Schülerseite - den Schwächeren und Stärkeren - in gleichem Maße ermöglichen. Durch die Individualisierung der Aufgabenstellungen in Ziel- und Inhaltsformulierung sowie die Variierung der Methoden und Sozialformen kann jeder Schülerin und jedem Schüler das Erfahren von Erfolgserlebnissen durch individuelle Lern- und Leistungszuwächse gegeben werden. Hinter dieser einfach geschriebenen Formulierung verbirgt sich ein enormer planerischer, methodischer und didaktischer Aufwand, der jeder Lehrerin und jedem Lehrer, der diese Ansprüche an seinen eigenen Unterricht stellen will und muss, bewusst sein sollte. Als immanent wichtiger Grundsatz ist die gemeinsame Unterrichtsgestaltung in den Rahmenrichtlinien Sachsen-Anhalts verankert. Die Schülerpartizipation in den Bereichen der Unterrichtsplanung, -organisation und -durchführung führt zu einer Öffnung des Sportunterrichtes und räumt damit den Kindern und Jugendlichen die Chance ein, gleichberechtigt, aktiv und selbstständig am eigenen Lern- und Leistungsprozess teilzuhaben. Nähere Ziele und Möglichkeiten der Einbeziehung von Schülerinnen und Schülern im Sportunterricht werden in Kapitel 4 (S. 33) formuliert.

Der Schulsport eröffnet den Schülerinnen und Schülern Erfahrungsbereiche, die in dieser spezifischen Kombination nur diesem Fach originär zukommen und in ihrer Bedeutung weit über den Schulunterricht hinausgehen.10 Neben den motorischen Anforderungen an die Schülerinnen und Schüler werden in gleicher Weise das soziale Verhalten, der Einsatzwille, die Mitarbeit, die Bereitschaft und der persönliche Fortschritt in die Zielstellung des Unterrichtes eingebunden.11 Die Verzahnung der inhaltlich sehr unterschiedlichen Lehr- und Lernbereiche dient dem Fach Sport als Alleinstellungsmerkmal und verdeutlicht das Potential des Sportunterrichtes in der Ganzheitlichkeit der Schülerentwicklung in besonderer Weise. Gleichzeitig steigen durch die Gleichberechtigung des Faches die Erwartungen an „Gerechtigkeit“ und „Angemessenheit“ der Sportnote im schulischen Karriereprozess auf der Schüler- und Elternseite. Die speziellen Schwierigkeiten bei der Leistungsbewertung und der Zensierung werden dabei oft nicht verstanden, obwohl das Ergebnis keine eindeutige Lösung auf einem Aufgabenblatt sein kann, sondern vielmehr ein komplexer Übungsweg mit verschiedenen und oft nicht greifbaren Lernfacetten ist.12 Ein richtiges oder falsches Ergebnis im Sinne einer mathematischen Formel kann es demzufolge nicht geben.

