Die Frage nach einem Realismus in der Kunst wird in dieser Arbeit konkret auf die zeitgenössische Kunst bezogen. Differenziert sich diese zu sehr durch eine der Wirklichkeit gegenüberstehende Autonomie oder kann eine zeitgenössische Kunst realistisch und weltverbunden sein? Ist eine, wie im Beispiel der Aufnahme des Schwarzen Lochs vorgestellte, erweiterte bzw. veränderte Welterfahrung möglich?
Als Grundlage dieser Arbeit dient Wolfgang Welschs Theorie einer in Wirklichkeit verwickelten Kunst, die sich mithilfe des Einflusses der philosophischen Wahrnehmungsentwicklung begründet. Er sieht eine Verschiebung des Weltbildes von einem neuzeitlichen und modernen Dualismus zwischen Welt und Mensch zu einer evolutionstheoretisch begründeten Weltverbundenheit des Menschen als Anlass, diese Entwicklung auch auf das Verhältnis von Kunst und Wirklichkeit anzuwenden.
Am 10.04.2019 wird die erste Aufnahme und damit der erste visuelle Nachweis eines Schwarzen Lochs veröffentlicht. Es zeigt ein Radiobild des Ereignishorizontes eines Schwarzen Lochs, da es selbst kein Licht sendet und dementsprechend für uns nicht sichtbar ist. Dieser Ereignishorizont ist eine Grenze, hinter welcher alles Material verschwindet. Auf dessen spiralförmigen Kurven wird das Material um das Loch beschleunigt und aufgeheizt. Bei diesem Vorgang werden elektromagnetische Wellen abgegeben, die im Radiobereich von Teleskopen empfangen werden können. Diese Radiowellen sind nicht für das menschliche Auge sichtbar, weshalb die Daten für die Form eines Bildes aufbereitet werden müssen. Die rötliche Einfärbung wird dabei künstlich erzeugt und gibt die jeweiligen Intensitäten der elektromagnetischen Strahlung wieder.
Dennoch hat die Aufnahme den Anspruch, die Realität zu zeigen. Sie soll wissenschaftliche Forschung, die für einen Menschen kaum vorstellbar ist, wahrnehmbar machen. Es stellt sich damit in diesem Fall die Frage, inwiefern die fiktive Farbgebung problematisch für eine realistische Darstellung sein kann und weiterführend, ob es überhaupt eine realistische Wahrnehmung gibt.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Zur philosophischen Wahrnehmungsentwicklung
- Aristoteles weltrichtige Wahrnehmung
- Anthropozentrischer Dualismus
- Wiederherstellung eines wirklichkeitsverbundenen Weltbilds
- Sekundäre Qualitäten
- Kulturelle Wahrnehmung
- Wechselwirkungen als Vollendung der Weltzugehörigkeit
- Zur wirklichkeitsverbundenen Kunstentwicklung
- Künstlerische Autonomie
- Überwindung der ästhetischen Differenz
- Varianten einer wirklichkeitsverbundenen Kunst
- Wirklichkeitsverbundene Kunstwerke
- Kunst und Prozessualität – eine Überwindung des Kunstwerks
- Wandlung der künstlerischen Funktion
- Realisation eines zeitgenössischen Realismus
- Poststrukturalismus und Konzeptkunst
- Adrian Piper – eine identitäre Unschärfe
- Funk Lessons
- Eine repräsentationskritische Analyse
- Wirklichkeitsbezug
- Fazit und Ausblick
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit untersucht die Möglichkeit eines Realismus in der zeitgenössischen Kunst am Beispiel der „Funk Lessons“ von Adrian Piper. Sie setzt sich mit der Frage auseinander, ob und inwiefern eine Kunst, die sich von der Wirklichkeit abgrenzt, überhaupt realistisch sein kann und wie eine weltverbundene Kunst in der heutigen Zeit aussehen könnte. Die Arbeit greift dabei auf Wolfgang Welschs Theorie einer in Wirklichkeit verwickelten Kunst zurück, die auf der philosophischen Wahrnehmungsentwicklung aufbaut.
- Philosophische Wahrnehmungsentwicklung und die Überwindung des Dualismus zwischen Mensch und Welt
- Künstlerische Autonomie und die ästhetische Differenz
- Varianten einer wirklichkeitsverbundenen Kunst und ihre Auswirkungen auf die künstlerische Funktion
- Adrian Pipers „Funk Lessons“ als Beispiel für eine zeitgenössische, realistische Kunst
- Die Rolle der Prozesskunst und partizipativer Ansätze in der Herstellung einer weltverbundenen Kunst
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in das Thema „Realismus in der zeitgenössischen Kunst“ ein und stellt die Forschungsfrage nach der Möglichkeit eines realistischen Kunstverständnisses in der heutigen Zeit. Anhand des Beispiels der ersten Aufnahme eines Schwarzen Lochs wird die Problematik einer realistischen Darstellung und die Frage nach einer objektiven Welterfassung aufgezeigt.
Kapitel 2 beleuchtet die philosophische Wahrnehmungsentwicklung, insbesondere die Überwindung des modernen Dualismus zwischen Mensch und Welt. Dabei wird Aristoteles weltrichtige Wahrnehmung als Ausgangspunkt betrachtet und die Entwicklung hin zu einer evolutionstheoretisch begründeten Weltverbundenheit des Menschen dargestellt.
Kapitel 3 beschäftigt sich mit der Kunstentwicklung im Kontext der philosophischen Wahrnehmungsentwicklung. Die Themen der künstlerischen Autonomie und der daraus resultierenden ästhetischen Differenz werden im Hinblick auf die Möglichkeit einer wirklichkeitsverbundenen Kunst analysiert. Es werden verschiedene Varianten einer wirklichkeitsverbundenen Kunst vorgestellt, darunter die künstlerische Arbeit mit Wirklichkeitsbezug und die Überwindung des Kunstwerks durch Prozessualität. Schließlich wird die Wandlung der künstlerischen Funktion im Zusammenhang mit der Konzeption einer weltverbundenen Kunst diskutiert.
Kapitel 4 widmet sich der Realisation eines zeitgenössischen Realismus am Beispiel der Konzeptkünstlerin Adrian Piper und ihrer „Funk Lessons“. Die Arbeit analysiert Pipers Werk im Hinblick auf seine repräsentationskritische Haltung und seinen engen Wirklichkeitsbezug. Dabei wird Pipers Prozesskunst, die das Publikum aktiv miteinbezieht, als Beispiel für eine zeitgenössische, realistische Kunstform vorgestellt.
Schlüsselwörter
Realismus, zeitgenössische Kunst, Wahrnehmung, Wirklichkeit, Philosophie, Anthropologie, Weltbild, Kunst und Wirklichkeit, ästhetische Differenz, künstlerische Autonomie, Prozesskunst, Konzeptkunst, Adrian Piper, Funk Lessons, repräsentationskritisch, Wirklichkeitsbezug, partizipative Ansätze.
- Arbeit zitieren
- Felix Straub (Autor:in), 2020, Realismus in der zeitgenössischen Kunst. Am Beispiel der "Funk Lessons" von Adrian Piper, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1308073