2.2 Relevanz der Notengebung für das Fach Sport

Im Fach Sport wird durch die Lehrerin oder den Lehrer eine versetzungs-wirksame Sportnote vergeben, deren Grundlage in der Bewertung und Benotung des Leistungs- und Lernverhaltens der Schülerinnen und Schüler beruht. Um Fortschritte in den Lernprozessen zu verdeutlichen, müssen schulsportliche Leistungen13 durch Lernkontrollen in temporären Abschnitten überprüft werden. In der Praxis werden die Leistungsermittlungen - hier im Sinne von abschließenden Zensierungen - sehr oft durch den Takt der behandelten Inhalte bestimmt und stehen demzufolge am Ende der entsprechenden Lernintervalle. Die Ziffer der Note gibt Auskunft über die Nicht- oder Bewältigung der Unterrichtsanforderungen.14 Inwiefern diese Funktion vollständig erfüllt wird und ob diese Form der Rückmeldung allen Schülerinnen und Schülern, Unterrichtssituationen und fachlichen Inhalten gerecht werden kann, soll an späterer Stelle geklärt werden. Die Zeugnisnote setzt sich aus den jeweiligen Stoffgebietsnoten zusammen, die in gleicher Wichtung in die Halbjahres- oder Endnote eingehen. Richtlinien und Grundsätze der Leistungsbewertung werden durch Erlasse, Verordnungen und das Schulgesetz der jeweiligen Bundesländer reguliert. Die im Sportunterricht angewendeten Maßstäbe und Normen sind meist fremdbestimmt und beruhen nur selten auf Schüler/innen-Lehrer/innen-Vereinbarungen. Die Notenvergabe fungiert in aller Regel als Instrument für die Erfüllung der allgemeinen Schulfunktionen und wird auf diese Weise in ihrem Zweck stark eingebunden. Unter den schulischen Funktionen der Zensierung sind Prozesse der Sozialisation, der Qualifizierung, der Personalisation15 und der Selektion zu verstehen. Diese sind allgemeingültige Aufgaben der Bildungsinstitution, die dadurch ihren Teil an der Durchführung und der Gewährleistung des gesamtgesellschaftlichen Zugangs- und Berechtigungssystems beitragen.16 Der darin enthaltene Dualismus und Widerspruch als Motivations- beziehungsweise Selektionsmittel ist bekannt; für Lehrerinnen und Lehrer an den Regelschulen Deutschlands aber unumgänglich. Die Sportnote dient der Gleichstellung des Unterrichtes im Fächerkanon und ist Informationsquelle beziehungsweise -vermittler für verschiedene Adressaten. Zum einen für die Schülerin oder den Schüler selbst, für die Eltern und aufnehmenden Institutionen sowie zum anderen für die Lehrerin oder den Lehrer, der dadurch die Möglichkeit erhält seinen Unterricht einzuschätzen und die Effektivität und Erreichung seiner Ziele zu überprüfen.17 Die Zensur gibt den Schülerinnen und Schülern eine Rückmeldung über die im Sport erbrachten Leistungen. Allerdings darf diese Form der Bewertung nicht überstrapaziert werden, sondern ist in der richtigen Auswahl und unter repräsentativen Gesichtspunkten im Jahresverlauf durchzuführen. Sinnvolle Kontrollen durch aussagekräftige Schwerpunkte können das pure „Notenmachen-Müssen“ entzerren.18 Dies soll nicht bedeuten, dass die Lehrenden oder Lernenden nicht auch in anderer Weise effektive, situative und eindeutige Anregungen und Stellungnahmen zu ihren erbrachten Leistungen erfahren sollten. Die pädagogische Rückmeldefunktion muss zudem auf einer sorgfältigen Dokumentierung basieren, um die bloße Bekanntgabe der Ziffer mit einem Worturteil begründen zu können.

Die Notwendigkeit der Notengebung wird im Fach Sport seit vielen Jahrzehnten kontrovers diskutiert. Neben der im vorigen Abschnitt dargestellten Dualität zwischen Selektions- und Motivationsfunktion der Zensur verstärkt die Tatsache, dass sportliche Leistungen von den physiologischen Voraussetzungen der Schülerinnen und Schüler im Sport in besonderer Weise abhängig sind, die empfundene „Ungerechtigkeit“ der Zensierung im Fach Sport. Diese individuellen Grundvoraussetzungen sind zum größten Teil genetisch determiniert und können nur in einer relativ engen Bandbreite verändert werden. Da die Schulzuweisungen und Bildungsempfehlungen nach Abschluss der vierten Klasse die Sportnote der Schülerinnen und Schüler nicht berücksichtigen, ergeben sich für das Schulfach in der Sekundarstufe I sehr große Leistungsunterschiede, die in den anderen Fächern durch die Selektion abgeschwächt werden. Ob diese Praxis des aktuellen Regelschulsystems den heutigen gesellschaftlichen und bildungspolitischen Ansprüchen genügt, kann und soll an dieser Stelle nicht weiter diskutiert werden.

Dass jedoch eine Homogenisierung der Klassen im Bereich der sportlichen Leistungsfähigkeit den Bildungszielen des Faches zuträglich sei oder die Notengebung vereinfachen würde, möchte der Verfasser sehr stark anzweifeln. Heterogenität ist in allen Lebensbereichen gegeben und muss in positivem Sinn als Chance gesehen und für alle Bereiche des Unterrichtes genutzt werden. Als weiteres Gegenargument wird die Gefahr des Schulversagens angeführt. Dieser Sachverhalt ist vor allem auf leistungsschwächere Schülerinnen und Schüler zutreffend, da sie durch häufige Misserfolgserlebnisse dauerhaft demotiviert werden können. In diesem Zusammenhang wäre die Sinnperspektive, den Schülerinnen und Schülern ein Interesse und die Motivation für das lebenslange Sporttreiben zu geben, sehr stark gefährdet. Die Motive des Miteinanders, der Körpererfahrung und des Erlebnisses würden durch das Leistungsmotiv überblendet werden. Des Weiteren können die punktuellen Prüfungen und der von den Schülerinnen und Schülern sehr unterschiedlich empfundene Druck zu einer Lern- und Leistungshemmung führen. Soziale Integration und Anteilnahme würden dadurch von Missgunst und Konkurrenzgedanken zusehends verdrängt.19 Leistungsstärkere Schülerinnen und Schüler können hingegen dazu neigen, die Leistungen nur um „der Noten willen abzulegen“ und stehen dabei den eigentlichen Bildungs- und Inhaltszielen gleichgültig gegenüber. In der Literatur wird die Notengebung unter anderem als veraltete Form der Leistungsbewertung angesehen, da sie in der Praxis sehr oft durch normorientierte und fremdgesetzte Maßstäben ermittelt und damit der Individualität der Schülerinnen und Schüler nicht gerecht wird. Einige Autoren sprechen sogar von einer Überflüssigkeit der Sportnote, da der Lernende genügend unmittelbare Rückmeldungen durch das eigentliche Gelingen oder Misslingen von Aufgaben und über den Vergleich von Messwerten erhält.20 Befürworter äußern sich dahingehend, dass der Vergleich ein menschliches „Urbedürfnis“ ist und dass die Lernenden durch diese Art der Leistungsrückmeldung informiert und aktiviert werden. Durch die Verkörperung des gegenwärtigen Könnens- und Leistungsstandes soll die Zensur genutzt werden, um antriebsschwache und orientierungslose Schülerinnen und Schüler zu motivieren.21 Diese beispielhaft ausgewählten Pro- und Contra-Argumente verdeutlichen die gegensätzlichen Meinungen und geben das Dilemma der Notenvergabe in der

Praxis des Sportunterrichtes wieder. Dieser Konflikt zwischen pädagogischer Förderung und der institutionellen Selektion ist möglicherweise ein Grund für das Phänomen, dass im Fach Sport fast ausschließlich die Noten gut beziehungsweise befriedigend und die Note ausreichend nur selten vergeben werden (siehe Abb. 1). In einer im Jahr 2006 durchgeführten Studie des Deutschen Sportbundes zur aktuellen Situation des Sportunterrichtes an deutschen Schulen wurde festgestellt, dass die Schülerinnen und Schüler im Schnitt mit 0,75 Notenpunkten besser als in anderen Fächern benotet werden. Die Note ausreichend wird in der Erhebung mit lediglich 4%, die Noten mangelhaft und ungenügend werden mit weniger als 1% angegeben.22 Daraus ergibt sich jedoch das Problem, dass die ausgesprochen differenziert auftretenden Schülerleistungen auf einer sehr kleinen Notenskala deutlich an Aussagekraft verlieren.23

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Erhaltene Schulnoten im Sportunterricht (differenziert nach Klassenstufe und

Geschlecht)

(Quelle: DSB-SRINT-Studie, 2006)

Auch wenn oder gerade weil die Notengebung durch die schulrechtlichen Bestimmungen festgelegt wird, ist eine Abschaffung nach Ansicht des Verfassers abzulehnen, da die damit verbundene Sonderstellung des Sportunterrichtes im Fächerkanon zu Veränderungen im Schüler/innenverhalten führen und sich die Eigenständigkeit des Faches auflösen könnte. Vielmehr sollten die Nachteile einer einseitigen Benotungspraxis erkannt, akzeptiert und für eine positive Veränderung genutzt werden. Wie die Notengebung im Sportunterricht für die Lehrenden an den Schulen eventuell optimiert und für die Schülerinnen und Schüler nachvollziehbarer sowie individueller gestaltet werden kann, soll unter Absatz 3.3 (S. 27) theoretisch umrissen werden.

2.3 Leistungsnote oder pädagogische Sportnote

Die herausgestellte Doppelfunktion der Sportnote im Sinn der individuellen Förderung und ihrer gleichzeitigen Nutzung als Instrument der Auslese spiegelt sich in den Begriffen Leistungsnote und pädagogische Sportnote wider. Erstere versteht sich als reines Abbild der meist gemessenen und auf motorisch-sportlichen Fertig-und Fähigkeiten reduzierte Leistungen. Der zweite Begriff verschiebt dieses sehr einseitige Bewertungsspektrum auf eine mehr ganzheitliche Betrachtung der Schülerleistungen im Sportunterricht. Eine einseitig orientierte Bewertung oder Beurteilung ist für die Schülerinnen und Schüler nicht transparent und beeinträchtigt beziehungsweise verhindert die Entwicklung der persönlichen Selbsteinschätzung und -bewertung. Sie kann nach Ansicht des Verfassers im Extremfall sogar zum „Ausschluss“ ganzer Schülergruppen führen und steht der Mehrzahl der pädagogischen Sinnperspektiven störend gegenüber. Als pädagogischer Grundsatz muss die Unterschiedlichkeit der Lernenden akzeptiert werden und im Sinne einer individuellen Bewertungs- und Benotungspraxis im Sportunterricht Einzug halten. Bereits im Lehrplan von 1937 war in den „Richtlinien für die Leibeserziehung in Jungschulen“ die Bewertung von sportlicher Leistung fest verankert. Die „Allgemeine körperliche Leistungsfähigkeit“ wurde infolge der Benotung einzelner Sportarten als „Gesamteindruck der körperlichen Eignung und Leistungsfähigkeit“ erfasst; zusätzlich wurde eine „Beurteilung der Persönlichkeit“ schriftlich festgehalten. Für die Einteilung der Noten bestanden neun Wertungsstufen, die sich an den Schwierigkeitsgraden der betreffenden Leistung oder Übung orientierten. Die Beurteilung des Charakters wurde mit Hilfe von zehn Fragen vorgegeben. Auszugsweise seien hier einige Inhalte genannt: Freude am Sport? Abneigung gegen Anstrengungen? Haltung und Disziplin? Ausdauer und Härte gegen sich selbst? Beherrscht und ritterlich im Spiel? Selbstständig und verantwortungsbewusst? Mit Sicherheit ist diese Art eines Beurteilungsverfahrens diskussionswürdig und im geschichtlichen Kontext sehr kritisch zu betrachten. Die Abhängigkeit zum vorherrschenden gesellschaftlichen, politischen sowie schichtspezifischen Normen- und Wertesystem spiegelt sich immer in den Bereichen Schule und Bildung wider. Der Verfasser distanziert sich eindeutig von der damaligen Staatsform und ihren politischen Ideologien und Zielen. Das aufgeführte Beispiel soll an dieser Stelle nur die ersten Bemühungen der „Pädagogisierung“ der Sportnote durch die weiterführenden Beurteilungskriterien aufzeigen. Anschluss an diese Entwicklung nimmt das im Jahr 1951 erschienene Buch „Die Leibesübungen pädagogisch gewertet24, in welchem die Objektivierung der Prüfungsanforderungen zur Gleichbehandlung aller Schülerinnen und Schüler gefordert wird. Die Pädagogisierung der Sportnote soll durch eine Relativierung im Hinblick auf körperliche Voraussetzungen und Formen der Mitbewertung des Schüler/innen/verhaltens vorangetrieben werden.25 In Analogie zur aufgeführten Charakterbeurteilung werden in einer Lehrplanfassung von 1980 Bewertungskriterien für das Schülerverhalten angegeben, die als pädagogisches Benotungsinstrument genutzt werden können.26 Darunter zählen neben der regelmäßigen Teilnahme am Sportunterricht und der Vollständigkeit der Sportbekleidung, die Mitarbeit, die Ausdauer beim Lernen und Üben, die Rücksichtnahme und Hilfsbereitschaft sowie die Zusammenarbeit von Jungen und Mädchen, das selbstständige Erarbeiten von Aufgaben, das gegenseitig Anregungen geben und das Kritik üben.27

Die Komplexität der Notengebung kann nicht durch eine Leistungsnote wiedergegeben werden, sondern muss durch das Heranziehen von leistungsbegleitenden Umständen und Verhaltensweisen an die Individualität der Schülerinnen und Schüler angepasst werden28, so dass die Sinnperspektiven des Sportunterrichtes nach Ansicht des Verfassers in nahezu gleicher Weise Beachtung finden. Der Wandel der in den Rahmenrichtlinien und Lehrplänen verankerten Bildungsziele - weg von der puren Wissens- und Könnensvermittlung in den eigenständigen spezialisierten Fachbereichen, hin zu einer fächerübergreifenden Kompetenzentwicklung der Schülerinnen und Schüler - sollte nach Ansicht des Verfassers für den Sport als richtungsweisende Maßgabe zählen.

3 Gegenstand der Zensierung und Bewertung im Sportunterricht

Der Sportlehrer ist durch seinen fachlichen Auftrag dazu verpflichtet, die Note anhand von objektiven Leistungsermittlungen und einer verantwortungsvollen subjektiven Entscheidung festzulegen.29 Die Zensierung fasst somit die Prozesse des Leistens im Sinne von Üben und Trainieren sowie das Leistungsprodukt in einer Note zusammen. Bereits im Jahr 1952 wurde in der damaligen Bundesrepublik Deutschland ein Beschluss der Kultusministerkonferenz (folgend KMK) zur „Wertung der Leibesübungen in der Schule“ gefasst. Dieser sah vor, dass sich Beurteilungen im Schulsport auf drei Bereiche stützen sollten. Dazu zählten die sportlichen Leistungen an sich, die individuellen Leistungsvoraussetzungen sowie der Leistungswille und das Verhalten der Schülerinnen und Schüler. Gleichwohl wurde zur Wichtung der einzelnen Teilwertungsbereiche für die Gesamtnotenbildung von der KMK keine Angabe gemacht. Wie diese Bezugsebenen untereinander abgegrenzt und zueinander in Beziehung gesetzt werden, soll in diesem Kapitel Gegenstand der Arbeit werden.

3.1 Definition von Leisten und Leistung im Sportunterricht

Als pädagogische Perspektive des Sportunterrichtes wird das „Leisten erfahren, verstehen und reflektieren“ von verschiedenen Autoren angeführt und demzufolge zum Vermittlungsgegenstand des Schulfaches mit zentraler Bedeutung. Das Leisten und die Leistung gehören zur Faszination des Sports und sollen dem Athleten Erlebnis und Selbstbestätigung ermöglichen. Transferiert auf den Schulsport soll den Schülerinnen und Schüler demnach die Einsicht vermittelt werden, dass sie auf ihren Körper und die damit verbundenen physischen und psychischen Entwicklungen direkt Einfluss nehmen können.30 Der Begriff „Leisten“ beschreibt einen Prozess, der sich im Sport durch eine zielgerichtete Handlung oder genauer gesagt durch zielgerichtetes Üben und Trainieren mit der Ausrichtung auf eine Niveausteigerung zeigt. Das Bewegungshandeln erkundet im Rahmen der individuellen Voraussetzungen und situativen Bedingungen die eigenen Grenzen der Handlungsmöglichkeiten und überschreitet diese gegebenenfalls.31 Angeschlossen wird die Formulierung der „Leistung“, die das Handlungsziel beziehungsweise Ergebnis der vorangestellten Entwicklung darstellt. Für die

Schülerinnen und Schüler ergeben sich demzufolge neben dem reinen Erfahren von motorisch-sportlichen Endleistungen auch kollektive Lern- und Leistungsfortschritte, welche die individuelle Entwicklung berücksichtigen.32 Der Fachausdruck der Leistung wird in neueren pädagogischen Arbeiten als Überbegriff für eine Vielzahl von

Kompetenzen ange-
sehen, die nicht mehr einseitig auf das sportliche Können ausgerichtet sind.

Darunter zählen in naher Übereinstimmung zu den

Sinnperspektiven des
Sportunterrichtes: (1) der kreative Umgang mit

Sport sowie die

Angstbewältigung und

Risikoabschätzung als psychische und soziale Selbstkompetenz, (2) die Sozialkompetenz mit dem Schutz der leistungsschwächeren Schülerinnen und Schüler unter Einsatz von individuellen Normen, (3) die Möglichkeit zur Dokumentation der individuellen Leistungssteigerung sowie die Reflektion über Lehr- und Lernwege in Form der Methodenkompetenz und (4) die Sachkompetenz unter Berücksichtigung der theoretischen und praktischen Lehrinhalte (siehe Abb. 2).33

Eine sportliche Leistung setzt motorische Fertigkeiten und Fähigkeiten als Grundlage voraus. Sie wird charakterisiert durch Kenntnisse über Voraussetzungen und Folgen von Bewegungshandlungen, um diese effektiv und situationsgerecht nutzen zu können. Die Leistung im Sportunterricht ist deutlich von den Leistungs-prinzipien des institutionalisierten, normengebundenen Sportes außerhalb der Schule abzugrenzen. Sie umfasst neben den motorischen, kognitiven und sozialen

Dimensionen eine Beziehung zum schulischen Kontext, indem die subjektiven Leistungserfahrungen im Sinne einer Entwicklungsförderung pädagogisch gefiltert werden.

Genau an diesem Punkt ergeben sich für die Lehrerinnen und Lehrer oft schwerwiegende Probleme, da die Zensierung von sportlichen Handlungen immer anhand von Gütemaßstäben oder bestimmten Kriterien vollzogen werden muss. In der Praxis weichen aber der Grad und die Qualität der Bewegungsausführungen sowie die Zielerfüllung unter den Schülerinnen und Schülern sehr stark voneinander ab. Die Bewertungen und Zensierungen sollten im Sinne der Leistungsnote möglichst objektiv und allgemeingültig gefasst sein und in der Auslegung der pädagogischen Sportnote eine möglichst individualisierte Wertung, aber nicht subjektive Beurteilung mit einbeziehen. Um eine einseitige Durchführung des Rückmeldungsprozesses von vornherein auszuschließen, sollten die jederzeit gegebenen Bewertungen der sportlichen Handlung entweder an selbstgesetzten Ansprüchen oder den individuellen Zielsetzungen der Schülerinnen und Schüler bemessen werden. Dass dafür besondere Kompetenzen seitens der Lehrkräfte und Schülerschaft vorhanden sein müssen, wird in Kapitel 4 (S. 33) eingehend erläutert.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Im Prozess des Unterrichtens sind Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer sowie der zu vermittelnde Inhalt die maßgebenden und sich gegenseitig bedingenden Faktoren. Sollen die
Leistungskriterien dieses Wirkungsdreieck und das in der Leistung erbrachte Ergebnis beurteilen werden, so müssen neben der sachlichen, die prozessual-soziale und die individuelle Bezugsebene in gleichem Maße herangezogen werden. Die Anforderungs-

Abb. 3: Didaktisches Dreieck (Quelle: eigene Bearbeitung, nach Scherler 2004) struktur einer sportlichen Aufgabe bezieht sich dabei auf die objektive und die Bewältigungsstruktur auf die subjektive Seite des Unterrichtes.34 Leistungsthematische Situationen im Sportunterricht führen immer wieder zu einer Polarisierung zwischen „Leistungswollen und Leistungssollen, Können und Nichtkönnen, Gewinnen und Verlieren, Erfolg und Misserfolg, Anerkennung und

Kritik.35 Dies kann an folgendem Beispiel verdeutlicht werden. Wenn eine Schülerin oder ein Schüler eine bestimmte Aufgabe bewältigen kann und dies auch aus der eigenen Motivation heraus möchte, so wird die Herausforderung angenommen und optimalerweise erfolgreich bewältigt. Die gleiche Situation kann aber bei einer Mitschülerin oder einem Mitschüler aus Angst vor Misserfolg oder Bloßstellung zur Verweigerung führen, auch wenn die körperlichen Fähigkeiten zur Bewältigung der Anforderung vorhanden sind. Hier wird deutlich, dass der Leistungsbegriff für den Sport an personelle Voraussetzungen und situative Faktoren gebunden ist.

3.2 Bezugsebenen der Bewertung und Zensierung

Um ein Gleichgewicht zwischen der Leistungsnote und der pädagogischen Sportnote herzustellen beziehungsweise aufrecht zu erhalten, wird die Bewertung und Zensierung der Schülerleistung sowie das Leisten der Schülerinnen und Schüler auf verschiedenen Bezugsebenen realisiert (siehe Abb. 4, S. 18). In den folgenden drei Punkten werden die sachbezogene, die individuelle und die prozessual-soziale Ebene näher betrachtet und im abschließenden Absatz 3.3 (S. 27) werden diese in ihrem Zusammenwirken für die Bewertung und Notengebung kritisch diskutiert.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 4: Bezugsebenen der Bewertung und Zensierung im Sportunterricht

(Quelle: eigene Bearbeitung, nach Creutzberg et al. 1996 & Lenz / Zeuner 1994)

3.2.1 Absolute und relative sportliche Leistung

Das Leisten als Prozess der qualitativen und quantitativen Verbesserung kann ohne eine Orientierung an Gütemaßstäben, Bezugsnormen oder inhaltlichen Kriterien nicht zielgerichtet und planmäßig erfolgen. In der Praxis werden Leistungsstand-Vergleiche angestrebt, durch die es möglich ist, den Fortschritt oder die Stagnation der individuellen Leistungsfähigkeit einzuordnen. Dies geschieht entweder in Form der sozialen Bezugsnorm, die sich aus dem Vergleich zwischen verschiedenen Individuen ergibt oder mittels der individuellen Bezugsnorm, die den aktuellen Leistungsstand mit früheren Ergebnissen vergleicht. Die Veränderung des Leistungsstandes, in positivem und negativem Sinne, wird zur besseren Nachvollziehbarkeit und zum allgemeinen Verständnis an sportartenspezifische Gütemaßstäbe gebunden. Diese werden in Wettkampfregeln und offiziellen Vereinbarungen festgehalten. Allgemein lassen sich folgende, allgemeinhin gültige Leistungsziele in Abhängigkeit zur Spielidee oder Sportart anführen: Zeitminimierung, Distanz- und Treffermaximierung, Gestaltoptimierung, Positionserzwingung und Lastmaximierung. Diese Kriterien bieten gleichermaßen ein verankertes Orientierungsmaß im Sportunterricht, sowohl für die Schülerinnen und Schüler als auch für die Lehrkräfte. Sie können im direkten

Unterrichtsgeschehen selbst- oder fremdgesetzt sein und orientieren sich demnach an subjektiven oder objektiven Standards.36 Die Objektivierung von Standards ermöglicht einen direkten Vergleich von Schülerleistungen und folgt damit der Selektionsfunktion der Schule. Das Erfassen des aktuellen Könnens-Standes findet in den objektiv messbaren Sportarten und -disziplinen sowie bei der Bewertung der konditionellen und koordinativen Fähigkeiten mit Hilfe von vorher festgelegten Kriterien statt. In technisch-kompositorischen oder Spielsportarten kann eine Leistungsbewertung durch die intersubjektive Leistungseinschätzung nach vorgegeben qualitativen aber auch quantitativen Kriterien erfolgen.37 Dabei werden Prüfungen mit möglichst klaren Bewegungsvorschriften versehen oder einzelne technische Elemente werden von der Gesamtbewegung oder dem eigentlichen Spielgeschehen isoliert geprüft.38 Dadurch wird es vor allem in Sportspielarten möglich, sehr schnell aufeinanderfolgende und unübersichtliche
sportartenspezifische Fertigkeiten und Fähigkeiten zu erfassen und anschließend zu bewerten.

Die quantitative Form der Bewertung und Zensierung ist meist in den so-genannten cgs-Sportarten39 wiederzufinden. Dazu gehören alle Sportarten in denen die Leistungen durch die Messbarkeit von Weite/Distanz, Gewicht oder Zeit eindeutig zu definieren sind. Neben den leichtathletischen Disziplinen zählen darunter das Schwimmen und die Wintersportarten. Anzumerken sei hierbei, dass die individuelle Leistungsentwicklung der Schülerinnen und Schüler einen qualitativ höheren Wert erzielen kann, wenn subjektiv orientierte „Standards“ als Bewertungsgrundlage verwendet werden. Der individuell und subjektiv erfahrene Lernprozess lässt sich im Folgenden von den Lernenden besser nachvollziehen und trägt der sportartenspezifischen und allgemeinen Entwicklungsförderung bei.

Norm- oder Wertetabellen sind in hoher Zahl vorhanden und werden den Lehrerinnen und Lehrern in unterschiedlichsten Formen zugänglich gemacht. In regelmäßigen Abständen erscheinen durch die Ministerien für Kultus und Bildung „Handreichungen“ bezüglich der Leistungsermittlung im Sportunterricht. Diese sind in die entsprechenden lehrplanrelevanten Inhalte unterteilt und stellen Möglichkeiten dar, die Schülerleistungen zu bewerten und zu benoten.

[...]


1 Diese Studien werden zitiert und sind nicht vom Verfasser erhoben.

2 Vgl. Miethling, 1997

3 Vgl. Landesinstitut für Schule und Weiterbildung, Werkstattbericht 5, 1999

4 Vgl. Kolb / Siegmon, 1997

5 Vgl. Rahmenrichtlinien Sachsen-Anhalt, 2003

6 Die körperlichen Fertigkeiten sind definiert als Gegenstand der Bewegungsbildung und dienen als Mittel zur Entwicklung von Fähigkeiten. Diese körperlichen Fähigkeiten sind Gegenstand der Körperbildung und ihrerseits Voraussetzung für die Bewältigung von Fertigkeiten und das Erbringen von sportlicher Leistung. (nach Söll / Kern, 1999)

7 Mit dem Begriff der Sinnesbereiche sind an dieser Stelle die Wahrnehmungsbereiche des menschlichen Körpers zusammengefasst. Durch sie ist es möglich verschiedenste Informationen als Reize unvermittelt aufzunehmen und über die Nervenfasern im Gehirn als Wahrnehmung zu verarbeiten. Dazu gehören das optische, auditive, taktile, kinästhetische und vestibuläre System. Ausgenommen sind dabei Geschmacks- und Geruchsinn, die im Sport eine nicht vordergründige Relevanz besitzen (nach Zimmer, 1995). Mit dem Begriff der Sinnbereiche sind die Perspektiven und Zielsetzungen des Unterrichtsfaches Sport gleichgesetzt.

8 Vgl. Glas, 2002

9 Vgl. Aschebrock / Pack, 2004

10 Vgl. Erdmann, 1993

11 Vgl. Gerike, 1996

12 Vgl. Tillman, 2001

13 Die Begriff Leistung und Leisten im schulsportlichen Sinn werden in dieser Arbeit unter Absatz 3.1 (S. 14) eingehend erläutert.

14 Vgl. Aschebrock / Pasch, 2004

15 Personalisation ist ein Begriff aus der Soziologie und umfasst den Prozess der Entwicklung der individuellen Persönlichkeit.

16 Vgl. Creutzberg et al., 1996

17 Vgl. Volkamer, 1978

18 Vgl. Gerike, 1996

19 Vgl. Miethling, 1997

20 Vgl. Söll / Kern, 1999

21 Vgl. Lenz / Zeuner, 1994

22 Vgl. DSB-SPRINT-Studie, 2006

23 Vgl. Volkamer, 1997

24 Vgl, Schöning, 1951

25 Vgl. Söll, 1998

26 In welchem Bundesland dieser Lehrplaninhalt festgehalten wurde, ist dem Verfasser leider nicht bekannt.

27 Vgl. Söll / Kern, 1999

28 Vgl. Lenz / Zeuner, 1994

29 Vgl. Thüringer Institut für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien, 1997

30 Vgl. Lenz / Zeuner, 1994

31 Vgl. Funke-Wieneke, 2003

32 Vgl. Creutzberg et al., 1996

33 Vgl. Almreiter, 2008

34 Vgl. Creutzberg et al., 1996

35 Aschebrock / Pack, 2004, S. 9

36 Vgl. Aschebrock / Pack, 2004

37 Vgl. Rahmenrichtlinien Sachsen-Anhalt, 2003

38 Vgl. Gärtner, 1992

39 cgs-Sportarten = Zentimeter (c), Gramm (g), Sekunde (s)

Ende der Leseprobe aus 108 Seiten

Details

Titel
Möglichkeiten der Einbeziehung von Schülerinnen und Schülern in die Bewertung und Zensierung von Schülerleistungen im Sportunterricht
Hochschule
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Note
1,5
Autor
Jahr
2009
Seiten
108
Katalognummer
V130725
ISBN (eBook)
9783640361250
ISBN (Buch)
9783656567882
Dateigröße
8203 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Möglichkeiten, Einbeziehung, Schülerinnen, Schülern, Bewertung, Zensierung, Schülerleistungen, Sportunterricht
Arbeit zitieren
Paul Döring (Autor:in), 2009, Möglichkeiten der Einbeziehung von Schülerinnen und Schülern in die Bewertung und Zensierung von Schülerleistungen im Sportunterricht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/130725

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